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We are someone’s Kylie Jenner

Willkommen im Newsletter der Superredaktion – die monatliche Ration konstruktive Perspektiven, positive Botschaften und konkrete Anpackmaterialien für Menschen mit Reichweite und Bock auf Zukunft.

Zum Ablauf: Ihr lest erst die guten Nachrichten und rutscht dann auf denen wie von allein und ohne es recht zu merken in unser luxuriös glitzerndes Thema des Monats hinein.

Die guten Nachrichten

Wählen hilft: Der größte Teil des Amazonas-Regenwalds liegt in Brasilien. Das war zuletzt alles andere als zu seinem Vorteil: Der ultrarechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro setzte reihenweise Schutzmaßnahmen außer Kraft und rief sein Volk quasi zur illegalen Abholzung auf, mit verheerenden Konsequenzen (Öffnet in neuem Fenster). Unter Brasiliens neuem Präsidenten Lula da Silva, der den Schutz des Amazonas zu einem seiner Wahlversprechen gemacht hatte, ist die Entwaldung in den ersten fünf Monaten diesen Jahres um über 30% zurückgegangen. (Öffnet in neuem Fenster) Und Brasilien ist damit nicht allein: Auch Kolumbien vermeldet den größten Rückgang von Entwaldung und Waldbränden seit zwanzig Jahren. (Öffnet in neuem Fenster)

Wir bleiben im Amazonas: In Ecuador ist in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit das Ende der Ölförderung im Yasuní-Nationalpark beschlossen worden (Öffnet in neuem Fenster). Das ist ein unerwartet klarer Sieg für das größte Naturschutzgebiet des Landes und eine der artenreichsten Regionen der Erde. Nicht nur ist es weltweit das erste Mal, dass eine Volksabstimmung dazu führt, dass eine bereits laufende Ölförderung eingestellt und rückgebaut werden muss. Auch die Deutlichkeit des Ergebnisses ist angesichts einer wie gewohnt sehr gut finanzierten Gegenkampagne der Öl-Lobby historisch. Hier wurde ein Zeichen gesetzt, das weit über die Grenzen des Landes hinaus Auswirkungen haben wird.

Und wo wir bei historischen ersten Malen sind: Im US-Bundesstaat Montana hat eine Gruppe junger Menschen gegen die sehr fossilfreundliche Politik ihrer Regierung geklagt - und jetzt vom zuständigen Gericht in jedem Punkt der Anklage recht bekommen (Öffnet in neuem Fenster). Montana ist einer von wenigen Bundesstaaten der USA, in denen die Verfassung ein Recht auf eine saubere Umwelt festschreibt; der Prozess allerdings war einer der ersten seiner Art. "Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen zum Klimawandel, die jemals von einem Gericht gefällt wurde", sagt der Klimajurist Michael Gerrard (Öffnet in neuem Fenster) von der Columbia-Universität dazu – man darf hoffen, dass viele weitere folgen werden.

Und jetzt einfach weiterlesen. Danke.

Manche sind eben gleicher

Insta-Post von Kylie Jenner und ihrem Lebengefährten zwischen zwei Privatjets - "Sollen wir deinen oder meinen nehmen?"

Wir haben vermutlich alle schon viel gehört und gelesen darüber, wie die Verantwortung für die Überhitzung des Planeten ungleich verteilt ist – unter den Ländern, und, so zeigen jüngere Forschungen, auch und noch mehr über Ländergrenzen hinweg unter den Einkommensgruppen: Je luxuriöser der Lebensstil, desto zerstörerischer ist er für unsere Lebensgrundlagen (Öffnet in neuem Fenster), und zwar exponentiell.

Es gibt wirklich gute Argumente dafür, diese Erkenntnisse bei Fragen der Verteilungs- und Verursachergerechtigkeit mitzudenken und bei der Gestaltung politischer Maßnahmen weniger das Wo und mehr das Wer der Emissionen scharfzuschalten. Um das ein bisschen zu konkretisieren und zu veranschaulichen, sei hier ein Blick aufs Fliegen geworfen. Zwei zentrale Fakten (Öffnet in neuem Fenster):

  1. Der Flugverkehr verursacht zwar “nur” ca. 3 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes (immerhin mehr als ganz Japan in 2021 (Öffnet in neuem Fenster)), ist aber wegen des Ausstoßes weiterer in großer Höhe ebenfalls klimawirksamer Stoffe für insgesamt ca. 5 Prozent der Klimawirkung (Öffnet in neuem Fenster) der weltweiten Emissionen verantwortlich.

  2. Kaum jemand fliegt.

Ja, richtig, kaum jemand fliegt.

Wie kann das sein? So kann das sein: Ein Prozent der Menschheit verursacht die Hälfte aller Emissionen aus dem Flugverkehr. 80 Prozent der Menschheit hat noch nie in einem Flugzeug gesessen.

https://twitter.com/superredaktion/status/1696153677017309334 (Öffnet in neuem Fenster)

Und wenn wir uns in Richtung der 0,1 reichsten Prozent der Menschheit bewegen, wird die Diskrepanz in den Emissionen zwischen Reich und Rest noch um ein Vielfaches abstruser, und zwar ungefähr um den Faktor 10.000 (Öffnet in neuem Fenster). Tendenz steigend – Privatjets wurden unter Corona das Wohnmobil-Äquivalent der Sehr-viel-besser-Verdienenden (Öffnet in neuem Fenster).

Wer’s kaputt macht, soll es bezahlen.

Ja aber wenn der bei weitem größte Teil des Problems auf die Kappe von ganz wenigen und obendrein sehr privilegierten Leuten geht, die sehr viel fliegen, dann machen wir das doch einfach so, Verursacherprinzip, ist ja nur logisch: Progressive Vielfliegersteuer!

Der erste Flug im Jahr kostet nur das Ticket, der zweite 10% extra, der nächste 20%, irgendwie so, und die besonders schädlichen Langstreckenflüge nochmal mehr. So kommt man bei Sehrvielfliegenden sehr schnell in Bereiche, die selbst für die Wohlhabendsten unter ihnen schmerzhaft genug wären, um ernsthaft über Verhaltensänderungen nachzudenken.

Das Schöne daran: Anders als bei einer pauschalen Besteuerung über einen CO2-Preis sind dann die Leute, die das am stärksten trifft, diejenigen mit den mobilsten Lebensstilen. Eine Studie (Öffnet in neuem Fenster) des International Council on Clean Transport zeigt: Die 121 Milliarden Dollar, die so eine Steuer jährlich einbringen könnte, um sie in den zukunftstauglichen Umbau des Flugverkehrs und die Schaffung besserer, weniger emissionsinvensiver Alternativen zu investieren, würden zu 81 Prozent von denjenigen getragen, die mehr als sechs Flüge pro Jahr machen - das sind 2 Prozent der Weltbevölkerung, und zwar tendenziell die mit dem meisten Geld.

Und wenn die davon genervt sind, haben sie auf einmal noch viel mehr Gründe, ihren beträchtlichen Einfluss und ihre beträchtlichen Vermögen in die Entwicklung von Zukunftstechnologien für sauberes Fliegen zu investieren anstatt in planetenzerstörerische Ausbeuterei von James-Bond-schurkiger Unglaublichkeit.

https://twitter.com/superredaktion/status/1696154024997736885 (Öffnet in neuem Fenster)

Wer aber bloß einmal im Jahr Familie im Ausland besuchen fliegt, oder von uns aus auch nach Malle, bleibt unbetroffen. Win-win. Da kann ja wohl nur eine winzige (wenn auch sehr mächtige) Minderheit was gegen haben.

Wenn nur die flammendsten Verteidigerinnen und Verteidiger glamouröser Lebensstile nicht oftmals diejenigen wären, die sie sich nicht leisten können - und damit sei jetzt die Kurve gekriegt zu dem, was wir diesen Monat eigentlich sagen wollen:

Wir lieben Luxus. Auch den anderer Leute.

Das Bild oben zeigt einen Insta-Post von Kylie Jenner mit ihrem Partner Travis Scott (oder ist der überhaupt noch/schon wieder/schon wieder nicht mehr mit ihr zusammen?) vom Juli letzten Jahres, auf dem sie mit der schwierigen Frage kokettiert, für welchen der beiden Privatjets sie sich heute entscheiden sollen. Kylie fliegt gern, auch wenn es mal nur 60 Kilometer sind.

Für diese demonstrative Dekadenz gab es einiges an Gegenwind (Öffnet in neuem Fenster), Kylie hatte sich das sicher nicht so vorgestellt, dass man sie für diesen Post lautstark als Klima-Verbrecherin bezeichnen würde. Aber: Es gibt auch über 8 Millionen Likes, von über 8 Millionen Menschen, unter denen der Anteil an Privatjet-Besitzenden sich nicht einmal im Promillebereich bewegen dürfte.

Exzessiver Luxus ist ein Sehnsuchtsort. Wir sind besessen von opulenten Lifestyles. Wir verzeihen den Superreichen ihren weltzerstörerischen Exzess, bewundern sie sogar dafür, weil sie für uns den Traum leben. Daher stellen sich Menschen, die in Kulturen sozialisiert sind, in denen Reichtum idealisiert wird, oft gegen Maßnahmen, die das Leben der Reichen regulieren sollen, beschreibt der schwedische Mobillitätsforscher Stefan Gössling (Öffnet in neuem Fenster).

Gleichzeitig sind es die Reichen, die in Lebensstil und vor allem Investitionskultur einen der allergrößten Hebel überhaupt in der Hand haben, das Steuer herumzureißen und die Welt auf Kurs in eine gute Zukunft zu bringen: Laut einer Oxfam-Studie (Öffnet in neuem Fenster) könnte man mit den jährlichen Emissionen, für die ein Durchschnittsmilliardär durch seine Investitionen verantwortlich ist, 16 Millionen mal die Erde in einem Privatjet umrunden.

https://twitter.com/superredaktion/status/1696155220043005958 (Öffnet in neuem Fenster)

Jede Regulierung, jeder Anreiz, der hier gezielt gesetzt wird, bietet gigantisches Potential, da muss was passieren. Aber offenbar ist die Tatsache, dass wir kulturell vorgeprägt sind, glasige Augen zu bekommen, wenn jemand in einer Limousine an uns vorbeirauscht, einer der wesentlichen Steine, die uns dabei im Weg liegen.

Und jedes Bild, das wir von uns am Tropenstrand, von uns am Flughafen auf dem Weg zum Dreh, von uns in dicken Autos posten, zahlt ein auf diese schädliche Art der Inszenierung von Glamour und Status; je größer unsere Reichweite desto doller.

A new kind of glamour

Aber was, wenn Paris Hilton plötzlich ein Bild von sich postete, wie sie sorgfältig frisiert die Gangway eines CO2-neutralen Kreuzfahrtschiffs (Öffnet in neuem Fenster) hinabschwebt anstatt die ihres Jets? Was, wenn Kylie und Travis sich auf Insta ergriffen vor ihrer jüngst mit einer Solaranlage ausgestatteten Luxusvilla umarmten? Was, wenn sauberer anstatt schmutziger Luxus in Branding und Selbstinszenierung der internationalen High Society Eingang fände? Wenn wir nun schonmal die High Society mit all ihrer Reichweite bis in unsere Träume hinein haben und sie vermutlich nicht von heute auf morgen enteignen werden?

Das wäre schön für die Verkleinerung der Schuhgrößen einiger frankreichgroßer Fußabdrücke. Doppelt schön und am Ende vielleicht noch konsequenzenreicher wäre es für unser Bild davon, wie Luxus und ein erfülltes Leben auch aussehen können - etwas, dem man nacheifern kann, ohne dabei in fröhlich-ignoranter Dekadenz der Abschaffung unserer Zukunft entgegenzurennen.

Wir brauchen nicht noch mehr Selbstportraits vor Flugzeugfenstern und Tropenkulissen. Wer ohne fliegen und Tropen nicht auskommt, bittesehr, aber man muss sich ja nicht noch öffentlich damit schmücken. Wenn es nicht anders geht: Tut halt Schlechtes und sprecht nicht darüber!

Was wir hingegen gut gebrauchen könnten: Bilder von berühmten Menschen, denen es gelingt, Glamour, Luxus und Sexiness aus Zügen heraus und von Fahrrädern herab zu projizieren; von solchen, die richtig gut aussehen, wenn sie sich über die Reling eines Segelschiffs drapieren – Segelschiffe sind doch wohl mindestens so aufregend wie Jets! - oder an Stränden in Überland-Reichweite extravagante Bademode spazieren führen, während sie tierfreie Eiscreme schlecken.

An einem solchen Paradigmenwechsel, einer solchen Umdeutung von erstrebenswertem Luxus ohne großes Gutmenschentamtam können alle arbeiten, die privilegiert sind, in der Öffentlichkeit stehen, ihre eigene Marke und ein bestimmtes Bild von Weltläufigkeit und Beweglichkeit von sich pflegen.

Und nicht nur die. Bereits ein Brutto-Jahreseinkommen von 37.000$ reicht aus, um in den illustren Kreis der weltweit reichsten 10% aufgenommen zu werden – in Deutschland ist das grob gerechnet etwa die Hälfte der Bevölkerung (Öffnet in neuem Fenster). Für das reichste 1% hingegen braucht es nicht nicht viel mehr als eine sechste Stelle in der Zahl.

Wie es angesichts dieser Daten aus dem jüngsten World Inequality Report (Öffnet in neuem Fenster) der Autor Ketan Joshi formuliert (Öffnet in neuem Fenster): You are someone’s Kylie Jenner.

https://twitter.com/superredaktion/status/1696155618552197125 (Öffnet in neuem Fenster)

Also. Die Richtung ist klar. Zeigen wir Kylie, wie es wirklich geht. (Öffnet in neuem Fenster)

https://twitter.com/superredaktion/status/1696155981959327960 (Öffnet in neuem Fenster)

Tipp des Monats: Climate Town

Auch wenn’s auf Englisch ist und daher vielleicht nicht so niederschwellig wie andere Dinge, die wir hier normalerweise empfehlen: Climate Town (Öffnet in neuem Fenster), der Youtube-Kanal von Rollie Williams (Öffnet in neuem Fenster), ist zu gut, um ihn unerwähnt zu lassen (und die automatisch generierten deutschen Untertitel von YouTube können bestimmt helfen, die Schwelle ein bisschen zu senken).

Logo des Youtube-Kanals Climate Town. (Öffnet in neuem Fenster)

Williams ist studierter Klimawissenschaftler und Stand-Up-Comedian. Beide Qualifikationen vereint er hier aufs Schönste: Climate Town ist oft witzig genug, um es schon allein der Gags wegen zu schauen. Zusammen mit den wasserdichten Recherchen und der anschaulichen Präsentation wichtiger Themen wird es zu einem frischen und besonderen Format, das man echt nicht verpassen sollte, wenn man sich für Klima-Angelegenheiten interessiert – und für neue Ansätze, wie man sich ihnen annähern und über sie sprechen kann.

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