Kollaps-Space: the final (political) frontier
Source: ideogram. Prompt: a queer oasis within collapse.
23.01.2025
Liebe Leute,
heute möchte ich ein bisschen das feiern, was ich bisher gerne als “Kollaps-Space (Öffnet in neuem Fenster)” bezeichnet habe, im Grunde eine Art entstehender (“emergenter”) Bewegung für Gerechtigkeit im Kollaps (“just collapse”). Es wird um das enorme Potenzial einer solchen Bewegung gehen, darum, wie sie jetzt schon wächst und gedeiht, und natürlich wird es auch ein bisschen ein Werbepitch sein: “seht her, so spannend und am Puls der Zeit ist das, was wir machen, dass ihr auf jeden Fall vorbeischauen solltet.” Aber bevor diejenigen von Euch, die sich denken “naja, Kollaps schön und gut (oder vielmehr: hässlich und schlecht), aber so richtig 'kollapsbewegt', das ist mir dann doch zu viel” jetzt aus dem Text aussteigen – auch für Euch ist was dabei. Denn der “Kollaps-Space”, den zu verstehen ich hier versuche, ist auch der gesellschaftliche, der emotionale Raum, in dem und weswegen Donald Trump jetzt wieder an der Macht ist, und damit das immer noch mächtigste Land der Welt, den nunmehr nicht residualen, sondern ehemaligen globalen Hegemon einen ganzen Zacken weiter in den Faschismus, und die Welt weiter in die Katastrophe führt. Stick around, I'll make it worth your while...
Kollaps-Space 1: solidarisches Kollapscamp
Ich habe es schon angedeutet, ich benutze den Begriff “Kollaps-Space” auf verschiedene Arten und Weisen, angelegt in der nützlichen Metapher vom “Raum”, der ja physisch, emotional, gesellschaftlich oder anderes sein kann. Die erste Art von Raum, von der ich reden will, ist die konkreteste, nämlich ein tatsächlicher physischer Raum: das Kollapscamp (Öffnet in neuem Fenster), das gerade von einer ständig wachsenden Gruppe spannender Menschen aus (für so ein radikales aktivistisches Camp) unüblich vielen und verschiedenen politischen Kulturen und gesellschaftlichen Milieus organisiert wird.
Und was macht so ein Kollapscamp? Naja, im Kern wird es uns darum gehen, die Katastrophe ernst zu nehmen und uns und anderen die Möglichkeiten zu vermitteln, in Katastrophen (ob zeitlich begrenztes Extremwetterevent oder die dauerhafte faschistische Katastrophe wie seit dem 20. Januar in den USA) solidarisch handlungsfähig zu sein. Es geht hier also nicht um “rechtes Preppen”, wie manche Verdränger*innen uns vorwerfen, sondern um das genaue Gegenteil: wenn die Scheiße den Ventilator trifft, können wir uns entweder wie die irrational-egoistischen, hobbes'schen Wölfe verhalten, oder wie Menschen: mit Mitgefühl und Solidarität, mit gegenseitiger Hilfe und praktischem Antifaschismus.
Neben eher traditionellen Wissensvermittlungsformaten (zum Beispiel wollen wir Menschen von “Occupy Sandy” einladen, um über das gigantische und extrem erfolgreiche anarchistische Katastrophenhilfsnetzwerk zu berichten, dass Menschen von Occupy Wall Street 2012 erschufen, als der Hurricane Sandy Teile New Yorks und New Jerseys verwüstete) wollen wir auch Räume für gemeinsame emotionale Arbeit (Stichwort Kollapsakzeptanz (Öffnet in neuem Fenster)) schaffen, aber der absolute Fokus des Camps wird das gemeinsame praktische Upskilling für eine Vielzahl möglicher (actually: wahrscheinlicher bis sicherer) katastrophaler Zukünfte sein, entlang von drei Strängen.
Erstens, handlungsfähig in der Katastrophe: Wenn alles so läuft, wie wir uns das vorstellen, werden wir in den 3 Tagen des Camps eine Art Kurs einrichten können, in dem Menschen aus international agierenden Katastrophenschutzorganisationen (in diesem Fall solchen, denen wir auch noch politisch völlig vertrauen können) uns beibringen, wie wir in verschiedenen Katastrophenfällen miteinander schützend agieren können, aber auch, wie wir mit existierenden Strukturen wie Freiwilligen Feuerwehren oder dem THW synergetisch interagieren können. Ähm: also, wie wir helfen können, ohne dabei auf andere helfende Füße zu treten oder weggeschoben zu werden.
Zweitens, handlungsfähig im Kampf: ich spreche ja schon lange von meinem Traum, die Pink Panther-Brigaden (Öffnet in neuem Fenster) zu organisieren, stilistisch glamouröse queere Selbstverteidigungsstrukturen, die zum Beispiel in der Lage wären, einen CSD in umkämpftem Umfeld zu verteidigen – ihr wisst, wovon ich spreche, erinnert Euch nur an die schrecklichen Bilder vom CSD in Bautzen, wo militante Neonazis fast ohne Polizeispalier nur 20 Meter hinter dem Ende des CSD marschierten. Natürlich werden wir sowas nicht in 3 Tagen aus dem Boden stampfen, aber einen Anfang möchten wir machen, nicht nur für Queers: wenn der Faschismus kurz vor der Macht steht, wenn Faschos sich überall enthemmt und ermächtigt fühlen, wenn die Polizei nun mal ein Polizeiproblem IST (nicht nur: hat), dann müssen wir als Bewegung, die in der Katastrophe mehr Gerechtigkeit schaffen will, auch in der Lage sein, uns zu verteidigen und anderen Akteuren, die uns bedrohen und einschüchtern wollen, selbst ein bisschen Angst zu machen.
Drittens, handlungsfähig in the long run: natürlich kann es im solidarischen Kollapsaktivismus nicht nur darum gehen, kurzfristig in Katastrophen oder bei Angriffen handlungsfähig zu sein, wir müssen – in einem gewissen Sinne dem Move der klassischen Autonomen Anfang der 80er nicht unähnlich, die in einem (lang nicht so krassen) Rechtsruck der westdeutschen Gesellschaft sagten “hey Ihr reaktionären Spießer und Verdränger, fickt Euch einfach, wir machen jetzt selbst, wir bauen jetzt Inseln des guten Lebens, weil von Euch eh nur Scheiße kommt” - auch in der Lage sein, Räume für gutes Leben selbst zu basteln, d.h. auch und ganz konkret: Sachen bauen und Sachen anbauen lernen (Häuser; Hochbeete; Medizinkräutergärten; etc...). Weil Kollaps (Öffnet in neuem Fenster) ja bedeutet, dass immer weniger von dem, was wir brauchen, noch durch die “established channels” erhältlich ist.
Kollaps-Space 2: emergente Bewegung
Puuuh, wenn ich das so aufschreibe, klingt das schon alles noch nach ziemlich viel Arbeit, und darin hab ich ja noch gar nicht die für die Erfahrung des Camps extrem wichtigen Festivalelemente aufgezählt, weil, to be honest: je mehr Kollaps, desto besser müssen die Parties werden, und wir wollen neben dem Realismus auch den Hedonismus ein bisschen in die Postklimabewegung, in den Klimakampf 2.0 (Öffnet in neuem Fenster) zurückbringen. Und, ja, es stimmt, es ist einiges an Arbeit, aber diese wird erheblich dadurch erleichtert, dass der Orgaprozess einer dieser seltenen Prozesse ist, wo wir mit mehr Energie aus den zoom-Calls rauskommen, als wir reingingen. Wer sich derzeit im Kollapsspace mit anderen Menschen trifft, die die Realität akzeptieren und darin handlungsfähig werden wollen, trifft auf andere, die in ihren Politgruppen oft dieselbe Erfahrung haben: dass diese weiterhin vor allem verdrängen, dass Hinweise auf die realen Schwächen unserer Strategien und Taktiken (und Theorien) dort oft nicht anders behandelt werden als Verweise auf die Klimakatastrophe von Klimaleugner*innen, und daraus entsteht eine enorme Energie.
Sie entsteht aus dem Gefühl, endlich mit Leuten zu reden und zusammenzuarbeiten, die sich nicht ständig irgendwelchen Bullshit einreden müssen, und die wirklich was praktisch machen wollen, was uns auch erlaubt, die Existenz durchaus unterschiedlicher Milieus und politischer Kulturen im Orgaprozess nicht nur abzufedern, sondern produktiv, und zu einer Quelle von Stärke und Dynamik zu machen. Was wir auch daran merken, dass jetzt schon, obwohl unser öffentlicher Auftritt bisher aus einer noch nicht sehr ausgebauten Website, einem Save the Date und einem Erklärtext besteht, richtig viele spannende Angebote aus ganz verschiedenen Richtungen bekommen: von Katastrophenschutzorganisationen über Freiwillige Feuerwehren bis hin zu Banken (I know, but, you know...). To be perfectly honest hab ich jetzt schon ein bisschen Angst, dass wir das Ganze zu klein gedacht haben, weil die Nachfrage jetzt schon enorm ist.
Glücklicherweise wächst neben (oder in Tandem mit?) dem Interesse auch die emergente Kollapsbewegung, differenziert sich der Kollaps-Space, jetzt als sozialer Raum gedacht, der z.B. von Organisationen oder Netzwerken gefüllt wird, immer weiter aus, wie das eben in einem “Ökosystem Bewegung” sein soll. Wo zuerst das Klimakollapscafé (Öffnet in neuem Fenster) lange allein stand, gibt es jetzt eine ständig wachsende Anzahl von Organisierungs- und Praxisansätzen, die gut miteinander vernetzt sind und sich solidarisch miteinander absprechen.
Da wäre zum Beispiel die “Solidarische Klimahilfe”: hervorgegangen aus dem linksradikalen Flügel von FFF, der eine Zeitlang das Projekt “End Fossil/Occupy” an den Start brachte, geht es diesen Genoss*innen darum, Formate für Klimaaktivist*innen zu schaffen, um in Extremwetterevents (bisher vor allem Überschwemmungen) nicht so gelähmt dazustehen, wie während der Flut im Ahrtal. Es gibt bei XR neuerdings eine Kollapsvernetzung, dito bei der Interventionistischen Linken. Es gibt das “Team Kollaps”, die kleine Gruppe, in der ich neuerdings organisiert bin, und unser momentaner Fokus ist zuerst mal das Camp. Neuerdings ist jetzt noch das Kollapskollektiv dazugekommen, das Onlinetreffen mit dem charmanten Namen “Kollaps und Kekse (Öffnet in neuem Fenster)” organisiert. Und neben diesen Organisierungen, die sich alle bewusst als Teil einer Kollapsbewegung sehen würden, gibt es gute und enge Verbindungen mit den Menschen, die gerade daran arbeiten, eine Wasser-Land-Gerechtigkeits-Bewegung zu bauen, und die im März (21.-23.) in Köln eine große und wirklich megaspannend aussehende Konferenz (Öffnet in neuem Fenster)an den Start bringen.
______________________________________________________________________________
Ich finanziere meine politische Arbeit vor allem über diesen Blog, und wäre dankbar für Deine Unterstützung
______________________________________________________________________________
Kollaps-Space 3: kollektiver Affekt
Aber ich hatte ja zu Beginn versprochen, nicht nur über unsere entstehende Kollapsbewegung zu sprechen, sondern auch zu erklären, was der Kollaps-Space (Obacht: gleich kommt die 3. Definition) damit zu tun hat, dass der orangefarbene Faschist in den USA wieder an der Macht ist. Denn wie ihr mittlerweile wisst, entwickele ich seit geraumer Zeit eine “affektive” Perspektive auf Politik und soziale Bewegung, gehe immer mehr davon aus, dass Emotionen und unsere Art, sie zu verarbeiten, wahnsinnig stark das strukturiert, was wir als “Politik” verstehen, die angeblich im besten Fall ohne Emotionen (“rational”) auskommt, oder zumindest ohne negative Emotionen.
Und aus dieser “affektbasierten” Politikanalyse sind die oben beschriebenen Kollaps-Spaces – physische und gesellschaftliche Räume – eigentlich “second order”, abgeleitete Kollaps-Spaces: es sind Räume, die entstehen/gebaut werden können, weil es an immer mehr Orten in der Gesellschaft, zwischen immer mehr gesellschaftlichen Subjekten emotionale Kollaps-Spaces gibt. So gesehen ist Kollaps-Space das, was entsteht, wenn Menschen ihre Kollapsakzeptanz vergemeinschaften, wenn sie miteinander eine Art Coming Out als kollapsbewusste Menschen erleben. Er ist eine “emergente Eigenschaft” (emergent property) der emotionalen Energie, die in diesen wuchtigen Momenten freigesetzt und produziert wird. Und im Moment, in dem immer mehr Menschen, trotz der immer dämlicher werdenden fortgesetzten Kollapsleugnung in fast allen politischen Milieus, derartige Outings miteinander erleben, immer mehr Kollaps-Spaces schaffen, werden diese Räume politischer Organisierung immer mehr zugänglich (und bedürfen dieser auch immer mehr). Was mich nun endlich zu Donald Trump bringt, und dann zurück zu unserer just collapse-Bewegung.
Also: Donald Trump, so meine These, hat gegen die fast schon zwanghaft positiv kommunizierende Kamala Harris gewonnen, weil sein “everything is gonna burn, unless you vote for me” effektiv emotionale Resonanz (Öffnet in neuem Fenster) mit den total realistischen und vernünftigen, aber von allen anderen politischen Akteuren unartikulierten und deshalb in der Politik grundsätzlich verdrängten negativen Gefühlen herstellte, die Menschen erleben, wenn sie mit der immer dunkler werdenden Realität des ökologischen und gesellschaftlichen Kollaps interagieren. Basically: fear makes sense, because reality is scary. Und wenn zentristische und progressive politische Kräfte weiterhin darauf bestehen, diese nicht anzuerkennen, immer wieder von “Freude” (Harris) und “Zuversicht” (Habeck) zu erzählen, dann fehlt ihnen eben genau diese emotionale Resonanz mit der Realität. To be clear, ich sage nicht, dass Trumps Diskurs vernünftig und richtig ist, ich sage nur, dass er bewiesenermaßen effektiver ist als der zwangsoptimistische Diskurs der progressiven Mitte. So ködert man im Kollaps Wähler*innen. Nicht durch "LALALALALALA, wird alles gut", sondern "ALLES IST TOTAL SCHRECKLICH, ABER WENN IHR MICH WÄHLT, WIRD ES GUT!"
Daher liegt ein wichtiger Grund für die Effektivität faschistischer Angstdiskurse darin, dass diese die ersten weithin hörbaren politischen Erzählungen sind, welche die immer häufiger und an immer mehr Orten entstehenden “Kollaps-Spaces” organisieren, sie in eine bestimmte politische Richtung artikulieren, die aber im affektiven Kollaps-Space selbst gar nicht angelegt ist. Das ist dann auch der Grund, warum manche Linke und Ökos auf unseren Vorschlag des “solidarischen Preppens” auch mit “dAs IsT AbER rEChTeS teUFelSZEug!” reagieren: die merken, dass sie in dieser Hinsicht (taktische und strategische Vorbereitung auf mit sehr, sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintretende Katastrophenszenarien) den Rechten weit hinterherhinken, ihnen einen wichtigen politischen Raum komplett überlassen haben, sich dafür blöd und scheiße fühlen (“Scheitern”), und dies nun aggressiv verdrängen.
Kollaps-Space und Antifaschismus
Wir Kollapsis dagegen wissen: der Kollaps-Space ist natürlich kein per se rechter, es ist zuerst einmal ein Raum, in dem Menschen miteinander Ängste und andere negative Emotionen miteinander teilen, den sie aber auch als befreienden und ermächtigenden Raum erleben, erstens, weil es befreit, mit Menschen endlich ohne dumme Verdrängung und magisches Denken die Realität teilen zu können; und zweitens, weil erst nach diesem realistischen Blick auf die Realität Strategien entwickelt werden können, die uns darin real handlungsfähig machen. Bisher machen das aber vor allem die Rechten: die nehmen die Kollaps-Spaces, die überall entstehen, und artikulieren diese nach rechts (ich glaube, das klassische Beispiel dafür werden die Corona-Proteste werden). Wir wollen ihnen dabei in die Parade fahren, und den Affekt stärken, der in jeder Katastrophe immer wieder auftaucht, wo auch immer in der Welt, wann auch immer in der Geschichte: den Katastrophenkommunismus. Jene Vervielfältigung gesellschaftlicher Solidarität, die immer geschieht, wenn eine Katastrophe eintritt. Wir glauben, dass darin die eigentliche Perspektive der Kollaps-Spaces liegt, dass sie Räume sind, die eine inhärente, eine automatische Drift zu solidarischem Verhalten beinhalten. Gerade deswegen erzählen die Rechten ja diesen quatschigen Mythos vom individuellen Prepper, der (sic!) sich allein, oder im besten Fall als pater familias, als Familienoberhäuptling, in den Bunker zurückzieht: das muss so stark betont werden, weil sich die meisten Menschen im Katastrophenfall nun mal solidarisch verhalten, und nicht wie Arschlöcher. Z.B. California Wildfires: es gab einige sehr wenige Vorfälle, wo geplündert wurde, über die wurde auch überall berichtet – es gab aber tausende, tatsächlich zehntausende Menschen, die einander halfen.
Daher glauben wir, dass die progressive, die solidarische Organisierung der entstehenden Kollaps-Spaces ein zentrales Element antifaschistischer Praxis sein muss: wenn wir in Katastrophen und darüber hinaus zeigen können, dass und wie wir mit dem Kollaps, oder auch den Kollapsen, solidarisch und menschlich miteinander umgehen, dann werden wir zwar nicht den Kollaps abwenden, aber vielleicht können wir den Anfang einer neuen Phase, eines neuen Zyklus linker Praxis organisieren, nennen wir ihn mal “Gerechtigkeit in der Katastrophe”. Das wäre dann: the final political frontier.
Mit freudig-aufgeregten Grüßen,
Euer Tadzio