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Energiepreise are the new black – Teil 1

Liebe Leute. 

Es herrscht Krieg! Aber die zentrale politische Frage der kommenden Jahre wird nicht im engeren Sinne “sicherheitspolitisch” sein, Zeitenwende hin oder her.

Es herrscht Klimanotstand! Aber die zentrale politische Frage der kommenden Jahre wird nicht im engeren Sinne “klimapolitisch” sein, Notstand und Pariser Klimaziele hin oder her.

Die zentrale politische Frage der kommenden Jahre, vielleicht dieses Jahrzehnts, wird die nach den Energiepreisensein.

Raus aus der Sackgasse

Morning all. I confess: ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten (Öffnet in neuem Fenster) in eine klimastrategische Sackgasse, in die Verzweiflung hineingedacht. Ich halte meine These von der “Verdrängungsgesellschaft (Teil 1 (Öffnet in neuem Fenster); Teil 2 (Öffnet in neuem Fenster)) und der beinahe notwendigerweise brutalen und ignoranten Reaktion der dt. Mehrheitsgesellschaft auf die Aktionen einer zunehmend radikalen Klimabewegung weiterhin für richtig – in short: mehr Information über die Klimakrise führt nicht zu Anpassung, sondern zu Verdrängung, weil die Anpassung zu teuer ist; wer verdrängt, mag nicht, dass das Verdrängte zurückkehrt; die Klimabewegung aber will genau das; die Klimabewegung wird immer mehr Ziel von Ignoranz, Irrationalität und Brutalität werden, egal, was sie tut; Klimaschutz wird weiterhin nicht stattfinden, weil es hierzulande einfach keine Mehrheiten dafür geben wird – und bin weiterhin davon überzeugt, dass wir als Klimabewegung unsere Strategien einer Situation anpassen sollten, in der wir immer mehr mit Irrationalität konfrontiert sind. Aber diese Anpassungen wären allesamt bloß defensiver Natur, wie z.B. der notwendige massive Ausbau von Anti-Repressionsstrukturen, die übers Osterwochenende in FfM sehr nützlich gewesen wären, als die hessische Polizei sich entschied, fast 200 Aktivist*innen der “Letzten Generation” über das gesamte Wochenende in Haft zu halten.

Aber so eine “we're basically all fucked, and not in a fun way”-Geschichte lässt sich nur für eine begrenzte Zeit erzählen. Weil: what's the point? Der britische Marxist Raymond Williams hat das mal schön zusammengefasst: der Job radikaler Intellektueller (oder in meinem Fall: Geschichtenerzähler, storyteller) is to make hope possible, rather than despair convincing. Eine Zukunft, in der die EU immer mehr zu einer wohlstandsverwahrlosten Hölle wird, mit immer höheren Grenzmauern und immer stärkeren faschistischen Bewegungen; in der die Klimabewegung immer mehr aufs Maul kriegt, egal, was sie tut; in der auch die besten Strategien an der Irrationalität der Mehrheitsgesellschaft scheitern – sure, es kann sein, dass das genau die Zukunft ist, auf die wir zusteuern, und es ist extrem wichtig, dass wir als Bewegung, und als Teil der Gesellschaft, diese Gefahren auf dem Schirm haben, und darüber nachdenken, was dann zu tun wäre.

Aber: noch sind wir nicht da, zumindest noch nicht an der Endstation, dem Grand Hotel Abgrund (Öffnet in neuem Fenster). Und das bedeutet, dass es zwar nicht möglich sein muss, aber immerhin möglich sein kann, dass wir noch in der Lage sind, die Notbremse zu ziehen; den Zug umzuleiten; oder zumindest (hier wackelt die Metapher) den Absturz in den Abgrund nicht ganz so tief werden zu lassen.

We've been here before

Nachdem ich in den letzten Wochen diesen Gedanken hin- und herwälzte, fiel mir plötzlich auf: Das ist keine ganz neue Situation. Anfang des vergangenen Jahrzehnts, nach dem COP15-Flop, versank die (damals noch viel kleinere, beinahe unsichtbare) Klimabewegung in einer tiefen, der sog. “post-Copenhagen-depression”. Die meisten von uns hatten den Glauben an die (damals bloß auf internationalem Terrain stattfindende) “Klimapolitik” verloren, auch angesichts der gesellschaftlichen Ignoranz, mit der damals (schon) die Klimakrise behandelt wurde, und der Einsicht, dass es wahrscheinlich nie gesellschaftliche Mehrheiten für radikalen Klimaschutz im globalen Norden geben würde (denn unser global gesprochen relativer Wohlstand basiert nun mal auf Aktivitäten, die die Klimakrise vorantreiben). Aber auch damals war uns klar, dass es durchaus Politikfelder gibt, in denen tatsächlich “Klimapolitik” betrieben wird, die also, im Gegensatz zum Politikfeld “Klima” direkten und nennenswerten Einfluss auf den Ausstoß von Treibhausgasemissionen haben, weil sie zumindest vermittelt den zentralen Faktor beeinflussen, der die Emissionsmenge bestimmt: Wächst die Wirtschaft, oder tut sie das nicht?

Eines dieser Politikfelder, dem auch ich mich damals zuwandte, ist die Energiepolitik. Zusammen mit der Landwirtschafts- und der Verkehrspolitik ist die Energiepolitik das Feld, in dem der meiste “politische Zugriff” auf die Emissionsentwicklung möglich ist, in dem wir aber auch damals schon genau dieselben Tendenzen beobachten konnten, wie wir sie heute sehen: Viele redeten vom Klimaschutz (Merkel, Obama, etc.), agierten in der Praxis aber so, dass nicht der radikale Ausbau erneuerbarer Energien das oberste Politikziel war, sondern “all of the above”, d.h., es wurden (teilweise) Erneuerbare ausgebaut, aber es wurde auch die “Shale / Fracking Revolution” vorangetrieben, Atomausstiege verschoben, und das EEG demontiert. Gleichzeitig gesellte sich in Deutschland die neue Anti-Kohle- zur neuerdings (2011) erfolgreichen Anti-Atom-Bewegung, in der sich wiederum Verbindungen zu den Protagonist*innen einer “Bürger*innenenergiewende” fanden, die noch aus den 80er Jahren rührten, und verschiedene Akteure sprachen von einer machtvollen “Energiewendebewegung (Öffnet in neuem Fenster)”, die zumindest potenziell sehr viel größer und mächtiger sein könnte, als die (wegen der unterschiedlichen Interessenlagen) sich auf ein Minderheitendasein einstellende Bewegung für Klimagerechtigkeit.

Ich begann also, mich für “Energiekämpfe (Öffnet in neuem Fenster)” zu interessieren, also für soziale Kämpfe um die Kontrolle über und Produktion von, den Zugang zu und den Preis von Energie, und schrieb 2012 ein Paper, in dem ich die oben schon angeteaserte These entwickelte:

In jeder kapitalistischer Entwicklungsphase gibt es eine zentrale gesellschaftliche Variable, die der Ausdruck des dominanten gesellschaftlichen Verhältnisses ist (Lohn-, Geld-, Natur-); mehr als andere die Verteilung gesellschaftlichen Mehrwerts beeinflusst; und deren ‚richtiges’ Einpendeln eine zentrale Rolle in der Konstitution gesellschaftlicher Bündnisse und Herrschaftskoalitionen spielt. Im kommenden Kapitalismus wird diese Rolle von Energiepreisen gespielt werden.

Jedoch folgte auf 2012 die Griechenland-/Euro-Krise, daraufhin die so genannte “Migrationskrise”, Willkommenskultur, Pegida und so weiter, und ich dachte mir: im besten Fall war ich meiner Zeit mal wieder voraus (ich hatte 2007 schon argumentiert, dass es bald einen “grünen Kapitalismus” geben würde, and boy was I wrong), im schlimmsten Fall lag ich voll daneben.

Und jetzt? Are Energiepreise the new black?

Es ist Krieg, und neben Waffenlieferungen redet Deutschland vor allem von Sprit- und Gaspreisen, rufen Rechte, Zentrist*innen und manche Linke (eher: LINKE): “der Spritpreis ist zu hoch!” Tobias Hans (Öffnet in neuem Fenster) versuchte so, seine Abwahl als Ministerpräsident des Saarlands zu verhindern: “Morgen. Ich bin jetzt hier gerade an der Tankstelle vorbei gefahren, und es ist wirklich irre: Diesel 2,12€. Ich finde, da ist jetzt wirklich ein Punkt erreicht, wo man sagen muss, 'da muss man handeln'. Klar hat das was mit der Ukraine-Krise zu tun ... aber das Problem ist doch einfach, dass der Staat sich im Moment an diesen gestiegenen Energiekosten bereichert, und deswegen muss eine Spritpreisebremse her: 2,129€ für einen Liter Diesel, das geht wirklich für ganz viele nicht mehr.” Mehmet Oz (Öffnet in neuem Fenster) versucht so, seine eher geringen Chancen auf einen Erfolg in den republikanischen Vorwahlen in Pennsylvania, USA, zu erhöhen: "Benzin kostet fast 1,25$ pro Liter. Das ist verrückt, es ist beleidigend. Da ich hier auf Wahlkampftour bin, fülle ich meinen Tank fast jeden zweiten Tag: 300 Dollar pro Woche, ganz zu schweigen davon, wie viel ich für Lebensmittel ausgegeben habe. Die Lebenshaltungskosten schießen in die Höhe, und Joe (Biden) ist *missing in action*. Das ergibt keinen Sinn." Und Marine Le Pen (hoffentlich bald zum 2. Mal nicht-gewählte französische Präsidentschaftskandidatin) verspricht (Öffnet in neuem Fenster) für den Fall ihrer Wahl, “die Mehrwertsteuer auf Energie zu senken ... 'damit die Franzosen weiterhin Benzin in ihr Auto stecken ... und sich selbst ernähren können.'”

Ich werde mir also in den nächsten Wochen mehr Gedanken zum Thema Energiepreise machen, und zur Frage, wie linke und sozial-ökologische Strategien dazu aussehen können. Das wird ein Bisschen Thinking-in-progress sein, denn ich weiß heute noch nicht, wohin diese Gedanken gehen werden. Das 2012-Paper mündete zumindest in diese beeindruckende nicht-Schlussfolgerung: “Was heißt das für uns? Don’t know yet...”

Ich hoffe, mit Eurer Hilfe dieses Mal ein bisschen weiterzukommen. Zumindest raus aus der Sackgasse. Das wär immerhin schon mal etwas.

Bis in 2 Wochen dann.

Euer Tadzio

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