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3 Leitplanken für den Klimakampf 2.0: Mehr als “nur” prepping for future!

Source: ideogram.ai. Prompt: “climate struggle 2.0: justice within catastrophe”. It subordinated the CJN!-slogan all by itself.

26.09.2024

Liebe Leute,

die “Zeitenwende” im ökologischen gesellschaftlichen Feld, und damit auch der endgültige Move weg vom selbstentmächtigenden, appellativen Klimaaktivismus 1.0, hat begonnen.

Anders kann man den Rücktritt des gesamten Grünen-Vorstands und die Reduktion der Partei auf einen Robert-Wahlverein, den Parteiaustritt des gesamten Parteijugendvorstands, und, aus Bewegungsperspektive, den bundesweiten Flop des letzten “großen Klimastreiks” (20.09.2024) kaum erklären. Erstens kamen die Massen nicht, weil in der Klimabewegung mittlerweile die Auseinandersetzung mit dem eigenen politischen Scheitern selbst verdrängt wird (und wenn ich etwas verdränge, gehe ich ja nicht zu Events, die mich jede Sekunde daran erinnern, was ich verdrängen will), zweitens und hauptsächlich kamen sie aber nicht, weil der Claim der Fridays – kommt zum Klimastreik, dann gibt's irgendwann auch Klimaschutz – einfach nicht mehr glaubwürdig ist. Keine auch nur ansatzweise reflektierte Klimaaktivistin, mit der ich rede, glaubt noch daran, dass wir mit unseren Demos, Aktionen und was weiß ich noch Gesellschaft, Regierung und Kapital zu signifikantem Klimaschutz jenseits der natürlich immer möglichen Verhinderung Autobahn hier oder eines Gasterminals dort bewegen können.

Mehr Wege als einen

So mäßig sich der vergangene Freitag aber auch für die Organisator*innen und viele der Teilnehmenden angefühlt haben mag, so gut und wichtig ist es, dass wir diese alten Formate hinter uns lassen (oder sie zumindest anders nutzen: zum Beispiel zum gemeinsamen Kollapsakzeptanz-Entwickeln). Denn die alten Formate produzieren nicht mehr das, wovon Aktivismus lebt, und was gleichzeitig sein wichtigstes Produkt ist: Selbstwirksamkeit, Handlungsfähigkeit, kollektive Selbstermächtigung. Er produziert seit geraumer Zeit vor allem sein Gegenteil, er ist entmächtigend, ein Downer. Ich bin überzeugt, dass der Abstieg und die numerische Implosion der Klimabewegung im Kern darauf zurückzuführen ist, dass sich die meisten Menschen durch die Teilnahme an unseren Aktivitäten (Demos, Camps, Aktion, etc.) nicht gut, stark, eingebunden fühlen, sondern schlecht, schwach und marginalisiert. Das ist Gift für Bewegung.

Letztes Jahr fuhr ich nach Schweden, und erlebte dort die Genoss*innen von Preppa Tillsammans (Öffnet in neuem Fenster) und ihr spannendes “Stop the Bleed”-Modul, und fand dadurch wieder einen Weg zur Handlungsfähigkeit in der Klimakatastrophe: diese Katastrophe selbst als strategischen Raum anerkennen, und darin Handlungsoptionen erschaffen, die starke soziale Beziehungen erschaffen, die Communities sowohl in der als auch gegen die Katastrophe stärken, die Resilienz schaffen, ob gegen faschistische Angriffe, oder sozio-ökologische Globalkrisen und ihre lokalen Ausläufer. “Solidarische Kollapspolitik” war für mich der erste konkrete Beweis klimaaktivistischer Handlungsfähigkeit im Kollaps, und beeindruckte mich so sehr, dass ich seit einem Jahr nicht mehr aufgehört habe, darüber zu reden.

So, und jetzt mal ein ganz krasser Gedanke: was, wenn meine Antwort auf die Frage nach der Handlungsfähigkeit im Kollaps – Fokus auf konkrete Folgen der Klimakatastrophe, Entwicklung von Bewegungsstrategien, die die Katastrophe als neuen Normalzustand in den Blick nehmen – NICHT DIE EINZIG MÖGLICHE UND RICHTIGE IST? (scared face emoji, scared face emoji, scared face emoji)

Eine neue Wasser.Land (Öffnet in neuem Fenster).Bewegung

Eine mögliche Antwort ist auch die, die gerade von tollen Menschen aus dem Umfeld des Klima*Kollektiv (Öffnet in neuem Fenster) formuliert wird (danke, Alex, für Deine Hilfe bei diesem Text): die setzen darauf, eine breite lokal verankerte Wasserbewegung in Deutschland (Öffnet in neuem Fenster) aufzubauen, inspiriert unter anderem von den indigenen nordamerikanischen “water defenders”, die sich in den vergangenen Jahren sehr beeindruckend und effektiv gegen den Ausbau von Gaspipelines auf indigenem Land gewehrt haben, und der Soulévements de la Terre in Frankreich, deren Kämpfe eben nicht nur durch die beeindruckende (unter anderem, weil offensichtlich gesellschaftlich legitimierbare) Nutzung von Sabotagetaktiken (sie nennen das “Entwaffnung”) gekennzeichnet sind, sondern die sich auch durch eine starke Verbindung zum Wasser, eben als Verteidiger*innen des Wassers für die Menschen und gegen das Kapital hervortun.

Mögliche Kampffelder/flashpoints einer solchen Bewegung gibt es natürlich viele im Kontext ständig eskalierender Dürren und dadurch immer stärker eskalierenden Kämpfe darum, wer unter welchen Bedingungen (zu welchen Preisen, zu welchen Tages-, zu welchen Jahreszeiten, etc.) Zugang zu dieser lebens- (und landwirtschafts-, und industrieproduktions-, etc.) notwendigen Ressource hat: während in Frankreich eben die berüchtigten “Megabassines” gebaut werden, gegen die sich die Soulévements und ihre Verbündeten wehren, haben wir es hier in Deutschland unter anderem mit der Frage zu tun, wer das Restwasser in Rhein, Elbe und Spree benutzen darf. Z.B. hat die Spree ja schon seit langer Zeit richtig wenig Wasser, und in Bälde wollen die Betreiber der stillzulegenden Kohletagebaue in der Lausitz noch mehr Wasser aus der Spree abzapfen. Dieses Wasser soll wohl aus der Elbe kommen, aus Sachsen, und um das in den Norden zu pumpen, soll ein riesiges Set von Pipelines gebaut werden. Aber wer wohnt auf dem Land, durch das die Pipelines laufen? Finden wir es ok, das öffentliches Wasser privatem Nutzen zukommt, ohne, dass die privaten Betreiber dafür ordentlich latzen müssen? Gibt es in der Elbe überhaupt genug Wasser, um die Tagebaue zu füllen, und den Fluss in einem einigermaßen resilienten Zustand zu hinterlassen? Wie finden das die Landwirt*innen in Sachsen? Und weil auch im Rheinischen Kohlerevier oder in Bayern neue Wasser-Pipelines gebaut werden sollen: Wie sähen eigentlich regionale Lösungen für die Wasserkrise aus statt mit neuen Technofixes Problemverdrängung zu betreiben? In der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um die existenzielle Ressource Wasser in der Klimakrise liegt vielleicht das Potenzial für eine neue breite soziale Bewegung und Praxis jenseits von bestehender Polarisierung.

Ich bin jetzt mal ganz offen: sehr viel detaillierter kann ich das bisher nicht erklären, ist derzeit nicht das Feld, über das ich megaviel nachdenke. Aber spannend finde ich es auf jeden Fall, war am Samstag auch bei einem sehr spannenden Treffen dazu: also zum Projekt “Bewegung für Wassergerechtigkeit aufbauen”.

Leitplanken des Klimakampf 2.0

Bei diesem Workshop bekam ich mich dann auch gleich mit einem alten Freund in Bisschen in die Haare, der mir nochmal – vollkommen berechtigterweise – meine etwas unproduktiv-exklusive Fixierung auf eine ganz bestimmte Form der aktivistischen Anpassung an die Realität der Katastrophe vorwarf. Seine These: der Kampf für Wassergerechtigkeit unterscheidet sich stark von dem, was ich mittlerweile als den verlorenen appellativen “Klimakampf 1.0” kritisiere, und hat einige wichtige Elemente gemeinsam mit der solidarischen Kollapspolitik und anderen katastrophenadäquaten Praxen. Er isch nich over, wie es der Klimaschutz ist. (Es gibt auch Freund*innen und Genoss*innen, die das über die Vergesellschaftungs (Öffnet in neuem Fenster)-Agenda mancher linker und linksradikaler Akteure sagen, aber da bin ich ehrlich gesagt einen Zacken skeptischer.)

Also begann ich mir Gedanken zu machen, was dieses Feld “Klimakampf 2.0: Handlungsfähigkeit und Solidarität in der Katastrophe” eigentlich ausmacht, und wollte diese Gedanken mit Euch teilen. Sie sind noch ziemlich schematisch, wie so ziemlich Alles, was in diesem Feld gerade gesagt und gedacht wird, weil es ja ziemlich neu ist, und Alles, was wir in ihm tun, auch erstmal den Charakter von “trial-and-error” hat.

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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung

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  1. Klimakampf 2.0 ist nicht appellativ. D.h., in seinem Wirken geht er zunächst nicht davon aus, dass es Institutionen, Akteure oder Mechanismen gibt, die sein Wirken erweitern oder “hebeln”. Das bedeutet natürlich, dass sein Wirkradius eingeschränkt ist – viele fragen: “aber wo ist da die gesamtgesellschaftliche Perspektive?”, und ich antworte: “naja, die ist halt vorerst verloren, weil wir da keine Hebel haben.” - aber es bedeutet auch, dass er nicht ständig Gefahr läuft, Entmächtigung zu produzieren, weil die Stelle, die aufgefordert/gebeten wird, etwas umzusetzen, das sie umsetzen sollte, darauf halt keinen Bock hat. Der Punkt “nicht-appellativ” ist gleichzeitig strategisch und affektiv: wir müssen auf Ebenen kämpfen, auf denen wir Dinge erreichen und uns stark fühlen können, sonst können wir auch einfach einpacken.

  2. Klimakampf 2.0 findet in einer endlichen Welt statt. D.h., dass wir die Wahnvorstellung der kapitalistischen Moderne hinter uns lassen, dass auf einem endlichen Planeten der Wohlstand immer weiter wachsen könnte, dass es, zumindest theoretisch, von Allem immer mehr geben könnte (vgl. zum Beispiel, für Linke, die Idee vom “fully automated luxury communism”). Wie auch immer man sich hier philosophisch verorten will, klar ist, dass das Überschreiten planetarer Grenzen – for the time being 7 von 9 (Öffnet in neuem Fenster) – dazu führen wird, dass gesellschaftliche Konflikte im Kontext von “weniger zu verteilen” stattfinden werden. Dieses “Weniger” solidarisch zu gestalten, und nicht immer nur die Konflikte zu verschieben, indem man entweder hofft, dass von irgendwo “mehr” kommt, oder dieses “mehr” Anderen wegnimmt, wird unsere Aufgabe der Zukunft sein.

  3. Klimakampf 2.0 beinhaltet upskilling. Nehmt mal die politische Strömung innerhalb der radikalen Linken, zu der ich gehöre, die sog. “Postautonomen”: “wir” entstehen in den 90ern als Reaktion auf das, was wir bei den Autonomen als ihren exzessiven Selbstbezug (eben: auto-nom; “Politik der ersten Person”; Freiräume schaffen, etc.) wahrnahmen. Mein Team (zu dem ich damals noch nicht gehörte, war zu jung und zu weit weg) sagte: “Hey, wir müssen nicht alles selbst machen, wir wollen auch mit anderen was machen, außerhalb der linksradikalen Subkultur. Wir müssen unsere Praxen für andere öffnen, Einstiegsbarrieren reduzieren, mehr in die Gesellschaft intervenieren, und das geht natürlich nur, in dem man wieder mehr und aktiver Teil von ihr wird.” Das basierte auf der Annahme, dass viele unserer Positionen (zum Wohnen zur Atomkraft zu Care-Arbeit) durchaus mehrheits-, durchaus hegemoniefähig wären, würden wir sie nur richtig unter die Leute bringen. Zu dem Projekt stehe ich weiterhin, aber wir müssen anerkennen, dass es in im Zeitalter der Arschlochisierung immer unwahrscheinlicher wird, dass linksradikale Positionen mehrheitsfähig sein könnten; außerdem muss ich nach vielen Jahren postautonomer Aktionsdominanz eingestehen, dass eine der Kritiken der Anarchoautonomen an den großen IL-Style-, 5-Finger-Aktionen absolut zutraf: wir haben dazu beigetragen, eine Generation von “de-skilled” Aktivist*innen zu produzieren (hier nehme ich die Waldbesetzungen aus, die kommen ja auch eher aus dem anarchistischen Spektrum), die vieles nicht mehr “selbst” machen kann. Das müssen wir ändern, unsere Bewegungspraxen müssen immer auch unsere Fähigkeit erweitern, in der Katastrophe zusammen gut überleben zu können.

So, dabei belasse ich es erstmal, und würde mich freuen, Eure Gedanken dazu zu hören.

Mit postappellativen Grüßen,


Euer Tadzio

Kategorie Klimakampf 2.0

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