Bewegung Jenseits des Scheiterns, oder: die Klimabewegung ist tot. Es lebe die Klimabewegung!
(Source: stable diffusion. Prompt: create an abstract, black-and-white image depicting social movement)
21.9.2023
Liebe Leute,
ich weiß: “Scheitern” fühlt sich scheiße an. Gescheitert zu sein ist meist nicht nur “etwas gewünschtes nicht erreicht haben”, sondern fühlt sich oft zutiefst persönlich, zutiefst, schuld-, gar schamhaft an, da kann derjenige, der das “Scheitern” konstatiert noch so oft Begriffe wie “schuldlos” davor schreiben. Außerdem wohnt dem “Scheitern” oft eine gewisse Endgültig inne, es scheint nahezulegen: “the show's over, nothing to see here anymore – go home and feel shit about yourselves.” Ich weiß das nicht nur, weil ich selbst so oft gescheitert bin, sondern auch, weil ich aus einer hardcore leistungsfaschistischen Familie komme (Zitat Cousine: “Wir mussten immer unter den ersten Hundert auf dem Reichsparteitagsgelände sein.”), und mir der emotionalen Wucht nicht nur des “Vorwurfs” der Gescheitert-Seins, sondern vor allem des internalisierten Gefühls des Scheiterns daher von Haus aus sehr bewusst bin.
Mein 1. Mal: the first cut is the deepest
Und ich weiß auch, wie das ist, wenn man als junge*r Aktivist*in zum ersten Mal in eine richtige “Bewegung” einsteigt (Öffnet in neuem Fenster), vor allem, wenn diese gerade auf die Bühne der Weltgeschichte tritt, und mit der bekannten Mischung aus immer größere Demos, immer stärkere Aktionen, immer mehr gesellschaftliche Aufmerksamkeit (und manchmal Popularität) einen unglaublichen emotionalen Zug entwickelt. Bei mir geschah das in der globalisierungskritischen Bewegung: zwischen ihrer “coming out Party” bei den anti-WTO-Protesten in Seattle 1999 und dem, im positiven wie im negativen Sinne, Höhepunkt der Protestbewegung in Genua im August 2001 (rest in power, Carlo Giuliani), fühlte ich, fühlten viele von uns, dass es eigentlich “nur” immer größerer Demos mit immer fetteren Riots bedürfte, und schon würden die von uns so effektiv (ähem) “delegitimierten” Strukturen der neoliberalen Globalisierung wie das oft zitierte Kartenhaus in sich zusammenfallen.
Am Ende lief es dann ein bisschen anders: “9/11” happened, and thus ended the “time when we were winning” (Öffnet in neuem Fenster) . Mit einem Schlag verschob sich die Agenda globaler politischer Diskussionen, weg von “Neoliberalismus vs. Globalisierungskritik” hin zu “Empire vs. (political) Islam”, der “War on Terror” legitimierte jede noch so repressive Sicherheitsstrategie, auch und vor allem im Inland, und unsere Demos schrumpften und wurden im Grunde politisch irrelevante Selbstbestätigungsspielfelder. Der 11.9.2001 war eine “Zeitenwende”, und diesseits dieser Wende war die Bewegung, die der Ort war, an dem ich überhaupt erst von Bewegung und ihrer Zauberkraft lernte, im Grunde tot, auch, wenn wir das erst 5-6 Jahre später offiziell anerkannten.
Ich bin auch 6 Jahre nach 9/11 noch zu Gipfelprotesten gefahren, obwohl diese als Taktik schon gescheitert waren, und ich das im Kern wusste – warum? Weil sie mir so viel gegeben hatten, ich dort so viel erlebt und gelernt hatte, vor allem so viel Ermächtigung erfahren hatte, dass ich, egal, wie gut die Argumente dagegen waren, nicht davon ablassen konnte. Tatsächlich habe ich auch nach meinem Einstieg in die Klimagerechtigkeitsbewegung erstmal mit genau dem selben Tool weiter hantiert: Klimafrage? Lass mal nen Gipfelprotest beim COP15-Klimagipfel in Kopenhagen organisieren. Autoindustrie angreifen? Lasst mal zur IAA fahren, die ist quasi ja auch so ne Art “Gipfel”.
Was will ich damit sagen? Dass Ihr, wenn ich mal wieder zu ungeduldig bin und dann gegen Klimastreiks oder andere “gescheiterte” Taktiken ätze, das gute Recht habt, mich darauf hinzuweisen, dass ich von anderen gerade erwarte, wozu ich selbst jahrelang nicht in der Lage war: mich von einer Taktik zu verabschieden, die nicht nur positive politische Effekte auf der Makroebene hatte, sondern mich selbst als Menschen zutiefst verändert hat; auf der ich zum 1. Mal die transformatorische Freude und Ekstase einer erfolgreichen politischen Aktion erlebt hatte. Cat Stevens – ein uralter Folksänger, never mind – sang: The first cut is the deepest (Öffnet in neuem Fenster). Das gilt fürs Verlieben genau so wie für soziale Bewegung. Und anzuerkennen, dass man seine 1. Liebe verloren hat, dauert oft sehr viel länger, als die eigentliche Liebesbeziehung.
Zeitlichkeit und Wirkungsweise sozialer Bewegung
Die globalisierungskritische Bewegung war also gescheitert, die neoliberale Globalisierung reigned supreme, und doch machten wir, machten auch ältere, erfahrenere Genoss*innen stetig weiter. Nicht, weil sie Idiot*innen waren, oder masochistische gluttons for punishment, oder großen Spaß an ineffektivem Aktivismus hatten. Diese Genoss*innen wussten, und brachten mir damals Wichtiges bei.
Erstens, wie auch die Forschung zu sozialen Bewegungen seit den 1970er Jahren weiß: soziale Bewegung bewegt sich in Zyklen, und dass dem so ist, ist der Form soziale Bewegung inhärent, it's not a bug, it's a feature. Egal, wie stark die Sturm-und-Drang-Phase einer Bewegung ist, sie wird irgendwann von der Offensive in die Defensive schalten müssen, sie wird schwächer werden, und manche der Genoss*innen, die in der Aufstiegsphase dazu kamen, werden wieder wegbrechen. Wieder: nobody's fault, just a fact of movement.
Zweitens, dass die Wirkungsweise sozialer Bewegung oft nicht im direkt erkämpften Erfolg liegt (hier ist die von mir so oft zitierte Anti-Atom-Bewegung (Öffnet in neuem Fenster) eigentlich eher ein outlier, ein Sonderfall), sondern im “produktiven Scheitern”, wie das ein ehemaliger Kollege mal formulierte.
Das klassische Beispiel für diese Wirkungsweise ist die sozialistische Arbeiter*innenbewegung im Deutschen Kaiserreich: die Anfänge des deutschen Wohlfahrtsstaats (Sozial-, Unfall- und Krankenversicherung, etc.), such as it is, liegen in den 1870er und 80er Jahren, und wurden vom damaligen Reichskanzler Bismarck durchgesetzt, um so die Arbeiter*innenbewegung zu schwächen, die gleichzeitig mit harter Repression überzogen wurde (“Sozialistengesetz”). Während die Bewegung also nicht im direkten Sinne “gewann” - sie war weder an der Regierung, noch organsierte sie eine erfolgreiche “Revolution” - so liegt sie doch kausal am Anfang einer erheblichen sozialen Einhegung des damaligen “Manchesterkapitalismus”. Ein weiteres Beispiel wäre die erste Frauenbewegung, die zwar für die volle rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern kämpfte, aber “nur” das Frauenwahlrecht in immer mehr Ländern erkämpfte. And so on, and so forth.
Die Klimabewegung ist tot. Es lebe die Klimabewegung!
Also, Zyklen, und ihr Ende: derjenige, den wir gerade erleben – der Zyklus der “radikalen Klimaaktionsbewegung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen um zur Verhinderung des Klimakollaps beizutragen (Öffnet in neuem Fenster)” - verlief in etwa von 2008, als wir das 1. Klima- und Antira-Camp in Deutschland organisierten (damals in HH Moorburg), bis 2023, eventuell noch ein paar Monate darüber hinaus (über seine interne Periodisierung habe ich hier (Öffnet in neuem Fenster) schon einiges geschrieben). Aber wichtig daran ist nicht bloß, dass ein Zyklus zu Ende geht, sondern, dass das auch bedeutet, dass ein weiterer bald losgeht!
Soziale Bewegungen sind in diesem Sinne der Phoenix der Weltgeschichte, sie erstehen jedesmal aus der Asche ihres eigenen Scheiterns auf, und beginnen wieder ihre jahrhundertealte und -lange Arbeit des Verbesserns der Welt. Denn während das Ende eines Kampfzyklus bedeutet, dass die Praxen, Akteure und Wahrheiten (vgl. Badiou), die mit diesem Zyklus verknüpft wurden (Tagebaubesetzungen und Klimastreiks, Die Hambis und FFF, “follow the science!” und “leave fossil fuels in the ground!” an Relevanz verlieren, vielleicht gar komplett unsichtbar werden, so verschwinden die Millionen Menschen, die bei Klimastreiks, Tagebaubesetzungen und Straßenblockaden dabei waren eben nicht aus der Geschichte, sie machen oft nur einen Moment Pause, und kommen dann mit mehr Energie, und mit einem durch das Scheitern geschärften politischen Verständnis wieder zurück.
Wo und wie das genau passieren wird, das kann ich Euch nicht, dass kann Euch niemand mit Sicherheit sagen. Kein*e der antikapitatistischen Theoretiker*innen der 1980er und 90er Jahre hatte vorhergesagt, dass man den auf just-in-time-Lieferungen basierenden neoliberalen Globalkapitalismus sehr einfach durch Straßenblockaden in Bedrängnis könnte, auf die Idee kamen argentinische Bäuer*innenbewegungen, die später unter dem Namen “Piqueteros” bekannt wurden. Auch der olle Marx schrieb im Nachgang der Pariser Commune (1871), dass er ohne die Kommunard*innen nicht in der Lage gewesen wäre, eine positive Vision des Kommunismus zu formulieren.
Es gilt also das Primat der Bewegung gegenüber sog. “Intellektuellen”: an weitgehend unvorhersagbaren Orten werden in den nächsten Monaten und Jahren neue Praxen, neue Akteure und neue Wahrheiten entstehen, und weil soziale Bewegungen genau dort entstehen, wo gesellschaftliche “Problematiken” nicht innerhalb existierender politischer Strukturen beantwortet werden können, und weil die Klimafrage im Kapitalismus natürlich ungelöst bleiben wird, wird es auch eine Klimabewegung geben, die innerhalb des Klimakollaps weiter für Klimagerechtigkeit und eine möglichst gute Welt für Alle kämpfen. Nur genau wo: das müssen wir alle selbst herausfinden. Viel Erfolg beim Suchen und Ausprobieren!
Euer Tadzio