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WeinLetter #55: Das Weingeschäft der Lieferdienste

Liebe Wein-Freund*in,

Du liest den WeinLetter #55. Heute gibt's: Wein vom Lieferdienst. Also, ich liefere ihn nicht. Aber gerade jetzt, da der Weinkonsum in Deutschland deutlich zurückgeht, die Produktionskosten aber steigen, von der ProWein in Düsseldorf Fotos von leeren Messegängen in den Sozialen Netzwerken geteilt werden, sich die ganze Branche gegen die trübe Stimmung strecken muss, da lasst uns doch mal auf diesen Absatzmarkt schauen. WeinLetter-Autor Philipp Bohn macht das. Und siehe da: Lieferdienste wie Flink rüsten im Weinsegment auf, beschäftigen sogar Sommeliers wie Onel Morales y Fernandez, der hier im Interview die Strategie offenbart. Und der Stuttgarter Winzer Thomas Diehl erklärt, warum er da unbedingt dabei sein muss. Denn die Lieferdienste haben eines, etwas Kostbares: Sie haben eine junge, digital-native, ausgabefreudige Zielgruppe. Viel Spaß beim Lesen! Eure Meinung geht wie immer an: weinletter@posteo +++ Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied Und: Du kannst den WeinLetter jetzt auch verschenken! Aber vor allem:

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

"Das können traditionelle Weinhändler nicht": Onel Morales y Fernandez, 44, Sommelier und Weineinkäufer bei Flink FOTO: FLINK SE

"Wir erreichen junge, ausgabefreudige Kundengruppen"

Der Lieferdienst hat einen eigenen Sommelier: Onel Morales y Fernandez entscheidet über die Weinauswahl von Flink. Was treibt ihn an? Im Interview sagt er: "Wir bieten einen technologisch und datenbasierten Absatzkanal an, den es bis 2020 noch gar nicht gab."

von Philipp Bohn

In Großstädten wie Hamburg, Berlin, Frankfurt, Stuttgart oder München gehören die pinken, blauen oder schwarzen Fahrer von Schnellerlieferdiensten wie Flink, Wolt, Gorillas und Co. zum Stadtbild. Kund:innen decken sich in Echtzeit mit Artikeln des täglichen Bedarfs und Genusses ein – auch mit Wein. Der Lieferdienst Flink beschäftigt mit Onel Morales y Fernandez, 44, einen eigenen Sommelier und Weineinkäufer. Welche Weine sind im Sortiment? Nach welchen Kriterien wählt er die Weine aus? Ist die Lieferung on demand direkt nach Hause die Rettung für die von Absatzrückgängen geplagte Weinbranche?

Weinletter: Onel Morales y Fernandez, wieso leistet sich Flink als On-Demand-Lieferservice einen Sommelier?

Onel Morales y Fernandez: Die Kunden bestellen zwar on demand, haben aber trotzdem und vor allem bei Wein hohe Qualitätsansprüche. Dafür geben sie auch gerne Geld aus. Als Sommelier und Einkäufer wähle ich die Weine aus und schreibe die in der App hinterlegten Weinexpertisen.

Wie bist Du zu Flink gekommen?

Unmittelbar vor Flink war ich erst Sommelier und dann Team Lead - Senior Purchase Manager beim großen Onlinehändler Belvini. Ich habe auch praktische Erfahrung als Chef- Sommelier und Restaurantleiter im Heidelberger Schloss und der Schlossweinstube mit einem Michelin Stern und verschiedenen Outlets. Ich kenne mich also sowohl in der digitalen als auch physischen Weinwelt gut aus.

Und Du kennst viele Winzer:innen persönlich.

Das ist mir sehr wichtig. Obwohl wir in einer sehr dynamischen, digitalen Branche arbeiten, wollen wir unsere Weinauswahl nicht ständig und kurzfristig ändern. Wir wollen Produkte von Winzer:innen anbieten, mit denen wir langfristige Beziehungen pflegen. Ich helfe gerne in meiner Pfälzer Weinheimat bei der Renaturierung eines brachliegenden Weinbergs in der Haardt mit. 

Warum lachst Du?

Das kann ich sogar mit einer Narbe an meiner Hand nachweisen.

Was ist Dein Anspruch an euer Weinsortiment?

Natürlich gibt es Basisweine unter zehn Euro, um den Alltagsbedarf unserer Kund:innen abzudecken. Aber wir haben auch den Anspruch, vermehrt Qualitätsweine anzubieten, wie aktuell einen Weißburgunder von Bassermann-Jordan als Exklusiv-Artikel mit Vintage-Etikett oder Markus Schneiders rote Ursprung-Cuvée. Das Sortiment im oberen Bereich der Qualitätspyramide weiten wir laufend aus, jetzt etwa mit Weinen von Dreissigacker aus Rheinhessen, Christian Stahl aus Franken, Domäne Wachau und Gerard Bertrand aus dem Languedoc. Und wir haben unter unserer Bio-Eigenmarke „Kallas“ eine Rosé-Cuvée aus Rheinhessen, eine rote Cuvée von der Mosel und einen reinsortigen, trockenen Pfälzer Grauburgunder.

Warum das?

Wir wollen damit unsere eigene Stilistik zeigen und Winzer:innen und Genossenschaften neue, digitale Vermarktungswege bieten.

Die Weinbranche kämpft mit Absatzrückgang. Wie könnt ihr da helfen?

Die wesentliche Herausforderung und die Chance für die Branche ist es, neue, jüngere und ausgabefreudige Kundengruppen zu erreichen. Wir bieten einen innovativen, technologisch und datenbasierten Absatzkanal an, den es bis 2020 noch gar nicht gab. Im Schnitt haben wir jüngere Konsument:innen als der traditionelle Facheinzelhandel oder die etablierten Onlinehändlern. Zum Wein im Supermarkt wollen wir uns neben dem Komfort mit einem hochwertigeren Sortiment abgrenzen.

Ihr stellt den Winzer:innen auch ein Daten-Dashboard zur Verfügung. Was gewinnt man damit?

Winzer:innen können anonymisiert sehen, welche ihrer Weine wann, in welchen Mengen und mit welchen anderen Produkten gekauft werden. Das können traditionelle Händler so nicht.

Was ist für Dich persönlich die Vision als Sommelier, Weineinkäufer und Genießer? Welchen Wein hättest du gerne im Sortiment?

Mein Traum ist es, Champagner von Jacques Selosse im Sortiment zu haben und immer bestellen zu können, wenn ich Lust darauf habe. Aber auch für den alltäglichen einfachen Genuss soll es immer gute und solide Weine geben.

Das ist Flink

Flink ist ein On-Demand-Lieferservice. Der Dienst liefert Artikel des täglichen Bedarfs direkt an Endverbraucher. Die Kunden bestellen per App am Handy oder Desktop und Flink liefert meistens per Rad innerhalb kurzer Zeit. Die Logistik läuft über in den Ballungsgebieten verteilte „Hubs“. Aktuell ist das Startup an 200 Standorten in mehr als 100 Städten Deutschlands, Frankreichs und der Niederlande aktiv.

Warum lohnen sich Lieferdienste, Thomas Diehl?

"Was wurde in welcher Menge zu welcher Uhrzeit gekauft": Thomas Diehl, 31, Winzer aus Stuttgart FOTO: WEINGUT DIEHL

Der Stuttgarter Winzer und Unternehmer Thomas Diehl vertreibt seine Weine über Flink. Warum macht er das? Das Protokoll.

Thomas Diehl, 31, ist Eigentümer des Stuttgarter Weinguts Diehl (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Nach den beruflichen Stationen beim Berliner Startup-Inkubator Rocket Internet, der digitalen Marketingagentur RCKT und als Projektmanager bei Trumpf in Vietnam hat er das elterliche Weingut übernommen. Seine Weine vertreibt der Lieferdienst in der Region Stuttgart über die lokalen „Flink Hubs“. Warum macht er das? Hier sagt er warum:

„Lieferdienste wie Flink stellen für mich einen Teil der Nahversorgung sicher. Für die Weinbranche ist ein Listing bei Lieferdiensten mindestens so relevant wie im stationären Handel. Das Konzept des 'Ghost Supermarkts' zeichnet sich besonders durch die Bereitstellung von Produkten nach unmittelbarem Bedarf aus, sogenannte 'Relaxed Purchase Orders'.

Fast alle Winzer:innen haben derzeit einen massiven Rückgang im direkten Endkundengeschäft. Allgemein empfinde ich eine eher gedrückte Stimmung in der Weinbranche. Den Absatz tragen für uns derzeit besonders die Gastronomiekund:innen, die wir in den vergangenen Wochen neu dazu gewinnen konnten. Lieferdienste wie Flink sind eine weitere konkrete und wichtige Option, die rückläufige Nachfrage in den herkömmlichen Absatzkanälen auszugleichen beziehungsweise zu ergänzen.

Operativ nutzen wir anonymisiert über ein digitales Dashboard zur Verfügung gestellte Daten, um unsere Kundengruppen besser kennenzulernen: Was wurde in welcher Menge zu welcher Uhrzeit von welchem Geschlecht in welcher Kombination gekauft? Basierend darauf erstellen wir unsere ‚Buyer Personas‘ und richten unser digitales Marketing entsprechend aus. Zum Beispiel haben wir unser Targeting bei Instagram optimiert und unser Sortiment weiter gestrafft. Das gibt es bei traditionellen Händlern nicht und ist für mich als Unternehmer sehr wertvoll.“ Aufgezeichnet von Philipp Bohn.

Ins Glas geschaut: Rote Bio-Cuvée von Flink - taugt die was?

Unbedingt kühlen: Rotwein-Cuvée von Flink FOTO: PHILIPP BOHN

In der Rubrik „Ins Glas geschaut“ stellen Weinexpert:innen und Weinliebhaber:innen ihren Wein der Woche vor. Heute: Philipp Bohn testet die Flink-Eigenmarke.

Der Wein: „Kallas“ Bio Cuvée, rot, feinherb, 8,99€ nur online bei Flink

Der Grund: Onel Morales y Fernandez wollte hier einen leichten, frischen Rotwein schaffen. Er ist dafür in das eigentlich für Weißwein bekannte Anbaugebiet Mosel gegangen und hat mit einer lokalen Genossenschaft eine Vorauswahl der Lagen und Fässer getroffen. 

Der Wein lag in zweitbelegten Fässern, um die Fruchtcharakteristik im Vordergrund stehen zu lassen. Die Cuvée bringt so eine dezente Holz-Aromatik mit einer frischen, wenig aufdringlichen Note von Erdbeere und roten Beeren. Im Ergebnis ein unkomplizierter Rotwein für den Sommer auf dem Grillplatz oder abends auf der Terrasse. Unbedingt kühlen.

Philipp Bohn ist Chief Marketing Officer beim globalen Digitalisierungsspezialisten Atos in Deutschland. Er lebt mit Frau und zwei Kindern im Prenzlauer Berg. Seine Weinheimat  ist die Pfalz, sein Lieblingsort dort die Mußbacher Weinstube „Eselsburg". Für den WeinLetter hat Philipp bereits über das Weingut von Karsten Peter (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die Nachhaltigkeitsstrategie des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) sowie die Zusammenarbeit des historischen Weinguts Eltz mit der Rheingauer Topwinzerin Eva Fricke (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) geschrieben. FOTO: MONIKA JIANG

Was hältst du von Lieferdiensten und Wein, Philipp Bohn?

"Natürlich können allein Schnelllieferdienste nicht Absatzrückgänge der übrigen, traditionellen Kanälen komplett und über Nacht ausgleichen. Dafür ist der Markt dieser Dienste noch zu jung und auf Ballungszentren fokussiert. Schließlich muss auch das Sortiment durch die Hub-Logistik vor Ort platzsparend und damit sehr fokussiert sein. Und der Warenpreis für Komfort und Spontaneität liegt teilweise um die 10 Prozent über dem traditionellen Onlinehandel.

Aber zwischen Einzelhandel, Supermarkt, Onlinehandel, eigenem e-Shop, sogar Verkaufsautomaten, nun Flink, Gorillas und Co. fragmentieren Marketing und Vertrieb immer weiter. Wer als Winzer:in künftig Erfolg haben will, muss für sich den richtigen Mix finden und Stärken und Schwächen der vielen neuen auch digitalen Plattformen kennenlernen."

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