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Wir alle wissen von der Klimakrise, aber was fühlen wir eigentlich, wenn wir uns mit ihr konfrontiert sehen?
Die emotionale Verarbeitung der Krise bekommt viel zu wenig Aufmerksamkeit: Wann reden wir denn schon über unsere Klimagefühle? Oder, noch wichtiger, lassen wir sie überhaupt zu?
Lea Dohm und Mareike Schulze, Gründerinnen der Psychologists for Future, veröffentlichen bald ein Buch, in dem es genau darum geht. Es heißt Klimagefühle und erscheint am 1. August.
Wir sind begeistert, dass wir das Buch vorab lesen konnten und sogar ein Kapitel inklusive Statement von Eckart von Hirschhausen ganz exklusiv für Dich als Treibhauspost-Leser°in veröffentlichen dürfen! Es geht darin um Abwehrmechanismen angesichts der Klimakrise.
Wir haben gemerkt, dass auch wir immer wieder unsere Klima-Gefühle verdrängen. Deshalb hat die Lektüre bei uns viel ausgelöst, da das Buch eine regelrechte Einladung ist, diese Gefühle zuzulassen.
Nimm Dir ein bisschen Zeit, denn das Kapitel ist etwas länger als unsere gewöhnlichen Newsletter-Ausgaben. Und stell Dich darauf ein, dass auch Du Deine Klima-Gefühle plötzlich ganz neu erleben wirst.
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#32 #Klima-Psychologie #Buchauszug
Wenn die Klimakrise unter die Haut geht
Wir alle bedienen uns täglich unbewussten Strategien, um unsere Klima-Gefühle abzuwehren. Wie wir sie erkennen und Gefühle zulassen können – ohne in eine Schockstarre zu verfallen. ~ 14 Minuten Lesezeit
Von Lea Dohm und Mareike Schulze — exklusiver Auszug aus Klimagefühle (Kapitel 3, leicht gekürzt)
Wir alle verdrängen täglich die Klimakrise. Vielleicht stutzt du an dieser Stelle – und vermutlich gehörst du tatsächlich zu den Menschen, die im Vergleich zu anderen bereits ein hohes Problembewusstsein haben. Und dennoch ist es eine mit Gewissheit zutreffende Feststellung: Wir alle verdrängen täglich die Klimakrise. Vor allem: die damit verbundenen Gefühle.
Nur sehr selten hat unsere Untätigkeit in Sachen Klima heutzutage etwas damit zu tun, dass wir über zu wenig Wissen verfügen. Die sogenannte Wissens-Defizit-Hypothese, die dies annahm, wurde bereits widerlegt. Dennoch gilt: Wenn wir mit Fakten zur Klimakrise konfrontiert werden, greifen ganz schnell Abwehrmechanismen, um uns emotional zu schützen. Dies trifft natürlich auch für uns beide weiterhin zu.
Diese Verdrängung ist ein Stück weit sogar notwendig, denn die Klimafakten sind in ihrer Botschaft absolut erschütternd und stellen (fast) unser ganzes Leben infrage. Wenn wir plötzlich aufwachen aus dem Traum, dass das Leben immer so weitergeht, wie wir es bisher kannten – in Frieden und ohne Mangel –, so kann diese erschreckende Erkenntnis in hohem Maße unser Sicherheitsgefühl tangieren. Die innere Abwehr von Klimafakten und den damit verbundenen Gefühlen ist dabei zunächst einmal eine sinnvolle Schutzreaktion. Und dennoch brauchen wir eine gute Balance zwischen einer gesunden Abwehr und der Auseinandersetzung mit den Klimafakten und ihrer Bedeutung. Mit guter Balance meinen wir, dass ein zu wenig an Reaktion zur Folge hat, dass wir es versäumen, die Krise anzugehen, weil wir zu erschüttert sind, um etwas zu tun. Ein zu viel an mentaler Abwehr hingegen kann zur Folge haben, dass die Klimakrise unsere Lebensgrundlage zerstört, weil wir uns im inneren Kampf aufreiben. Finden wir nicht dieses innere Gleichgewicht, die gute Balance, werden wir nichts aktiv gegen die Klimakrise und ihre Folgen unternehmen.
Lea Dohm und Mareike Schulze veröffentlichen am 1. August das Buch Klimagefühle.
Auf den zweiten Blick leuchtet ein, dass wir uns nicht permanent mit dieser größten aller je da gewesenen Menschheitskrisen auseinandersetzen können, denn wir müssen unser Erleben und Verhalten immer im Kontext unseres Umfelds und unseres Alltagslebens betrachten: Die meisten bewegen sich in oftmals fordernden und anstrengenden Lebensalltäglichkeiten, die allein schon ein hohes Maß an Ausdauer und Energie von uns einfordern: Wir sind ständig dabei, uns selbst neu zu erfinden, hochgesteckte Ziele zu erreichen und zu „performen“ –, denn in unserer schnelllebigen Welt ist vermeintlich für jede°n von uns Perfektion wie aus dem Ladenregal zu haben.
Andererseits kann die permanente Konsummöglichkeit zu Omnipotenzgefühlen oder Allmachtsfantasien führen, was oft mit einem Gefühl von Abgetrenntsein von der Umwelt einhergeht: Der Mensch ist getrieben von der Fantasie, der Natur überlegen zu sein, sie beherrschen zu können, alles erreichen, haben und bezwingen zu können. Die meisten Menschen erleben sich kaum noch als Teil der Natur – der wir aber nun mal sind.
Hinzu kommen die alltäglichen, oft nicht zu unterschätzenden Herausforderungen: Wer bereits vierzig Stunden in der Woche gearbeitet hat und sich anschließend noch um Kinder, einen pflegebedürftigen Elternteil oder auch nur die eigene Steuererklärung gekümmert hat, gefühlt Hunderte Nachrichten in fünf verschiedenen Messengern beantwortet und sich durch Tausende Schnäppchen geklickt hat, um am Ende doch nichts zu kaufen, hat oft keine Kapazitäten mehr für Gefühle, erst recht nicht für Klimasorgen oder gar -engagement. Wir sind viel zu beschäftigt oder gar getrieben, die Fülle unseres Lebensalltags zu bewältigen. So sehr, dass vielen sogar die Zeit oder Energie für soziale Kontakte oder Hobbys fehlt. Vor die Wahl gestellt, ob wir uns heute lieber mit den neuesten Klima-Schreckensmeldungen beschäftigen oder uns stattdessen mit einer lieben Freundin verabreden, müssten die meisten von uns vermutlich nicht lange überlegen.
7 Beispiele, wie wir Klima-Gefühle abwehren
Die menschliche Psyche ist faszinierend: Unser Unbewusstes findet allerlei kreative Lösungsmöglichkeiten, um unangenehme Spannungszustände und Gefühle von uns fernzuhalten. Einige dieser Abwehrstrategien mit Klimabezug möchten wir dir gerne näher vorstellen, damit du in Zukunft selbstbestimmt entscheiden kannst, wie du auf die Klimakrise reagieren möchtest. Und bestimmt wirst du – wie wir uns auch – dich und andere wiedererkennen.
Verrechnen von Verhaltensweisen
Das Verrechnen von Klimaschäden ist eine Rationalisierung, die vermutlich täglich millionenfach passiert und der wir auch selbst immer wieder aufsitzen. Sie findet sich in Aussagen wie: „Ich flieg ja schon kaum in den Urlaub, da kann ich wenigstens weiter Fleisch essen“, oder: „Jetzt haben wir immerhin die Fotovoltaik auf dem Dach, bis wir das mit unserem Diesel angehen können, brauchen wir noch ein paar Jahre“. Aber es ist doch so: Selbst wenn wir in bestimmten Lebensbereichen bereits emissionsarm aufgestellt sind, reicht das doch nicht. Wir brauchen in den Bereichen Energie, Konsum, Wohnen, Mobilität und Ernährung null Emissionen. Null.
Wenn es um das Verrechnen von klimaschädlichen versus -schützenden Verhaltensweisen geht, bietet es sich an, eine wichtige menschliche Grundtendenz näher zu betrachten, weil sie gerade für die Klimagefühle wichtig ist, nämlich den sogenannten Single Action Bias. Der Begriff meint unsere menschliche Tendenz („bias“), uns in unserem Stress mit den ökologischen Krisen bereits nach einer einzelnen umweltfreundlichen Handlung („single action“) besser und entlasteter zu fühlen.
Dafür gibt es viele Beispiele: Wer die unangenehme Reportage Seaspiracy, in der es um die Auswirkungen des industriellen Fischfangs geht, angeschaut hat und sich in der folgenden Woche gegen den Verzehr von Fisch entscheidet, wird sich wegen dieser einzelnen Entscheidung vermutlich schon besser fühlen. Durch diese schnelle Entlastung bleibt es dann jedoch bei nur der einen kleinen, individuellen Verhaltensänderung, die vielleicht nach zwei, drei weiteren Wochen schon weniger konsequent ausfällt. Und schnell ertappen wir uns wieder dabei, wie wir Fisch kaufen, zubereiten und verzehren, als sei nichts.
💌 Überforderung, Verdrängung, Ablenkung: diese Reaktionen auf die Klimakrise sind normal, sie lähmen aber auch. Mehr dazu in unserer Ausgabe #26 (Öffnet in neuem Fenster).
Oder noch einfacher: Wenn ich mir Sorgen um das Klima mache, reicht es für meine psychische Beruhigung schon aus, mich an diesem einen Dienstag fürs Fahrrad statt fürs Auto zu entscheiden. Die innere Entlastung stellt sich prompt ein.
Versteht uns nicht falsch: Es ist super, wenn wir mal auf Fisch verzichten oder dienstags mit dem Rad fahren. Es wird nur der Dimension der Krise überhaupt nicht gerecht. Die Beruhigung, die nach einer derart singulären Verhaltensänderung auftritt, kann somit nur eine Pseudoberuhigung sein, denn das Grundproblem bleibt unverändert bestehen.
Der Single Action Bias ist in uns Menschen fest verankert, wir werden ihn nicht los. Die einzige Hilfe, die es an dieser Stelle gibt, ist, immer wieder auf ihn aufmerksam zu machen. Ihn zu kennen, sich selbst an dieser Stelle und das eigene Handeln kritisch zu hinterfragen und anderen Menschen von ihm zu berichten.
Verdrängung und Verleugnung
Wenn unangenehme Fakten einfach weggeschoben werden oder gar regelrecht vergessen werden, spricht man von „Verdrängung“, das Beispiel zeigt dies: „Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn dieser oder jener Kipppunkt überschritten wird.“ Prompt denken wir nicht mehr dran. Verdrängung funktioniert. Tatsächlich verdrängen wir alle ständig erfolgreich irgendetwas – und oft sind das entsprechende Wissen und damit auch das unangenehme Gefühl tatsächlich (vorübergehend) wie weg.
Du kennst das bestimmt auch: Wer verdrängt nicht gerne den Gedanken an die Notwendigkeit, sämtliche Buchführungsunterlagen für die nächste Steuererklärung zu sammeln und ordentlich abzulegen? Oder die Tatsache, dass es für die eigene Gesundheit wirklich günstig wäre, weniger Chips und Schokolade zu essen und stattdessen mehr Sport zu treiben?
Normalerweise holen uns verdrängte Themen in unserer Psyche irgendwann wieder ein, zum Beispiel wenn das Erinnerungsschreiben des Finanzamtes eintrudelt oder eine ärztliche Kontrolle ergibt, dass die Cholesterinwerte bedenklich in die Höhe geschossen sind. So ist es bei den meisten Menschen auch mit der Klimakrise. Wir denken im Alltag nicht viel über sie nach, wenn wir aber zum Beispiel einen Bericht im Fernsehen schauen oder uns mit jemandem über diese Themen unterhalten, ist das Bewusstsein schnell wieder da (und manchmal auch gleich die unangenehmen Gefühle, die es begleiten, und die uns dazu gebracht haben, sie erst einmal beiseitezuschieben). Unter anderem deswegen ist es übrigens so wichtig, dass an so vielen Stellen wie möglich über die Klimakrise gesprochen und medial berichtet wird. Dann können wir uns nicht so einfach wegducken.
Anders ist es bei der Verleugnung, einer stärkeren und hartnäckigeren Form der Verdrängung. Bei der Verleugnung wird selbst die Tatsache an sich, hier beispielsweise die Existenz des menschengemachten Klimawandels, infrage gestellt. Wird eine verleugnende Person doch einmal mit entsprechenden Themen konfrontiert, etwa weil Hochwasserbilder überall in den Medien sind, wird sie oft bis hin zu hanebüchenen Falschaussagen alles in ihrer Psyche mobilisieren, um die unerwünschten Inhalte aus dem Bewusstsein fernzuhalten. Gespräche und Auseinandersetzungen mit wirklich überzeugten Klimaleugner°innen sind oft müßig und in aller Regel wohl auch Zeitverschwendung. Weil der Selbstschutzmechanismus Verleugnung oder die Verdrängung, von der weiter oben ja bereits die Rede war, leider ganz außerordentlich gut funktioniert.
Eine Ausnahme kann es sein, wenn es sich um uns nahestehende Menschen handelt, bei denen wir grundsätzlich auf eine vorhandene Bindung, gemeinsames Erleben und eine geteilte Gesprächskultur zurückgreifen können. Ist dies nicht der Fall, raten wir in aller Kürze eher dazu, sich die eigene Zeit und Energie zu sparen und sich trotzdem verbal und in der eigenen Haltung klar und konsequent abzugrenzen.
Isolierung
Wir wenden uns einem weiteren Abwehrmechanismus zu, der sogenannten Isolierung. Klingt erst mal kompliziert, ist es aber gar nicht: Isolierung begegnet uns vor allem in Journalismus und Politik, wo sich die Klimakrise als eine Aneinanderreihung von Problemen wiederfindet, die es anzugehen gilt: Coronakrise, Wirtschaftskrise, „Flüchtlingskrise“ (wir bevorzugen hier das Wort: Humanitätskrise) ... und irgendwo in dieser Reihe taucht dann auch mal die Klimakrise auf. Eine solche Auflistung beziehungsweise Aneinanderreihung führt zu dem Eindruck, dass wir es grundsätzlich mit vielen isolierten und scheinbar gleichwertigen Problemen zu tun hätten. Dass die Klima- und Biodiversitätskrise aber ursächlich zu Flucht und Migration, zu Armut und Wirtschaftskrisen, zu Pandemien und vielem mehr führt, wird dabei ausgeblendet. Stattdessen können wir bei Annahme einer solchen Aneinanderreihung dann getrost mit dem „Leichtesten“ oder Konkretesten anfangen und schieben so unmerklich die Behebung von Ursachen immer wieder auf – mit verheerenden Folgen.
💌 „Ihr wisst noch gar nicht, was auf euch zukommt“: Carinas Geschichte, und wie sie mit Angst und Schuldgefühlen umgeht, lest ihr in unserer Ausgabe #31 (Öffnet in neuem Fenster).
Hilfreich scheint uns an dieser Stelle die Nutzung der sogenannten Bühnenmetapher aus der Psychoanalyse: Klima- und Biodiversitätskrise sind eben kein weiteres Problem auf der Weltbühne. Sie bedrohen die Bühne an sich.
Es ist daher in den meisten Fällen unzureichend, wollten wir mit der Klimakrise so umgehen, wie wir es mit anderen Konfliktthemen gewohnt sind. Hinzu kommt der erhebliche Zeitdruck. Die Priorisierung in unserem persönlichen Handeln, aber selbstverständlich vor allem auch im Handeln sämtlicher Entscheidungsträger°innen muss klar auf den Schutz unserer Lebensgrundlagen ausgerichtet werden. Bis dies nicht der Fall ist, bleibt uns nichts anderes übrig, als dies konsequent einzufordern.
Verschieben von Verantwortung
An dieser Stelle landen wir direkt beim nächsten Hemmnis der psychischen Bewusstwerdung und Verantwortungsübernahme: „Die Politik muss das richten, was soll ich als Individuum denn schon machen?“ Stimmt –, aber nur zum Teil. Diese Verschiebung von Verantwortlichkeiten von uns auf andere ist auch eine Form von Abwehr, die es uns erlauben soll, einfach weiterzumachen wie zuvor. Aber Vorsicht vor zu schneller Verurteilung: Neben reiner Bequemlichkeit können sich auch Überforderung und Hilflosigkeit dahinter verbergen. Denn wenn die Last einer Aufgabe zu groß wird, muss die damit verbundene Überforderung gegebenenfalls abgewehrt werden, da sie sonst zum Beispiel zu Ohnmachtsgefühlen führen kann oder selbstwertschädigend wirkt. Wer Verantwortung abwehrt, schützt sich vielleicht selbst, damit tut er der Umwelt allerdings keinen Gefallen.
Wir hoffen, dass wir mit diesem Buch einen Beitrag leisten können, solche Überforderungsgefühle zu mindern, denn wir brauchen auch dich für die Bewältigung oder zumindest Entschärfung dieser Menschheitskrise.
Hoffnung auf technologische Lösungen
Auch die Hoffnung auf „Geoengineering“, also die technische Lösung der Klimakrise in Form von „rettenden“ Technologien, ist eine Form von Abwehr. Damit verknüpft ist die Hoffnung, dass wir ohne jegliche Änderung weitermachen können wie bisher, ohne auf irgendetwas verzichten zu müssen.
Derartige Fantasien können stellenweise in einen regelrechten Größenwahn münden. Wir haben uns vielfach in unserer naturwissenschaftlichen Community zu genau diesen Fragen nach technischen Lösungen ausgetauscht und müssen euch sagen: Es gibt keine derartige Technik, die so nah an der Marktreife wäre, dass sie tatsächlich eine wesentliche Rolle bei der Klimarettung darstellen könnte. Im Gegenteil: Oft sind solche Techniken sogar gefährlich, da die Folgen ihres Einsatzes vollkommen unvorhersehbar wären.
💌 Wir werden niemals aufhören, die Natur zu manipulieren: Warum Geo-Engineering an dystopischen Sci-Fi erinnert, lest ihr in unserer Ausgabe #12 (Öffnet in neuem Fenster).
Fest steht: Jeder Eingriff in die natürlichen Kreisläufe der Natur hat weitere unkalkulierbare Auswirkungen. Das, was wir brauchen, ist aber auch deutlich simpler, das kann ja auch eine gute Nachricht sein: den superschnellen Ausbau erneuerbarer Energien. Die sind schon erfunden und stehen in den Startlöchern. Jetzt gilt es, nicht den Anschluss zu verpassen.
Kapitulation
Ein anderer psychischer und rhetorischer Kniff, mit dem Menschen sich davor bewahren möchten, sich tiefer mit der Klimakrise auseinanderzusetzen, ist die Kapitulation. Es ist logisch: Wenn wir davon ausgehen müssen, dass „der Drops eh gelutscht“ ist, brauchen wir natürlich keine Anstrengungen mehr zu unternehmen. Es wäre in so einem Fall auch mehr als verständlich, einfach sein Leben – so gut es geht – genießen zu wollen und sich vielleicht auch noch mal richtig was zu gönnen.
Es ist aber nicht zu spät und es gibt jede Menge, was wir tun können. Sowieso: Auch wenn wir vieles nicht mehr retten können, lohnt es sich immer, sich für jedes Zehntel Grad Erderhitzung einzusetzen, das, wenn es erst eingetreten wäre, nur noch mehr Leid zur Folge hätte.
Wir leben in einer Zeit, in der eine große Verantwortung auf uns lastet, das Ruder noch herumzureißen. Egal, ob wir das doof finden – so ist es nun einmal.
Vermeidung von Konfrontation
Bei der Konfrontation mit all diesen unangenehmen Tatsachen und nötigen Verhaltensänderungen kommt es nur allzu oft vor, dass wir widerstreitende Gedanken oder Impulse in uns verspüren: So kann es uns durchaus wichtig sein, unseren Kindern einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen, und trotzdem essen wir gerne Fleisch und fliegen gerne auf die Kanaren. Der daraus entstehende widersprüchliche Zustand fühlt sich in der Regel unangenehm an – in der Psychologie ist er als „kognitive Dissonanz“ bekannt. Um dieses unangenehme Gefühl loszuwerden, wäre es natürlich eine Möglichkeit, das eigene Verhalten zu ändern. Tatsächlich findet dieses Umdenken und Handeln aber nur sehr selten statt, denn es gibt deutlich einfachere und weniger aufwendige Mittel und Wege: Wir können stattdessen auch das Radio ausmachen, das uns gerade von der Klimakrise berichtet, oder den Kontakt zu den Menschen meiden, die uns immer wieder mit diesem unangenehmen Thema konfrontieren. Gibt ja auch genug andere.
In der Tat ist es so, dass es in unserer zutiefst nicht-nachhaltigen Gesellschaft oft sehr schwer ist, das eigene Verhalten wirklich dauerhaft zu ändern. Wer es trotzdem tut, bringt sich leicht in die Position eines „Sonderlings“, „komischen Ökos“ und bezahlt mehr als andere.
Deswegen ist es enorm wichtig, dass wir über Protest und politische Partizipation immer weiter dranbleiben, Politik und Wirtschaft aufzufordern, uns klimafreundliches Verhalten leichter zu machen (mehr zu diesen Möglichkeiten erfährst du im Kapitel „Ins Handeln kommen“). Noch bleibt es fatalerweise oft einfacher, das Radio auszuschalten oder unangenehme Kontakte mit dem Thema Klima zu meiden.
Wie wir zu mehr Problembewusstsein kommen
Wenn wir mit all den Möglichkeiten konfrontiert sind, die uns davon abbringen, der Klimakrise in unserem Leben einen prioritären Platz zuzuweisen, kann das ernüchternd sein. Wie soll es bei all den psychischen Abwehrmöglichkeiten überhaupt möglich sein, Problembewusstsein wachsen zu lassen – und dann auch noch ins gemeinsame und solidarische Handeln zu finden?
An dieser Stelle bedienen nun auch wir das Bild des Eisberges: Wie den meisten Menschen ist ja auch dir sicher bekannt, dass bei einem Eisberg lediglich die Spitze aus dem Wasser ragt, während sich der überwiegende Teil der Eismasse unter der Wasseroberfläche fortsetzt. Anhand dieses Bildes können wir auch die menschliche Verarbeitungstiefe der Klimakrise beschreiben: Der sichtbare Teil über der Wasseroberfläche steht in diesem Fall symbolisch für das grundsätzliche rationale Verständnis, dass es die Klimakrise gibt und dass sie ein Problem für uns ist. Die allermeisten Menschen hierzulande stimmen dieser Feststellung zu.
Doch immer mehr Leute verstehen auch, dass der Eisberg unter der Wasseroberfläche weiter reicht. Oft beginnt es damit, einen eigenen, sehr persönlichen und auch emotionalen Bezug herzustellen. Für mich, Mareike, sind meine Tochter und ihre Zukunftsperspektive der persönliche Bezug, der mir eine emotionale Verbindung zur Klimakrise ermöglicht hat. Wir ergänzen in solchen Momenten unser Faktenwissen mit ganz individuellem Erfahrungswissen.
So erlebte es auch eine befreundete Mutter bei ihrem Wochenendausflug in den Harz: Selbstverständlich war ihr schon vorher klar, dass wir eine ökologische Krise erleben – der Anblick der vielen toten Bäume war es dann aber letztlich, der die Wucht hinter dem theoretischen Wissen für sie greifbarer machte – und ihr Leben tatsächlich beeinflusste.
Irritationen am Anfang des Bewusstwerdungsprozesses
Auch Dr. Eckart von Hirschhausen, Arzt und Kabarettist, schilderte uns seine schrittweise erfolgte Bewusstwerdung der Klimakrise über mehrere solcher ganz persönlichen Bezüge:
„Seit Kindertagen liebe ich Sommerurlaub in Österreich, die Berge, die Natur, die Seen und den Kaiserschmarrn. Alles sehr erholsam. Eigentlich. Aber diese Idylle bekommt zunehmend einen Knacks. Vor einiger Zeit erzählte mir ein befreundeter Bergführer, dass sein Kumpel abgestürzt sei: ‚Er war einer der erfahrensten Bergsteiger überhaupt. Aber der Fels, über den er schon viele Male sicher gegangen war, brach einfach so unter ihm weg. Das hat mit dem Klimawandel zu tun.‘ Wie bitte? Kein Einzelschicksal? Warum bröckelt es in den Alpen? Was ich nicht wusste: Hoch oben werden Berge im Inneren oft durch Kälte zusammengehalten. In den vielen kleinen Spalten und Rissen im Stein wirkt das Wasser wie ein Kitt. Wenn es wärmer wird, schmilzt es, dehnt sich aus, und der Verbund, der Jahrmillionen gehalten hat, geht verloren. Die Einschläge kommen näher. Der Knacks ist da.
Dr. Eckart von Hirschhausen. 📸: Screenshot YouTube.
Was gerade auch massiv verloren geht, ist der Wald. Das fiel mir schon in Deutschland beim Wandern auf, aber noch krasser in unserem Feriendomizil auf Zeit. Dort ist der Wald an einzelnen Hängen nicht mehr grün, sondern braun vor Hitze und Trockenheit. Wo man hinschaut: kahle Bäume, die mitten im Sommer ihren Geist aufgegeben haben. Es ist gespenstisch zu spüren, wie sie, die dreimal höher gewachsen sind als ich, von mir Hänfling einfach mit der Hand umgeworfen werden können, weil sie nichts mehr richtig im Boden hält.“
Diese beiden Erfahrungen scheinen bei Eckart schon ein Gefühl dafür hervorgerufen zu haben, dass etwas mit unserer Welt nicht stimmen kann, dass irgendetwas im Argen liegt. Dieses oft erst mal unterschwellige Gefühl, das Fragen aufwirft und Irritation hervorruft, ist bei vielen Menschen der Anfang eines Bewusstwerdungsprozesses. Wird dieses Gefühl durch weitere solcher Erlebnisse und Eindrücke bestätigt, kommt es idealerweise zu einem Kipppunkt in uns, der dann in Einsicht mündet. Und wie das mit den Kipppunkten so ist: einmal überschritten, gibt es kein Zurück mehr.
Es sind solche persönlichen, ganz individuellen Bezüge, die unsere psychische Verarbeitungstiefe der Klimakrise direkt betreffen, oder, um im Bild des Eisberges zu bleiben, die uns die unter Wasser liegenden – die im zuvor unbewussten Bereich befindlichen – kolossalen Ausmaße des Problems bewusst werden lassen.
Es ist immer hilfreich, über die Krise zu sprechen
Es müssen nicht immer Naturerfahrungen sein, die unsere innere Auseinandersetzung mit der Klimakrise in Gang setzen oder vertiefen. Aus der Psychologie ist bekannt, dass letztlich jede einzelne „mentale Operation“ dazu in der Lage ist.
Das bedeutet, sobald wir uns über die Klimakrise austauschen, Bücher wie dieses lesen, Prognosen wagen, Wissen verknüpfen oder uns in einem ernsten Gespräch mit unseren Liebsten fragen, wo in 50 Jahren wohl noch sichere Lebensräume für uns Menschen erhalten sind – in all diesen Momenten tauchen wir tiefer in das Wasser hinab, um die Ausmaße des „Eisbergs Klimakrise“ weiter zu erkunden.
Genau genommen aber dehnt sich unsere Verarbeitungstiefe aus und kann uns tief und bis in unser Innerstes erschüttern. Diese Tatsache allein lässt übrigens die simple Schlussfolgerung zu, dass es immer, wirklich immer hilfreich ist, wenn wir mit anderen über die Klimakrise sprechen. Das Sprechen erzeugt stetig aufs Neue ein Sich-ins-Bewusstsein-Rufen und erhöht somit nach und nach die Wahrscheinlichkeit, dass mehr und mehr Menschen ins Handeln kommen.
Gemeinsam ins Handeln kommen
Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor auf unser Problembewusstsein ist die Frage, wie sich die Menschen um uns herum verhalten. Hier kommt wieder die Psychologie ins Spiel, die uns in vielen, vielen Studien zeigte, dass wir sehr soziale Wesen sind und uns in unserem Wahrnehmen und Handeln sehr viel mehr an unserem Umfeld ausrichten, als es uns bewusst ist.
💌 Die To-Do-Liste zur Rettung des Planeten: die fünf wichtigsten Maßnahmen aus dem IPCC-Bericht in unserer Ausgabe #25 (Öffnet in neuem Fenster).
Als Menschen passen wir im Alltag ganz unbewusst unser Fühlen, Denken und Verhalten den Leuten in unserer Umgebung an. Psychologisch lässt sich das unter anderem so begründen: Die meisten von uns haben ein feines Gespür für soziale Normen und fallen ungern (negativ) auf. Das führt auch dazu, dass wir uns als ein und dieselbe Person als Fan in einem Fußballstadion anders benehmen als auf einem Klimastreik der „Fridays for Future“-Bewegung. Sitzen wir als Wissenschaftler°in also in einer fachlichen Besprechung und merken, dass eine Person im Raum nervös wird, so wächst die Wahrscheinlichkeit, dass auch wir nervös werden. Wir fangen dann an, innerlich wie äußerlich nach einem Grund dafür zu suchen, etwa nach einer potenziellen Bedrohung.
Oder aus einer anderen Perspektive: Sitzen wir selbst mit unserer Familie oder Freund°innen zusammen und tauschen uns über die nächsten zu erwartenden Wetterphänomene aus, kann das sogar erst mal mit einer Faszination oder gar Sensationslust einhergehen. Es kann aber auch die gesamte Stimmung im Raum verändern, wenn nur eine°r der Beteiligten andere Gefühle wie Ernst und Sorge zum Ausdruck bringt.
Unsere Beeinflussbarkeit durch Gruppen und soziale Normen lässt sich also im Sinne des Klimaschutzes nutzen, denn durch unser individuelles Fühlen, Denken und vor allem unsere Emotionen und unser Verhalten prägen wir die Normen schließlich mit. Auf diese Weise kann jedes Gespräch eine große Wirksamkeit entfalten und das Klima-Problembewusstsein in deinem persönlichen Umfeld und Freundeskreis erheblich wachsen, wenn du es wagst, deine eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen, auch und vor allem wenn andere dabei sind. Du kannst gerne ehrlich zugeben, dass dir eine Unwetterwarnung oder ein Schulausfall wegen eines zu erwartenden Unwetters – wie wir es Anfang 2022 beispielsweise durch die drei aufeinanderfolgenden Sturmtiefs „Zeynep“, „Ylenia“ und „Antonia“ erfahren haben – nicht nur Freude macht, sondern wegen der damit verbundenen Bedrohung auch mit Sorgen oder Ängsten verbunden ist. Es hält uns auch psychisch gesund, wenn wir für unsere Gefühle einstehen und sie ernst nehmen.
Das war Teil 2 unseres Juli-Schwerpunkts zum Thema „Klimagefühle“. Hier kannst Du den ersten Teil lesen (Öffnet in neuem Fenster). Und wenn Dir der Buch-Auszug gefallen hat, kannst Du das Buch hier vorbestellen (Öffnet in neuem Fenster).
Wir hören uns wieder im September
Mit der heutigen Ausgabe verabschieden wir uns in eine kleine Sommerpause. Im September wirst Du dann die nächste Treibhauspost erhalten – wir haben schon einiges geplant.
Wenn Du bis dahin noch Lese-Stoff brauchst: Alle 32 Treibhauspost-Ausgaben gibt's hier (Öffnet in neuem Fenster) auf einen Blick. Vielen Dank fürs Lesen. 💌
Schönen Sommer!
Julien & Manuel
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