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Wie böse ist „der Mensch“?

Schlimmer Verdacht: Social Media ist eine in sich „rechte“ Technologie, die primär Gegeneinander, Böswilligkeit und Gemeinheit schürt.

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Was links und was rechts ist, ist ja nicht immer leicht auseinanderzuhalten, was „fortschrittlich“ ist und was „konservativ“, da wird es oft noch unübersichtlicher. Aber was stets grundlegend die „linke“ und die „reaktionäre“ Weltsicht unterschied war das Menschenbild, was die Fachleute so „anthropologischen Optimismus“ nannten oder „anthropologischen Pessimismus“. 

„Im großen und ganzen wollen die Menschen gut sein, aber nicht allzu sehr und auch nicht immer.“ – George Orwell

Die Linken halten die Menschen für „im Prinzip“ gut, aber von den Umständen verroht. Mit Befreiung, dem Prozess der Zivilisation, dem Erlernen von Demokratie, den Fortschritten der emanzipatorischen Entwicklung würde dieses gute Potential seine Kraft entwickeln. Nimmt man den Menschen die Ketten ab und entlässt sie in Freiheit und in echte Volksherrschaft, so würden sie tendenziell das Paradies auf Erden errichten – das war immer der Polarstern der Linken. Dagegen stand die anthropologische Skepsis der Konservativen: Der Mensch ist des Menschen Wolf, nimmt man den Menschen die Ketten ab, dann werden sie sich gegenseitig an die Gurgel springen. Selbst die neoliberale Marktgläubigkeit der jüngeren Epochen hatte diese Grundierung, nur dass die Autokratie hier durch „die Märkte“ ersetzt wurde, deren Macht und Eigenleben ja auch dafür sorgen sollte, dass das freie Spiel unsichtbarer Hände dem bewussten Handeln sichtbarer Hände quasi – um im Bild zu bleiben – „in den Arm fallen“ sollte. Die Menschen würden in der Demokratie nur Pallawatsch anrichten, aber das unplanbare, anarchische Spiel ungeregelter Märkte sorge dafür, dass sie nicht so viel kaputt machen können. 

Der reaktionäre Staatsrechtler Carl Schmitt hat das einmal so formuliert: „Man könnte alle Staatstheorien und politischen Ideen auf ihre Anthropologie prüfen und danach einteilen, ob sie, bewußt oder unbewußt, einen 'von Natur bösen' oder einen 'von Natur guten' Menschen voraussetzen.“ Da lag Hitlers Kronjurist nicht falsch.

Eine etwas ent-ideologisierte, nicht-doktrinäre Form des anthropologischen Optimismus hat George Orwell einmal formuliert: „Im großen und ganzen wollen die Menschen gut sein, aber nicht allzu sehr und auch nicht immer.“

Dann kam das Internet und mit ihm die sozialen Medien, was den Nachteil hatte, dass die als „im Prinzip“ als gut erträumten Leute ihre Meinungen und Ansichten äußern, ihre Vorurteile, ihre Ressentiments und niedrigen Beweggründe vor aller Augen ausbreiten können, worauf sich die Ansicht, die Menschen wären im Grunde gut, jedenfalls schwerer aufrechterhalten ließ. Ich glaube, wir haben von unseren Mitmenschen damit Seiten und Charaktereigenschaften kennen gelernt, die wir lieber nicht kennen lernen hätten wollen. 

Twitter, Facebook auf: Gehässigkeit, Böswilligkeit. Dann Twitter und Facebook und Co ganz schnell wieder zu. 

Internet als Hass-Maschine?

Nun kann man daraus den Schluss ziehen, dass der anthropologische Optimismus der Linken immer auf wankendem Boden stand, etwas übertrieben war, oder dass er durch einen Schuss realistischer Skepsis ergänzt gehört; oder dass das die Folge jener Umstände sei, die die Menschen verrohen, weshalb eben die Umstände geändert werden müssen, wobei natürlich sofort die Frage bleibt, wie man mit den verrohten, aktuellen Leuten eine Welt für den nicht-verrohten künftigen Menschen erschaffen solle. Dann landet man vielleicht bei einer Art sozialdemokratischem Gradualismus, der die Umstände Schritt für Schritt verbessern will, aber vorsichtig genug, dass ein Wesen aus so krummen Holz wie „der Mensch“ damit gut mitkann. Man kann aber natürlich auch die Meinung vertreten, dass es gerade das technologische Arrangements der Internet-Kommunikation ist, das die übelsten Seiten des Menschen nach außen kehrt und diese „triggert“, also die Verrohung, die hier zum Ausdruck kommt, durch die spezifische Weise des „zum Ausdruck bringens“ erst produziert wird.

Dass Social Media die unschönen Seiten der Leute nicht zeigt, sondern erst produziert.  

Also, salopp gesagt, dass die Kommunikationstools der Social Media in sich keine neutrale Technologie sind, sondern eine in sich „rechte Technologie“. Dafür spricht ja einiges. Es ist zwar zweifellos möglich, diese Technologien zu nützen, um die Menschen beim gemeinsamen, solidarischen Handeln zu unterstützen. Das geschieht ja auch immer wieder, auch progressive Politikerinnen und Politiker können mit ihren Botschaften von „Hope“ und „Change“ und „Empathy“ auf einer Woge der Zustimmung surfen (auch das gab es ja in den vergangenen 15 Jahren), aber man kann auch gute Gründe vorbringen, dass das Sonderfälle sind. Und dass das spezifische technologische Arrangement des Netzes viel besser dafür geeignet ist, Missgunst zu schüren, Menschen gegeneinander aufzubringen und durch das Triggern von Spannung, Spaltung und Gegeneinander alle Versuche gemeinsamem Weltverbesserns zum Scheitern zu bringen. Wenn jemand etwas Sinnvolles versucht, wartet schon eine Armada von Leuten, die darauf hinweisen werden, warum das eine blöde Idee, und derjenige, der den Versuch unternimmt, ein Trottel sei. Das Netz der Vielen, Anfangs als Hort der „Schwarmintelligenz“ erträumt, hat sich als perfektes Mittel entpuppt, alles kaputt zu machen. Heute würde man eher die Schwarmdummheit analysieren als die Schwarmintelligenz. 

Aber beenden wir die kleine Abschweifung über das Internet, wenngleich es bei keinem Thema als Nebenaspekt behandelt werden kann, weil es sich bei fast jedem Thema eine Zentralität erobert hat. 

Zurück zum Menschen, zu den Leuten. 

Ja, die Leut! „Der Mensch ist gut, aber die Leut sind a Gsindl“, das wusste schon der große Johann Nestroy – angeblich. Ist der Mensch gut? Oder ist er böse? Also, so eminent! Darüber waren sich schon die Theologen seit Jahrtausenden im Unklaren. Und wie gesagt, es ist die Grundfrage jeder politischen Theorie, letztlich. Ist der Mensch an sich gut, und wird nur durch Umstände brutalisiert?  Was weiß ich wegen welcher Umstände: Kapitalismus, Erziehung, Herrschaft und Unterdrückung, wegen der Traumatisierung durch Mama und Papa.

„Der Mensch ist gut, aber die Leut sind a Gsindl“ - Johann Nestroy (angeblich)

Oder ist der Mensch an sich eine Bestie, eben des Menschen Wolf, und nur durch Staat, Gesetze, strenge Regeln und Strafandrohung im Zaum zu halten. 

Anarchist kann man ja nur sein, beispielsweise, wenn man sicher ist: Ohne Staat und Unterdrückung werden die Menschen eine ganz freundliche, fröhliche Anarchie leben. Wenn man glaubt, die würden sich sofort „derschlagen“, kann man natürlich nicht Anarchist sein. Und ich gebe zu, wenn man den Fernseher einschaltet und da Bürgerversammlungen sieht, mit Leuten, bis obenhin voll mit Hass sind, von niedrigsten Instinkten getrieben, die gegen Ausländer hetzen, die schreien, wir „brauchen kane Flüchtlinge“, und alle klatschen dann hysterisch und klopfen so übertrieben kräftig in die Hände, sie applaudieren nicht nur, sondern hauen die Handflächen aufeinander, dass man Angst bekommt, sie könnten sich etwas brechen, als würden sie schon üben für das derschlagen, trainieren für totschlagen. Oder die ganzen Hetzmeuten mit ihren Trillerpfeifen, gegen die „Corona-Diktatur“, wie sie Todesdrohungen rausbellen. Und wenn man dann die Postingforen aufmacht, in die reinschaut, der Mob 2.0, alle bis Oberkante Unterlippe voll mit Ressentiment, kann man schwer weiter ans „an sich“ Gute im Menschen glauben.

Aber vielleicht ist diese Wahrnehmung ja das eigentliche Problem. Der Beginn dieses Problems. 

Negativauslese und Beobachtungsphänomen

Dass alle mittlerweile davon ausgehen, insgeheim oder explizit, die Leut sind alle moralisch verkommen, nur von niedrigsten Instinkten getrieben. Statt dass man das mal anders, nämlich realistischer sieht: Vielleicht gibt es in einer Gesellschaft, also auch in unserer Gesellschaft, zehn Prozent der Leute, die wirklich vollends, also „an sich“, fies, gemein, verroht sind. Aber dann gibt es immer noch neunzig Prozent, die ganz anders sind, oder die irgendwie dazwischen sind, und bei denen mal die eine, mal die andere Saite zum Klingen gebracht werden kann. 

Das Problem fängt aber schon mal damit an, dass die zehn Prozent der Leute, also, sagen wir es offen, die zehn Prozent moralisch verlotterten Schreihälse, nicht selten neunzig Prozent der Aufmerksamkeit bekommen.

Da schwirren die Kameraleute aus und suchen verzweifelt nach dem menschenverachtendsten Sager, nach den bösesten Leuten, und die werden dann als die „Stimme des Volkes“ ausgegeben. Dabei gibts ja auch so viele andere. 

Hysterie und Panik kann ansteckend sein, aber die Leute lassen sich auch von Hilfsbereitschaft anstecken – und von Hoffnung. Verrohung kann ansteckend sein, aber auch die Humanität kann ansteckend sein. Man kann die Leute für das eine und für das andere gewinnen. Man muss sich halt nur trauen. 

Fürchtet man sich vor den Fieslingen, dann wird das natürlich nix. Weil, das Volk, dem ich so begegne, beim Wirten am Land, am Würstelstand im irgendwo, in den Clubs in der Innenstadt, bei Lesungen in irgendwelchen Pfarrsälen in der Provinz, auf den Hauptplätzen von Kleinstädten, wie unterschiedlich die auch sein mögen, gesund oder krank, mit Zähnen im Mund oder ohne, die sind so oder so, unendlich unterschiedlich, aber die allermeisten haben, letztendlich, wenn du ein bisserl ins Reden kommst, das Herz am rechten Fleck. Die sind das Volk, nicht die überdrehten Schreihälse, die irgendwo rumstehen und brüllen, „wir sind das Volk“. Also verabschieden wir uns von dem Irrglauben, nur wenn ein menschenverachtender Satz fällt, nur wenn der Hass und der Geifer schon aus dem Mund trenzen, sei die Stimme des Volkes zu hören. 

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