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Heute spielen wir Klima-Ausreden-Bingo und vermessen den Fußabdruck Deines Hirns.

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#26 #Überblick #Klimaforschung

Klima-Psychologie: Was hält Dich vom Handeln ab?

Überforderung, Verdrängung, Ablenkung – diese Reaktionen sind angesichts der Klimakrise normal, sie lähmen aber auch. Mit ein paar Tricks kannst Du sie überwinden. ~ 6 Minuten Lesezeit

Was sorgt für die Erderhitzung? Easy! CO₂. Wie? Durch den Treibhauseffekt. Wer verursacht ihn? Na wir. Und warum? Warum verursacht der Mensch diese Klimakrise? Und warum kommen wir beim Klimaschutz nicht ins Handeln, obwohl wir alles Nötige wissen?

Menschliche Gedanken und Konzepte haben uns in die Klimakrise geführt. Und nur ein Umdenken kann uns wieder herausführen. Klimaforscher Wolfgang Lucht fasst es so zusammen: „Der wichtigste Prozess, der auf die Zukunft unserer Erde einen Einfluss hat, ist das, was in unseren Gehirnen passiert“.

Mit anderen Worten – unsere Gehirne sind für die Lösung der Klimakrise noch wichtiger als die Energiewende. Kein Windrad wird aufgestellt, ohne dass vorher jemand im Kopf ein paar Synapsen im Kreis gedreht hat. Kein Zweitauto wird nicht gekauft, ohne dass sich vorher jemand überlegt hat, ob materieller Wohlstand wirklich glücklich macht.

Ohne uns Gedanken um unsere Gedanken zu machen, laufen wir in der Klimakrise immer wieder gegen mentale Backsteinwände. Was hält uns von effektivem Handeln ab? Der neue Forschungsbereich Klima-Psychologie liefert die Antworten.

Über Facebook zu Psychologists for Future

Alles begann mit einer Facebook-Diskussion. Vor drei Jahren tauschte sich Diplompsychologin Lea Dohm mit Kolleg°innen online über eine damals noch absurd klingende Beobachtung aus: Unsere Emotionen und Gedanken sind direkt verkoppelt mit der Klimakrise. Anfangs belächelten viele Kolleg°innen die These noch. Gefühle hätten ja schließlich nichts mit dem Treibhauseffekt zu tun.

Oder vielleicht doch? „Als wir die Psychologists for Future gegründet haben, hatte ich noch keine Ahnung, wie sehr Psychologie und Klimakrise zusammenhängen“, sagt Dohm. „Ich war mir recht sicher, dass Verdrängung und Vermeidung im Zusammenhang mit der Klimakrise auftreten. Aber es gibt noch tausend weitere Aspekte.“

Trotz aller Anfangskritik rief Dohm die Gruppe Psychologists for Future (Psy4F) ins Leben. Aus der Facebook-Diskussion entstand eine Vorreiter-Bewegung für Klima-Psychologie. 

Mitgründerin der Psychologists for Future: Lea Dohm. 📸: Atelier Chevalier

Heute trägt Dohm mit ihren Mitstreiter°innen Forschungsergebnisse zusammen, klärt über konstruktives Handeln auf und unterstützt engagierte Gruppen beim Umgang mit der Klimakrise. Sie tauscht sich regelmäßig mit anderen Expert°innen aus Schweden, den USA, Indien und anderen Staaten aus. Mittlerweile engagieren sich insgesamt rund 1500 Psycholog°innen und Psychotherapeut°innen bei Psy4F.

Warum wir nicht ins Handeln kommen

Klima-Psychologie ist lösungsorientiert. Die Forschungsergebnisse sind nicht nur für Entscheidungsträger°innen relevant, sondern für alle Menschen mit Gehirn. Jede°r kann sich mit den Problemen identifizieren und die Lösungen in den Alltag integrieren. Eine der entscheidendsten Fragen ist dabei: Was hält uns vom Handeln ab?

Ein Grund: Wut, Trauer und Verzweiflung, die fast jede°r in den letzten Monaten erlebt hat, können uns handlungsunfähig machen. Aber nur, solange wir glauben, dass diese Emotionen etwas Schlechtes und Unnatürliches sind.

„Alle Gefühle, die wir zur Klimakrise haben, sind gesund, normal und wichtig“, sagt Lea Dohm. „Durch die Gefühle nehmen wir Bedürfnisse wahr, zum Beispiel nach Sicherheit.“ Man solle versuchen, „negative“ Gefühle, die in Krisenzeiten aufkommen, zu normalisieren. Also sozusagen die Angst vor der Angst fallen zu lassen. Was wir uns laut der Diplompsychologin bewusst machen müssen: Es sind oft ausgerechnet die als unangenehm erlebten Gefühle, die uns ins Handeln bringen.

Ein weiterer Aspekt, der uns aufhält, ist Überforderung. Ein Blick in die Nachrichten genügt, damit fünf globale Krisen auf einmal im Hirn herumschwirren.

Das psychologische Konzept, das hinter Überforderung steckt, nannte man früher den „Finite Pool of Worry“ – ein begrenztes Maß an Sorgen, die man sich insgesamt machen kann. Heute gehe man laut Dohm eher von einem „Finite Pool of Attention“ aus. Das heißt, man kann sich zwar mehr Sorgen machen als angenommen, aber seine Wahrnehmung gar nicht auf so viele Krisen gleichzeitig richten.

Das würde auch die geringe Aufmerksamkeit erklären, die dem Klimawandel allgemein, aber vor allem in den letzten Monaten zuteil wurde. Der neue IPCC-Bericht als siebte Krisen-Meldung auf einer Nachrichtenseite ist für das Gehirn schlicht nicht mehr greifbar in seiner Relevanz.

Also lieber nur ein Mal am Tag Nachrichten gucken, um sich nicht zu überfordern? Einen allgemeingültigen Tipp für einen gesunden Nachrichtenkonsum hat Diplom-Psychologin Lea Dohm leider nicht parat. Das sei von Person zu Person sehr unterschiedlich.

Was bei der Bewältigung multipler Krisen helfen könne, sei auf die Erfahrungen aus der eigenen Lebensgeschichte zurückzugreifen. Da wüssten viele Menschen intuitiv, was ihnen eher gut tue oder auch nicht: Mal ist es Ablenkung, einigen hilft Sport, ein gutes Gespräch mit Freund°innen oder auch das bewusste Zeitnehmen für die eigenen Gefühle.

Wir müssen nicht alles wissen

Was uns ebenfalls vom Handeln abhält: die Annahme, erstmal vollständig informiert sein zu müssen. Wer einmal ernsthaft versucht hat, sich in klima-wissenschaftliche Paper reinzulesen, weiß, dass es oft gar nicht möglich ist, die komplexen Details voll und ganz zu durchdringen.

Laut der Diplom-Psychologin sei es in der Klimakrise kaum anders möglich, als einfach mal anzufangen. Viele Entscheider°innen zögern zu lange und reden sich damit heraus, noch auf Informationen warten zu wollen. Damit verhindern sie wirksamen Klimaschutz. Dabei reiche es, die grundsätzlichen Zusammenhänge zu verstehen, um anzufangen und dranzubleiben.

Hinzu kommt, dass wir häufig unser Handlungspotenzial in Ablenkung ersticken. Zum Beispiel wenn wir an jeder zweiten Internet- und Straßenecke Feelgood, Happiness und inneres Gleichgewicht aufgebügelt bekommen. Dauerhaft solche Zustände zu erreichen, entspreche aber einfach nicht der Wirklichkeit, sagt Dohm. Viel wichtiger, als sich einen Insta-Hashtag-Lifestyle als Ziel zu setzen, wäre es, die aufkommenden Emotionen in Aktionen umzumünzen, die zur Lösung ihrer Ursache beitragen.

Ausreden-Bingo und untätige Drachen

Neben negativen Gefühlen, Überforderung und Ablenkung stehen unserem effektivem Handeln noch ganz andere Hindernisse im Weg. Da wäre zum Beispiel die Bandbreite an erprobten Klimawandel-Ausreden, die man spätestens seit dem letzten Wahlkampf kennt: „Erstmal die anderen“, „alles zu teuer“, „das klappt doch eh nicht“.

2020 benannten und kategorisierten Wissenschaftler°innen erstmals die zwölf häufigsten Argumente von Klimaschutz-Bremser°innen (siehe Abbildung). Mit dem Ergebnis könnte man während der nächsten Klima-Diskussion bei Anne Will oder Hart aber Fair wunderbar Ausreden-Bingo spielen: „Der technologische Fortschritt wird es schon richten“ – Treffer! Danke, Christian. „Wir sind Klimaretter, weil wir 0,1 Prozent weniger ausstoßen als sonst und uns fest vornehmen, auch in Zukunft noch mehr zu tun“ – Das ist ein Bingo! Danke, Olaf.

Die Typologie der Klimawandel-Ausreden eignet sich hervorragend zum Talkshow-Bingo.

Mit weniger Trinkspielpotenzial, dafür metaphorisch stark kommt die Analyse des kanadischen Umweltpsychologen Robert Gifford daher. Seine „Drachen der Untätigkeit“ beschreiben, warum es bei vielen Menschen eine riesige Kluft gibt zwischen Handlungsabsicht und tatsächlicher Umsetzung. Ganze sieben Drachenfamilien mit einzelnen Unterarten stehen zwischen unseren Köpfen und effektivem Klimaschutz – die Rückeroberung des einsamen Bergs im Hobbit war ein Spaziergang dagegen.

Jede Drachenfamilie steht für eine psychologische Barriere, die uns vom Handeln abhält. Bei Drachenfamilie Nummer eins geht es um das menschlich begrenzte Denkvermögen. Das äußert sich zum Beispiel in Form der optimistischen Verzerrung, also dem Glauben an eine positive Zukunft, zu der wir nicht maßgeblich beitragen müssen. 

Ein weiteres Beispiel ist die Drachenart Reaktanz aus der Drachenfamilie Missbilligung. Wiederholte Verweise auf den wissenschaftlichen Konsens, um eine Verhaltensänderung herbeizuführen, können statt Einsicht auch Gegenwehr erzeugen. Anstelle eines klimafreundlicheren Verhaltens (zum Beispiel weniger Fleisch essen) erfolgt dann eine jetzt-erst-recht-Blockade.

Handeln ist der erste Schritt

In unserer Ausgabe (Öffnet in neuem Fenster) zur Hoffnung verschiedener Klima-Akteur°innen, fielen deren Antworten unterschiedlich aus – teils resigniert, meist jedoch zuversichtlich. Was alle Akteur°innen eint: Sie handeln, sie engagieren sich, sie suchen nach Lösungen und sie erreichen Menschen.

Und hier liegt laut Klima-Psychologin Dohm der entscheidende Punkt. Viele Menschen denken, man braucht erst Hoffnung, um daraus Kraft fürs Handeln zu schöpfen. Aber oft sei es genau umgekehrt. Die Hoffnung entsteht bei vielen Menschen überhaupt erst durch das eigene Handeln. Wer handelt, kann hoffen.

Aber lohnt sich das alles überhaupt noch? Wäre es nicht realistischer, die Hoffnung aufzugeben und mit der Gewissheit zu leben, dass wir eine Klimakatastrophe nur noch eindämmen, aber nicht mehr verhindern können?

Die Antwort von Klima-Psychologin Lea Dohm darauf ist entschlossen. „Wenn ein Unfallopfer mit ein paar Prozent Überlebenswahrscheinlichkeit in die Ambulanz eingeliefert wird, sagen wir doch auch nicht, es sei schon zu spät. Wir würden direkt anfangen mit der Behandlung.“

Wir müssen endlich begreifen, dass es eben noch nicht zu spät sei, die Klimakrise zu bekämpfen. 

Vielen Dank, dass Du bis zum Ende gelesen hast. Ich hoffe, Dir hat der Einblick in die Klima-Psychologie gefallen. Wir werden in den nächsten Jahren wohl noch viel davon hören. Wenn Du Deine Gedanken dazu teilen möchtest, antworte einfach auf diese Mail.

Unsere letzte Ausgabe zum IPCC Bericht (Öffnet in neuem Fenster) erschien übrigens als Gastbeitrag im wunderbaren Instagram-Kanal von nachhaltig.kritisch (Öffnet in neuem Fenster). Wer den Artikel noch nicht gelesen hat, kann sich jetzt durch kreativ gezeichnete Posts swipen.

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