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Eine gefährliche Frage: Wer ist im Klimanotstand eigentlich der Souverän?

Hallo Deutschland.

It's been a while, aber wir müssen mal wieder reden. Ich weiß, seit “grüne RAF (Öffnet in neuem Fenster)” und den “Sex-auf-Meth (Öffnet in neuem Fenster)”-Videos (Öffnet in neuem Fenster), spätestens aber seit “shit happens (Öffnet in neuem Fenster)” hältst Du mich für einen durchgeknallten, moralisch nicht satisfaktionsfähigen Extremisten, und glaub mir, the feeling is completely mutual.

Warum wir trotzdem reden müssen? Weil wir mit immer größerer Geschwindigkeit auf eine gesellschaftliche Explosion zusteuern. Wir befinden uns im mitten im Klimanotstand (Öffnet in neuem Fenster), vertiefen diesen jeden Tag weiter, und die politische Situation re: Klimaschutz ist Folgende: Auf der einen Seite haben wir eine durch ihre FDGO legitimierte Externalisierungs- & “Verdrängungsgesellschaft”, die fast* perfekt legitimiert durch ihre demokratischen Abläufe sagt “nix da, Klimabewegung, wir haben entschieden, wir machen keinen radikalen Klimaschutz, und Ihr Klimaterroristen werdet uns nicht gegen unseren Willen dazu zwingen, vorher prügeln wir Euch von der Straße”. (*fast: da wäre noch die globale Repräsentationslücke (Öffnet in neuem Fenster), die Tatsache, dass 82 Millionen hierzulande Entscheidungen treffen, die acht Milliarden Menschen betreffen, aber... never mind that.)

Auf der anderen Seite haben wir eine Klimabewegung, die weiß, dass die klimakillende Verdrängungsgesellschaft Deutschland (Öffnet in neuem Fenster) in der Frage des Klimanotstands im Grunde nicht vollkommen zurechnungsfähig ist (sie ist qua Scham und Schuld infantilisiert und irrationalisiert (Öffnet in neuem Fenster)). Die Bewegung ist der einzige Akteur, der die notwendige Schritte fordert und durchsetzen will, und sie wird sich nicht von einer immer irrationaleren, immer dümmeren und immer brutaleren Gesellschaft davon abhalten lassen, für die Rettung der Welt und damit auch dieser abgefuckten Verdrängungsgesellschaft zu kämpfen.

Der Klimanotstand

Zur Vokabel “Klimanotstand” der Reminder: Der Begriff “Notstand” hat nicht nur erheblichen geschichtlichen Ballast (Carl Schmitt; “Notstandsgesetze (Öffnet in neuem Fenster)”), er hat philosophisches und vor allem juristisches Gewicht. Ich mach's mir mal einfach und lass Wikipedia die Basics erklären:

“Notstand ist der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist. 'Notstand' ist in Deutschland (Öffnet in neuem Fenster) gemäß § 34 (Öffnet in neuem Fenster) StGB (Öffnet in neuem Fenster) ein Rechtfertigungsgrund (Öffnet in neuem Fenster), der … die Rechtswidrigkeit (Öffnet in neuem Fenster) einer tatbestandsmäßigen (Öffnet in neuem Fenster) Handlung beseitigt. (Der) Notstand im verfassungsrechtlichen (Öffnet in neuem Fenster) Sinne ist eine gefährliche Situation, die durch schnelles Handeln bereinigt werden muss.”

So weit, so regelkonform. Jetzt zum Problem: die “gefährliche Situation”, der Klimanotstand, muss zwar durch entsprechendes (problemadäquates) “schnelles Handeln bereinigt” werden. Doch Du, Deutschland, reagierst auf den Notstand nicht adäquat, Du “bereinigst” ihn nicht “durch schnelles Handeln”.

Es ist offensichtlich, dass radikaler Klimaschutz, gar Klimagerechtigkeit (inkl. all der nervigen Umverteilung in den globalen Süden, die für globalen Klimaschutz & eben -gerechtigkeit notwendig wäre), hier einfach keine mehrheitsfähige Position ist, weil er einen massiven Wohlstandsverlust im konventionellen Verständnis bedeuten würde – und kommt mir jetzt bitte nicht mit diesen “aber es gibt doch Mehrheiten für Klimaschutz”-Umfragen, denn diese Mehrheiten kollabieren, sobald den Menschen klargemacht wird, was die von ihnen abstrakt unterstützten Klimaschutzmaßnahmen sie selbst kosten würde. Außerdem würde radikaler Klimaschutz eine äußerst schwierige Konfrontation mit der Scham und Schuld ob der eigenen kollektiven Verantwortung für die Klimakatastrophe voraussetzen. Und darauf hat nun wirklich kaum jemand Lust. I totally get it, really. Und da ist dann auch egal, was die Klimabewegung und die Klimawissenschaft und der UNO Generalsekretär und das EU Parlament und vielleicht die Kinder am heimischen Esstisch sagen – was der Volkssouverän nicht will, macht der demokratische Rechtsstaat (zumindest im Prinzip) nicht.

Wer bereinigt den Notstand?

Dass aus der Perspektive demokratischer Input-Legitimation (Entscheidungen werden durch korrekte demokratische Prozesse getroffen, also ist Ihr Inhalt oder Output erstmal egal) erstmal völlig in Ordnung ist, dass Du Deine Klimaziele verfehlst, ändert aber an einer ganz anderen Tatsache nichts, nämlich am Klimanotstand. Dieser, “der Zustand gegenwärtiger Gefahr für rechtlich geschützte Interessen, dessen Abwendung nur auf Kosten fremder Interessen möglich ist”, bleibt völlig ungelöst.

Du, Deutschland, der Souverän, handelst nicht wie ein rationaler Souverän, der im Notstand sich selbst und sein staatliche Territorium schützt. Der Platz des Souveräns ist im Klimanotstand leer. Mein anmaßendes Argument: die klimabewegung hat einen legitimen Claim, sich dort hinsetzen zu dürfen, in fact der einzige Akteur zu sein, der einen legitimen Anspruch auf diesen Thron hat, gerade weil wir der einzige gesellschaftliche Akteur sind, der sich traut, die für den Klimaschutz, also für den Versuch der Bereinigung des Notstands durch schnelles Handeln notwendigen Dinge zu fordern: sofortiger Kohleausstieg; keinen Ausbau fossiler Gasinfrastrukturen; Leave fossil fuels in the ground; Anerkennung von Klimaschulden und Leisten von Klimareparationen; und das klimapolitisch absolut notwendige Herunterfahren der Wirtschaft in Richtung einer solidarischen Postwachstumsökonomie. Daraus ergibt sich m.E. ein Anspruch darauf, für die Klimabewegung im Klimanotstand eben auch Notstandsrechte abzuleiten.

To be clear, was ich gerade formuliert habe ist nicht die artikulierte Position der Klimabewegung, nicht einmal der Mehrheit ihres ungehorsamen Flügels – aber es muss Dir ja klar sein, dass die immer häufigeren Verweise auf den §34 StGB (Rechtfertigender Notstand), vor allem, aber nicht nur von der Letzten Generation, im Kern genau auf diese Position hinauslaufen. Auf eine Position, deren Gefahr mir absolut bewusst ist, denn Marx schrieb einmal, dass zwischen gleichen Rechten die Gewalt entscheidet. In diesem Fall sprechen wir eher von “äquivalenten/gleichstarken Begründungen”. Wichtig ist, dass beide “Akteure” in meinem Szenario eine innerlich ziemlich bruchlose Begründung für ihre Positionen und Praxen haben. Was im Falle eines Konflikts zwischen zwei sich selbst als völlig legitim, und die andere Seite als entweder undemokratisch und kriminell, oder als neoimperalistisch und menschenverachtend, ansehenden Akteuren passiert, sollte klar sein: ein unbegrenzter (weder zeitlich noch moralisch noch räumlich) Konflikt zwischen zwei Seiten, der eigentlich nur in und mit der Zerstörung einer der beiden Kontrahent*innen ended kann, in which case the movement would be toast, und die Mehrheitsgesellschaft dem Faschismus einen großen Schritt näher.

Der Weg nach vorne: durch die Trauer

Ich hoffe, dass wir uns trotz aller Konflikte auf eins einigen können: ein derartiges Szenario muss mit aller Macht vermieden werden, und natürlich ist Reden besser als ein aussichtsloser gegenseitiger Vernichtungskampf. Daher danke ich auch der Letzten Generation und den Bürgermeisterinnen von Hannover und Marburg (ausdrücklich aber nicht dem von Tübingen), die sich mit der LG an den Tisch gesetzt haben, anstatt die Repression auszuweiten.

However: Reden ist nicht Handeln, und im bundesdeutschen Politkorporatismus – vgl. Kohlekommission – ist Reden oft auch einfach nur ein Modus der Problemverschleppung (Öffnet in neuem Fenster), weshalb sich die Frage stellt, wie ein Weg jenseits dieser unattraktiven Alternative (aussichtsloser Kampf vs. nutzloses Reden) aussehen könnte, und mit deucht, dass Du, liebes Deutschland, Du aus so vielen mächtigen Organisationen zusammengesetzter Verbändestaat, Dich bisher eigentlich eher vornehm zurückgehalten hast, dass die wirklich großen, mit enormer Legitimität ausgestatteten Verbände (von den Kirchen über den Alpenverein hin zum Deutschen Landfrauenbund) bisher die Klimadebatte weitgehend ausgesessen haben, und sie den Menschen auf der Straße überlassen haben – den Aktivist*innen einerseits, den Autoaggressiven andererseits. Aber die wirklich große Mehrheit der Gesellschaft hat eigentlich noch keine wirklich politisch relevante Position bezogen. Aber im Notstand gilt: man muss sich zwar nicht auf eine Seite schlagen, aber raushalten kann man sich nicht.

Also wohin könnte die Reise gehen? Naja, eigentlich braucht es kein Gespräch zwischen der Gesellschaft und der Klimabewegung, denn die Fakten (was klimapolitisch notwendig wäre) sind alle und eigentlich auch Allen klar. Außerdem lassen sich Scham und Schuld nur sehr schwer anerkennen, wenn der Akteur mit am Tisch sitzt, der in der Vergangenheit so brutale und dumme Reaktionen in einem selbst ausgelöst. Nein, was es braucht wäre ein Gespräch der Gesellschaft mit sich selbst, vermittelt von den o.g. Organisationen und Verbänden, und ich sehe da vor allem die Kirchen und religiöse Organisationen in der Pflicht, aber auch mit einem für sie relevanten, nützlichen gesellschaftspolitischen Fenster.

Warum Religion? Weil es in diesem Gespräch um Trauer gehen muss. Um die Trauer ob einer verlorenen Zukunft – einer Zukunft mit ständig steigendem materiellen Wohlstand, einer Zukunft, in der der Übergang vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit quasi herbeiproduziert wird. Erst wenn die deutsche Externalisierungsesellschaft diese Tatsache eingesehen, und dem Verlust dieser Zukunft hinterhergetrauert hat, erst dann ist radikaler Klimaschutz möglich. Und Trauer, Verlust, das sind Affekte, die wir Linke, die radikale soziale Bewegungen nicht so gut beherrschen. Da haben Religionen einen wichtigen komparativen Kostenvorteil – they own those affects, have owned them for millennia.

Daher, Deutschland: wir müssen reden. Oder genauer: Du musst reden. Mit Dir selbst. Klar kannst Du das auch anders machen. Aber dann wird's wahrscheinlich scheiße.

Dein enfant terrible

Dein Tadzio

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