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Sei mal bitte ehrlich

Der vollkommen subjektive Newsletter über Medien, Digitalgedöns und extrem viel Privatleben. Heute: Wir waren beide nicht besonders glücklich. Als wir uns endlich darüber unterhielten, war es eigentlich schon zu spät.

Es war im Beruf. Er war von der alten Schule. Ich aus der Start-up-Welt. Als wir uns kennenlernten, klickte es sofort: Er konnte mir viel beibringen über die Corporate-Welt, die mir so fremd war. Für alles gab es Ressourcen, Geld und Zuständigkeiten. Ich wiederum erzählte ihm, wie man in meiner Welt etwas ins Rollen bringt. Er sagte: Bleib noch ein bisschen. Deinen Esprit, deine Führung und dein Wissen brauchen wir hier. Ich blieb.

Esprit. Attitude. Das ist etwas, wofür ich oft gelobt werde.

Ich nehme alles, was ich anpacke, furchtbar ernst. Aber gleichzeitig finde ich das meiste total cheesy.

Nicht falsch verstehen: Ich bin irrsinnig vergrübelt, ehrgeizig und fleißig. Aber unterm Strich sind ganz viele Dinge auf der Welt, für die man strampelt – Karriere, Wissen, geiles Aussehen – am Ende des Tages halt ziemlich egal. Das finde ich sehr tröstlich. Wenn also ohnehin das meiste für’n Arsch ist, kann man auch irgendwie zusehen, dass man Spaß und Liebe in einfach allem findet. Über Humor als Überlebenstakik habe ich schon mal geschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Im Job ist das ganz gut. So eine Einstellung ist ansteckend. Ich kann also potenziell schon verstehen, warum man Bock hat, mich irgendwo dabei zu haben.

Ich kam in das Unternehmen und brachte mein Wissen und meinen Esprit mit. Für eine Weile lief das richtig gut. Dann nicht mehr.

Ich kam mit den Corporate-Strukturen nicht gut zurecht. Alles ging mir zu langsam, quoll über mit Politik und obwohl finanziell 5 Mal mehr drin war, schien alles 5 Mal schwerer zu sein. Weil ich mich recht einsam auf fremdem Terrain bewegte, wurde ich zunehmend unsicher. Über Wochen konnte ich mich selbst hilflos dabei beobachten, wie ich mich verwandelte: Weil ich nicht dazu passte, zog ich businessy Kleidung an. Weil manche die Nase rümpften, wählte ich meine Worte vorsichtig. Weil viele Mienen kalt blieben, legte ich meinen Humor ab. Ich zweifelte an meinem Wissen, weil ich es so anders vermittelte als andere Berater. Ich stellte immer weniger Fragen, aus Sorge, mein Gesicht als Profi zu verlieren. Dabei ist die richtigen Fragen stellen das, was in meinem Feld die Guten von den Laberern unterscheidet. Ich bekam kein Feedback, traute mich nicht, welches einzufordern und machte irgendwann den Mund nicht mehr auf.

Es war ziemlich wenig von mir übrig. Ich fand mich selbst noch nie so clownhaft, so albern, so unprofessionell, so ganz und gar unfähig wie in dieser Zeit.

Je mehr ich mich anstrengte, desto leerer wurden die Gesichter, die ich so sehr mitreißen wollte. Ich war so beschäftigt damit, einen guten Eindruck zu machen, dass ich total vergessen hatte, was ich brauche, um gut zu arbeiten.

Als wir endlich redeten, war es eigentlich schon zu spät. Ich wusste, dass ich raus musste – auch, wenn es sich wie Scheitern anfühlte. Entsprechend wenig überrascht war ich, als auch er gestand, dass er unglücklich war. Seine Gründe allerdings überraschten mich sehr: Es hatte doch alles so gut angefangen! Wo war die starke Person vom Anfang hin, die immer genau wusste, was zu tun ist? Die kein Blatt vor den Mund genommen hat? Genau die war es, die sie haben wollten. Ich hatte den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen. Gleichzeitig hatte mir niemand dort je ein gutes Gefühl zurückgegeben. Und das brauche ich, denn: Immer den Raum zu halten, die Gute-Laune-Bombe mit den tollen Ideen zu sein, kostet Kraft – und ein kleines bisschen Re-Invest.

Sei einfach du selbst? Authentizität ist die schwerste Sache der Welt.

Oft wird über Authentizität so gesprochen, als hinge sie ganz von einem selbst ab. Sei authentisch beim Bewerbungsgespräch. Sei einfach du selbst beim Date. Dass es aber ein bisschen Sicherheit braucht und Systeme gibt, die Authentizität schwer machen, ist die andere Seite der Medaille. 

Es ist schwer zu widerstehen, wenn Systeme (und damit auch Du und Ich) mir zuschreiben wollen, wie ich mich benehmen müsste. Als Frau soll ich meinungsstark sein, aber nicht zu rumpelig. Bestimmt, aber nie wütend. Gut gelaunt, aber nicht blödelig. Gerade gefühlvoll genug, dass wir trotzdem bei den Fakten bleiben.

Auch Männer leiden unter diesen Systemen. Insbesondere die, die introvertiert sind. Die, die wenig Bedürfnis nach Egoshows, aber dafür einen gesunden Zugang zu ihrer Gefühlswelt haben.

Es ist Glatteis, auf dem der Sturz schon vorprogrammiert ist. Die Regeln, die ich selbst verinnerlicht habe, haben mich immer wieder in meinem Leben verstummen lassen. Es hat sich nie gelohnt.

Stets wahrhaftig und integer zu sein, ist ein Akt der Rebellion. Immerhin entscheidest du dich, auf die bestehenden Regeln zu scheißen und dir dein eigenes kleines System zu bauen, in dem du gut funktionierst. Du wirst dich schnell damit abfinden müssen, dass du nicht allen gefallen wirst. Hassende werden es hassen. Ist dir der Preis zu hoch, spielst du Theater. Es gibt Wege dazwischen. Aber auch für die brauchst du Mumm.

Wie viele meiner Freundinnen habe auch ich in meinem Leben schon ein paar Male Traits in Meetings abgeguckt und ausprobiert.

Da probierte ich dann, Dinge wie die krassen Kollegen zu betonen, mich wie sie zu bewegen und Themen abzukanzeln, die gerade nicht im Fokus sind. Stichwort: Weiche Themen. Es war schockierend, wie gut das alles funktioniert hat. Im Meetingraum auf hartes Schwein zu machen, nachdem man vorm Toilettenspiegel die Hero Pose gemacht hat, ist ein exzellenter Schutzpanzer. Ich habe nur schon lange keinen Bock mehr darauf. Es gibt genug Business Larrys, die man für diese Rolle anfragen kann.

Werte zu haben, hilft massiv. Dann macht dich dein Bauch darauf aufmerksam, dass gerade etwas Falsches passiert. Wenn du dann nix sagst, riskierst du, dass etwas in dir kaputt geht.

Der Weg zur Authentizität ist lang und voller Unterbrechungen. Tagesform. Auch ich rutsche immer wieder mal aus. Dann denke ich: Ich müsste doch jetzt eigentlich so oder so sein, dies oder das tun. Bin ich mir nicht treu, ziept es in meinem Bauch. Darauf höre ich mittlerweile. Die Reaktionen sind uneingeschränkt gut. Erstaunlich: Meine Authentizität scheint auch anderen den Raum zu öffnen, wahrhaftig zu sein. Das fühlt sich gut an.

Die Hero Pose kann man übrigens schon mal machen. Ich verzichte weitestgehend auf den Rest.

Bist du wahrhaftig und dir selbst treu?

Deine
Katrin

Das war die 43. Ausgabe des bitterbösen Newsletters über Netzwelt, Medien, neues Arbeiten und extrem viel Privatleben. Lies doch ein paar alte Ausgaben (Öffnet in neuem Fenster) und sag anderen bescheid, dass es die HEISE SCHEISE gibt. Darüber freue ich mich aufrichtig.