Komm, wir ruinieren unseren Ruf
Ich werde den Tag in 2011 nie vergessen, als ich meinen Blog löschte, weil eine Kollegin, die ziemlich viel zu sagen hatte, mein Twitter gefunden hatte. Es war ein dummer Zufall. Im Fahrstuhl fing sie mich ab, sagte: "Ich würde aufpassen, was ich dort sage. Hier will niemand, dass du über deinen Job twitterst. Lass es lieber.".
"Was ich dort sagte" war gar nicht spektakulär. Ich regte mich nie über meine Chefin oder das Kollegium auf, gab keine Interna preis und warf nie irgendwen in die Pfanne außer mir selbst. Es gab einen kleinen Running Gag über das Bangen um meine Texte in der Schlussredigatur, denn die Textchefin war sehr streng, aber auch sehr gut. Meistens war die Pointe, dass mein Artikel mal wieder in der Luft zerrissen wurde, gefolgt von einem Best-Of meiner peinlichsten Metaphern.
2011 hattest du mit Reichweite noch keinen Fuß in der Tür.
... This. Employer Branding war noch nicht erfunden, Reichweiten bei Twitter waren eher gefürchtet als gefeiert. Ich löschte also meinen Blog (er war in meinem Twitterprofil verlinkt) aus Angst, mich vulnerabel zu machen mit einer Sache, wegen der heute Leute eingestellt werden. Es war ein ziemlich dummer Impuls, aber ich wollte einfach nicht, dass der Schlag Mensch, von dem ich dort umgeben war (Stichwort "Der Teufel trägt Prada") meine Geschichten liest.
Es dauerte über 10 Jahre, bis ich mich langsam traute, die Person Katrin mit Kleinod verschmelzen zu lassen. Eine Inspiration dazu ist bis heute mein alter Kollege Gabriel (Öffnet in neuem Fenster), der Steady mitgegründet hat. Zusammen leiteten wir ein Team, es war demanding. Gabriel wurde von allen ernstgenommen, überbrachte schlechte Nachrichten – und ballerte zwischendurch die beklopptesten Gaga-Tweets der Welt ins Internet, wo ihm auch einige Kolleg:innen folgten. Je voller und schwieriger der Tag, desto häufiger und grandioser waren seine Takes. Als ich ihn mal darauf ansprach, sagte er: Irgendwo muss die Scheise in meinem Kopf ja an solchen Tagen hin. Niemand zweifelte an Gabriels Fähigkeiten oder belächelte ihn, nur weil er nebenbei seine Beklopptheit und private Interessen (aber auch mal sehr subtile Job Facts) preisgab. Gabriel macht sein Ding. Vielleicht ist es aber auch leichter, als Gaga-Mann ernstgenommen zu werden, als als Gaga-Frau. Gabriel würde jetzt vermutlich sagen: Du machst dir viel zu viele Gedanken. Nobody cares half as much as you think. Es sind doch alle mit sich selbst beschäftigt.
Ich hatte noch nie meinen Beruf in der Twitter- oder Insta-Bio. Umgekehrt poste ich zum Beispiel bis heute nicht den Link zu diesem Newsletter bei LinkedIn. Ich habe einfach noch nicht den Mumm dazu. Weil ich einfach nicht glaube, dass alle meine (potenziellen) Kunden schon bereit sind, Realness und Frechheit auszuhalten, in einer Welt, in der Buzzwords spuckende Business-Fuzzis halt immernoch die dicksten Jobs kriegen. Dabei habe ich nicht wirklich etwas zu verlieren. Der Schutzmechanismus ist ein Relikt aus alten Zeiten. Es wird Zeit, seinen Ruf endgültig zu ruinieren.
Die dicksten News – nur zum Thema P0rn!
Instagram hat den Account von P0rnhub mal wieder vorübergehend deaktiviert. 13 Mio Follower sitzen damit temporär auf dem Trockenen (ba-dum-tss). Grundsätzlich beschränkt Insta Erotikinhalte gern mit übermäßiger Vorsicht, liefert mit seinen unbegründeten Maßnahmen jedoch perfekten Nährboden für P0rn-Haters und ihre Argumente. Blöd: Medien, auch deutsche, hören ihnen dabei zu. Die Haters nutzen das sehr ernstzunehmende Problem der schluderigen Überprüfung von Uploads (und damit freier Bahn für sexualisierte Gewalt) für ihre eigenen Zwecke. Sie interessieren sich nicht wirklich für die Betroffenen, sondern intrumentalisieren sie für ihr Ziel der Abschaffung von P0rn als Ganzes. Netzpolitik (Öffnet in neuem Fenster) hat's ausführlich.
Wenn Apple neue Produkte vorstellt, gehen bei P0rnhub die Zugriffszahlen runter. Bei der Vorstellung der Apple Watch Ultra am Mittwoch waren es laut Mashable (Öffnet in neuem Fenster) 10% – und sogar eine Handvoll (ba-dum...) Android-User.
Fast 5 Milliarden Dollar haben 0nlyFans-User in die Plattform geballert (ba...) . Das macht 0nlyFans zu einem der finanziell erfolgreichsten britischen Tech Start-ups der vergangenen Jahre.
Irgendwann im Juli gab es im Medienpodcast des Deutschlandfunks einen Beitrag zur deutschen Berichterstattung über P0rn (Öffnet in neuem Fenster) und einige Journalist:innen kamen zu Wort. Ich fand den Beitrag erschreckend peinlo: Fast alle Beteiligten sind wirklich super klemmi und woll(t)en ihr geiles Standing in der Journaille nicht mit Schmuddelthemen versauen. Ich selbst handle da eher nach dem Prinzip "Ist der Ruf erst ruiniert". Auch wenn die meisten meiner Top-Artikel aus der Zeit beim Frauenmagazin ("10 Fakten über den Penis, die Sie noch nicht wussten") leider online nicht mehr zu finden sind. Lies stattdessen nach, wie ich den ersten öffentlich-rechtlichen P0rn0 (Öffnet in neuem Fenster) schaute.
Ich beende diesen Newsletter mit diesem extrem großartigen P0rn-Intro, das mich lange nicht losließ. Ich finde immer wieder ein neues, tolles Detail!
Das war die 19. Ausgabe des vollkommen subjektiven Newsletters über Medien, digitales Gedöns und extrem viel Privatleben. Abonniert und empfehlt HEISE SCHEISE (Öffnet in neuem Fenster) euren kleinen Freundinnen und Freunden!