Notes from the Future IV: Solidarisches Preppen
(Quelle: preppatillsammans.se (Öffnet in neuem Fenster))
Liebe Leute,
es ist jetzt meine 2. Woche in Stockholm, und wie Ihr sicher gemerkt habt: Ich habe nicht jeden Tag einen Text geschrieben, wir sind hier nicht in Lützerath, und Ihr saßt nicht mit angehaltenem Atem da und wartetet auf Updates von der Explosion der Bandengewalt im fernen Schweden und auf die Bewegungsberichterstattungsupdates von der Frontline. Aber: Die Reise war und ist äußerst nützlich und persönlich äußerst lohnenswert, nicht zuletzt, weil ich die Möglichkeit habe, die Frage der Zukunft radikaler Politik genau mit den Leuten zu diskutieren, mit denen ich meine “Bewergungskarriere” vor über 20 Jahren begonnen habe.
Ich habe euch schon einiges über "Stop the Bleed (Öffnet in neuem Fenster)" erzählt, das populäre Erste-Hilfe-Workshop-Modul, das meine Freunde von Gatans Förband entwickelt haben, und auf dessen Grundlage sie sehr erfolgreich neue Allianzen mit lokalen Netzwerken und Akteuren geschaffen haben, die sicherlich nicht so wunderbar offen reagiert hätten, wenn sie anarchistische Flugblätter in die Hand bekommen hätten, oder Gatans Förband die Leute zu einer Diskussion über, let's say, “Gründe für die rassistische Gewaltexplosion, und radikale Gegenstrategien” eingeladen hätte.
Aber es gibt noch eine andere Kampagne, ein anderes Netzwerk, das ich mir in Stockholm anschauen wollte: Preppa Tillsammans (Öffnet in neuem Fenster) (zusammen Preppen, oder auch “Solidarisches Preppen”). Gehen wir mal davon aus, dass der Begriff "Prepping" sowohl im Englischen als auch im Deutschen zu eng mit Rechtsradikalen und ihrer individualistischen "Ich werde mich allein in einem Bunker in Neuseeland verstecken, bis der Kollaps vorbei ist (?)"-Agenda verbunden ist. Vielleicht macht es dann mehr Sinn, preppa tillsammans (PT) mit “Solidarischer Kollapspolitik” zu übersetzen. Oder eine weniger plumpe Übersetzung, ich bin offen für Vorschläge. Der morgige Longread-Text auf diesem Blog wird versuchen, die Art lokaler und bedürfnisorientierter Praktiken der PT in der longue durée des Aktivismus, einer längeren aktivistischen Zeitspanne zu verorten, und zwar im Kern einer möglichen Neudefinition oder, wie wir zu sagen pflegten, "Neuzusammensetzung" der radikalen Linken.
Aber bevor ich Euch hier eine Kampagne mansplaine, bei der ich noch nicht einmal an einem Treffen teilgenommen habe, dachte ich, ich nutze diesen Moment, um sie für sich selbst sprechen zu lassen, da sie so freundlich waren, ihr äußerst kohärentes Leitbild auf eine Weise niederzuschreiben, die weit besser ist als das, was ich für euch zusammenschustern könnte. I present to you: Preppa Tillsammans, eine der Zukünfte des radikalen Aktivismus...
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"Preppa Tillsammans
Resilienz in Gemeinschaft
Die Idee von Preppa tillsammans ist, dass Krisen und Katastrophen zunehmend häufig ein- & auftreten werden, und wir ihnen lieber gemeinsam und vorbereitet begegnen, als allein und unvorbereitet. Indem wir uns organisieren, verwandeln wir die Sorgen der Einzelnen in Handlungen, was wiederum Hoffnung schafft.
Gleichzeitig sind wir uns bewusst, dass die sozialen Strukturen des Zivilschutzes (Lagerhäuser mit Lebensmitteln, Medikamenten, Schutzausrüstung, Treibstoff, Dünger und Saatgut), die Schweden während des Kalten Krieges hatte, in den frühen 2000er Jahren abgebaut wurden. Heute ist Schweden nur unzureichend auf Katastrophenfälle vorbereitet, und es gibt große Unterschiede, je nachdem, wo man sich im Land befindet.
Die Frage ist: Wie handeln wir, wenn die Behörden nicht die Zeit oder die Möglichkeit haben, zu handeln? Wie handeln wir, wenn alles, was wir für selbstverständlich halten, nicht mehr funktioniert?
Preppen - ein Akt der Solidarität
(In Schweden werden) Einzelpersonen und Haushalte von den Behörden aufgefordert, sich auf Krisenzeiten vorzubereiten. Das bedeutet, sich um die Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wasser, Wärme, Unterkunft, Informationen, Erste Hilfe und Medikamente zu kümmern. Und genau das macht die Vorbereitung an sich schon zu einem Akt der Solidarität - denn wenn jeder, der kann, für sich selbst sorgt, kann der Staat denjenigen helfen, die es am nötigsten haben. Und statt in den Supermarkt zu rennen, können wir uns auf die zwischenmenschliche Ebene konzentrieren: Wie geht es meinen Nachbarn? Was können wir jetzt tun?
Gemeinschaft im Desaster
In jedem Desaster, in jeder Katastrophe entstehen spontane Gemeinschaften, die sich um die in der neuen Situation unerfüllten Bedürfnisse kümmern. Das ist etwas, das im Wesen des Menschen selbst verwurzelt ist: Das Überleben der Einzelnen war schon immer an das Überleben der Gruppe gebunden. Wenn wir also gebraucht werden, sind wir füreinander da.
In A Paradise built in Hell schreibt Rebecca Solnit, dass wir, wenn die übliche Ordnung außer Kraft gesetzt ist und die meisten Systeme versagen, frei sind, so zu leben und zu handeln, wie wir es wollen - mutig, einfallsreich und großzügig.
Gegenseitige Hilfe
Menschen, die sich gemeinsam vorbereiten, sind wie Menschen im Allgemeinen - vom Gymnasiasten bis zur Rentnerin: sie sind Menschen, die sowohl helfen, als auch, denen geholfen wird. Zusammenarbeit zwischen Nachbarn ist ein wichtiger Bestandteil der Notfallvorsorge - denn durch die Zusammenarbeit können wir Ressourcen teilen, Wissen bündeln und Probleme effektiver lösen.
Zwischen der individuellen Ebene, Vorbereitung in Haushalten, und der gesellschaftlichen Ebene – Behörden kümmmern sich um die Schwächsten – liegt die zwischenmenschliche Ebene, auf der wir alle uns aufhalten, und direkt handeln können. Gemeinsam können wir den Zusammenhalt in unseren Nachbarschaften stärken und die Atmosphäre schaffen, die wir uns wünschen. Denn das, was wir jetzt erschaffen, wird dann in einer Krise besonders relevant sein. Es kann die Grundlage für eine widerstandsfähigere (resilientere) Gemeinschaft sein. Je besser wir auf die Möglichkeit vorbereitet sind, dass Dinge, die wir für selbstverständlich halten, nicht mehr funktionieren, und je mehr wir bereit sind zu handeln und uns gegenseitig zu helfen, desto sicherer und widerstandsfähiger werden unsere Gemeinschaften.
Handlungsfähigkeit
Wenn wir die Werkzeuge, das Wissen und den Willen zum gemeinsamen Handeln zusammenbringen, steigert das unsere Handlungsfähigkeit – also etwas, das wir und insbesondere die jetzt heranwachsende Generation in Zukunft verstärkt brauchen werden. Wenn wir unser Wissen erweitern und uns daran gewöhnen, uns zu organisieren, zu kooperieren und in einer Krise eine Rolle zu übernehmen (Z.B. Sani, Köchin, Gruppencoach, Comedian...), bedeutet dies, dass wir in einer zunehmend unberechenbareren Welt widerstandsfähiger sind.
Die Gründe, warum Menschen beginnen, solidarische Kollapspolitik zu entwickeln (einfacher: sich gemeinsam vorzubereiten), sind vielfältig, doch ein gemeinsamer Faktor ist der Wille zum Handeln. Und es ist so inspirierend, das Potenzial zu sehen, das wir gemeinsam haben, all die Fähigkeiten und Ressourcen, die wir besitzen, wenn wir sie teilen. Einer der großen Vorteile der gemeinsamen Vorbereitung (solidarischen Kollapspolitik) besteht darin, dass wir all die Fähigkeiten erkennen, die wir lernen möchten, und dass wir wissen, wie ich die Sorge - die individuelle Ohnmacht - in Hoffnung - unsere gemeinsame Handlungsfähigkeit – verwandelt werden kann.
Alles beginnt damit, sich einige Fragen zu stellen: Wer will ich, wer wollen wir, in einer Krise sein? Was brauchen wir, um die zu werden, die wir sein wollen? Wie können wir helfen?
Dort anfangen, wo wir sind
Fragt Eure Nachbar*innen, was sie über den Zustand der Welt denken, und ob sie sich gemeinsam vorbereiten wollen;
Nutzt bereits vorhandene Strukturen (“Community Groups” in sozialen Medien, Mietervereinigungen, Dorfgemeinschaften usw.);
Baut eine gemeinschaftliche Notfallvorsorge auf (z. B. ein gemeinsames Lager mit batterie- oder solarbetriebenen Radios, Gaskochern, Brennstoff, Kanistern für Wasser, Erste-Hilfe-Kästen usw.);
Legt Gemeinschaftsgärten an;
Lernt Erste-Hilfe-Kenntnisse und psychologische Erste-Hilfe."
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Ich weiß, dass vieles von dem, was Preppa Tillsammans hier aufgeschrieben hat, für Menschen, die schon lange in der anarchistischen “mutual aid” Tradition arbeiten, oder auch "nur" in lokalen und Nachbarschaftsorganisationenunterwegs sein, ein ziemlich alter Hut sein muss. Aber für einen Großteil der deutschen Klimabewegung mit ihrem Schwerpunkt auf spektakulären, ereignisbasierten (transformativen) Aktivismus ist diese Art der transformativen Organisierung vor Ort relativ neu. Für mich ist es das auf jeden Fall, ich fühle mich wie ein Kind, das mit Erwachsenen interagiert, für die so viele Dinge, die für mich neu sind, einfach... Tatsachen des Lebens sind.
Daher bin ich einfach erstmal dankbar dafür, dass meine Freund*innen und Genoss*innen mir hier mögliche Wege in die Zukunft zeigen, eine Zukunft, die mir das Kapital immer wieder wegnimmt und die mir die Bewegung immer wieder zurückgibt.
Mehr morgen. Puss och kram,
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Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung
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Euer Tadzio