Die Gemeinsame europäische Asylpolitik: rechte Politik stärkt rechte Parteien
11.04.2024
Liebe Leute,
ich arbeite heute endlich mal wieder an meinem Buch, daher nur ein (relativ) kurzer Kommentar zur Entscheidung des Europäischen Parlaments für eine neue “Gemeinsame europäische Asylpolitik”, für ein “neues, hartes Asylsystem (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)”, wie es Timo Lehmann im Spiegel ziemlich eindeutig formuliert.
Was soll die GEAS?
Auf der Policyebene verfolgt die GEAS zwei Ziele: erstens sollen weniger Migrant*innen auf dem Boden der EU ankommen, zweitens sollen die, die ankommen – in einer irgendwie auch traurig-lustigen Umdeutung des wichtigen Begriffs der “Fairness” - innerhalb der EU fairer verteilt werden. Was drittens ein politstrategisches Ziel verfolgt, zu dem sich sowohl die konservative, die liberale als auch die sozialdemokratische “Parteienfamilie” im EP bekannt hat: den rassistischen, rechtsradikalen, völkischen, faschistoiden Parteien in der EU soll so im Vorfeld der EP-Wahlen im Juni dieses Jahres das Wasser abgegraben werden. Diese Wahlen werden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den gesellschaftlichen Rechtsruck der vergangenen Jahre im EP abbilden, in other words, es droht ein elektorales Massaker für die vielfältige, und ein elektoraler Triumph für die Arschlochgesellschaft.
Was tut die GEAS?
Ad 1: damit nicht so viele Menschen in der EU ankommen, wird ein Teil der Asylverfahren – im Kopf der Entscheidenden sicherlich die Mehrheit, zumindest perspektivisch – nicht mehr in der EU durchgeführt werden, sondern “an den EU-Außengrenzen”, sprich, nicht in der EU, und zwar die für Menschen, die aus Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten kommen, ein Detail, das manche Medien uns schon als “aus sicheren Herkunftsländern kommend” verkaufen.
Dazu zwei kleine Anekdoten:
Uns Olaf war letztes Jahr in Ghana (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), einem Land, in dem Queers und ihre Allies mit jahrelangen Haftstrafen bedroht werden (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), sollten sie sich tatsächlich “queer” verhalten, oder darüber “Propaganda” verbreiten. Dieses schöne Land ist für Olaf, für Deutschland und die EU ein “sicheres Herkunftsland” nicht aufgrund einer politischen Analyse der Situation im Land, sondern wegen der “niedrigen Anerkennungsquote”.
Tunesien, eine der Diktaturen, die sich am aktivsten von der EU als Türsteher der Festung Europa einbinden lassen, wird von Romdhane Ben Amor vom Tunesian Forum for Human Rights folgendermaßen (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) beschrieben: “All of Tunisia has been transformed into a detention centre for migrants. You can’t work, you can’t move, you are deprived of all rights”.
Ok, weniger Menschenrechte = weniger Menschenlichkeit = weniger Immigration. That checks out.
Ad 2: damit die “Verteilung” von Migrant*innen in Europa besser und fairer – ich nehme mal an: den Arbeitsmärkten besser entsprechend; und fairer im Sinne von “fairer für uns in der EU” – organisiert werden kann, kann sich jetzt einfach jedes Land, dass nicht seinen Anteil an Migrant*innen aufnehmen will, mit 20.000€ pro Person freikaufen. Ich finde, das ist ein schönes Echo unserer Klimapolitik, wo Emissionshandel ja auch bedeutet, dass sich schon irgendjemand finden wird (beim Offsetting außerhalb der EU; beim ETS innerhalb), der unseren Müll auf- oder unsere Probleme wegräumen wird. Verantwortung übernehmen? Neee. Da geben wir lieber jemand anderem Geld dafür.
Die GEAS stärkt die Faschisten
Ad 3: die GEAS soll also die radikale Rechte schwächen, eine Strategie, die konzeptionell wohl eine Kopie der merkelschen “asymmetrischen Demobilisierung” sein soll. In short: man nehme die Themen, die der Gegenseite wichtig sind, mache ein, zwei Diskurs- und Policymoves in die Richtung, schon hat man das Thema als Mobilisierungsthema “abgeräumt”, also kriegt die andere Seite bei Wahlen ihre Leute nicht mobilisiert.
Das hat, zugegebenermaßen, bei Merkel und der deutschen “centre-left” extrem gut funktioniert, funktioniert aber bei den Rechtsradikalen – soweit ich weiß zeigen sozialwissenschaftliche Untersuchungen der Frage immer wieder, dazu ein paar Beispiele: hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), und hier (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – überhaupt nicht.
“Es gibt (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) jedoch mehrere Gründe, warum härteren Policies Wähler*innen nicht davon überzeugen wird, zu den etablierten Parteien zurückzukehren. Es kann die Ansichten rechtsextremer Parteien und ihre politische Agenda legitimieren. Um es mit Jean-Marie Le Pen zu sagen: Warum sollten die Wähler die Kopie wählen, wenn sie das Original haben können?”
Die GEAS ist die schwache Kopie der Politik, die die Rechten wirklich haben wollen: eine militarisierte Festung Europa, die auf Menschenrechte scheißt, und sich gegen die negativen Folgen ihrer eigenen Politik nach außen abschottet. Aber: warum stärkt das die Rechten? Immerhin sind wir Linken und Ökos es gewohnt, dass die Verabschiedung auch nur der mäßigsten, verlogensten Kopien unserer Forderungen unseren Support in der progressiven Mitte ganz schnell wegbrechen lässt?
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Die Faschos wollen kein Stück vom Kuchen, sie wollen die ganze Bäckerei
Die Erklärung liegt meiner Meinung nach in den ganz verschiedenen Kämpfen, die von links und von rechts geführt werden. Von links und von ökologischer Seite glauben wir immer meist noch daran, dass unsere politischen Kämpfe solche sind, in denen wir auf der Seite der Rationalität stehen, wir selbst uns auch rational verhalten. Daher erscheint dann, von allem für die eher mittig-reformistisch aufgestellten unter uns, ein kleiner Schritt in die Richtung, die wir haben wollen, schon ein guter Schritt. Ein kleiner, aber immerhin in die richtige Richtung, also haben wir – vor allem eben die “Mittis” bei uns – das Gefühl, dass es in die richtige Richtung geht, also fahren wir unseren Ärger runter, fahren unsere Mobilisierung runter, und sind, presto: asymmetrisch demobilisiert.
Den Rechten aber geht es nicht um diese oder jene Policy, sie haben ja oft nicht einmal ein rationales Verständnis davon, welche Policies es eigentlich gibt, was die eigentlich tun (vgl. “Heizhammer” et al). Ihnen geht es darum, die Welt abzulehnen, in der sie, in ihrer eigenen Wahrnehmung, seit ung. 50 Jahren leben müssen: die Welt, in der sie sich schämen mussten, rechte Arschlöcher zu sein (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre); die Welt, in der sie das Gefühl haben, jeden Tag weiter abgewertet zu werden, einfach nur, weil manchmal nachgefragt wird, ob so, wie es bisher war, wirklich ne gute Idee sei; die Welt, die nicht mehr den imaginierten Vergangenheiten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) entspricht, an die sich die rechte Konterrevolution so klammert.
Deswegen kann es mit den Rechten keine Annäherung und keine Kompromisse (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)geben. Sie kämpfen nicht um ein Stück vom glutenfreien Kuchen. Sie kämpfen für die ganze whitesonlyandwomenbehindthecounter-Bäckerei. Und daher verschafft ihnen jede Annhäherung Mut, jeder Kompromiss wird – ung. wie bei nem aggressiven Hund – als Zeichen der Schwäche gedeutet. Und Schwäche gegenüber dem Faschismus zeigen, stärkt wiederum nur seine aggressive interne Männlichkeit, reizt ihn zu weiteren Attacken auf die Welt, die er bekämpft.
Quo vadis, Mitte?
Das, liebe Mitte, ist Deine Tragik und unser aller Problem: Deine Parteien stärken den Rechtsruck, den Du durchaus glaubhaft (an manchen Tagen) bekämpfen willst. Ähnlich wie beim Klima (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). So whatcha gonna do now?
Mit interessierten Grüßen,
Euer Tadzio