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Heute geht es um etwas, das viel zu häufig unter den Teppich gekehrt wird: unsere Gefühle. Fast jede°r dürfte in den letzten Wochen verstärkt Wut, Trauer, Verzweiflung oder Angst empfunden haben. Lasst uns drüber reden.

Die Treibhauspost erscheint alle zwei Wochen per Mail. 

#23 #Diskurs #Klimapsychologie #wiefühlstdudich

Was Klima-Akteur°innen Hoffnung macht

Wir haben Wissenschaftler, Autorinnen und Aktivisten gefragt, wie sie sich gerade fühlen. Und was ihnen trotz des Krisenstapels Hoffnung macht. Die Antworten sind genauso persönlich wie inspirierend. ~ 6 Minuten Lesezeit

Ich öffne Twitter: Australien versinkt.
Ich scrolle weiter.
Umweltzerstörende Nickel-Mine von Siemens.
Ich scrolle weiter.
Ein brennender Urwald.
Stopp, Handy weg, kurze Pause.

Ok, Laptop auf.
Ich überfliege den IPCC Report.
Kurzzusammenfassung: We’re screwed.
Doch lieber Fernsehen gucken.
„Der Amazonas hat bald seinen Kipppunkt erreicht.“
Come on, Tagesschau!
Sonst ist man bei dir doch eigentlich "sicher" vor Klima-News.

Das Ergebnis nach 60 Minuten Doom-Scrolling: Überforderung, Hilflosigkeit, Wut. In solchen Momenten denke ich manchmal, dass nicht Kobalt, sondern Hoffnung die knappste Ressource der Welt ist.

„Das Wichtigste in dieser Situation ist, sich Folgendes bewusst zu machen: All diese Gefühle, die viele momentan empfinden, sind gesund, normal und wichtig“, sagt Lea Dohm, Diplom-Psychologin und Mitgründerin der Psychologists for Future. Man solle versuchen negative Gefühle, die in Krisenzeiten aufkommen, zu normalisieren. Also sozusagen die Angst vor der Angst fallen lassen.  

Gefühle im Krisenstapel

Wie gut gelingt das anderen Menschen, die sich intensiv mit der Klimakrise beschäftigen? Empfinden sie regelmäßig Verzweiflung? Oder haben sie so etwas wie eine berufsbedingte ärztliche Distanz entwickelt und sehen das Klima als chronischen Intensivpatienten?

Vielleicht sollten wir uns nicht nur regelmäßig über Fakten und neue Details zur Klimakrise auszutauschen – sondern auch über Gefühle. Das mag im ersten Moment etwas pathetisch klingen, ist vielleicht aber genau das, was gerade am wichtigsten ist. Es macht die Klimakrise emotional erlebbar.

Ich nehme mir vor, eine Bestandsaufnahme zu machen und verschiedene Klima-Akteur°innen zu fragen, wie es ihnen eigentlich gerade geht. Gerade als ich die Anfragen verschicken will, feuert Russland die ersten Raketen ab. Bilder von zerbombten Wohnhäusern und flüchtenden Menschen überschatteten alles andere. 

Ist es jetzt überhaupt noch sinnvoll, Klima-Akteur°innen nach ihrem Empfinden zu fragen? Die Antworten würden wohl ziemlich eindeutig ausfallen, jetzt wo über der Klima- und der Naturkrise noch der Ukrainekrieg gestapelt ist.

Ich entscheide mich dafür, es drauf ankommen zu lassen. Jetzt, wo man dem Doom-Scrolling kaum noch entkommt, ist es doch umso wichtiger, Ängste anzuerkennen, über Gefühle zu reden und von anderen zu hören, wie sie mit der Situation umgehen. Und wen gäbe es dafür besseres, als diejenigen, die sich tagtäglich intensiv mit düsteren Zukunftsaussichten auseinandersetzen müssen? Ich werde ihnen angesichts der Lage aber noch eine zweite Frage stellen, die mir mindestens genauso wichtig erscheint: Was macht dir gerade Hoffnung?

Hier sind die genauso persönlichen wie inspirierenden Antworten von sieben Klimawissenschaftlern, Autorinnen und Aktivisten:

Ibo Mohamed 

– Sprecher bei Fridays for Future

„Ich bin wütend, traurig, ich fühle mich machtlos und ich will schreien. Die globalen Krisen werden nicht gelöst und eine folgt der anderen. Es gibt Krieg in der Ukraine, nach wie vor auch Krieg in meiner Heimatstadt Qamişlo, Syrien. Die Klimakrise schreitet voran und die Corona-Pandemie ist ebenfalls nicht überwunden. Ich kann mich besonders gut in die Lage der Menschen in der Ukraine hineinversetzen, weil ich selbst Erfahrungen mit Krieg und Flucht machen musste.

Meine Handlungsmöglichkeiten sind beschränkt. Ich gehe auf die Straße, um Solidarität mit Betroffenen zu zeigen und ein Zeichen zu setzen. Das ist wichtig, doch zurzeit ist es schwer, Hoffnung zu behalten.

Dennoch habe ich Hoffnung! Und die werde ich auch nie verlieren. Ich weiß aus Erfahrung: Irgendwie geht es immer weiter. Hoffnung gibt mir, dass es so viele, vor allem auch junge Menschen gibt, die auf die Straße gehen und für ihre sowie die Rechte anderer kämpfen, die sich im Kampf gegen die Klimakrise organisieren und für eine feministische und antirassistische Gesellschaft einsetzen, sich Frieden wünschen und sich gegen Aufrüstung positionieren.

Ich hoffe, dass wir es zusammen schaffen all diese Krisen zu überwinden und in einer Welt leben, in der es keine Kriege mehr gibt. In der Gerechtigkeit gelebt wird und wir die Klimakrise aktiv und erfolgreich bekämpfen können. Zuletzt gibt mir der Frühling und die Sonne Hoffnung! Eine neue Zeit bricht heran. Eine Zeit, in der wir weitermachen und nicht aufgeben.“

Wenn dir gefällt, was wir machen, unterstütze unsere Arbeit mit einer Mitgliedschaft.

Sara Schurmann 

– Klima-Journalistin und Autorin (📸: Julia Steinigeweg)

„Ich merke gerade, dass ich gar nicht richtig sagen kann, wie ich mich fühle. Die letzten Monate waren einfach extrem viel, für mich persönlich, aber auch für viele von uns. Der Krieg in der Ukraine macht die Situation noch bedrückender und surrealer. Gleichzeitig kommt draußen die Sonne raus und man spürt auch wieder eine gewisse Solidarität. Ich versuche gerade einfach, so gut wie möglich durch jeden Tag zu kommen.

Mich haben einige gewarnt, an einem Klimabuch zu schreiben mache depressiv. Bei mir war es andersherum. Bevor ich das Buch geschrieben habe, bin ich emotional durch sehr harte Monate gegangen. Die Arbeit daran hat mir geholfen, für mich zu sortieren, wo wir stehen und was überhaupt noch möglich ist. In Klartext Klima! (Öffnet in neuem Fenster) skizziere ich einerseits meine persönliche Theory of Change und fasse andererseits zusammen, was ich von anderen über notwendige Lösungen lernen durfte.

Unfassbare Veränderungen sind möglich, wenn Menschen eine Krise und die Notwendigkeit zu handeln erkennen. In der Klimakrise haben wir nur noch ein verschwindend kleines Zeitfenster, aber es ist absolut möglich, unsere Situation einer Mehrheit der Bevölkerung verständlich zu erklären. Ich hoffe darauf, dass das genug Menschen probieren.“

Wolfgang Lucht  

– Erdsystemforscher und Abteilungsleiter beim PIK (📸: Peter Himsel)

„Ich empfinde eine Mischung aus Sprachlosigkeit, Traurigkeit und Wut. Ich habe immer erwartet, dass das 21. Jahrhundert enorm turbulent und unangenehm werden könnte, auch geopolitisch. Und jetzt, wo es passiert, bin ich überrascht, enttäuscht und hoffnungslos besorgt. Wollten wir nicht Fortschritte in der Welt erreichen?

Ich weigere mich zu akzeptieren, dass die Menschheit an ihrer eigenen stupiden Kurzsichtigkeit, an autokratischen Machtträumen und eingebildeten Vorrechten zugrunde geht. Ich habe immer gehofft, dass aus dem Einsatz für Ökologie, Gerechtigkeit und Freiheit einmal das selbstverständliche Fundament einer selbstbewussten, aufgeklärten Gesellschaft wird. Aber ich muss zugeben, dass es offensichtlich noch immer die Sache nur einer Minderheit ist. Auf seltsame Weise macht mich das aber nur entschlossener.  Der sehr frühe chinesische Daoist Zhuangzi sagt uns: ‚Der überlegte Mensch hat keinen Verdienst, der weise Mensch macht sich keinen Namen.‘ Das finde ich tröstlich, es verweist auf das Menschliche. Und von dem geht letztlich alles aus, was gut ist und Hoffnung macht.“

Leonie Sontheimer 

– Mitgründerin Netzwerk Klimajournalismus (📸: Nils Lucas)

„Ich fühle mich überfordert. Anfang März haben wir einen Call für das Netzwerk Klimajournalismus organisiert, in dem es um die Gefahren ging, die MÖGLICHERWEISE von den AKW in der Ukraine ausgehen KÖNNTEN. In der darauffolgenden Nacht gab es einen Brand auf einem AKW-Gelände. Es fühlt sich für mich so an, als wären alle Dinge, die ‚möglicherweise‘ oder ‚gegebenenfalls‘ passieren könnten, über Nacht wahrscheinlicher geworden. Das verunsichert und überfordert mich.

Ich hoffe darauf, dass Menschen sich in ihrer Überforderung und Angst nicht abkapseln, sondern öffnen, zusammentun, verbünden und gegenseitig stärken. Und vielleicht nicht nur in den Sozialen Medien, sondern auch in der Nachbarschaft.“

Heinrich Strößenreuther 

– Mitgründer GermanZero und Klimaunion (📸: Heinrich Strößenreuther)

„Es sind langsam zu viele Krisen, der Kopf steht nicht mehr still, in den Sand stecken geht auch nicht. Alle paar Tage stelle ich mir die Frage nach aufgeben und zuschauen, wie die Welt die 1,5 Grad reißt und dann in ein bis zwei Generationen in drei bis vier Grad wie eine Lawine schlittert, die nicht mehr aufzuhalten ist. 

Das klimapolitische Handlungsfenster schließt sich in den nächsten 12 bis 18 Monaten, denn dann ist die Legislaturperiode im Bund für die großen Hebel-Entscheidungen gelaufen. Gelingt es nicht, die Energiewende und die Verkehrswende sich selbstverstärkend aufs Gleis zu setzen und den nötigen Schubs zu verpassen, werden wir den Infrastrukturumbau nicht schnell genug bewerkstelligen können. Der Einstieg kommt später, als es der Ausstieg aus Atom, Kohle, Gas und Öl bräuchte.

Gleichzeitig spüre ich, wie eine Energie wächst, der Gedanke des Kooperierens zwischen Parteien, zwischen Fraktionen, zwischen versierten Politikern in allen Lagern, zwischen Bewegungen und zwischen NGOs. Es wächst das Gefühl, dass wir die große Aufgabe nur noch hinbekommen, wenn wir alle ein Stück weit mehr kooperieren, aus unseren Handlungsrationalitäten ein Stück heraustreten und schauen, was geht, wenn wir zusammenarbeiten.

Es wäre zu traurig, in 20 Jahren zurückschauen zu müssen und zu resümieren, dass wir ja eigentlich alles wussten, aber nicht in der Lage waren, kooperativ die großen Hebel umzulegen. Wenn es mehr konstruktive Oppositionsarbeit, mehr reflexives Zuhören in Richtung NGOs, Verbänden und Wissenschaftlern, mehr qualitative, gehaltvolle Medienarbeit, weniger Greenwashing, mehr echten Dialog, weniger Schießereien in Social Media, mehr Gespräch mit unseren Nächsten als Kolleginnen, Nachbarn oder Freunden gibt, dann stirbt die Hoffnung zuletzt.“

Wolfgang Cramer 

– Ökologe und IPCC-Leitautor (📸: IISD/ENB | Kiara Worth)

„Ich glaube nicht, dass es in diesen Tagen eines brutalen Krieges mitten in Europa unter den Menschen, die ich kenne, jemanden gibt, der sich ‚zufrieden und glücklich‘ fühlt. Auch schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine fand ich es schwer zu ertragen, dass an so vielen Orten in der Welt Menschen Opfer von Aggression und Gewalt werden – und wir so wenig dagegen tun. Aber auch im Kampf gegen Klimawandel, Biodiversitätskrise, und die Belastung unserer Umwelt durch Ausbeutung und Schadstoffe machen wir für mein Gefühl viel zu wenig Fortschritte. Natürlich ist dieses Gefühl der Hilflosigkeit auch keine Lösung, aber ich glaube dass man bereit sein sollte, diese Situation erst mal anzuerkennen. Denn darin liegt der notwendige erste Schritt zur Veränderung. 

Der zweite Teil des sechsten IPCC Berichtes, den wir gerade mit fast 300 Kolleg°innen fertiggestellt haben, beschreibt nicht nur die desaströsen Konsequenzen des vom Menschen verursachten Klimawandels auf die Natur und uns selbst – er enthält auch zahlreiche Informationen dazu, wie die Transformation unserer Städte, unserer Nahrungsmittelproduktion und anderer Sektoren unsere Lebensbedingungen verbessern kann, und dies für alle.

Meine Hoffnung ist, dass sich in einer offenen und freien Gesellschaft vor allem diejenigen Ideen durchsetzen die kurz- und langfristig positive Auswirkungen auf Mensch und Natur haben. Das wird allerdings nur gehen, wenn die Macht der Lobbys für fossile Energien und andere letztlich zerstörende Produkte ebenso gezielt eingeschränkt wird wie der Einfluss der internationalen Werbeindustrie auf unsere Medien.“

Nick Heubeck 

– Klimaaktivist

„Drei Krisen auf einmal – Russlands Angriff, die Pandemie und die Klimakrise – sind auf jeden Fall zu viel. Aktuell versuche ich, einen Ausgleich zu finden, meine Privilegien zu nutzen, gleichzeitig emotional, aber nicht zu sehr mitgenommen zu werden. Die Erfahrung aus den vergangenen Jahren Klimaaktivismus zeigt mir, wie sehr der Satz ‚Niemandem ist geholfen, wenn du dich überforderst‘ zutrifft. 

Hört man den Betroffenen zu, sieht man die Bilder, kann es einem aktuell nur schwer gut gehen, wie ich finde. Das zu erwarten, wäre auch falsch. Selbst aber einigermaßen mit der Situation zurechtzukommen, ist in meinen Augen aber nicht eigensinnig, sondern die Voraussetzung dafür, sich kurz- und langfristig wirksam einzusetzen. Und genau das versuche ich gerade für mich hinzubekommen.

Ich glaube, dass die Welle an Solidarität leider wieder abnehmen wird, ist uns allen klar. Dennoch hoffe ich, dass wir es als Gesellschaft hinbekommen, die Folgen von Krisen nicht nur immer möglich stark abzuschwächen, wenn sie da sind; sondern auch daraus zu lernen. Bei nahezu allen Problemen gilt: Hätten deutsche Regierungen in der Vergangenheit stärker auf die Expert°innen gehört, wären wir am Ende besser dran gewesen. Das passiert jedoch nicht von selbst, sondern muss auf allen Ebenen von uns Bürger°innen eingefordert werden. Deswegen hoffe ich, dass wir diese Erfahrung nutzen, um die demokratische Beteiligung in unserer Gesellschaft weiter auszubauen. Die letzten Jahre geben mir Hoffnung, dass wir das auch schaffen.“

Und, wie fühlst Du Dich?

Falls Du Deine Antwort mit uns oder anderen teilen möchtest, poste sie auf Twitter, Instagram oder Facebook unter dem Hashtag #wiefühlstdudich und tagge uns: @treibhauspost.

Die Inspiration für diese Ausgabe kommt übrigens aus Australien. 2015 hat der Student Joe Duggan (Öffnet in neuem Fenster) verschiedene Klimawissenschaftler°innen gefragt, wie es ihnen angesichts des Klimawandels eigentlich geht. 

Wenn Du vom Fühlen ins Handeln kommen willst, kannst Du HIER (Öffnet in neuem Fenster) für den Ukraine-Notfallfonds des IRC (International Rescue Committee) spenden.

Dies ist die letzte Ausgabe bevor wir ein Jahr alt werden. In neun Tagen ist es so weit. Ansonsten ist gerade die vielleicht beste Therapie: Flugmodus ein und Laptop zu – das mache ich jetzt zumindest. 

Schönes Wochenende
Julien

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Kategorie Utopien

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