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Es steht doch alles da. Schwarz auf weiß – die konkreten Lösungen, um den Planeten zu retten. Wir wissen alles, aber handeln nicht. Wenn man den IPCC-Report liest, durchlebt man eine Achterbahnfahrt zwischen Euphorie und Enttäuschung. Und das muss ein wissenschaftlicher Bericht mit der dramaturgischen Spannungskurve einer Steuererklärung erstmal schaffen.

Was macht diesen Report so brisant? Welche To-Dos sind bis 2030 die wichtigsten? Und was ist die mit Abstand größte Überraschung?

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#25 #Analyse #IPCCBericht

Die To-Do-Liste zur Rettung des Planeten

Der IPCC-Bericht ist voller Lösungen, um die Klimakrise aufzuhalten. Wir fassen die fünf wichtigsten Maßnahmen zusammen und analysieren, warum der Report so radikal ist. ~ 6 Minuten Lesezeit

Am Montag erschien der letzte Teil des IPCC-Reports – der mit Abstand wichtigste Klimabericht, den die Weltgemeinschaft zu bieten hat.

Tagesschau, FAZ und Co. frühstückten die Meldung mit nicht viel mehr als einer Randnotiz ab. Und das, obwohl die Seiten des Reports vor Radikalität nur so platzen: Das 1,5-Grad-Ziel ist so gut wie gestorben. Selbst zwei Grad sind laut Bericht nur noch möglich mit sofortigen Maßnahmen und einem grundlegenden Wandel unseres Wirtschaftssystems.

Der IPCC (Weltklimarat) veröffentlicht nur alle sechs bis sieben Jahre seinen Sachstandsbericht (Öffnet in neuem Fenster) und damit die Grundlage für internationale Klimapolitik. Besonders brisant an diesem letzten Teil: Es geht um ganz konkrete Ursachen und Maßnahmen zur Lösung der Klimakrise. 

Was die 278 IPCC-Autor°innen in Rücksprache mit den UN-Staaten auf die Beine gestellt haben, ist nicht mehr und nicht weniger als eine nach höchst wissenschaftlichen Maßstäben formulierte last minute To-Do-Liste zur Rettung unseres Planeten.

Ein Leak, der Wellen schlägt

Eine zweite Sache war dieses Mal bei der Veröffentlichung brisant: Scientist Rebellion, eine Gruppe aktivistischer Wissenschaftler°innen, hatte im vergangenen Sommer eine erste Version des Berichtes geleakt (Öffnet in neuem Fenster). Aus Sicht der Bewegung waren die neun Monate Zwischenzeit bis zur finalen Veröffentlichung zu wertvoll, um sie mit Detailarbeit zu verplempern.

Diese Detailarbeit bestand zudem vor allem darin, dass die UN-Staaten Passagen im wissenschaftlichen Bericht anfechten konnten. Der BBC berichtete (Öffnet in neuem Fenster) im Oktober von konkreten Beispielen: Japan und Australien argumentierten gegen die negative Darstellung von fossilen Energien, die Schweiz zückte bei den Ausgleichszahlungen an Entwicklungsländer den Rotstift und Brasilien und Argentinien wollten die Abschnitte zu Fleisch- und Milchkonsum überarbeitet sehen.

Protest von Scientist Rebellion in der Nähe des Reichstags nach Veröffentlichung des IPCC-Reports (📸: Stefan Müller)

Mit Erfolg – in der ersten Fassung stand noch wortwörtlich: “Eine pflanzenbasierte Ernährung kann […] bis zu 50 Prozent der Treibhausgas-Emissionen einsparen”, im Vergleich zu einer Ernährung, die viel Fleisch beinhaltet. In der Endfassung kommt das Wort “meat” nicht einmal mehr vor. Es ist lediglich von “nachhaltigen gesunden Ernährungsweisen” (sustainable healthy diets) die Rede. Wer wissen will, was genau damit gemeint ist, hat eine Fußnoten-Odyssee vor sich.

Ein Dokument, von dem sich auch China und Saudi-Arabien nicht distanzieren können

Es mag zunächst befremdlich daherkommen, dass Staaten auf einen wissenschaftlichen Report überhaupt Einfluss haben. IPCC-Leitautor Wolfgang Cramer verteidigt jedoch den Prozess. Das primäre Ziel des Weltklimarats sei es, einen Text zu erstellen, der so eindeutig sei wie möglich und in dem sich quasi jedes Komma auf eine Quelle zurückführen lasse.

Jedes Land habe die Möglichkeit, alternative Interpretationen der Daten von der Wissenschaft prüfen zu lassen, sagt der Klimaforscher. “Wenn das gut klappt, und das war bisher immer der Fall, dann haben wir am Ende ein Dokument, von dem sich auch die Regierungen Chinas und Saudi-Arabiens nicht distanzieren können.”

IPCC-Leitautor Wolfang Cramer (📸: IISD/ENB | Kiara Worth)

Am Ende des mehrstufigen und sehr kleinteiligen Prozesses (es gab eine Sitzung, in der 39 Stunden am Stück diskutiert wurde) müssen ausnahmslos alle Regierungsvertreter°innen der Staaten den Bericht autorisieren. “Passiert das nicht, würde der Report gar nicht erscheinen”, sagt Cramer. “Es gilt das Konsensprinzip.”

Scientist Rebellion hält dagegen: Das entscheidende Dokument des Berichts sei verwässert worden. “Die finale Fassung ist erschreckend zurückhaltend, gefügig und konservativ”, heißt es in der Pressemitteilung. Laut den aktivistischen Wissenschaftler°innen werde im Vergleich zur ersten Version des Reports vor allem die Verantwortung der führenden Industrienationen heruntergespielt.

Auch wenn die finale Version unter Umständen an einigen Stellen weniger explizit daherkommt als in der Originalfassung – die Kernaussagen sind geblieben. Wir haben uns die Maßnahmen angeguckt, die bis 2030 das meiste CO₂ einsparen können. 

Hier sind die fünf wichtigsten To-Dos der Weltgemeinschaft zur Bekämpfung der Klimakrise:

1. Solar- und Windenergie ausbauen

Bereich: Energie
Einsparpotenzial (CO-Äquivalente pro Jahr): 8 Gigatonnen  
Kosten (durchschnittlich pro Tonne CO-Äquivalent, vereinfacht): sehr niedrig

Erneuerbare Energien sind Lösung Nummer eins, um Emissionen einzusparen. Was Solar- und Windenergie zum No-Brainer macht: Die Kosten liegen fast gänzlich bei unter 20 US-Dollar pro eingesparter Tonne CO₂-Äquivalent. Zusätzlich gibt es zahlreiche positive Wechselwirkungen mit den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der UN.

2. Wälder und Ökosysteme erhalten und renaturieren 

Bereich: Landwirtschaft
Einsparpotenzial: 7 Gigatonnen  
Kosten: niedrig bis mittel

Bäume, Moore und andere Ökosystem speichern Unmengen CO₂. Sie schlicht in Ruhe zu lassen oder sogar wiederherzustellen ist die Maßnahme mit dem zweitgrößten Einsparpotenzial. Zu den Ursachen der Naturzerstörung heißt es in der geleakten Version noch: Weniger Lebensmittelabfälle und eine pflanzenbasierte Ernährung reduzieren den Bedarf an landwirtschaftlicher Fläche. Dies hieße wiederum, dass weniger Wälder und Ökosysteme zerstört werden müssten, um Nahrungs- und Futtermittel anzubauen. In der finalen Version werden die Ursachen für Entwaldung nicht mehr explizit genannt.

3. Lebensmittel klimaverträglich herstellen

Bereich: Landwirtschaft
Einsparpotenzial: rund 2,7 Gigatonnen
Kosten: mittel

Die Art und Weise, wie Nahrungsmittel angebaut werden, kann zwischen 1,8 und 4,1 Gigatonnen Treibhausgase einsparen. Wichtige Maßnahmen dabei sind unter anderem Agroforstwirtschaft, also die Kombination aus Ackerkulturen und Bäumen und Sträuchern, oder die Lagerung von CO₂ in Böden durch das Düngen mit Biokohle.

4. Von Kohle und Gas aussteigen

Bereich: Industrie
Einsparpotenzial: rund 2,1 Gigatonnen  
Kosten: mittel bis hoch

Industrielle Produktionsprozesse müssen, wenn möglich, elektrifiziert werden und auf klimafreundliche Kraftstoffe umgestellt werden. Dazu zählen zum Beispiel (grüner) Wasserstoff oder Biogas. Im Vergleich zu anderen Maßnahmen, ist es im Bereich Industrie allerdings relativ teuer CO₂ einzusparen – pro eingesparter Tonne rund 50 US-Dollar.

5. Weniger Fleisch essen

Bereich: Landwirtschaft
Einsparpotenzial: rund 1,8 Gigatonnen  
Kosten: unbekannt

Die Maßnahmen mit dem größten Einsparpotenzial auf Seite der Endverbraucher°innen ist die Umstellung auf eine Ernährung, die vorwiegend auf Pflanzen basiert. Vor allem Rindfleisch- und Lammfleisch-Konsum muss drastisch reduziert werden, da Wiederkäuer besonders klimaschädliches Methan ausstoßen. Eine Ernährungswende hätte außerdem positive Auswirkungen auf Gesundheit, sauberes Wasser, Biodiversität und sechs weitere SDGs.

Dieses Tabellen-Monster ist die komplette To-Do-Liste des IPCC. Je größer der Balken, desto mehr Einsparpotenzial – blau heißt günstig, rot teuer.

Ein wissenschaftlicher Weckruf zu radikalem Umdenken

Im IPCC-Bericht wird deutlich: Wir können die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise noch abwenden. Es ist theoretisch sogar noch möglich, wenn auch höchst unwahrscheinlich, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu beschränken. Dafür – und das ist die schlechte Nachricht – bleiben jedoch nur noch wenige Jahre; knapp drei um genau zu sein. Die CO₂-Emissionen müssen ihren Höchststand spätesten 2025 erreichen, oder 1,5 Grad werden mit großer Sicherheit überschritten.

Entsprechend scharf formulierte UN-Generalsekretär Antonio Guterres sein Statement in stilsicherem Luisa-Neubauer-Slang: “Der jüngste IPCC-Bericht ist eine Ansammlung der gebrochenen Klimaversprechen. Einige Regierungs- und Wirtschaftsführer sagen das eine, tun aber etwas anderes. Sie lügen. Es ist an der Zeit, die Verbrennung unseres Planeten zu beenden.”

Die größte Sensation des Berichts allerdings ist eine andere. Zum ersten Mal benennt der Weltklimarat in aller Deutlichkeit den Zusammenhang zwischen Wachstumszielen und Klimakrise. Das Fazit: Ein BIP-orientiertes Wirtschaftswachstum ist mit dem Pariser Klimaabkommen nicht vereinbar. Denn solange die Wirtschaftsleistung nicht entkoppelt ist von fossilen Energien, heißt mehr BIP automatisch auch mehr CO₂. Damit rüttelt der IPCC höchst wissenschaftlich am heiligen Gral des globalen Wirtschaftswachstums.

Das wichtigste To-Do von allen

Umweltökonom Timothée Parrique (Öffnet in neuem Fenster) hat die Passagen analysiert, die sich mit BIP und Wachstum befassen. Alleine das Wort “degrowth” kommt im Hauptbericht sieben Mal vor (allerdings nicht in der entscheidenden Zusammenfassung).

Wörtlich heißt es an einer Stelle im Report: “Mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass nur ein BIP-Nichtwachstums-/Degrowth- oder Postwachstums-Ansatz eine Klimastabilisierung unter 2°C ermöglicht.”

Weiterhin ist von “Obergrenzen des Konsums” die Rede und von einer “Stabilisierung (oder sogar Rückgang) von Einkommen in den Industrieländern”, um Emissionen zu senken. Laut Parrique könnte der Report einen Wendepunkt in der Geschichte der Klimapolitik darstellen.

Zur Erinnerung für alle, die jetzt kurz davor sind, wutschnaubend das Macbook zuzuknallen oder Bargeld unterm Bett zu verstecken: Die IPCC-Autor°innen haben keineswegs gerade einen Antifa-Crashkurs hinter sich. Die ökonomisch radikal anmutenden Ergebnisse basieren auf quantitativen Input-Output-Modellen von Bevölkerungsentwicklung, Energieverbrauch, Wirtschaftswachstum und eben Emissionen. Das einleuchtende Ergebnis: Je weniger Konsum und Energieverbrauch, desto weniger Emissionen.

Das Haupt-To-Do der Menschheit betrifft also weder Windräder oder Sonnenenergie noch Aufforstung oder Ernährung. Das wichtigste klima-wissenschaftliche Gremium der Welt macht deutlich, dass wir uns als globale Gesellschaft endlich darüber im Klaren werden müssen, wie wir Glück und Zufriedenheit definieren, außer durch schneller, höher, weiter und vor allem: immer mehr. 💌

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Kategorie Forschung

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