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Den Himmel zu verdunkeln, um die Erde zu retten, hat in Matrix schon nicht geklappt. Aber was, wenn solche Sci-Fi-Gedanken zur Realität werden? Was, wenn wir anfangen, das Sonnenlicht zu manipulieren? Klingt nach Dystopie, wird aber ernsthaft diskutiert.

In der heutigen Treibhauspost besprechen wir das neue Buch von Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Kolbert. Es geht dabei um die Frage, wie solche weltumfassenden menschlichen Eingriffe unsere Natur verändern. Los geht's.

Treibhauspost erscheint alle zwei Wochen per Mail:

#12 #Gesellschaft #Buchbesprechung

Wir werden niemals aufhören, die Natur zu manipulieren 

Nichts, was frei ist von Eingriffen durch den Menschen: In Under A White Sky zeigt Pulitzer-Preisträgerin Elizabeth Kolbert, wie die Natur der Zukunft aussehen könnte. Ein Sachbuch, das an einen dystopischen Sci-Fi-Roman erinnert. ~ 7 Minuten Lesezeit

Die Menschheit hat ein Problem mit maßloser Selbstüberschätzung. Diesen Eindruck wurde ich nicht los, während ich die ersten Seiten des neuen Buchs der Bestseller-Autorin Elizabeth Kolbert gelesen habe.

Da geht es um die Umkehrung der Fließrichtung von Flüssen, um das Züchten von Superkorallen oder auch um Ideen, bei denen es mich nicht wundern würde, wenn sie von der Matrix-Trilogie inspiriert wären: wie der Versuch, das Sonnenlicht zu dimmen und der Erderwärmung entgegenzuwirken, indem man winzige Partikel in die Atmosphäre pustet. Quasi ein Riesenkühlschrank für den Planeten.

“Under A White Sky” ist gerade auf Deutsch erschienen, mit dem rocknrolligen Titel “Wir Klimawandler”.

Kolbert ist Dir vielleicht durch ihren Bestseller The Sixth Extinction bekannt, für den sie den Pulitzer-Preis erhielt. Ihr neues Buch Under A White Sky ist in den USA bereits ein Bestseller und jetzt auch in deutscher Übersetzung erschienen.

Es ist ein Buch über die Beziehung zwischen Mensch und Natur. Es handelt von all den Schäden, die wir der Natur zugefügt haben, indem wir versuchten, sie zu manipulieren, sie für uns nutzbar zu machen. Und es handelt davon, wie Menschen jetzt probieren, diese Schäden unter Kontrolle zu bringen – mit noch mehr Eingriffen in natürliche Systeme.

Autorin Elisabeth Kolbert.

Die US-amerikanische Autorin geht in Under A White Sky auf eine globale Erkundungsreise: Jedes Kapitel ist eine Reportage von einem anderen Schauplatz. Jedes Kapitel handelt von einer anderen Form der Naturmanipulation. 

Genmanipulation giftiger Riesenkröten

An einem Punkt ihrer Reise macht Kolbert Halt in Australien. Einst wurde hier versucht, einer Raupenplage Herr zu werden, indem man giftige Riesenkröten importierte, die diese Raupen fressen sollten. Kolbert ist neugierig geworden, weil dieser Versuch fehlgeschlagen ist, und die Australier°innen sich jetzt ironischerweise mit einer Krötenplage herumschlagen müssen.

Fotogen, aber leider giftig – neue Riesenkröten in Australien.

Die Riesenkröten waren nämlich wenig hilfreich im Kampf gegen die Raupen. Stattdessen haben sie sich rasend schnell verbreitet und dazu geführt, dass die Bestände vieler heimischer Arten eingebrochen sind. Krokodile, Giftschlangen, Marder – alle halten die Kröten fälschlicherweise für leichte Beute. Sie fressen sie auf und sterben dann an ihrem Gift.

Aber – und darauf will Kolbert hinaus – das brutale Scheitern dieses Eingriffs gibt offenbar keinen Anlass, die Finger von solchen riskanten Eingriffen zu lassen. Im Gegenteil: Es folgen noch mehr Manipulationsversuche, um den desaströsen Folgen der ursprünglichen Naturmanipulation zu begegnen. So versucht in Australien ein Team von Forscher°innen, das Gift der Kröten unschädlich zu machen, um das Gleichgewicht im Ökosystem wieder herzustellen. Sie sind schon auf gutem Wege: Mithilfe von neuester Gentechnik lässt sich das Erbgut der Kröten nämlich derart verändern, dass sie nur noch ungiftigen Nachwuchs produzieren.

Diese Art von Lösungsversuchen sieht Kolbert als ein neues Kapitel in der Beziehung zwischen Mensch und Natur an. Wir haben die Natur durch unsere Eingriffe schon grundlegend verändert. Jetzt versuchen wir mit den Auswirkungen klarzukommen – mithilfe von weiteren Eingriffen. Oder wie Kolbert selbst schreibt: Ihr Buch handle von Menschen, die versuchen, Probleme zu lösen, die dadurch entstanden sind, dass Menschen versucht haben, Probleme zu lösen.

Dasselbe Muster erkennt Kolbert auch an der Suche nach neuen Supertechnologien als Lösung gegen die Klimakrise: Erst bringen wir die natürlichen Kreisläufe durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe durcheinander und erwärmen das Klima – jetzt denken wir darüber nach, mit weltumfassenden technologischen Eingriffen das Klima zu retten.

Geoengineering gegen die Klimakrise

An einer Stelle in Under A White Sky schreibt Kolbert vom ersten US-amerikanischen Bericht zur Erderwärmung. Der wissenschaftliche Beirat der Regierung legte diesen Bericht im Jahr 1965 dem damaligen Präsidenten Lyndon Johnson vor. Man hatte damals schon begriffen, dass wir Menschen das Klima erwärmen, indem wir Treibhausgase in die Atmosphäre pusten. Man hatte auch begriffen, welche verheerenden Auswirkungen das mit sich bringt.

Und was war die Reaktion? Im Bericht wurde dazu geraten, “ausgleichende Klimaveränderungen herbeizuführen” – ganz im Sinne der Mentalität, mit noch mehr Eingriffen den Folgen der vorherigen Eingriffe entgegenzuwirken. Ein Vorschlag: Kleine Partikel über den Ozeanen verteilen, die das Sonnenlicht reflektieren.

Von einer Reduktion der Emissionen war im Bericht fürs Weiße Haus überhaupt keine Rede. Stattdessen schien es realistischer, in gigantischem Ausmaß in den Kreisläufen der Erde herumzupfuschen – also Eingriffe vorzunehmen, die wir heute als Geoengineering bezeichnen.

Die Idee des Geoengineering – also die großräumige Manipulation natürlicher Systeme mit technischen Mitteln – ist seit 1965 keineswegs aus der Mode gekommen. Im Gegenteil: Das Ausbringen reflektierender Aerosole zum Dimmen des Sonnenlichts zum Beispiel wird weltweit intensiv erforscht. Auf ihrer Erkundungsreise legt Kolbert auch einen Stopp in Harvard ein. Hier wird eines der größten Forschungsprojekte zum sogenannten Solar-Geoengineering durchgeführt.

Auf welche Weise Solar-Geoengineering am besten realisiert werden könnte, ist noch unklar. Wahrscheinlich würde man aber mit Flugzeugen in die Stratosphäre fliegen müssen. Deren Zustand ist im Gegensatz zur tiefer gelegenen Troposphäre nämlich sehr stabil. Dort würde man die reflektierenden Partikel ausbringen. Welche genau sich am besten eignen, weiß man noch nicht. Hoch gehandelt werden momentan Schwefeldioxid und Kalk.

Da die Partikel mit der Zeit Richtung Pole wandern und nach einigen Jahren wieder auf die Erde absinken (wo wir sie dann einatmen), müsste man immer wieder aufs Neue in die Stratosphäre düsen, um nachzusprühen. Dabei werden mit der Zeit immer größere Mengen nötig sein, um mit der Erderwärmung Schritt zu halten. Um das Tempo der Erderwärmung zu halbieren, schreibt Kolbert, müsste man im ersten Jahr etwa 100.000 Tonnen Schwefel versprühen – im zehnten Jahr dann über eine Million. Mit den ganzen Flügen würden ironischerweise zusätzliche Treibhausgase emittiert, was man mit noch mehr Nachsprühen ausgleichen müsste.

Und wer garantiert, dass wir die Flüge bis in alle Ewigkeit fortführen können? Was, wenn die Flüge aus irgendeinem Grund plötzlich eingestellt werden? Die Aerosole würden absinken und die Erde würde sich prompt erhitzen – “als würde man eine globusgroße Ofentür öffnen”, schreibt Kolbert. Was kann da schon schiefgehen?

Vorbei an Langstreckenfliegern und der Ozonschicht und rein in die Stratosphäre, um dort Schwefeldioxid zu versprühen. Klingt verlockend, oder?

Kleine Partikel, riesige Auswirkungen

Schon jetzt ist klar, dass Solar-Geoengineering zahlreiche unerwünschte Folgen hätte. Eine davon: Unsere Kinder würden blauen Himmel nur noch aus alten Bilderbüchern kennen. Das Ausbringen von Partikeln in der Stratosphäre würde laut einer Studie (Öffnet in neuem Fenster) dafür sorgen, dass der Himmel weiß erscheint. Selbst auf dem Land bei uns in Europa könnte der Himmel dann so dunstig werden wie in Neu-Delhi.

Blauer Himmel könnte mit Solar-Geoengineering weltweit so selten werden wie in Indiens Hauptstadt.

Aber da sind noch mehr unangenehme Nebeneffekte: Durch die künstlich ausgebrachten Partikel könnten Niederschlagsmuster verändert werden, was Dürren in Afrika und Asien zur Folge hätte. Die Produktion von Solarstrom könnte beeinträchtigt werden. Außerdem fehlt es an Regulierung. Zwischenstaatliche Konflikte sind vorprogrammiert. Was wäre zum Beispiel, wenn ein Staat im Alleingang entscheidet, die Stratosphäre zu manipulieren?  Und immer bleibt auch die ethische Frage: Haben Menschen überhaupt das Recht, so etwas zu tun?

Die Methode des Solar-Geoengineering ist äußerst umstritten. Wie sehr, das zeigen selbst Kolberts Gespräche mit den Forschenden in Harvard. Einer der führenden Wissenschaftler°innen des Projekts, der deutsche Chemiker Frank Keutsch, sagt: “Ich fand die Idee völlig verrückt und ziemlich beunruhigend.” Trotzdem forscht er mit. Weil er befürchtet, dass wir bald an dem Punkt sein könnten, an dem wir so tief in der Krise stecken und so sehr unter Druck stehen, etwas zu unternehmen, dass wir zu Maßnahmen wie Solar-Geoengineering greifen müssen. Und dann sei es besser, darüber Bescheid zu wissen.

Der Physiker und Gründer des Harvarder Forschungsprogramms, David Keith, ist dagegen weniger skeptisch. Im Gespräch mit Kolbert sagt er, die große Chance liege darin, dass man die meisten der großen Klimagefahren (extreme Niederschläge, extreme Temperaturen, Wassermangel, Meeresspiegelanstieg) durch Geoengineering reduzieren könne. Dennoch, und das gesteht auch Keith ein: Die Gefahr bleibt, dass wir unsere Hoffnungen zu sehr auf solche Geoengineering-Maßnahmen setzen und dadurch die Motivation zur Emissionsreduzierung verlieren könnten.

Wie fest wir als Menschheit eigentlich schon mit der Rettung durch zukünftige Supertechnologien rechnen, zeigen die Szenarien des Weltklimarats (IPCC). In seinen Berichten berechnet der Weltklimarat verschiedene Pfade zu einer klimaneutralen Welt. Die Pfade, mit denen wir langfristig unter der 1,5-Grad-Schwelle bleiben, sind alle nicht mehr zu erreichen – es sei denn, wir schaffen es irgendwie, der Erwärmung künstlich entgegenzuwirken. Der Weltklimarat bringt zwar das Dimmen des Sonnenlichts noch nicht ins Spiel, plant aber andere Geoengineering-Maßnahmen schon fest ein. Zum Beispiel das Filtern und Speichern von CO₂ aus der Atmosphäre (man nennt das “Carbon Capture and Storage”). Solche Technologien stecken allerdings noch in den Kinderschuhen und werden wohl nicht rechtzeitig zur Verfügung stehen – auch darüber schreibt Kolbert in ihrem Buch.

Am wenigsten Klima-Risiken gäbe es vermutlich mit Solar-Geoengineering – oder ganz neue.

So gruselig man die Vorstellung von Solar-Geoengineering also auch finden mag, am Ende läuft wohl alles auf eine Frage hinaus: Haben wir die Wahl? Kolbert zitiert an einer Stelle Daniel Schrag, den Leiter des Center for Environment in Harvard. Schrag schreibt: “Solche Manipulationsversuche [bieten] vielleicht die beste Überlebenschance für die meisten natürlichen Ökosysteme der Erde – obwohl man sie wohl nicht länger natürlich nennen sollte, wenn solche Engineering-Systeme jemals entwickelt werden.”

Ein Nicht-Eingreifen bringt die Natur nicht zurück

Kolbert macht das Dilemma unserer Naturmanipulation in Under A White Sky so greifbar und anschaulich, dass ich mein anfängliches Urteil, die Menschheit leide an Selbstüberschätzung, nach der Lektüre noch einmal überdenken musste. Als Umwelt-Fan hat man vielleicht sofort den Impuls, zu sagen: “Lasst das bitte sein mit der Genmanipulation, hört auf, Super-Korallen zu züchten und schießt um Himmels willen keine Partikel in die Atmosphäre – habt ihr mittlerweile nicht verstanden, dass solche Eingriffe immer schiefgehen?” Aber nach den letzten Seiten von Under A White Sky wird klar: Es geht vielleicht gar nicht mehr anders.

Kolbert schreibt dazu: “Das stärkste Argument [...] ist zugleich das einfachste: Welche Alternative gibt es? Solche Technologien als unnatürlich abzulehnen bringt die Natur nicht zurück.” Und weiter: “Am gegenwärtigen Punkt lautet die Frage nicht, ob wir die Natur verändern, sondern, mit welchem Ziel wir sie verändern.”

Wir stecken schon so tief drin in der Manipulation der Natur, dass eine Umkehr oder ein In-Ruhe-Lassen der Ökosysteme nicht denkbar erscheinen. “Wir haben inzwischen so viel interveniert”, sagt Kolbert in einem Interview (Öffnet in neuem Fenster), “dass selbst das Nicht-Eingreifen schon ein Eingreifen ist.” Die Natur der Zukunft wird demnach eine Natur sein, die total vom menschlichen Einfluss bestimmt ist.

So gesehen hat mir Under A White Sky eine ganz neue Perspektive eröffnet – und das ist vielleicht das Beste, was ein Buch schaffen kann. Die Stärke an Kolberts Erzählweise liegt aber auch an ihrer betonten Distanz zum Geschehen. Sie kommentiert wenig, ordnet kaum ein – weil sie es nicht muss. Die bizarren Sachverhalte, die sie beschreibt, sind in ihrer Wirkung schon stark genug.

Außerdem erlaubt ihre Distanz es den Leser°innen, das Buch auf ganz verschiedene Arten zu lesen. So kann man es lesen und denken: “Zum Glück arbeiten Menschen an solchen technologischen Interventionen”. Man kann es aber auch lesen und denken: “Hilfe, Menschen arbeiten an solchen technologischen Interventionen!” Oder man kommt eben zu dem Schluss: “Verdammt, wir haben keine andere Wahl, als auf diese Weise zu intervenieren.”

Besonders an Under A White Sky ist auch, wie Kolbert ihre Geschichten verpackt. Sie ist überall vor Ort, liefert lebendige Berichte der Geschehnisse und hat zahlreiche komische Anekdoten parat – an einer Stelle werfen sich australische Student°innen gegenseitig Eimer mit Korallensperma zu. Und immer webt Kolbert harte wissenschaftliche Fakten in ihre kurzweiligen Erzählungen ein. Sie schreibt informiert und gleichzeitig so unterhaltsam, dass es fast schon Spaß macht, zu lesen, wie die Menschheit sich in immer engere Sackgassen manövriert.

Unten ist doch noch Platz für unser Zitat: "Ein Schauspiel menschlichen Größenwahns und Verzweiflung. Kolberts Zukunftsszenarien scheinen erschreckend und unausweichlich zugleich."  – Treibhauspost  

Neben all dem erscheinen Spritpreis-Debatten lächerlich klein, oder? Wie denkst Du darüber? Können uns zukünftige Supertechnologien vor den schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise bewahren? Antworte uns einfach auf diese Mail, wir sind neugierig auf Deine Meinung.

Ein schönes Wochende
Manuel

Kategorie Utopien

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