Klimaschonend essen – eigentlich doch ganz einfach
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Wie traditionell üblich eine Handvoll gute Nachrichten als Aperitif:
Am 12. Juli hat das EU-Parlament das historisch bedeutsame Nature Restoration Law (Öffnet in neuem Fenster) verabschiedet, das alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, zerstörte Natur wieder ökologisch aufzuwerten. Hierzu gehört der Bestandsschutz von Bestäubern und die zukünftige Sicherstellung von sauberer Luft und sauberem Wasser. Das Abstimmungsergebnis war mit 53 Prozent Ja-Stimmen irritierend knapp, gemessen daran, dass eigentlich niemand was gegen sauberes Wasser und saubere Luft haben kann.
Um dieses Ergebnis zu ermöglichen, musste das Gesetz aber an mehreren Stellen schlechter gemacht werden und geht so geschwächt in den Trilog, also die Verhandlungen zwischen EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission. Wer saubere Luft und ein stabiles Klima gut findet, sollte hier auf Nachbesserungen hoffen, zum Beispiel die Wiederaufnahme der Wiedervernässung von Mooren in den Gesetzesentwurf.
Chinas Energiewende beschleunigt sich weiterhin. Der im Jahr 2022 in China erzeugte Wind- und Solarstrom betrug bereits gewaltige 1.200 Terawattstunden (Öffnet in neuem Fenster), das ist ungefähr die Hälfte der kompletten Stromerzeugung (also aus fossilen, Atom- und erneuerbaren Kraftwerken zusammen) der gesamten EU (Öffnet in neuem Fenster). Dieses Ergebnis wird 2023 voraussichtlich nochmal klar übertroffen, allein der Solar-Ausbau der ersten vier Monate lag 200 Prozent (!) über dem Wert von 2022 (Öffnet in neuem Fenster), hat sich also nochmals verdreifacht. Wird diese Geschwindigkeit beibehalten, erreicht China seine Erneuerbaren-Ausbauziele für 2030 etwa 5 Jahr früher (Öffnet in neuem Fenster).
Die Zustimmung in der Bevölkerung zu konkreten Klimaschutzmaßnahmen ist deutlich höher als allgemein angenommen. Laut einer Studie des RIFS Potsdam (Öffnet in neuem Fenster) befürwortet die Bevölkerung umstrittene Klimaschutzmaßnahmen höher als sie selbst denkt. Das ist für sich genommen eigentlich eher eine schlechte Nachricht, denn sozialpsychologisch liegt in diesem Fall eine sogenannte pluralistische Ignoranz vor: Alle sind eigentlich einverstanden, warten aber auf Mehrheitszeichen der anderen Gruppenmitgliedern und tun deshalb erst mal gar nichts. Die gute Nachricht ist, dass diese Ergebnisse, also die hohen Zustimmungswerte für Windkraftausbau, Solaranlagen und Tempolimit, nun verbreitet werden und Menschen Mut machen, sich aktiv für Lösungen einzusetzen.
Ernährung als guter Einstieg
Mit dem eigenen Klimaschutz bei der Ernährung anzufangen hat einen riesigen Vorteil: Wer vor dem Supermarktregal steht, genießt die Unmittelbarkeit der vollen Kontrolle über den CO2-Fußabdruck des Einkaufs. Es müssen keine Petitionen verfasst, keine Ortsvereine oder Eigentümergemeinschaften überzeugt werden. Keine lästigen demokratischen Gremien bremsen Eure Ambitionen, stattdessen gilt nur das Diktat eurer individuellen Entscheidung.
Bleibt das Import-Steak im Tiefkühlfach und muss einem in der EU hergestellten Beyond-Burger weichen, purzeln die Emissionen. Das kann tatsächlich erstmal beflügeln, weil viele Menschen in diesem Moment Selbstwirksamkeit spüren, also das Gefühl, eine schwierige Situation selbst meistern zu können – zumindest zum Teil.
Bevor aus so einem ersten Schritt aber ein Selbstoptimierungs-Rausch werden kann, stehen wir irgendwann ein Regal weiter vor deutlich komplizierteren Entscheidungen:
Soll ich die Bio-Butter kaufen oder die industriell hergestellte Margarine?
Auf den neuseeländischen Äpfeln ist ein „climate friendly“-Aufkleber, auf den Äpfeln aus dem deutschen Kühlhaus nicht – was bedeutet das?
Die Tomaten aus den Niederlanden sind in Plastik eingepackt, die aus Spanien kann ich einzeln kaufen.
Der regionale Hafermilchanbieter füllt sein Produkt in Mehrweg-Glasflaschen ab, aber verbraucht das weniger Emissionen als die leichteren Tetra-PAKs? Wie weit ist die Fabrik wohl weg? Und fahren die Lastwagen elektrisch?
With great power comes great responsibility
Wer sich in Klimafragen am Supermarktregal vorbildlich verhalten will, merkt schnell: Je mehr man weiß, desto komplizierter wird das Ganze (scheinbar). Klar, aus großer Macht folgt große Verantwortung, aber das kann Spider Man auch leicht sagen: Der kann einfach gegen den nächstbesten Bösewicht kämpfen. Wir hingegen müssen erst mal rauskriegen, wer denn eigentlich der Bösewicht ist, den es mit Boykott zu strafen gilt.
Ist Soja im Essen nachhaltig? Welche Erdbeeren kommen per Flugzeug zu uns? Und wann hat rote Beete eigentlich Saison? Scherz, niemand mag rote Bete, es ist daher vollkommen egal, wann sie Saison hat.
Das ist aber viel zu klein gedacht, denn all diese Entscheidungen sind viel einfacher als hier zunächst der Eindruck erweckt wurde. Was die vielen Klimaratgeber und CO2-Fußabdruck-Rechner nämlich noch besser kommunizieren könnten: Die verschiedenen Faktoren (Regionalität, Saisonalität, usw.) unterscheiden sich in ihren Auswirkungen extrem, sodass es wenig Sinn macht, sie alle gleichwertig gegeneinander abzuwägen.
Die von der Universität Oxford betriebene Seite OurWorldInData hat dazu praktischerweise eine Übersicht erstellt (Öffnet in neuem Fenster), aus der hervorgeht, welcher Faktor wieviele Emissionen verursacht:
(Öffnet in neuem Fenster)Sollte die Schrift zu klein sein, gibt es die Ergebnisse hier noch mal in aufbereiteter und interaktiver Form (Öffnet in neuem Fenster).
Wichtigste Beobachtung: Transport (der rote Bereich), Verpackung (grauer Bereich) und Verarbeitung (blauer Bereich) spielen eine überraschend kleine Rolle, die Klima-Elefanten im Raum sind Landnutzungsänderung (grün) und direkte Prozess-Emissionen bei Anbau und Tierzucht (braun).
Es ist viel entscheidender, was ich esse als woher es kommt.
Mit anderen Worten: Der Transport und die Verpackung sind nur für einen Bruchteil der Klimaemissionen verantwortlich. Hohe Emissionen aufgrund von Landnutzungsänderung bedeutet konkret, dass für dieses Lebensmittel natürliche Kohlenstoffsenken zerstört wurden bzw. zerstört bleiben, meistens sind das Wälder, Moore oder sonstige Naturräume (Öffnet in neuem Fenster).
Zu den direkten Prozess-Emissionen (braun) zählen Produktion und Verwendung von Düngern und Pestiziden, die Entstehung von Methan durch Verdauungsprozesse von Wiederkäuern oder den Nassanbau von Reis und auch schlicht der Energiebedarf für landwirtschaftliche Maschinen.
Es ist also in den allermeisten Fällen viel entscheidender, was ich esse als woher es kommt. Ein Kilo Schweinefleisch verursacht so viel CO2-Emissionen wie 12 Kilo Erbsen, 21 Kilo Karotten oder 26 Kilo Kartoffeln, womit Kartoffeln das Klima-Champion-Gemüse schlechthin sind (esst mehr Kartoffeln!).
https://twitter.com/superredaktion/status/1685907173199454209 (Öffnet in neuem Fenster)Der Anbau des Kilos Kartoffeln verursacht gerade mal 190 Gramm CO2. Aber selbst wenn ich diese Kartoffeln jetzt noch 1.000 km mit einem Schiff transportiere, so erhöhen sich die Emissionen um nur etwa 10 Gramm CO2 (Öffnet in neuem Fenster) auf 200 Gramm CO2. Denn auch wenn Frachtschiffe aufgrund des genutzten Schweröls kein sonderlich gutes Image haben, sind sie unglaublich effizient! So effizient, dass ich ein Kilo Kartoffeln über den halben Erdball transportieren kann und sie am Ende trotzdem nur einen Bruchteil der Emissionen von Fleisch oder Milchprodukten haben.
Dieselbe Strecke mit dem fossil betriebenen LKW verursacht schon 50 Gramm CO2, und wenn irgendwer auf die verrückte Idee kommt, Obst oder Gemüse mit dem Flugzeug zu transportieren, dann sind die Transport-Emissionen 100 mal höher als mit dem Schiff. Es lassen sich also Ausnahmen finden, die von der obigen Tabelle abweichen, wenn man sie sucht.
Glücklicherweise wird nur ein sehr kleiner Anteil unserer Lebensmittel mit dem Flugzeug transportiert, sodass das im Alltag kaum ins Gewicht fällt und die obige Tabelle eine sehr gute Orientierung bietet: In Klimafragen ist vor allem entscheidend, was wir essen. Der Transport und ob ich es an der Kasse in eine Plastiktüte einpacke, ändert die Werte nur marginal.
Daher funktioniert auch der Ansatz nicht, die eigene Ernährung 1,5-Grad-Ziel-kompatibel zu gestalten, indem das Rinderfilet in die mitgebrachte Jutetüte eingepackt wird. Die typischen Supermarkt-Plastiktüten bestehen aus etwa 40 Gramm Erdöl (Öffnet in neuem Fenster), soviel verbraucht ein sparsamer Diesel-PKW schon auf 800 Metern. Aus diesem Grund haben Fahrten in fossil betriebenen Gefährten zum Unverpackt-Laden auch keine sonderlich gute Klimabilanz (Plastikmüll-Vermeidung ist natürlich dennoch eine gute Idee).
https://twitter.com/superredaktion/status/1685907436849221632 (Öffnet in neuem Fenster)Das alles mag aus Fleischesser-Sicht frustrieren, muss es aber eigentlich nicht, denn wir haben 2023. Die meisten Fleischprodukte, die im Supermarkt ohnehin als anonyme, panierte Proteinlappen daherkommen, gibt es mittlerweile auch pflanzlich (Öffnet in neuem Fenster). Gerade bei so Dingen wie Gehacktem, Schnitzel oder Nuggets zum Anbraten können viele Menschen ihre Emissionen drastisch senken, ohne das Geschmackserlebnis zu verschlechtern.
Das war vor 20 Jahren etwas anders, da schmeckten vegetarische Würste noch nach Klärschlamm und Sojamilch nach Pappkarton und man musste sich die Nase zuhalten, wenn man sowas essen wollte. So oder so: Rein rechnerisch ist es für die Emissionen unerheblich, ob sich ab morgen 5 Millionen Deutsche rein vegan ernähren oder ob ab morgen 50 Millionen Deutsche ihren Tierkonsum um 10 Prozent senken.
Der große Vorteil dieser Liste ist also, dass sie Entscheidungen massiv vereinfacht: Die Margarine kann in der finstersten Fabrik hergestellt und vom übellaunigsten LWK-Fahrer zu euch in den Supermarkt gebracht werden, in Sachen Klima schlägt sie die Butter um Längen.
Individuelle Entscheidung vs. systematische Änderungen
Regionalität und Saisonalität sind natürlich trotzdem erstrebenswerte Ziele. Auch der Autor dieser Zeilen legt im Supermarkt die Kartoffeln wieder ins Regal zurück, wenn die aus Neuseeland kommen und sucht stattdessen europäische. Erdbeeren aus Ägypten oder Israel kommen tatsächlich oft mit dem Flugzeug, da warte ich lieber auf den Mai. Aber selbst die Kartoffeln aus Südafrika sind viel klimaschonender als Fleisch aus den Niederlanden.
Aber das weiß ich auch nur, weil ich mich hier (Öffnet in neuem Fenster) informiert habe, welche Lebensmittel uns mit dem Flugzeug erreichen. Wie illusorisch ist der Gedanke, dass das alle Menschen machen? Bei den Glasflaschen und dem “climate friendly”-Aufkleber kann man selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung zu dem Thema nicht immer eindeutige Ergebnisse finden, sondern endet häufig bei einem “kommt drauf an”.
Grundsätzlich sollten wir uns als Verbraucher daher vielleicht auch fragen, wieviel Informationspflicht wir eigentlich haben und ob die Zeit für das Nachgrübeln vor der Gemüsetheke um wenige Gramm CO2 nicht besser investiert ist, indem wir uns für systemische Änderungen einsetzen. Wäre der Frachtverkehr der EU klimaneutral, könnte es uns zumindest aus Klimasicht vollkommen egal sein, ob das Sonnenblumenöl aus Offenbach oder aus der Ukraine kommt.
Würden die Kühlhäuser in Deutschland mit klimaneutralem Strom betrieben, dann wären Äpfel aus dem Kühlhaus immer klimafreundlich, und gäbe es eine Recycling-Pflicht für Kunststoffe, würde der Markt tatsächlich regeln, welche Verpackung die sinnvollste ist. Und müssten die Lieferanten auf den Produkten ausweisen, ob sie mit dem Flugzeug nach Deutschland kamen, würde sich das (hoffentlich) auf das Kaufverhalten auswirken.
https://twitter.com/superredaktion/status/1685907672917311488 (Öffnet in neuem Fenster)Wie fast immer gilt: Mit individueller Verhaltensänderung können wir uns Zeit erkaufen, deswegen ist sie so wichtig. Sie bringt uns aber nur was, wenn wir die erkaufte Zeit nutzen, um unsere Systeme ändern.
Der Tipp des Monats
Es ist also viel entscheidender, was wir essen bzw. wie viel pflanzliche Anteile unsere Ernährung hat. Aber Pflanzen zum Frühstück, ist das nicht furchtbar langweilig? Und ist das nicht problematisch wegen der Nährstoffe, wenn ich weniger Fleisch und Milch konsumiere?
Um beide Fragen mit nein zu beantworten, hat die Albert-Schweitzer-Stiftung für unsere Mitwelt die Vegan Taste Week (Öffnet in neuem Fenster) ins Leben gerufen. Hier könnt Ihr zwischen verschiedenen Wochenplänen wählen (abwechslungsreich, gesund, günstig oder schnell) und euch von den Rezepten inspirieren lassen.
Dazu muss auch niemand sofort Veganer werden, es ist einfach nur ein Einsteiger-Angebot an Leute, die es mit weniger Tierprodukten versuchen wollen aber nicht so recht wissen, wie das gehen könnte.
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