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Schlechte Argumente: Eine zweitausendjährige Tradition

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Wir haben News! Und zwar wie immer auch gute.

Gut? Gut. Und damit zum Thema des Monats: Uralte Kulturtechniken des Quatsch-Erzählens.

Wenn Leugnen nicht mehr zieht

Niemand kommt heutzutage noch damit durch, zu behaupten, das mit dem Klimawandel sei Unsinn – damit landet man höchstens noch bei so ein paar Versprengten auf Twitter. Darüber kann man sich freuen, das ist ein Schritt nach vorn!

Allerdings hat das hat inzwischen sogar die fossile Lobby begriffen, die seit vielen Jahren absolut irre Summen in Desinfomationskampagnen investiert (Öffnet in neuem Fenster), um den Status Quo gegen die Interessen der Menschheit so lange wie möglich aufrecht zu erhalten.

Statt also weiter die komplett unumstrittene Tatsache der menschengemachten Klimakrise anzufechten, hat sich die Stoßrichtung gedreht: Es werden nicht mehr Zweifel an der Krise gesät, sondern an den Lösungen (Öffnet in neuem Fenster). Und deshalb schüttet man jetzt ganze Gebirge von Dollars in die Diskreditierung von Maßnahmen, die diese Katastrophe – zu Ungunsten der Fossilindustrie –aufhalten sollen.

Das ist aus einer ganz bestimmen Perspektive gut investiertes Geld! Denn: Wenn du in den sozialen Medien unterwegs bist oder gelegentlich eine Zeitung liest oder vielleicht auch bloß manchmal willkürlich irgendwo in die Gegend schaust, werden dir die Auswirkungen und der Erfolg dieser Strategie garantiert schonmal begegnet sein.

Es ist einfach ziemlich viel unsauber argumentierter Quatsch im Umlauf, der immer wieder auch von vernünftigen Leuten ohne schlechte Absichten verbreitet wird – weil der Quatsch allgegenwärtig ist, und weil es oft ganz schön fordernd ist, den Quatsch von den Fakten zu trennen.

Die einzigen, denen das nützt, sind diejenigen, die den Quatsch gezielt aus kurzfristigem Profitinteresse in die Welt setzen, ohne sich dabei für das zukünftige weltweite menschliche Leid zu interessieren, dem sie so das Tor offenhalten. (Dabei ist auch für Superreiche der Grenznutzen, aus 20 Mrd. $ 30 Mrd $ zu machen, natürlich ein Witz verglichen mit dem Schaden, auf einer heißeren Welt zu leben, aber das machen sie sich offenbar nicht klar.)

Also: Wie machen die das - und was können wir dagegen tun?

Quatsch erzählen und damit durchkommen: Ein Werkzeugkasten

Wann ist ein Argument gut? Dazu ein Schaubild, samt der These (Öffnet in neuem Fenster), dass man eigentlich alles unterhalb der Zeile “Gegenargument” nicht ernstnehmen muss.

Darstellung unterschiedlicher Tauglichkeit von Argumenten als Etagen in einer Pyramide, von häufig & schlecht (untern) bis sehr gut (spitze): Beschimpfung, ad hominem, Kritik des Sprachstils, Widerspruch, Gegenargument, Widerlegung, Widerlegung des zentralen Punktes.

Nun ist aber ein wirklich großer Teil heutiger öffentlicher Debatten leider konsequent in den unteren Etagen der Pyramide unterwegs, und wenn wir das erkennen, benennen und verändern wollen, kommen wir am Ernstnehmen und genauen Hinschauen nicht vorbei. Und das sollten wir - denn sonst riskieren wir, dass die aktuellen großen Fragen von lauten Superreichen entschieden werden, die sich den Pyramidenkeller als ihr bevorzugtes Habitat auserkoren haben.

Was also sind die häufigsten Erscheinungsformen schlechter Argumente - und wie gehen wir damit um? Es gibt da nämlich wiederkehrende Muster, von denen einige ungelogen schon seit weit über zweitausend Jahren Standard sind in den Werkzeugkästen derjenigen, die es mit ehrlicher Debattenkultur aus Gründen nicht ganz so genau nehmen mögen. Aristoteles!

Und das Schöne ist: Bei vielen dieser Muster brauchst du noch nicht einmal Fachwissen, um sie zu erkennen und als schädlich und nicht zielführend zu entlarven.

Strohmann

Gegenargumente sind nur dann als solche ernstzunehmen, wenn sie sich konkret auf das tatsächlich Gesagte beziehen.

Ein absoluter Klassiker: Wenn das Argument meines Gegenübers nicht genug Potential bietet, die Leute ordentlich wütend zu machen, spitze ich es zu und verdrehe es, bis es richtig hässlich ist. So kann ich es besser angreifen, auch wenn es dann mit dem tatsächlich Gesagten nicht mehr viel zu tun hat. Wir befinden uns im goldenen Zeitalter der Strohmänner. Einer der erfolgreichsten seit Beginn der Aufzeichnungen: das HEIZUNGSVERBOT (Öffnet in neuem Fenster)! Und jetzt neu: das FLEISCHVERBOT (Öffnet in neuem Fenster)! Gäbe es diese Dinge wirklich, hätte man durchaus eine nachvollziehbare Grundlage, sich sehr darüber zu ereifern. Ob es sie tatsächlich gibt, findet man allerdings nur heraus, wenn man sich die Quelle anschaut und überprüft, ob man es mit einem Strohmann zu tun hat – das sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber diesen Schritt haben gerade beim sogenannten Heizungsverbot, von dem zeitweise überall die Rede war, auch seriöse Medien oft nicht getan.

https://twitter.com/superredaktion/status/1673217957407735808 (Öffnet in neuem Fenster)

Scheinkausalität

Dass Ereignisse zeitlich oder räumlich benachbart sind, bedeutet nicht, dass sie kausal zusammenhängen müssen!

Wenn unser Gehirn zwei Dinge sieht, zwischen denen es einen Zusammenhang herstellen kann, weil sie zeitlich oder räumlich nah beieinander sind, dann tut es das auch, und zwar mit Macht, da kann es nicht aus seiner Haut. Das macht Scheinkausalitäten so verführerisch und erfolgreich. Auf der Straße hast du einen Sack mit weißen Bohnen gesehen? Und dann kommst du nach Hause und es liegen fünf weiße Bohnen vor der Tür? Klar, die stammen zwingend aus dem Sack.

Falsch! Sie kommen aus einem Bohnengeschäft in Duisburg Rheinhausen, wir haben sie da hingelegt, aus didaktischen Gründen.

Aber es gibt auch Beispiele aus der Praxis, die Mühe hätten wir uns vielleicht sparen können:

https://twitter.com/AminSharaf/status/1666420634128097281 (Öffnet in neuem Fenster)
  1. Erst schalten wir unsere letzten AKWs ab.

  2. Dann importiert Deutschland plötzlich Strom, anstatt ihn zu exportieren.

  3. Ergo: Die fehlenden AKWs sind der Grund für den Importbedarf.

Ein absolut klassischer Danach-also-deswegen-Fehlschluss, oder Post hoc ergo propter hoc, um mal in der Sprache unserer Zeit zu bleiben. Beide Prämissen stimmen – aber auch ohne jedes Fachwissen über den Strommarkt kann man sagen: die zeitliche Abfolge der beiden Ereignisse bedeutet natürlich nicht zwingend, dass das erste Ereignis Ursache des zweiten ist. Klar kann man anhand der beiden Prämissen mutmaßen, aber bevor man so tut, als hätte man allein durch 1 und dann 2 ein wasserdichtes Argument gefunden, sollte man bzw. sollte insbesondere Herr Sharaf einmal genauer hinschauen. Das übernimmt in diesem Fall stellvertretend Jan Hegenberg (Öffnet in neuem Fenster) (Spoiler: Was Araf postuliert, ist in jeder Hinsicht sachlich falsch).

Um zu erkennen, dass diese Art der Argumentation unlauter ist und Prüfung verdient, muss man das jedoch nicht, dafür braucht es nur ein bisschen Aristoteles.

https://twitter.com/superredaktion/status/1673217918102917121 (Öffnet in neuem Fenster)

Anekdotenargument

Einzelbeispiele aus deiner Erfahrungswelt sind in aller Regel nicht so repräsentativ, wie sie sich anfühlen.

Wir überschätzen systematisch, wie repräsentativ unsere eigenen Erfahrungen für die Realität als Ganzes sind. Echt, wir sind richtig schlecht darin, von unseren eigenen Wahrnehmungen und von persönlichen Geschichten zu abstrahieren und sie angemessen zu gewichten, wir alle, das ist so eingebaut, it’s science (Öffnet in neuem Fenster). Quantitative wissenschaftliche Maßstäbe sind fast immer präziser in der Realitätsdeutung als persönliche Erfahrungen – und trotzdem neigen wir dazu, nicht an die abstraktere statistische Realität zu glauben, sondern an das, was für uns persönlich greifbar ist. Deswegen funktionieren sogenannte Anekdotenargumente auch viel besser, als sie eigentlich dürften.

https://twitter.com/f_schaeffler/status/1668140032736083968 (Öffnet in neuem Fenster)

Schornsteinfeger! Vertrauensperson! Bringt Glück! Kennen alle! Und dabei geht es uns jetzt gar nicht darum, dass ein Schornsteinfeger so eine Wärmepumpenfrage vielleicht mit einer gewissen Befangenheit beantworten wird (”Der Schweinemäster war kürzlich bei mir. Weniger als neunmal Fleisch in der Woche ist superungesund.”). Vielmehr sehen wir hier, dass hier ein designierter Experte (naja (Öffnet in neuem Fenster)) – wie viele andere – zu einer Anekdote greift, ihr implizit Repräsentativität unterstellt, obwohl sie definitiv keine hat und dabei auf die oben beschriebene Strukturschwäche menschlicher Gehirne setzt, um sein Ziel zu erreichen.

Nicht mit unseren Gehirnen, bittesehr. (Und mit Herrn Schäfflers Gehirn interessanterweise wohl auch nicht (Öffnet in neuem Fenster).)

https://twitter.com/superredaktion/status/1673217789073534976 (Öffnet in neuem Fenster)

Ad Hominem

Die Richtigkeit eines Argumentes ist nicht von den Mängeln der Person abhängig, die es formuliert.

Argumente müssen in sich schlüssig sein und auf wahren Annahmen beruhen, dann sind sie stark. Ob das Argument von Stephen Hawking gemacht wird oder von Voldemort ist für die sachliche Richtigkeit unerheblich. Nicht aber für seine Wirkung, denn: Gehirn.

Je kritischer wir die Quelle der Nachricht sehen, desto weniger gewillt sind wir, die Nachricht ergebnisoffen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Das nutzen wir in Debatten aus. Wenn unser Gegenüber etwas sagt, das uns nicht gefällt, und uns fällt erstmal kein knackiges Gegenargument ein: Warum nicht erwähnen, dass wir mal gesehen haben, wie die betreffende Person ein Katzenbaby beschimpft hat?

Weil’s nicht anständig ist, klar, würden wir nie machen. Aber viele andere sind da weniger zimperlich: Das Argumentum ad hominem ist wahnsinnig beliebt. Sollte nicht funktionieren, tut es aber viel zu oft. Rezentes Beispiel aus den Reihen der CDU hier (Öffnet in neuem Fenster):

  1. Patrick Graichen wird in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil Vorwürfe der Vetternwirtschaft gegen ihn sich in mindestens zwei Fällen als berechtigt herausgestellt haben.

  2. Patrick Graichen ist Hauptarchitekt der Novelle des Gebäudeenergiegesetzes.

  3. Ergo muss das Gebäudeenergiegesetz auch weg.

Das ist natürlich ein Fehlschluss. Graichens Vetternwirtschaft ist Mist, hat aber nichts mit der Qualität des Gesetzes zu tun. Wenn es gute Argumente gibt, warum es wegmüsste, erfahren wir sie hier nicht.

https://twitter.com/superredaktion/status/1673217843876298753 (Öffnet in neuem Fenster)

Whataboutismus

Die Tatsache, dass andere Themen existieren und womöglich auch wichtig sind, ist ein Scheinargument, mit dem man jede beliebige Debatte blockieren und ablenken kann.

Wenn eine Diskussion eine Richtung nimmt, die einem unbehaglich ist, ist der sogenannte Whataboutismus das Mittel der Wahl, ein Ablenkungsmanöver, mit dem Debatten im eigenen Interesse verbogen werden.

Jemand sagt, dass es bei der Erhaltung unserer Lebensgrundlagen helfen würde, wenn wir uns weniger fleischlastig ernährten, aber das widerspricht dem sehr spezifischen Freiheitsideal, das ich vor mir hertrage? Easy:

https://twitter.com/c_lindner/status/1167181449709019136 (Öffnet in neuem Fenster)

Ein guter Konter ist zum Beispiel eine Gegenfrage, mit der man den Ablenkungsversuch wieder einfängt: Lieber Christian – darf ich Christian sagen? Ich sage Christian – wir reden ja nunmal gerade über Fleisch, inwiefern spricht die Relevanz von Heizen und Wohnen deiner Meinung nach gegen eine stärkere Betonung pflanzenbasierter Ernährung?

https://twitter.com/superredaktion/status/1673218038198304770 (Öffnet in neuem Fenster)

Der Fehlschluss-Fehlschluss

Eine Aussage ist nicht zwingend unwahr, weil sie unsauber argumentiert ist.

Achtung! So befriedigend es sein kann, deinem Gegenüber in einer Diskussion hohnlachend Fehlschlüsse unter die Nase zu reiben: Wenn man davon ausgeht, dass man eine Debatte gewonnen hat, nur weil das Gegenüber ein schwaches Argument gebracht hat und darauf hingewiesen worden ist, macht man sich des Fehlschluss-Fehlschlusses schuldig und kommt nicht weiter. Will man produktiv diskutieren, darf die Entlarvung des Arguments nicht allein stehenbleiben, sondern sollte von einem guten Gegenargument oder zumindest von einer möglichst ruhig formulierten Einladung an das Gegenüber begleitet sein, einen neuen, sachlicheren Versuch zu machen, die getätigten Aussagen zu untermauern.

Weitere Weiterbildung

Ein Klassiker: Die Webseite yourlogicalfallacyis.com (Öffnet in neuem Fenster) mit noch mehr unlauteren Argumentationstechniken. Ideales Anschauungsmaterial, wenn du die eigene Aufmerksamkeit für diese Dinge weiter schärfen und/oder dich im eigenen Freundeskreis unbeliebt machen möchtest (Öffnet in neuem Fenster). Mit ähnlichem Lernziel, aber einem spielerischen Ansatz ist der Cranky Uncle (Öffnet in neuem Fenster) von Debunking-Experte John Cook unterwegs.

Der Tipp des Monats

“Kann man so ein krass beschissenes Thema wie die Klimakrise irgendwie anders erzählen?”, fragt Joko Winterscheidt gleich zu Beginn von The World’s Most Dangerous Show (Öffnet in neuem Fenster), seiner neuen Serie. Kurze Antwort: Klares ja.

Es handelt sich um ein Projekt von Amazon Prime Video, mit allem, was dazugehört: Ein Riesenbudget, eine fantastische Produktion und die moralische Ambivalenz, einen Konzern als Plattform zu nutzen, der, so Luisa Neubauer in Folge 4, eher für Ausbeutung und Steuervermeidung stehe als für Nachhaltigkeit.

Diesen Widerspruch muss man aushalten, wenn man sich die Serie anschaut; es ist nicht der einzige, der durchaus offensiv von Winterscheidt thematisiert wird. Kommt man damit zurecht, bietet The World’s Most Dangerous Show eine mal aufwühlende, mal zornig machende, oft inspirierende, aber immer sehenswerte, mit Witz, Charme und Drama präsentierte Suche nach Lösungen für die größte Krise der Menschheitsgeschichte.

https://www.youtube.com/watch?v=QYUq2QXl2SY&ab_channel=AmazonPrimeVideoDeutschland (Öffnet in neuem Fenster)

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