Notes from the Future V: warum #TeamKollaps in Schweden vorne liegt, Part I
(If crisis or war come: Important information for all of Sweden's inhabitants – 2018 government brochure sent to all Swedish households. Source https://rib.msb.se/filer/pdf/28494.pdf (Öffnet in neuem Fenster))
Liebe Leute,
ich bin zurück aus Schweden, und wie Ihr vielleicht meinen Texten und/oder Videos und Tweets entnommen habt, hatte ich dort eine... nunja, ich will nicht sagen “grandiose” Zeit, war der Anlass doch nicht unbedingt ein freudiger, aber... es geht mir seitdem richtig gut, viel besser, als vorher, ich habe neue Strategien erleben, diskutieren und denken können, alte politische und persönliche Beziehungen wiederbelebt, mich daran erinnert, wie wahnsinnig schön Stockholm sein kann...und habe etwas erlebt, das ich aus den vergangenen Jahren in Deutschland, und aus den Debatten hierzulande überhaupt nicht kenne: nämlich mich als “card carrying member” von Team Kollaps nicht wie ein Freak und pessimistischer Fantast zu fühlen, oder zumindest, nicht dem Druck ausgesetzt sein, sich so zu fühlen. Schweden ist ein Land, in dem die Frage der “Katastrophenbereitschaft” sehr viel tiefer in der Gesellschaft verankert ist, in dem die Möglichkeit oder gar Wahrscheinlichkeit von Kollapsdynamiken aktiv und breit diskutiert wird, und man in ganz “normalen” (ähem) Wohnungen von ganz “normalen” Menschen (I know, I know – but you know what I mean) in irgendeinem Wandschrank plötzlich 100 Literflaschen Wasser und 50 Säcke rote Linsen findet.
Worauf ich hinaus will, und was ich in diesem Text erklären möchte: in Schweden sind nicht diejenigen die Freaks, die sagen “der Kollaps kommt, und wir müssen uns darauf vorbereiten” (Linke: “solidarisch vorbereiten”; Rechte: “individuell vorbereiten”), sondern diejenigen, die die Gefahren und Wahrscheinlichkeiten ignorieren sind die gesellschaftliche Minderheit, die sich gegenüber einer verhältnismäßig geprepten oder preppenden Gesellschaft erklären muss. And I can't tell you: that felt AWESOME. Wie und warum das so war, darum geht es im heutigen Text, den ich Allen im Team Kollaps widme.
Klimakrise als “conflict multiplier”
Das mit dem kollabierenden Klima, dem damit einhergehenden, gleichzeitig Ursache und Effekt darstellenden, Kollaps gesellschaftlicher Sicherheiten (z.B. ethischer Ansprüche wie “Nie Wieder” oder “Alle Menschen haben unveräußerliche Grundrechte”), und der Vervielfachung und Radikalisierung gesellschaftlicher Konflikte ist echt scheiße. Deprimierende, absolut dentagversauende Kackscheiße.
Aber: intellektuell hat all das immerhin einen Vorteil: diese alte Ökoerzählung vom Klimaschutz als win-win-win-Spiel, als Situation, in der wir “alle im selben Boot sitzen”, in der Klimaschutz eine “Menschheitsaufgabe” war, bei der sich niemand vorstellen könnte, wie jemand nicht für Klimaschutz sein könnte, wenn ihr die Situation und die costs & benefits von Klimakatastrophe und Klimaschutz kurz erläutert würden, ist tot. Sie ist einem Verständnis gewichen, wo sowohl Klimakatastrophe als auch Klimaschutz extrem ungleich verteilte Kosten und Nutzen haben, dass das Klimathema eines ist, dass nicht nur jeden schon existierenden gesellschaftlichen Konflikt verstärkt und vervielfältigt (Pentagon: “climate change is a threat multiplier (Öffnet in neuem Fenster)”), sondern auch seine eigenen Konflikte mit sich bringt: Nord gegen Süd, Reich gegen Arm, historische Verursacher vs. Nichtverursacher*innen, Arbeit gegen Kapital, Arbeit PLUS Kapital gegen den Rest der Welt, Fossile gegen Erneuerbare. Im Gegensatz zu dem, was uns die “Rio Generation” über Klimaschutz als konsensuelle, rationale win-win-win-Veranstaltung erzählte, ist mittlerweile klar, dass “Klimapolitilk” eine immer größer werdende Anzahl immer härter werdender Konflikte um immer Weniger (Privilegien, Ressourcen, etc.) ist.
Soweit, so... besser. Was sich aber viele in der Klimabewegung nicht eingestehen wollen: diese Konfliktlinien verlaufen mittlerweile auch immer mehr durch die Bewegung selbst. War es bis vor kurzem noch so, dass “Klimas” (Menschen, die den menschengemachten Klimawandel ernst nehmen, und der Meinung sind, es würde viel zu wenig dagegen gemacht werden) einer Phalanx zwar inhaltlich verschiedener, aber doch immer auf die selbe Leugnung des Klimanotstands hinauslaufenden Erzählungen und Akteuren gegenüberstand (primäre Klimaleugnung: anthropogenen Klimawandel gibt's nicht; sekundäre: es gibt ihn, aber er wird nicht von Menschen gemacht/ist nicht so schlimm/gab's schon immer...; tertiäre: wir haben noch viel Zeit/das Ganze ist eine Riesenchance für die Wirtschaft...), zieht sich seit kurzem eine immer tiefer werdende Konfliktlinie durch das Klimafeld: der Konflikt zwischen #TeamKollaps und #TeamMagicalThinking.
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Team Kollaps vs. Team Magical Thinking
Die Sache mit dem magischen Denken hab ich hier (Öffnet in neuem Fenster) schon erklärt, zur Illustration für diesen Text belasse ich es mal mit dem Verweis auf einen wichtigen Text von Christian Jakob (Öffnet in neuem Fenster), einem Veteranen der AntiRa-Bewegung, der mitten im Klimakollaps, dessen reale Tragweite im deutschen Medienraum bisher kaum reflektiert wird – zumindest nicht in der breiteren gesellschaftlichen Debatte jenseits der Beiträge einiger Mitspieler*innen im Team Kollaps – einen Artikel namens “Apocalypse not now” schreibt, in dem steht, dass “Medien” die Welt oft schlimmer aussehen ließen als sie eigentlich sei, man solle die Debatte also erst einmal “entdramatisieren”.
Häh? Entdramatisieren? Es ist Notstand (Öffnet in neuem Fenster), die ganze Häuserzeile brennt, und eines der wichtigsten progressiven Medien Deutschlands titelt im Grunde: “chillt mal”? Aber es ist ja nicht nur die taz, große Teile der Klimabewegung / der Klimabubble nehmen uns “Kollapsolog*innen” (vom französischen “collapsologie”) als Nestbeschmutzer*innen, als Defätist*innen, im schlimmsten Fall als wohlstandsverwahrloste “lasst uns den Kampf für Klimagerechtigkeit aufgeben und bis zum Ende unsere Privilegien genießen”-Arschlöcher wahr. Uns wird inhaltliche Nähe zu individualistischen rechten “Preppern” unterstellt, weil wir Begriffe wie “solidarischen Preppen” / “zusammen Preppen (Öffnet in neuem Fenster)” verwenden, was doch einigermaßen verwunderlich ist, weil der ganze Punkt von “just collapse (Öffnet in neuem Fenster)” politics, von solidarischer Kollapspolitik doch der ist, dass es leichter, angenehmer und effektiver ist, auf Krisen und Katastrophen zusammen und vorbereitet zu reagieren, als allein, und eventuell sogar unvorbereitet. Dass es nicht um den Aufbau von Vorräten geht, sondern um den Aufbau von Beziehungen. Auch unterstellt niemand, der sich für solidarische Kollapspolitik einsetzt, dass das Anerkennen der Unausweichlichkeit des Klima- und anderer -Kollapse bedeutet, sich aus Gerechtigkeitskämpfen zurückzuziehen, im Gegenteil: wie der kluge Lasse Thiele in seiner nd-Klimakolumne schrieb: “Wenn es zu spät ist, die Klimakrise ganz abzuwenden, fängt die gesellschaftliche Auseinandersetzung um Klimagerechtigkeit erst richtig an.”
Wir vom Team Kollaps haben also, glauben wir, die Wissenschaft und die Realität auf unserer Seite, und beanspruchen zumindest, einen vorwärtsgewandten politischen Blick zu haben (dass der manchmal etwas düster und nach unten blickend erscheint, liegt an der dunklen Zukunft im Keller der Weltgeschichte, in die wir ständig schauen). Dummerweise ist der emotionale Grenznutzen, der Gesellschaft sowie dem Bewegungsflügel “Team Magical Thinking” immer wieder “I fucking told you so” sagen zu können, mittlerweile auf weit unter Null gerutscht: fürs Recht Gehabt Haben kannste Dir inner irrationalen Verdrängungsgesellschaft nix kaufen, im schlimmsten Fall kriegste dafür eine aufs Maul.
Das Einfache und das Richtige
Teil von Team Magical Thinking zu sein (d.h., irgendeine dea ex machina im Denken zu haben, die es Dir erlaubt, zu verdrängen, dass der Klimakollaps hier ist, unsere Bewegung gescheitert und die faschistische Bedrohung ALLES ändert), zu glauben, dass es schon nicht so schlimm werden wird, und die Gesellschaft/die Regierung/die Wirtschaft/die Weltgemeinschaft/die Bewegung schon irgendwie rational agieren wird, ist professionell, politisch, persönlich, emotional, ökonomisch und psychologisch wirklich befriedigend einfach: je weniger Kollapsbewusstsein, desto weniger emotionaler Stress, desto weniger Druck, das eigene Business as Usual zu ändern. Deswegen hören die Menschen den Redner*innen von Team Magical Thinking auch so gerne zu: es ist einfach, nicht gestresst zu werden, und man muss trotzdem kein Arschloch sein, kann das (Klima-)Problem auch wirklich ernst nehmen, aber halt nicht so “hysterisch” wie die von Team Kollaps. (Strukturelle) Gewalt und Verdrängung: never change a winning team.
Teil von Team Kollaps zu sein stellt dagegen, überraschenderweise vor allem in der Klimabewegung, eine enorme psychologische, teils auch professionelle und ökonomische Belastung dar: ob es Freundschaften oder gar romantische Beziehungen und Partner*innenschaften sind, die an diesem Konflikt (Kollaps ja/nein?) zu Bruch gehen, ob man einen politischen Job verliert, weil man einfach nicht bereit ist, den politischen Beschwichtigungsbullshit nachzuerzählen/nachzumachen (Grüße an, 1., meine Ex-Arbeitgeberin, und 2. an den großartigen Gianluca Grimalda (Öffnet in neuem Fenster) von Scientist Rebellion), ob man “Standing” in seinem Feld verliert, weil sich dieses Feld (was auch immer es ist: ein Arbeitsplatz, ein “Diskussionsfeld”, ein Verein) größtenteils doch lieber in der Verdrängungsgesellschaft aufhält... all das ist wahnsinnig anstrengend.
Seriously, redet mal mit den Leuten vom Klimakollapscafé, was die persönlich wie professionell schon alles an Scheiße von TeamMagicalThinking einstecken mussten, und immer noch müssen – vor allem von “radikalen Linken”, die, so glaube ich mittlerweile zu verstehen, jede Form von Kollapsdiskurs nicht nur als Defätismus, sondern implizite Shoarelativierung wahrnehmen, und sich daher davon hart distanzieren. Und dann stellt Euch vor, wie “angenehm” es auf merkwürdige Art und Weise sein kann, sich in einem Land aufzuhalten, in dem die meisten Menschen auf Erwähnung von Kollaps und Katastrophe nicht ablehnend (ob linksintellektuell ablehnend - “im Sinne einer kulturhistorischen Betrachtung ist der Kiimakollapsdiskurs nur eine weitere Instantiation des millenaristischen Denkens”- oder eher dumpf ablehnen - “jetzt erzähl hier keinen Mist!”) reagieren.
Ich traf in Schweden auf eine aktive Krisenbereitschaftstradition, ohne die ich die letzte Woche formulierten Gedanken zur Klimantifa nie hätte Denken können, weil in Deutschland dafür kaum der intellektuelle und politische Raum existiert. Und das fühlte sich toll an.
Mehr zur schwedischen Krisenbereitschaftstradition im Text nächste Woche. Für heute einfach nur dies: liebe Teamgenoss*innen im Team Kollaps – don't worry, it's not you. It's the rest of Germany and the climate bubble that's being stupid.
Mit kollapsologischen Grüßen,
Euer Tadzio