Energiepreise are the new black, Teil 2: Die Energiekämpfe
Verehrte Leserinnen und Leser,
es herrscht Krieg! Aber die zentrale politische Frage der kommenden Jahre wird nicht im engeren Sinne “sicherheitspolitisch” sein, Zeitenwende hin oder her.
Es herrscht Klimanotstand! Aber die zentrale politische Frage der kommenden Jahre wird nicht im engeren Sinne “klimapolitisch” sein, Notstand und Pariser Klimaziele hin oder her.
Die zentrale politische Frage der kommenden Jahre, vielleicht dieses Jahrzehnts, wird die nach den Energiepreisen sein. (Zum Teil 1 geht es hier lang (Öffnet in neuem Fenster).)
Klimapolitik in der Zeitenwende
Ob wir sie gut finden, oder nicht, ob wir pro oder contra schwere Waffenlieferungen an die Ukraine sind: die sicherheitspolitische Zeitenwende ist eine, in gewissem Sinne die Realität, an die sich alle aktuellen politischen und gesellschaftlichen Strategien anpassen müssen, bedeutet sie doch, dass im Gegensatz zu den Hoffnungen vieler Klimabewegter alle politischen Fragen heutzutage nicht so sehr unter klimapolitischen Gesichtspunkten diskutiert werden, sondern entlang der Frage, wie sie sich zum z-faschistischen russischen Angriffskrieg auf die Ukraine verhalten.
To be sure, die Zeitenwende wird in Klimakreisen durchaus kontrovers diskutiert. Manche sehen sie als klimapolitisches Desaster, unter anderem wegen der gerade erwähnten diskurspolitischen Verschiebung, aber auch, weil progressive Bewegungen und Positionen in sicherheitspolitisch bestimmten Zeiten immer einen schwereren Stand haben; weil der “Notstandsframe” (also die Darstellung der Klimakrise als “rechtfertigender Notstand” nach §34 StGB, unsere rhetorische Eskalation als Reaktion auf die konsistende Ignoranz der Klimakrise durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft) in ihr kaum noch funktioniert, weil wir jetzt im dauerhaften Kriegsnotstand leben; und wegen der Tendenz zum “all of the above”-Ausbau aller und jeder Energieformen, die nicht direkt von Russland kontrolliert werden, egal, ob's um Fracking in der Brandenburger Altmark (Öffnet in neuem Fenster) geht, oder um neue Ölbohrungen in der Nordsee (Öffnet in neuem Fenster).
Andere sehen in dieser neuen Situation wiederum Chancen für den Klimaschutz: zwischen all der fossilistischen Scheiße, die Christian Lindner labert, hat er kürzlich tatsächlich erneuerbare Energien als “Freiheitsenergien (Öffnet in neuem Fenster)” bezeichnet, während Habeck in seinem angeblichen Klimaministerium wohl tatsächlich das seit mind. 15 Jahren laufende aktive Hintertreiben des Ausbaus erneuerbarer Energien beendet hat; in einem interessanten Echo der Argumente der Green New Deal Group (Öffnet in neuem Fenster) (pdf) im Jahre 2008 ist es nun ein Krieg, der zum 1. Mal seit vermutlich den 1970er Jahren Energie- und andere Spar- oder Verzichts (Öffnet in neuem Fenster)-Diskurse wieder relevant macht (das international am meisten beachtete Beispiel dafür ist wohl die Wiederbelebung der japanischen “Setsuden (Öffnet in neuem Fenster)”-Kampagne, die nach dem Fukushima-Desaster zu erheblichen Energieeinsparungen führte; s. auch Draghis kluge Frage: "wollt Ihr Klimaanlagen, oder Frieden? (Öffnet in neuem Fenster)”); und zuletzt führt der Krieg in der Ukraine der deutschen Öffentlichkeit endlich die Zerstörung vor Augen, die mit dem Abbau und der Verbrennung fossiler Brennstoffe einhergeht. Klar, russisches Gas wird dann durch Gas aus Katar ersetzt, auch nicht gerade ein Paladin der Menschenrechte, aber den “fossile Brennstoffe sind scheiße, und machen uns abhängig von Akteuren, von denen wir das lieber nicht wären”-Frame hätte die Klimabewegung allein niemals so tief und so wirkmächtig verankern können, wie das im Rahmen der Zeitenwende geschehen ist.
On balance teile ich zwar eher Position 1 – dass die sicherheitspolitische Zeitenwende ein deutlicher Rückschlag für die Klimabewegung, für den Klimaschutz und für klimapolitische Erzählungen ist – aber im Grunde ist das auch ein Bisschen egal. Denn erstens ist ja in meiner Erzählung die Klimabewegung in Bezug auf die Frage der nachhaltigen Reduktionen von Treibhausgasen bisher genau so irrelevant geblieben, wie die Klimapolitik und jede klimapolitische Erzählung; und zweitens ist es der Zeitenwende eher wumpe, was wir Klimas von ihr denken, ist sie doch ein “Ereignis” (Badiou), ein Einschnitt in die Realität, der neue Wahrheiten schafft, und neue Akteure hervorbringt, die diese Wahrheiten umsetzt und verteidigt, sie ist von welthistorischem Ausmaß, und wird Dimensionen haben, die uns heute noch gar nicht klar sein können.
Klimastrategie in der Zeitenwende
Aber: die Tatsache, dass Klimapolitik im engeren Sinne in der Zeitenwende kaum punkten kann – weil sie einfach nicht das bestimmende Zeichen ist, unter dem Tagespolitik sich erklären muss – bedeutet nicht, dass wir deswegen aufhören können, im Rahmen der Zeitenwende Klimastrategien zu entwickeln. Welche Ressourcen stehen uns dabei zur Verfügung?
Ich habe vor 2 Wochen darauf (Öffnet in neuem Fenster) hingewiesen, dass Energiepolitik und Energiepreise (“cost of living”) zu den absoluten hot button issues in aktuell stattfindenden nationalen politischen Kämpfen gehören. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen, die es noch zu analysieren gilt, aber einer der wichtigsten ist die Tatsache, dass Energiepolitik und -preise sowohl im neuen “Master Frame” (der sicherheitspolitischen Zeitenwende), als auch im Rahmen des von der Klimabewegung erwünschten almost-master-frames des Klimanotstands eine zentrale Rolle spielen.
Zum Beispiel: wer niedrige Gaspreise will, preist damit eine höhere Abhängigkeit von Russland ein, oder muss massiv den Ausbau von LNG (liquified natural gas)-Infrastruktur vorantreiben, was einen “fossil fuel lock-in” darstellen würde; und höhere Gaspreise nimmt inkauf, wer die Unabhängigkeit von russischen Gaslieferung aktiv vorantreibt, und den Neubau von Gasinfrastruktur verhindern will. (Übrigens muss es sich hier nicht notwendigerweise um Konsument*innenpreise handeln, ich rede hier eher von Marktpreisen – der Konsument*innenpreis jeder Energieform ist politisch hoch reguliert, zwischen Markt- und Konsument*innenpreisen kann eine gigantische Lücke klaffen, und stehen eine riesige Reihe von Gesetzen, Verordnungen und gesellschaftlichen Prioritätensetzungen.)
Unterhalb der offensichtlich sicherheitspolitisch und kriegs-relevanten Fragen wie der nach schweren Waffenlieferungen an die Ukraine liegt also die Frage nach dem Energiesystem der Zukunft, und sie ist hart umkämpft. Im Gegensatz zur Klimapolitik, wo (literally) eine kleine, radikale Minderheit gegen die sich immer neu zusammensetzenden Verdrängungsmechanismen der gesellschaftlichen Mehrheit kämpft (siehe Newsletter-Texte hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster)), sehen wir im Kampf um das kommende Energiesystem durchaus komplexere Gemengelagen, gibt es doch durchaus eine “grüne Kapitalfraktion (Öffnet in neuem Fenster)”, die sich in den üblichen korporatistischen Verbänden und Vereinigungen organisiert, kämpfen eine Reihe von Bewegungen (Anti-Kohle, Klima, Verkehrswende, es gibt sogar noch Versatzstücke einer Energiewendebewegung) für eine Abkehr vom fossil-nuklearen System. Das eröffnet Bündnismöglichkeiten, die einer reinen Klimabewegung so erst einmal nicht zur Verfügung stehen.
Energiekämpfe in der Zeitenwende
Das sollte vorerst ausreichen, um zu erklären, warum ich mich for the time being mal von Klimakämpfen im engeren Sinne wegorientiere, hin zu Energiekämpfen (Öffnet in neuem Fenster). Energiekämpfe – soziale Kämpfe um die Kontrolle über, den Zugang zu und den Preis von Energie – waren immer und werden immer mehr zentrales Feld gesellschaftlicher Auseinandersetzungen um Verteilung und Ökologie, um Produktions- und Lebensweise. Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist auch die Geschichte von Energiekämpfen, denn “jede Energieform impliziert eine besondere Organisierung von Arbeit (Öffnet in neuem Fenster)” sowie eine bestimmte gesellschaftliche Arbeitsteilung. Die Zentralität von Energiekämpfen in gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen erschließt sich einfach: Energie ist eine hochprofitable Ware, Voraussetzung jeder Produktion ebenso wie Grundlage aller Reproduktion. Energie ist Potenzial, im Alltag die Möglichkeit, von A nach B zu gelangen oder die Wohnung zu heizen, Kaffee zu kochen; für Kapitale die Fähigkeit, menschliche Arbeit effizienter zu machen und sie teilweise zu ersetzen; für Regierungen die Möglichkeit, das Militär auf Auslandseinsätze zu schicken oder über die gezielte Verbilligung/Verteuerung von Wärme gesellschaftliche Kompromisse zu schmieden. Energie spielt eine zentrale Rolle in sozialen Kämpfen: Energie ist die Fähigkeit, menschliche Arbeit effizienter zu machen und unabdingbar für die Steigerung des relativen Mehrwerts (im Gegensatz zur Steigerung des absoluten Mehrwerts durch Verlängerung des Arbeitstages). Ihre Kontrolle stellt deshalb eine zentrale Machtressource in Arbeits- und Klassenkämpfen dar.
Diese Analyse gilt natürlich für jede “kapitalistische Entwicklungsphase” (ob Fordismus oder Postfordismus, Hochimperialismus oder Neokolonialismus), ich würde aber argumentieren, dass Energiekämpfe in der kommenden Phase des Kapitalismus von noch größerer Wichtigkeit sein werden, genauer, dass Energiepreise das zentrale Kampffeld darstellen werden, denn: In jeder kapitalistischer Entwicklungsphase gibt es eine zentrale gesellschaftliche Variable, die Ausdruck des dominanten gesellschaftlichen Verhältnisses ist (Arbeitsverhältnis, Geldverhältnis, oder Naturverhältnis); mehr als andere die Verteilung gesellschaftlichen Mehrwerts beeinflusst; und deren ‚richtiges’ Einpendeln eine zentrale Rolle in der Konstitution gesellschaftlicher Bündnisse spielt.
Der Kapitalismus kennt 3 „Produktionsfaktoren“: Land, Arbeit, und Kapital. In jeder „Phase des Kapitalismus“ ist jeweils einer dieser Faktoren der „dominante“. ‚Dominant’ meint hier, dass die Regulation dieses Faktors zentralen Einfluss auf die Konstitution von gesellschaftlichen Bündnissen hat, und das dort angesetzt werden kann, um die Verteilung gesellschaftlichen Mehrwerts zu beeinflussen. Diese Faktoren lassen sich auf eine zentrale Variable reduzieren: Lohn (=Preis der Arbeit); Zinssätze = Preis des Geldes; Energiepreis = als bester Proxy-Indikator für den Preis der Natur, denn Energieressourcen sind einerseits die umsatzstärksten aller natürlichen Rohstoffe, außerdem braucht die Umwandlung jeglichen Rohstoffs in Waren Energie. Also: Energiepreis = Preis der Natur.
Und das ist der Kern meines Arguments: egal, wie lang der Ukraine-Krieg und seine möglichen Nachfolgekriege dauern werden; egal, wie schnell genau die Klimakrise eskalieren wird, von den drei o.g. Produktionsfaktoren wird im kommenden Kapitalismus nur einer wirklich knapp sein: die Natur, und der Preis der Natur wird sich am nächsten in Energiepreisen ausdrücken. An diesen wiederum werden die wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft sowohl vorgenommen, als auch sich ausdrücken. Um diesen mittlerweile schon zu langen Text vorläufig zum Ende zu bringen: Klimastrategie in der Zeitenwende wird sich auch stark auf Energiepreise beziehen müssen. Diese sind eines der zentralen politischen Kampffelder einer jeden Zukunft, die uns bevorsteht.
Und diesen Zukünften ist es ähnlich egal, was wir von ihnen halten, wie der Zeitenwende. Sie werden kommen. Wir müssen darauf vorbereitet sein.
Lasst es Euch trotzallem gut gehen.
Euer Tadzio