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Folge 8

Etwas Altes: Meine toxische Rap-Romanze

Vorweg: Bitte lest nur, was ich wirklich schreibe. Man muss nicht Rap lieben oder hassen, um die Argumentation nachvollziehen zu können. Ich nenne kaum Musiker*innen beim Namen, weil ich glaube, dass der Text auch so funktioniert, vielleicht sogar besser, weil alle ihre eigenen Assoziationen eintragen können.

Ich habe von Rap in theoretischer Hinsicht unwesentlich mehr Ahnung als die Kuh vom Radfahren, außerdem bin ich Mutter, entspreche also auf den ersten Blick dem Klischee einer »ignoranten Mutti« (»Kuh«, »Mutti« ... Misogynie muss instant kicken, gern geschehen), die ohne jeden Schimmer abwertend über Rap redet. Aber ganz so ist es nun auch nicht.

Erstens habe ich seit den frühen 80ern durchgehend nicht nur, aber auch gern Rap gehört, natürlich die längste Zeit im Gestus argloser kultureller Aneignung, z. B. durch etwas übergriffige Selbstidentifikation mit den Grandmaster-Flash-Lines »Don’t push me / ’Cause I’m close to the edge / I’m trying not to lose my head (Öffnet in neuem Fenster)«. Mit dem Erwerb eines eigenen, erfahrungsbasierten Eindrucks tauge ich wohl doch nicht als stereotype Mutter, die willkürlich in Jugendzimmer hinein schimpft, aus denen Rap heraustönt. (Ich schimpfe in dem Kontext tatsächlich nur, wenn ich gerade Texte lektoriere, wobei ich mich sehr konzentrieren muss; dann lässt mich spätestens die dritte gefickte Mutter komplett ausrasten.)

Meine Unvoreingenommenheit im Sinne von einem Bemühen, Rap-Produzierenden und -Rezipierenden zuzuhören, statt meine persönlichen Annahmen auf sie zu projizieren, kann ich sogar beweisen. Ich habe öffentlich während eines Lyrikkongresses beklagt, dass man ausgerechnet in Frankfurt bei einem Panel über Sprache und Gewalt keine Rapper*innen eingeladen hatte. Außerdem wies ich darauf hin, dass ich es überheblich finde, wenn man so tut, als müsste eine fiktive Jugend an Dichtung herangeführt werden, um die Zukunft der Lyrik zu retten, während man ignoriert, dass Millionen Menschen, darunter sehr viele junge, Lines aus Rapsongs wie Lyrik auswendig rezitieren. Vielleicht müsste, so mein Vorschlag, eher der Lyrik-Begriff gedehnt werden. Wer bestimmt, was Lyrik ist, was wie Lyrik wirkt? Warum zählen die meisten jetzt lebenden Menschen und deren Kunstverständnis nicht?
Niemals werde ich vergessen, wie eine der Veranstalter*innen danach wütend auf mich einflüsterte: »Frau Frohmann, Sie haben sich bei diesen Rappern angebiedert. Wissen Sie denn nicht, wie kommerziell Rap ist?« Abgesehen davon, dass ich nicht über Rap, sondern über die Bedeutung von Rap für junge Menschen gesprochen hatte, weiß ich auch, wie scheinheilig der Kulturbetrieb ist, in dem es 24/7 um Vorschüsse (Geld), Förderungen (Geld), Preise (Geld) geht, aber nie um kommerzielle Interessen. 

Zweitens, und das ist entscheidend, rede ich über Rap in einer Art und Weise, die keine musikwissenschaftliche oder -journalistische Expertise erfordert, sondern Kenntnisse in Imageproduktions- und -rezeptionsästhetik. Und die habe ich vollumfänglich.

Mein Verhältnis gegenüber Rap-Songs mit Texten, die bewusst diskriminierende Vorstellungen und Begriffe einsetzen, ist, was die ambivalenten, teils auch paradoxen Wirkungsweisen angeht, gar nicht mal so unähnlich dem, das u. a. Miriam Davoudvandi stellvertretend für junge Migrantinnen gegenüber dem Rapper Haftbefehl beschrieben hat: (Öffnet in neuem Fenster) Es ist nicht so, als würde man die diskriminierenden Elemente übersehen oder kleinreden, aber es gibt da noch eine andere Ebene mit etwas Bestärkendem, Gutem, Schönem, und irgendwie ist das eine ohne das andere nicht zu haben; es ist kompliziert. Aber nicht nur, weil ich es persönlich besser nachvollziehen kann, kommt es mir unangemessen und latent rassistisch vor, wenn weiße Frauen sich das Urteil anmaßen, Rap wegen der Misogynie kategorisch ablehnen zu können, während viele WoC ihr Ringen mit der Ambivalenz beschreiben. 

Das heißt nicht, dass man Diskriminierendes  nicht beobachten, benennen und verurteilen kann. Als Frau, Mutter, sozial denkender Mensch hätte ich sachlich sehr gute Gründe, grundsätzlich keine Songs mit diskriminierenden Lyrics anzuhören: Sie schließen mich und andere als Subjekte aus; wenn ich sie anklicke und -höre, popularisiere, finanziere, plausibilisiere ich sie mit. Das ist mir bewusst. Anders als meine Söhne höre ich auch gern akademischen Soziologie-Rap, dessen ethische Bilanz weit besser ist, aber der tut es leider nicht für mich in Sachen Aggression. Der emotional tragische Konflikt vieler Linker, zu Recht maximal wütend, aber grundsätzlich nicht gewaltbereit zu sein, er treibt mich in die Hände von Maskuschlagersängern, nicht immer, aber mindestens alle drei Monate, ich bin Quartals-Hass-Rap-Konsumentin.

Als Individuum, als Christiane Frohmann, ich rede hier wirklich nur für mich, bin ich emotional auf eine unbestimmte Weise darauf angewiesen, sehr aggressive Musik anzuhören, um ein Ventil für meine umfassende gesellschaftliche Frustration und das unerträgliche Gefühl der Hilflosigkeit bzw. des Nichthelfenkönnens zu haben. Hierin liegt der kategoriale Unterschied gegenüber der Analyse von Davoudvandi, denn anders als bei jungen Migrantinnen wirkt die Musik bei mir nicht über die Lyrics widersprüchlich identitätsstiftend bzw. -ermöglichend, also progressiv trotz unleugbar reaktionärer Elemente. Für mich ist das Anhören von Hass-Rap nicht ermächtigend, sondern entlastend, kathartisch, indem ich die Energie der Songs aufnehme, während ich mal mehr, mal weniger erfolgreich versuche, die Lyrics als Unsinnpoesie komplett an mir vorübergehen zu lassen. (»Hermeneutik ist heilbar. (Öffnet in neuem Fenster)«) Das impliziert aber keinen Versuch einer theoretischen Rettung von Hass-Rap – wie gesagt, nicht meine Expertise, nicht mein Anliegen –, sondern mein individueller Nutzerinnen-Trick, ich konsumiere aggressive Songs, indem ich Hermeneutik verweigere, gegen den Strich.

Während ein weißer cis hetero Mann ohne Behinderung solche Rap-Texte womöglich hört – ich möchte da niemandem was unterstellen –, weil sie ihm ähnlich wie diskriminierende Höhö-Witze erlauben, gedanklich mal so richtig schön scheiße auf Kosten gesellschaftlich Schwächerer zu sein (»leider geil«), höre ich sie, weil der aggressive Vibe, die gewaltvolle Energie mir erlauben, Druck abzubauen, der daraus entsteht, oft hilflos selbst erleben oder mit ansehen zu müssen, wie andere scheiße auf Kosten gesellschaftlich Schwächerer sind. Aber Frau Frohmann, ist das nicht etwas paradox, dann ausgerechnet Hass-Rap zu hören? Ja, ist es, sage ich doch. Ich kann nicht mal ausschließen, dass ein Restchen nicht abtrainierter 80s-Fleischwolf-Ironie in mir frivole Freude an mich und andere diskriminierenden Textzeilen empfindet; diese universale Ironie entzieht sich ja der Rationalität, was sie so schwer zu bekämpfen macht.

Meine Musikhör-Persönlichkeit ist mindestens vierfach gespalten. Ich habe eine düster-elegische Seite, die mein »Drinnie (Öffnet in neuem Fenster)«-Ich erfüllt, eine poppige, die meine extrovertierten Happy-Anteile bedient, eine beatorientierte Abtanz-Seite und dann eben den schwer erklärbaren Gewalt-Energie-Abgrund, wo rational nicht zu Bewältigendes – zumindest temporär – weggefühlt wird. Mein Allesanzünden-Ich hat über die Jahre so einiges an Hardcore Punk, Brachial-Techno, Post-Industrial, Blackmetal, ironischem Faschosound und Hass-Rap geballert. Unter den Urhebern dieser Werke war keine einzige Frau, aber, wie ich heute weiß, der eine oder andere verurteilte Mörder, Totschläger, Vergewaltiger und Nazi – Letztere fallen einem außerhalb des deutschen Sprachraums nicht so leicht auf. Huh, so viele Gewalttäterkünstler, sicher ein Zufall, denn alle wissen ja, wer Gewaltkunst macht, tut das grundsätzlich immer als ästhetische persona und begeht nie buchstäbliche Gewalt, ist also scheinbar auch unberührt von für alle Menschen geltenden Gewaltstatistiken.

Kulturell war es also lange Zeit so, dass mich ausschließlich diejenigen mit Aggro-Ventilmusik versorgt haben, die es strukturell nicht gut mit mir und meinen Überzeugungen meinten, weil sie gewaltvoll über gesellschaftlich Schwächere herziehen. Ohnmächtigenbashen statt Machtkritik – das ist für mich der Inbegriff meines aktualisierten Verständnisses von »uncool«, egal, ob in Musik, Kunst, Literatur, Comedy, Feuilleton oder privatem Geplauder.

Vorstellung und Begriff der guilty pleasures (Öffnet in neuem Fenster) werden ja schon lange von verschiedenen Seiten problematisiert, weil man damit einerseits sich unnötig stresst und anderseits andere unnötig herabsetzt. Es ist schließlich auch denkbar, Kultur zu konsumieren, ohne in bestimmten Fällen in Distinktionspanik halbe Univorträge darüber zu halten, warum es eigentlich gar nicht sein kann, dass jemand wie man selbst »so was« gut findet. Aber während es bei den guilty pleasures üblicherweise um ästhetisch schlechte oder anspruchslose Kunst geht, geht es bei meiner Aggromusik eher um ethisch schlechte oder ignorante Kunst, was mich schon unangenehm berührt von mir selbst zurücklässt. Faktisch ist es das Böseste, was ich bewusst mache.

Neuerdings ist aber glücklicherweise auch in diesem Feld Veränderung in Sicht: Zum einen bahnt sich mehr und mehr Wut-Musik den Weg, die es schafft, im Kern nicht von Hass, sondern von Liebe zu sprechen und trotzdem extreme Energie freizusetzen. Das tut es für mich in Sachen Aggression, vor allem aber muss ich beim Hören, weil in den Texten niemand desubjektiviert wird, nicht mehr das Hermeneutiklicht ausknipsen und das ethische Zentrum deaktivieren, was sehr angenehm ist. Gewaltige Energie > gewaltvolle Energie, I like. Im Umsatteln auf Wut-Musik – man kann ja zum Beispiel auch super gegen Nazis statt gegen Frauen ranten – sehe ich auch Entwicklungsmöglichkeit für diejenigen Rapper, die Gewalt nicht als aufregenden Selbstzweck betrachten, sondern ihre Arbeit selbstkritisch hinterfragen, wie etwa Schwartz das tut (Öffnet in neuem Fenster). Respekt für ihn schon allein dafür, positiv gerahmt eine Frau zu zitieren, das trauen sich die meisten meiner feinsinnigen cis männlichen Buchbranchenkollegen noch nicht.

Abi-Aufgabe: Wer sind die wirklichen Hass-Rapper im Kulturbetrieb?

Etwas Neues: Radikales Liebsein

Nur kurz, weil der erste Text schon so lang war, ein grundsätzlicher Ausblick. Es gibt eine sehr schöne Tendenz: radikales Liebsein. Sie äußert sich in Buchtiteln und -inhalten, in liebenswürdigen, wertschätzenden Tweets und Kommentaren, im großzügigen Teilen von Medienraum und Aufmerksamkeit, im Verzichten auf naheliegende zynische Bemerkungen und »kritisches« Verbreiten von reaktionärem Müll, im anfangs fast übertrieben freundlich wirkenden Umgang miteinander.

Dass Menschen aktuell noch überlegen und ausdifferenzieren, welcher Begriff sich am besten eignen könnte, ob Liebe, Zärtlichkeit (Öffnet in neuem Fenster), Freundlichkeit oder Liebsein, ist gut, denn zum damit Gemeinten gehört, dass man versucht, nach dem offensten, potenziell gerechtesten Begriff zu suchen. Oder man lässt dauerhaft einfach mehrere Begriffe nebeneinander zu, wie lieb und klug wäre das denn!

Es ist leider gewiss, dass versucht werden wird, das radikale Liebsein in den Dreck zu ziehen, es als naiv, antiintellektuell, sozialromantisch, uncool darzustellen. Das Gute daran ist, man weiß schon vorher, wer sich derart äußern wird, es sind Personen, die ihre Glaubwürdigkeit längst verspielt haben, weil es ihnen vor allem um persönlichen Machterhalt geht. Bereitet euch schon jetzt professionell auf den Moment vor, wenn der Lurch-Ärger kickt, ich habe euch dafür den letzten Satz aus The Yellow Wallpaper (Öffnet in neuem Fenster) von Charlotte Perkins Gilman und die Illustration von Joseph Henry Hatfield dazu vermemt (vermemen > verminen); nehmt es als meine grundsätzliche Handlungsempfehlung für den Umgang mit sich beleidigt weinend in den Weg werfenden Reaktionären: ungerührt über sie hinweg kriechen, weiterarbeiten. #CreepOverThem

Etwas Geborgtes: Ein Zitat

»Geb’ nur Props an meine Mom«
– Badmómzjay, Move (Öffnet in neuem Fenster)

Etwas Uncooles: Umsehenlernen in Entenhausen

Ich bin nicht immer ein Fan davon, wenn im LTB (Lustiges Taschenbuch, früher auch bekannt als Micky-Maus-Buch) versucht wird, Figuren zeitgemäßer zu gestalten, weil das oft nur eine andere Form von Reaktionärem einführt. Man kennt das aus anderen klassischen Medien und Formaten: gut gemeint ist oft nicht gut gemacht. An manche LTB-Grundprinzipien darf meines Erachtens sowieso kein Finger gelegt werden: Dagobert und Gundel irgendwie menschlicher zu machen, indem eine sich anbahnende Romanze zwischen ihnen angedeutet wird – Hilfe, geht’s noch?

Was mir aber gut gefällt, ist, dass Dagobert und Donald, offiziell Onkel und Neffe, meinem Lesegefühl nach aber Vater und Sohn, jetzt bewusst toxische Kommunikationsstrukturen überwinden lernen. Ehrenenten. Ich bin jedoch ein bisschen neidisch darauf, wie schnell ihnen das gelingt. Persönlich falle ich aktuell noch öfter in toxische Sprechmuster zurück als nicht.

Rubrikloses

Friedliche Koexistenz von adoleszenten Gewaltstyles von Lorenz Frohmann und Kürzestprosa von Sarah Berger: leider geil

Pädagogisch wertvolle Gewaltkultur – Holz! Gebastelt! Montessorischule!

Kreative Gewaltkultur – Geschenkverpackung für eine »Badebombe«

Radikales Nichtliebsein – #TrolleTrolltEuch

Viel besser

Guerlica

Zurück zu den Wettbewerben, zu den Wettbewerber*innen. Wir sehen uns nächste Woche wieder. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.

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