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Das ist das Ende

Der vollkommen subjektive Newsletter über Medien, Digitalgedöns und extrem viel Privatleben. Heute geht es um das Ende.

Vor 2 Jahren beschloss ich, Trauerrednerin zu werden.

Es gab keinen initialen Moment. Eines Tages wachte ich einfach auf und dachte: Das ist es.

Es war eigentlich eine ganz pragmatische Idee. Das Jobprofil brachte alle Sachen zusammen, die mir im Laufe meines Lebens als Stärken nachgesagt worden waren. Es waren alles Dinge, die ich auch selbst am liebsten machte:

Leuten zuhören, mit ihnen sitzen, gut zu ihnen sein, sie aushalten und manchmal auch festhalten. Ihnen die richtigen Fragen stellen. Die verstorbene Person irgendwie erfassen wollen und das Timbre, den Witz oder den Ernst der Zugehörigen beim Erzählen tief aufsaugen. Die Summe aus allem dann möglichst galant in einen Text gießen.

Das ist gar nicht so leicht: Eine Rede so aufbauen, dass sie die Leute tragen kann, ihnen Raum für ihre eigenen Gefühle lässt und ihnen keine aufdiktiert. So eine Trauerrede darf die verstorbene Person zum Beispiel auch nicht zu doll beweihräuchern. Die Leute vergessen auch die Schwächen und die Streits mit der verstorbenen Person nicht. Und all das darf auch da sein.

Hast du nicht Angst, dass du weinen musst?

Als ich meinen Plan fasste und Leuten davon erzählte, wurde mir diese Frage oft gestellt. Ich sage dann: Ja, klar hab ich Angst, dass ich weinen muss. Ich bin ja auch nur ein Mensch.

Aber einerseits halte ich ja den Raum dort und das ist schon eine große Aufgabe. Die Verantwortung vergisst man auch nicht. Andererseits kommt es auch auf die Trauergemeinde an. Manchmal ist das bestimmt okay, dass man weint.

Manchmal weint man im Leben auch Tränen für Leute, die selber keine rausbekommen. Manchmal macht man für andere die Trauerarbeit, weil sie einfach nicht können. Dann trauert man für drei. Ich kann davon ein Lied singen.

Der Tod jagt mir natürlich auch irgendwie Angst ein. Da bin ich nicht anders als andere. Ich habe zum Beispiel mit dem Rauchen aufgehört, weil ich echt Schiss vor Krebs bekommen habe. Wär halt ärgerlich gewesen. Aber sonst kann ich ganz gut mit dem Tod leben. Ich glaube, das hat zum Beispiel meine Oma im Sterbebett auch gecheckt und sie hat es dann auch durchgezogen, als ich mit ihr alleine war. Obwohl zum Beispiel meine Mum viel öfter an ihrem Bett war. Oma wusste, das geht klar mit Katrin. Die lässt mich gehen. Ich hatte ihr am Morgen mein Okay gegeben. Es war eine beängstigende, aber sehr schöne Erfahrung und ich saß noch lange mit ihr, als alles schon vorbei war und streichelte sie.

Es macht das Leben reicher und schöner, wenn man den Tod in seine Gedanken reinlässt. Wirklich. Da merkt man: Fuck, das ist hier wirklich deine einzige Chance. Und selbst dieser beschissene Arbeitstag heute ist eigentlich richtig wertvoll und dieser Kaffee und die Bäckersfrau, die immer so nett grüßt.

Es gibt keine bessere Übung, im Hier und Jetzt anzukommen, als sich Websites zum Thema Bestattungsvorsorge anzusehen.

Speaking of which.

Ich wurde dann keine Trauerrednerin.

Um es werden zu können, hatte ich ein halbes Jahr lang unzählige Bücher und Artikel gelesen. Ich wollte alles lernen über Tod und Bestattung. Ich lernte, wie bescheuert und limitiert unsere Regelungen in Deutschland sind. Wie christlich geprägt unsere Gesetze und wie furchtbar intransparent die Bestattungsbranche.

Und dann wollte ich Bestatterin werden.

Und wurde es nicht. Mit Voranschreiten meiner Recherche begriff ich, dass dieser Schritt meine hart erarbeitete Work-Life-Balance ruinieren würde. Ich wäre dann automatisch nicht nur ein bisschen Sozialarbeiterin, sondern auch Aktivistin. Das ging nicht. Ich hatte mich ja 2012 schon mit angebrochenem Herzen dagegen entschieden, Journalistin zu sein.

Marketing, Workshop-Facilitation, das kann ich in meiner Freizeit ablegen wie einen Mantel. Aktivistin, Journalistin, Autorin: Das hängt dir für immer nach. Das kriegst du nie wieder los. Das nimmst du mit ins Bett. Da hast du einen Vertrag mit Blut unterschrieben.

Dieser Kampf tobt schon lange in mir. So beschloss ich, mich dem Thema von Hinten zu nähern. Ich machte das, was ich schon immer gemacht hatte.

Ich wurde selbstständige Digitalstrategin – beim Bestatter.

2022 machte ich mich selbstständig. Mein erster Kunde war die größte Bestattungskette Deutschlands: die Ahorn Gruppe. Kennen manche auch als Grieneisen. Viele Monate arbeiteten wir daran, den Tod aus der Schmuddelecke zu holen (Öffnet in neuem Fenster). Seitdem tut sich einiges im Bereich “Death Tech”. Auf einmal ist der Tod Trend. Anbieter wie Grievy, Hyli oder November ploppen hierzulande aus dem Boden. Sie wollen die Trauerarbeit und die Organisation leichter machen. Meine Erde etabliert derweil neue Bestattungsarten wie die Reerdigung, wo man sich in einem Kokon zurück in Biomasse verwandelt.

Die großen Fragen lauten: Wie sieht ein “guter” Tod aus? Wie begräbt man nachhaltig? Was will man hinterlassen? Wie entlastet man die anderen? Und wer soll ein Grab pflegen, wenn eigentlich niemand mehr bei Mutti auf dem Land lebt?

Es gibt Menschen wie Stefanie Schillmöller (Öffnet in neuem Fenster), die Markt- und Trendforschung ausschließlich zum Thema Tod, Trauer und Bestattung machen. Der junge Bestatter von @bestattungenburger (Öffnet in neuem Fenster) ist einer der größten TikToker in Deutschland. Meine ehemaligen Kunden machen das mit @dertod_undwir (Öffnet in neuem Fenster) auch sehr wholesome. Sensationslust der Teens oder aufrichtiges Interesse? Was immer ihr Beweggrund ist: Es sorgt dafür, dass endlich mal gesprochen wird über das Ende. Gut so. Immerhin betrifft es uns alle.

Ich bin keine Bestatterin geworden und werde auch keine mehr werden. Die Trauerrednerin aber – die hebe ich mir noch auf. Die reift noch ein bisschen. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihr Tag noch kommt.

Aber sag, wie hast du’s mit dem Tod?

Deine
Katrin