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Energiewende: Teuer, preiswert oder beides?

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“Diese Maßnahme ist zu teuer!” - das hast du in letzter (und vorletzter) Zeit bestimmt schon öfter gehört. Und klar, für die große Transformation brauchen wir erstmal einen Haufen Geld. Aber: Investitionen sind nicht dasselbe wie Kosten. Und, genauso wichtig: Natürlich ist es ganz und gar nicht so, dass wir den Status quo für umsonst bekommen. Ah, Verzeihung - jetzt sind wir schon mittendrin. Nochmal einen Schritt zurück: Hier wie immer zum Einstieg ein paar aktuelle gute Nachrichten:

So! Und derart moralisch gestärkt bitten wir nun um Aufmerksamkeit für unsere heute Kernfrage:

Was heißt eigentlich teuer?

Sie sind ständiger Begleiter so ziemlich aller Erfolgsmeldungen rund um die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung. Kommentare wie „Ja aber das kostet ja auch ein Vermögen!“ oder Anspielungen auf das Zitat von Jürgen Trittin, der im Jahr 2004 schätzte, das würde nicht teurer werden als der Kauf einer Kugel Eis pro Monat und Haushalt (Öffnet in neuem Fenster). Aber was kostet sie denn nun wirklich? Und viel interessanter: Ist das viel oder wenig?

Es ist schwierig, solche Zahlen auf zwei Nachkommastellen genau abzuschätzen, zumal sich sofort die Frage stellt: Für welchen Zeitraum denn? Pro Jahr? Bis heute? Bis 2050? Gerade für die letzte (aber auch entscheidende) Fragestellung müssen wir auch noch dutzende Annahmen über die kommenden 27 Jahre treffen: Wie entwickeln sich Wirtschaft, Bevölkerung und Industrie, wie schnell gelingt uns der Ausbau, wie stark purzeln die Preise bei den neuen Technologien?

Der Frage, was das Ganze seit 1990 gekostet hat und bis zum Jahr 2050 kosten wird, sind Hans-Martin Henning und Andreas Palzer vom Fraunhofer Institut ISE bereits vor 8 Jahren nachgegangen (Öffnet in neuem Fenster). Sie berechneten für ein System mit 100% Erneuerbaren Investitionskosten in Höhe von 5,3 Billionen € oder 5.300 Milliarden €. Eine scheinbar irrsinnig hohe Zahl, die sich bestimmt gut als Schlagzeile in Schriftgröße 72 in der Boulevardpresse machen würde, „SO VIEL GELD RAUBT UNS DIE ENERGIEWENDE!“ oder so.

Wie das mit Schlagzeilen in Schriftgröße 72 aber so ist, verlieren sie einen großen Teil ihres Aufregungspotentials, wenn wir ein paar Minuten darüber nachdenken.

Grundkurs BWL

Die genannte Summe ist die für 60 Jahre, runtergebrochen auf ein Jahr bedeutet das 88 Milliarden Euro. Um das ins Verhältnis zu setzen: Unser Bundeshaushalt lag 2022 bei etwa 500 Milliarden Euro (Öffnet in neuem Fenster).

Und wenn wir auf dieses Geld schauen, ist es wichtig, ein Begriffspaar auseinanderzuhalten: Kosten fallen an, und dann ist das Geld weg. Investitionen hingegen kosten zwar Geld, aber man bekommt einen entsprechenden Gegenwert dafür – und wenn es kluge Investitionen sind, wird man dadurch nicht ärmer, sondern reicher. Man tätigt sie, weil man sich davon eine Rendite verspricht.

Sehr erfolgreiche Unternehmen reinvestieren jedes Jahr gigantische Summen in neue Werke, Maschinen und Standorte, und es wäre absurd, ihnen aus Kostengründen zum Gegenteil zu raten. Oder anders: Wir könnten ganz viel Geld sparen, indem wir Schulen, Krankenhäuser und Klärwerke abschaffen. Aber unserer Gesellschaft fehlten dann ein paar entscheidende Dinge, sie wäre insgesamt betrachtet eine ärmere und hätte ohne Bildung und Gesundheitswesen langfristig auch immer weniger Geld. Effektiv gewählte Investitionsgüter und Infrastruktur sind oft der entscheidende Grund, warum Firmen erfolgreicher sind als andere. Für Gesellschaften gilt das in Teilen auch.

Bei der Energiewende ist der Effekt noch frappierender, denn jede in die Sonne gehaltene Solarzelle und jedes sich drehende Windrad reduziert unsere Klimaemissionen, unsere Ausgaben für fossile Brennstoffe, unsere Abhängigkeit und oft auch Schadstoffe und Lärm. Bei den Ausgaben für den Umbau Deutschlands in eine zukunftstaugliche Gesellschaft handelt es sich zu einem großen Teil um Investitionen, und zwar um kluge. Die Idee, die Kosten des Energiesystems als etwas grundsätzlich schlechtes zu sehen, ignoriert, wieviel wir dafür zurückbekommen: Am meisten Geld würden wir (kurzfristig) sparen, wenn wir einfach die komplette Stromversorgung abschafften. Dass diese Rechnung einen Denkfehler hat, ist hoffentlich offensichtlich.

Auch der Status Quo kommt nicht für lau

Im Übrigen kostet die Energieversorgung der viertgrößten Volkswirtschaft der Erde mit ihren 83 Millionen Menschen auch ganz ohne Energiewende eine ordentliche Menge Geld. Immer schon: Moderne Großkraftwerke verursachen in der Regel Baukosten in Milliardenhöhe und halten leider nicht ewig, auch sie benötigen ein Stromnetz (wenn auch weniger robust) und ganz wichtig: Sie benötigen jedes Jahr gigantische Mengen von Rohstoffen. Allein der Import fossiler Rohstoffe kostete Deutschland im letzten Jahr 130 Milliarden Euro (Öffnet in neuem Fenster) – was aber aufgrund der Energiekrise auch ein Spitzenwert bleiben dürfte. Eine Geldmenge, mit der wir alternativ auch 130 Gigawatt Windkraft-Kapazität hätten installieren können (etwa doppelt so viel wie wir insgesamt in den letzten 25 Jahren errichtet haben).

https://twitter.com/superredaktion/status/1665630706360369153 (Öffnet in neuem Fenster)

Die entscheidende Frage ist also eigentlich nicht, was das Energiesystem der Zukunft kostet, sondern ob es mehr oder weniger kostet als die konventionelle Energieversorgung. Die beiden Fraunhofer-Forscher sind in der gleichen Studie auch dieser Frage nachgegangen, haben konstant die Preise für Öl, Kohle und Gas von 2015 angesetzt und kommen für die Kosten eines fossilen Energiesystems auf auch nicht gerade wenige 4,2 Billionen Euro bis zum Jahr 2050. (Das gäbe sicher auch eine gute Schlagzeile ab).

Die entscheidende Antwort ist also: Laut dieser Studie kostet die Energiewende pro Jahr 20 Milliarden Euro mehr als das konventionelle Stromsystem. Und auch wenn das für sich genommen eine ordentliche Menge Geld ist: Wir sind ja auch ganz schön viele Leute. Auf die Bevölkerung umgelegt sind das 20 Euro pro Person und Monat – das ist natürlich immer noch durchaus ein Faktor, aber dafür bekommen wir ja auch was: Eine viel sauberere, unabhängigere und vor allem klimaneutrale Energieversorgung.

Vermiedene Verluste sind auch Gewinne

Vollständig wird diese Rechnung also erst, wenn wir auch einen Blick auf die sogenannten externalisierten Kosten des Status Quo werfen – die also, die auf uns, die Allgemeinheit, abgewälzt werden und von denen nichts Gutes zu erwarten ist, wenn wir weitermachen wie bisher.

Denn eine klimaneutrale Energieversorgung verhindert eine Menge Ausgaben, die ansonsten durch Extremwetterereignisse, Schäden in der Landwirtschaft oder den Anstieg der Meeresspiegel entstehen würden.

Nehmen wir diese Kosten mit in die Rechnung, ergibt sich nochmal ein anderes Bild: Belegen wir jede Tonne CO2 mit einem Preis, der den durch den Ausstoß entstehenden Schaden einigermaßen beziffert, dann steigen die Kosten nochmals an, und zwar für beide Energiesysteme, weil ja auch ein zu 100 Prozent erneuerbares System zu Beginn fossile Rohstoffe benötigt.

Die Fraunhofer-Studie nimmt in einem Szenario mit eingepreisten Klimafolgekosten ab 2030 moderate 100 Euro pro Tonne CO2 an (das Umweltbundesamt geht eher von 237 Euro/Tonne aus (Öffnet in neuem Fenster)) und eine fossile Preissteigerung von 2 Prozent. In diesem Szenario erzeugt die Energiewende keine zusätzlichen Kosten, sondern spart welche ein: Mit 7,1 Billionen Euro über 60 Jahre kommt sie uns in dieser Berechnung 600 Milliarden günstiger als das konventionelle Energiesystem, das dann 7,7 Billionen Euro Kosten verursacht. Wir sparen also unterm Strich 10 Euro pro Person und Monat. Selbst bei den Eisdielen-Preisen von 2023 sind das durchaus ein paar Kugeln.

https://twitter.com/superredaktion/status/1665631616771735552 (Öffnet in neuem Fenster)

Und es geht auch noch optimistischer: Weitet man den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus, findet man eine große Stanford-Studie (Öffnet in neuem Fenster) von 2022, die einer weltweiten Energiewende bescheinigt, dass sie mit einer Rendite von jährlich 11 Billionen Dollar ihre Kosten in nur sechs Jahren wieder einspielen könnte.

https://twitter.com/superredaktion/status/1665654893187571712 (Öffnet in neuem Fenster)

Fazit: Die Energiewende benötigt zwar höhere Investitionen in unsere Versorgung, verursacht aber insgesamt weniger Kosten als ein fossiles System mit seinen viel höheren Emissionen und Folgeschäden. Selbst mit den Daten aus dem Jahr 2015 war das schon so, und auf dieses Jahr folgten erst noch bahnbrechende Technologiesprünge bei Batterietechnik und Erneuerbaren. Würden wir noch einrechnen, wieviel Kosten wir im Gesundheitssystems durch bessere Luftqualität sparen würden, wäre das Ergebnis noch eindeutiger.

Tl;dr Klimaschutz ist viel günstiger als kein Klimaschutz, auch bei der Energiewende.

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Empfehlung des Monats

Werd doch nicht so emotional? Doch, bitte! Warum wir Emotionen nicht aus der Debatte um Umweltkrisen halten- sondern ihre Kraft für die grüne Transformation nutzen sollten, zeigt das Buch “Klima im Kopf (Öffnet in neuem Fenster)” von Katharina van Bronswijk. Wie toll, Angst, Wut und Trauer auf einmal als “Verbündete” zu sehen, die uns zum Handeln animieren - hinein in eine lebenswerte Zukunft, die für richtig gute Emotionen sorgt. Allen, die nicht genug Zeit für ein richtiges ganzes Buch haben, oder die sich erstmal einen Eindruck verschaffen wollen, sei das sehr spannende Gespräch empfohlen, das David Wortmann im Podcast Let’s Talk Change (Öffnet in neuem Fenster) mit der Autorin führt.

Buchcover "Klima im Kopf" von Katharina von Bronswijk. Das Cover zeigt ein Portrait der Autorin mit Bäumen im Hintergrund.

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