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Genoss*innenbeitrag: Vom Antikohlekampf zur Vergesellschaftung als Klimastrategie

Liebe Leute,

heute der 2. Genoss*innenbeitrag auf dieser Platform, und wieder ist es einer, über den ich mich wirklich sehr freue: Lasse Thiele vom Konzeptwerk Neue Ökonomie hat sich freundlicherweise bereiterklärt, seine auf Twix artikulierte These, dass in der “Vergesellschaftung”-Strategie der Interventionistischen Linken and friends und einer wachsenden Zahl gesellschaftlicher Akteure ein interessantes neues Praxisfeld, und eine Erzählung, für die schwächelnde Klimabewegung liegen könnte.

Da er freundlicherweise auch gleich eine schöne Einleitung dazu geschrieben at, without further ado, Genoss*innenbeitrag Nr. 2: ergibt das mit dem “Produktionsmittel enteignen” eigentlich noch Sinn? Danke, lieber Lasse, dass Du Dir die Zeit genommen hast.

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Kohlekämpfe 2.0 – Vergesellschaftung!? (Öffnet in neuem Fenster)

Vor kurzem trafen sich über 300 Aktivist*innen zur „Let’s Socialize“-Konferenz am Werbellinsee, um über Ve (Öffnet in neuem Fenster)rgesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit zu diskutieren und konkrete Projektideen in den vier Sektoren Energie, Care, Landwirtschaft und Mobilität zu entwickeln. Diverse dort entstandene oder weiterentwickelte Ansätze werden hoffentlich noch von sich reden machen, an dieser Stelle soll es um einen konkreten Aspekt im Bereich Energie gehen: die Vergesellschaftungsfrage in Bezug auf die Überreste der Braunkohleindustrie und eine mögliche Revitalisierung der (Anti-)Kohlekämpfe. Diesen Impuls habe ich letzte Woche in sehr kurzen Worten auf Twitter/X in die Echokammer gestellt (Öffnet in neuem Fenster), woraufhin Tadzio mich bat, die Sache noch mal vernünftig auszubuchstabieren. Um euch keinen zu heftigen Stilbruch auf seinem Blog zuzumuten, schreibe ich auch mal in Ich-Perspektive und schiebe das Argument „Authentizität“ vor, um uns beiden größere Redigieranstrengungen zu ersparen. So here we go.

Vor mittlerweile 2,5 Jahren tauchte „RWE & Co. Enteignen (Öffnet in neuem Fenster)“ auf, zunächst, wie es schien, als Internetkampagne, die sich in zeitlicher Nähe zum DWE-Volksentscheid in Berlin den populären Slogan aneignete und der Klimagerechtigkeitsbewegung servierte. Ich muss zugeben, dass ich lange Zeit skeptisch war, was da nun zu holen sein sollte: RWE ist ja in großen Teilen formal schon in öffentlicher Hand, was die Sache der Klimabewegung historisch eher erschwert hat (da klamme Kommunen und das Land NRW an Wohl und Wehe des Konzerns hängen), und die Aussicht auf die Aneignung der – hoffentlich sehr bald – fossilen stranded assets des Ladens schien auch mäßig attraktiv. (Andiskutiert habe ich die Frage 2022 im Anschluss an die erste Vergesellschaftungskonferenz mit Selana Tzschiesche und Simon Toewe hier - Teil 1 (Öffnet in neuem Fenster)- und hier (Öffnet in neuem Fenster)- Teil 2 (Öffnet in neuem Fenster). Tatsächlich diskutiert RWEx die Vergesellschaftung des gesamten Energiesystems, das natürlich auch in NRW weit über RWEs Braunkohle hinausreicht.)

Nach Diskussionen mit Menschen der RWEx-Initiative einerseits und Aktiven aus den ostdeutschen Kohlerevieren andererseits auf der jüngsten Konferenz stelle ich zwar fest, dass wir alle letztlich diese Ambivalenzen teilen und viele inhaltliche Fragen offen sind; dennoch haben sich für mich bewegungspolitisch deutlich hoffnungsvollere Perspektiven aufgetan, die ich hier einmal skizzieren will.



Jahrelanger Kohlefrust

Seit dem 2020 erfolgten bundespolitischen Beschluss zum Kohleausstieg hat mich die ernüchternde Feststellung verfolgt, dass die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung nicht so richtig von der Braunkohle wegkommt, also von dem Konflikt, in dem sie groß geworden ist. Nicht nur schien der politische Prozess abgeschlossen und das präzise Ende der Kohleverstromung jetzt eher von Faktoren wie europäischen Emissionspreisen und Erneuerbaren-Ausbau abhängig als von effektiven Protesten, sondern auch das transformative Potenzial ist in Bereichen wie Mobilität, Landwirtschaft oder Wohnen & Wärme eigentlich größer, weil der Alltagseinfluss jeder relevanten Klimapolitik dort viel einschneidender ist (oder: wäre) als im Stromsektor, wo Verbraucher*innen letztlich die austauschbare Ware Strom aus der Steckdose beziehen, egal wo und wie sie produziert wird. (Das mag sich mit zukünftigen „intelligenten“ Haushalts-Verbrauchssteuerungssystemen ein bisschen ändern, aber gesellschaftliche Beziehungsweisen wird auch das eher weniger berühren.) Tatsächlich wurde der politische Prozess in NRW dann ja 2022 sogar noch einmal aufgeschnürt, aber das auch nur in einem Deal, der RWE noch mal ein paar Subventionen zuschustert im Tausch gegen die Zusage, dass sich der Konzern die absehbaren Verluste aus dem Kohlegeschäft in den 2030ern auch wirklich erspart.

Wir waren als Bewegung ab 2020 in der paradoxen Situation, dass der Kohleausstieg zwar absehbar früher kommen würde als politisch beschlossen (also vor 2038), das aber aus ökonomischen Gründen, auf die wir keinen direkten Einfluss hatten und haben würden – während der politische Beschluss wiederum einer Austarierung von Interessen unter augenscheinlicher Auslassung der Klimabewegung entsprach. Der Kohleausstieg 2038 wäre wohl in Abwägung von Standort-, Länder-, Gewerkschafts- und Konzerninteressen genauso beschlossen worden, wenn es keine Klimabewegung gäbe und sich absolut niemand in der Kohlekommission überhaupt für die Klimazerstörung durch Braunkohle interessiert hätte. (Mittelbar, über den in im deutschen Entscheidungsprozess als äußeren ökonomischen Faktor rezipierten EU-Emissionspreis, spielte Klimapolitik hier natürlich schon eine Rolle.) Über die Situation 2020 habe ich hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster) mehr geschrieben.

Obwohl also kohlepolitisch kaum noch etwas zu holen schien, blieb die breitere Bewegung der Braunkohle emotional verbunden. Klimaproteste zu anderen Themen – rund um die IAA in Frankfurt und München oder gegen LNG in Norddeutschland – mobilisierten nur einen Bruchteil der Aktivist*innen, die regelmäßig Tagebaue gestürmt und Kohlekraftwerke blockiert hatten. Ob es Gewohnheit war oder die dramatische Kulisse an den Orten der Zerstörung: Der Bewegung gelang es, sich auszudifferenzieren, aber kaum noch große gemeinsame Momente zu schaffen.

Sinnbildlich passt dazu, dass 2022/23 Lützerath zu einem in der Größenordnung wohl von den wenigsten realistisch erhofften Kristallisationspunkt wurde – als „die letzte Schlacht um die Kohle“ – und danach bei vielen umso größere Ernüchterung einkehrte: Wieder viel mobilisiert, viel Bewegungsaufbau geleistet, aber im Ergebnis war Lützerath ausradiert und RWE baggert wie geplant weiter. In den ostdeutschen Kohlerevieren war indes seit der erfolgreichen Rettung des Dorfes Pödelwitz am Tagebau Vereinigtes Schleenhain im Leipziger Revier quasi gar kein Widerstand mehr öffentlich wahrnehmbar. (Nach Mühlrose in der Lausitz reisen ab und zu Journalist*innen, um eine vorhersehbare Reportage vom trostlosen Ort am Abgrund zu liefern und einzelne Bleibewillige zu interviewen, und die Grüne Liga beharkt sich weiter unermüdlich mit der LEAG – but that’s largely it.)



Zukunft der Reviere: Wer zahlt, wer kassiert?

Doch in allen drei Revieren spielt sich jetzt ein ähnliches Skript ab: Es ist klar, dass die Aufarbeitung der krassen ökologischen Zerstörung durch die Tagebaue Jahrhunderte dauern wird, und zwar wortwörtlich Jahrhunderte, also eine Zeitspanne, in der kein kapitalistischer Betrieb plant (und die die wenigsten Firmen überhaupt überleben). In der Fachsprache ist von „Ewigkeitskosten“ die Rede. Zuständig dafür wären eigentlich nach dem Verursacherprinzip juristisch die Konzerne, die jahrzehntelang von der Kohle profitiert haben und das zuletzt dank Energiepreiskrise phasenweise auch noch mal taten. Doch kaum jemand glaubt, dass RWE, LEAG und Mibrag (Letztere, im Lausitzer bzw. Leipziger Revier aktiv, gehören beide der Holding EPH des tschechischen Milliardärs Křetínský) für diese Kosten ernsthaft aufkommen werden.

Alle Konzerne bemühen sich seit Jahren darum, ihre Braunkohlesparten sauber so auszugliedern, dass Mutterkonzerne und die restlichen, profitableren Sparten nicht für Kohleverluste haftbar gemacht werden können. Die Mibrag wurde kurz nach der Übernahme durch die EPH bereits erheblich finanziell ausgeblutet, sodass kaum noch Rückstellungen übrig sein dürften. Seit Jahren sind auch Klagen über das Verhalten der ostdeutschen Kohle-Landesregierungen zu hören, die von den Konzernen mutmaßlich nur unzureichende Sicherheitsleistungen einsammeln – und zu der Thematik grundsätzlich höchste Geheimhaltung walten lassen. (Zusammengefasst wird das Elend ganz anschaulich in dieser (Öffnet in neuem Fenster) aktuellen Broschüre von re-set und der Grünen Liga). Der Horizont ist absehbar: Die Kohleunternehmen per se gehen mit dem Ende der Kohleverstromung pleite, die Rest-Energiekonzerne sind fein raus und die Öffentlichkeit (vulgo „der Steuerzahler“, ihr kennt ihn aus Funk und Fernsehen) kommt für die Ewigkeitskosten auf.

Gleichzeitig nutzen dieselben Konzerne bzw. andere Tochterfirmen, mit denen undurchsichtige Joint Ventures gestartet werden (wohl auch, um am Ende Gewinne privatisieren und Verluste sozialisieren zu können), die riesigen für die Tagebaue angeeigneten Flächen, um massiv in Erneuerbare zu investieren. Manche dieser Pläne sind längst in Umsetzung, andere wie die Lausitzer „Gigawattfactory“ werden eher für Greenwashing-Propaganda gehalten. Klar ist: Hier kann eine Menge Geld verdient werden, bei der Planung werden aber wiederum lokale Interessen ignoriert. Es ist eine Art Treppenwitz der Kohlekämpfe, dass nun auch noch dieselben Energiekonzerne versuchen, die ihnen aufgenötigte Energiewende in ihrem Interesse aufzuziehen – auf Land, das ihnen ohne bergrechtliche Sonderbefugnisse gar nicht gehören würde.

Hier zieht also mit Ansage eine Krise herauf, die mittelfristig so oder so politisch bearbeitet werden muss (wo wir also keinen theoretischen oder latenten Konflikt erst „herbeireden“ müssen) und in der die Eigentumsverhältnisse ganz offensichtlich, auch bei bürgerlichster Betrachtungsweise, ein Riesenproblem darstellen. Wir müssen die Konzerne alleine schon deswegen enteignen, um nicht ausschließlich auf den Kosten sitzenzubleiben, sondern diese durch die ertragreichen Geschäftsfelderaufwiegen zu können.

Im Osten gibt es dazu bereits interessante Entwicklungen: Die Grünen-Fraktionen der Kohleländer haben ein Konzept für eine Braunkohlefolgenstiftung (Öffnet in neuem Fenster) vorgestellt (siehe auch hier (Öffnet in neuem Fenster)), das im Grunde eine Vergesellschaftung vorsieht (bei der EE- und andere wirtschaftliche Erträge der Flächen die Ewigkeitskosten gegenfinanzieren sollen) – nur dass diese unplausiblerweise im Einvernehmen mit der EPH verhandelt werden soll. Warum sollte die ihr Tafelsilber im Tausch gegen die Befreiung von den Ewigkeitskosten hergeben, wenn sie sich Letzterer sowieso entledigen kann?

Zuletzt machten auch die verbliebenen Pödelwitzer*innen von sich reden, indem sie die Vergesellschaftung der leerstehenden Immobilien (Öffnet in neuem Fenster) in ihrem vor der Rettung schon fast leergezogenen Dorf forderten, auf denen die Mibrag derzeit unbeweglich sitzt und für die der Konzern seine eigenen Verwertungskonzepte entwickeln will und die zahlreichen Ideen und Visionen der Locals ignoriert. (Die Forderung wurde zusammen mit Anwohner*innen der rheinischen Dörfer artikuliert (Öffnet in neuem Fenster), die mit RWE vor demselben Problem stehen.)



Steilvorlage für Vergesellschaftungskämpfe

Diese Konstellation ist eine Steilvorlage: Die Forderung nach Vergesellschaftung ist solide begründbar und wird auch schon vor Ort erhoben. Die parteipolitischen Ansätze dazu können aber eigentlich nur in radikalisierter Form Erfolg haben (indem enteignet bzw. vergesellschaftet oder dies allermindestens glaubhaft angedroht statt nur gütlich verhandelt wird). Die Wiederaneignung der Dörfer, in denen Akteur*innen schon wirklich inspirierende Pläne für „Strukturwandel von unten“ entwickeln, ist ein realistisch erreichbares und für sich schon lohnenswertes Zwischenziel. Mit vergesellschafteten Erneuerbaren ließen sich auch viel effektivere Antworten für eine „sozialverträgliche“ Energiewende finden. Haben progressive Bewegungen, und die Klimabewegung im Besonderen, im ländlichen Osten gerade wenig zu melden, so gäbe es hier ein vermittelbares wirtschaftsdemokratisches Projekt (ja doch, ich bemühe mich, da nicht zu viel reinzuprojizieren). Auch für die Beschäftigten dürfte Vergesellschaftung im Vergleich zu einem „marktgetriebenen“ Kohleausstieg nicht das schlechteste Szenario sein. Und die Bewegung hängt ja wie gesagt emotional eh noch an ihrem Lieblingsfeind Kohle, bzw. angemessener ausgedrückt: eben an den Revieren und ihrem Schicksal.

Hat das dann noch was mit Klima zu tun? Ich denke schon: Im Osten mit späteren politischen Kohleausstiegsdaten könnte sich eine erfolgreiche Vergesellschaftung durchaus auch noch direkt emissionstechnisch auswirken (wer weiß, welche lebenserhaltenden Maßnahmen die Landesregierungen sonst noch so um drei Ecken einleiten; boy do they love their lignite). Außerdem planen die Konzerne in allen Revieren ja auch noch neue Gaskraftwerke, über die wir auch dringend mal reden müssten (und das als kollektive Eigentümer*innen viel konstruktiver oder halt destruktiver könnten,…).

Langer Rede kurzer Sinn: Die Vergesellschaftungsfrage könnte Kohlekämpfe noch mal für die Zukunft produktiv wenden. In NRW versucht sich RWEx an einem längerfristigen Bewegungsaufbau, die Klimabewegung ist dort ja auch nach wie vor stark etabliert – meldet euch da doch mal (Öffnet in neuem Fenster), wenn ihr das nicht längst getan habt. Im Osten ist das politische Terrain natürlich ungleich schwieriger, aber der Gegner EPH (genau wie wir halt) weniger in der Region verwurzelt und damit umso dankbarer – und Leipzig schließlich immerhin eine Bewegungshochburg in der Nähe. Zu guter Letzt läuft eine europäische Vernetzung von EPH-Betroffenen an, die sich sicher über kräftige Impulse aus deutschen Bewegungskreisen freut. Damit ist natürlich noch nichts über mögliche Durchsetzungswege gesagt (das ist eine ziemliche Baustelle), aber: Lasst uns das alles zumindest noch mal gemeinsam anschauen.

Ihr merkt, hier ging es jetzt mal gar nicht um Verdrängung, Scham oder Kollaps; those links are for Tadzio to figure out. Ich belasse es mal dabei und freue mich auf weitere produktive Diskussionen.

Lasse, Berlin, 26. März 2024



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