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Gedanken einer Atheistin zur Weihnachtszeit

Warum es problematisch ist, als AtheistIn religiöse Feste zu feiern

Ich bin Atheistin und habe mich vollkommen von der monotheistischen Religion, die meine Weltregion dominiert, abgewendet. Der Weg zu einem religionslosen Leben war dabei durchaus keine Selbstverständlichkeit. Meine Eltern waren zwar keine praktizierenden Christen, aber sie ließen mich als Baby taufen (damit war ich automatisch Kirchenmitglied), ich hatte während meiner gesamten Schulzeit Religionsunterricht, besaß seit der Grundschule eine Kinderbibel und ging zum Konfirmandenunterricht. Bis heute bin ich einigermaßen bibelfest; die wichtigsten Geschichten und Personen aus der Bibel sind mir geläufig. In die Kirche ging es bei uns nur bei Begräbnissen und Hochzeiten im Verwandtenkreis oder eben während meines Konfirmandenunterrichts, aber das Christentum gehörte vor allem in Form von Traditionen zu meinem Aufwachsen. Die Bibelfilme zu Ostern und Weihnachten waren ebenso unhinterfragbare Tatsache wie überhaupt das Wahrnehmen und Feiern dieser Ereignisse.

Obwohl ich selbst meine Religion auch nie durch Kirchgänge oder Gebete praktiziert habe, habe ich lange weder meine Religionszugehörigkeit noch das Begehen kirchlicher Feste in Frage gestellt. Selbst nachdem ich 2011 aus der Kirche ausgetreten war, habe ich mich immer noch über die Feiertage gefreut, habe dekoriert, geschenkt und alles getan, was sonst noch so dazu gehört. Das lag in erster Linie daran, dass ich die Feste im Alltag nicht als religiös wahrgenommen habe. Für mich war Weihnachten nichts Religiöses, also war es generell nichts Religiöses.

Doch je älter ich wurde und je mehr ich für mein Buch "Female Choice" über die monotheistischen Religionen recherchierte, desto klarer wurde mir, dass ich nichts mehr tun will, was diese Strukturen und ihre Traditionen am Leben hält. Alle religiösen Feiertage ignoriere ich weitgehend. Ich eskaliere nicht in einem hyperkapitalistischen Konsumrausch, ich schenke nichts und bekomme nichts geschenkt, ich höre keine Weihnachtsmusik, ich dekoriere nicht, ich schaue keine Bibelfilme. Das einzige Relikt der traditionellen Feierlichkeit ist ein besonderes Essen, das ich nur an diesen Tagen esse. (Sie sehen: Selbst als zutiefst leidenschaftliche Kirchengegnerin bekomme ich die Tradition noch nicht ganz aus mir heraus.)

Wer "Female Choice" gelesen hat, weiß, warum ich so ein großes Problem mit dem Monotheismus habe. Für alle anderen schreibe ich es hier. Spiritualität und Religiosigtät sind für mich dabei nicht synonym. Spiritualität ist nichts weiter als die Suche nach einem Verständnis der Zusammenhänge, die die eigene Welt ausmachen. Die Religion begegnet diesem Wunsch mit ausformulierten Erzählungen. Man könnte auch sagen, Spiritualität sei das Gefäß und die Religion das, was man in das Gefäß hineinfüllt. Spiritualität ist die Frage, Religion die Antwort.

Religionen allgemein sind als Werkzeuge zur Kontrolle und Unterdrückung von Menschen entstanden. Von Beginn der Sesshaftigkeit an haben Männer, die in den frühen Bauernkulturen die Führung beanspruchen, die Spiritualität der Menschen ausgenutzt, um ihre eigene Macht zu vergrößern. Oberhäupter rechtfertigten ihre Vormachtstellung gegenüber dem einfachen Volk, indem sie erklärten, sie seien durch göttliche Mächte auf ihren Posten berufen worden. Die spirituelle Ehrfurcht der Menschen wird von machthungrigen Männern gewissermaßen umgeleitet: Weg vom nicht-greifbaren Göttlichen hin zu ihnen selbst beziehungsweise ihren Ämtern. Weltliche und religiöse Macht verschmilzt zu einem untrennbaren Amalgam.

Alle Anweisungen von oben sind gleichsam der Wille göttlicher Entitäten. Der Wunsch nach einem gottgefälligen Leben ist ein starker Antrieb und führt bei den Menschen zu dem trügerischen Gefühl, sich freiwillig für ein durchreguliertes, unfreies Leben entschieden zu haben. Die vermeintliche Freiwilligkeit veranlasst die Gläubigen dazu, die religiösen Anweisungen, die zu ihrer eigenen Kontrolle und Erziehung entstanden sind, aus eigenem spirituellen Antrieb in die Welt zu tragen. 

Was Monotheismus für Männer im Vergleich zum Polytheismus besonders attraktiv macht, ist die Abwesenheit weiblicher Gottheiten. Eine weibliche Gottheit bedeutet für den Mann, dass es letztlich immer eine Frau gibt, die über ihm steht. Gleich wie reich und mächtig er in der diesseitigen Welt ist, bleibt immer eine weibliche Endgegnerin, die mächtiger ist als er, die ihm befehlen kann, die die Deutungshoheit über ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich hat. Was für eine Befreiung sind da die abrahamitischen Erzählungen, die bei Männern auf gut gedüngten Boden fallen. Er ist wie Gott und seine Frau ist es nicht, geilo.

Um sich als Oberhaupt den Gehorsam von Gläubigen zu sichern, muss man ihnen weismachen, dass die jeweilige Religion die einzige Wahrheit ist und alle anderen Religionen unwahr. Das erzeugt Angst und Ablehnung und macht die Menschen und hier vor allem die Männer als potentielle Soldaten noch empfänglicher für Manipulation. Intoleranz gegen Anders- und Ungläubige ist eine Hauptsäule monotheistischer Religionen.

Der römische Kaiser Konstantin, der sich selbst zum Pontifex maximus, dem obersten Priester des jungen Christentums, ernannte, berief 325 das Konzil von Nicäa ein, um theologische Streitfragen klären zu lassen. Bei diesem und späteren Konzilen ging es um die Klärung, was christlich sei und was nicht. Das hat weniger etwas mit einer religiösen Identitätsfindung zu tun als mehr mit der Formulierung von Feindbildern. Die Häresie oder Ketzerei wird als neues Verbrechen aus der Taufe gehoben, dessen sich jede Person schuldig macht, die den christlichen Glauben nicht konzilgemäß ausübt. Das Vergehen der Ketzerei hingegen öffnet der Verfolgung von Anders- und Ungläubigen Tür und Tor. Als der Islam in der Levante aufkommt, steht er dem Christentum darin in nichts nach. Auch die Moslems sind felsenfest davon überzeugt, die einzig wahre Religion gefunden zu haben. Das führt wenig überraschend zu der gleichen Folgen wie bei den Christen: aggressiver Expansion. Noch zu Mohammeds Lebzeiten reiten die ersten Neugläubigen (von den Christen Sarazänen genannt) los, um das Wort ihres Gottes über die Grenzen der arabischen Halbinsel hinaus bekannt zu machen – mit dem Schwert.

Ähnlich wie die Ablehnung Andersgläubiger schürt der Monotheismus Hass gegen Frauen. Alle monotheistischen Religionen greifen den Impuls des Mannes auf, die Ressource Frau und ihre Sexualität zu kontrollieren. Dieser Impuls ist aufgrund des evolutionär entstandenen Sexuellen Konflikts tief in der männlichen Sexualität verankert. Er steht daher weltlichen und religiösen Obrigkeiten als Gelenkschmiere ihres Machtstrebens nahezu unbegrenzt zur Verfügung. Die Sesshaftwerdung hat den Impuls noch verschärft, denn seitdem ist Sex mit einer Frau eine Bedrohung für den Besitz des Mannes. Sex bedeutet Kinder und Kinder bedeuten Versorgungspflicht. Zu dem Kontrollwunsch gesellt sich ein latentes Misstrauen. Die Frau ist jemand, der einem selbst etwas wegnehmen kann, und das macht sie von einer potentiellen Verbündeten zu einer potentiellen Gegnerin. Der Sexualtrieb des durchschnittlichen heterosexuellen Mannes wirft ihn also in die unangenehme Situation, jemanden zu begehren, von dem er sich gleichzeitig bedroht fühlt.

Die Monotheismen gehen nun her und antworten auf das "Ich weiß nicht, ob dem Weib zu trauen ist" der Männer mit einem "Du hast vollkommen Recht, mein Sohn, die Frau ist der Feind." Der Mann lernt aus den heiligen Schriften, dass er selbst so tugendhaft sein kann, wie er will – wenn sich ein lüsternes Weib über ihn hermacht, ist es aus mit seiner unsterblichen Seele. Die Frau ist lüstern, schwach und ständig auf Sex aus, mit dem sie die Männer um ihren Besitz und schlimmer noch: das ihren Platz im Paradies bringen will. Der Monotheismus redet dem Mann ein, dass er mit einem Teufel zusammenlebt und deshalb jederzeit Gefahr läuft, Gottes Liebe und Respekt zu verlieren. Auf Gefahren aber – eingebildete wie auch tatsächliche – reagieren Männer weltweit bis heute auf die gleiche Weise: mit Gewaltbereitschaft.

Die sexualmoralischen Regeln aus den religiösen Schriften entsprechen weitgehend den früheren polytheistischen und heidnischen Gesetzen. Die Unterdrückung der Frau in gottlosen Gesellschaften ist tot, es lebe die Unterdrückung der Frau in gottesfürchtigen Gesellschaften. Neu ist, dass Frauenunterdrückung nun nicht mehr einfach auf weltlichen Gesetzen fehlerhafter Menschen beruhen, sondern nicht weniger als Gotteswille sind. Ein Mann, der seine Frau nach einem Seitensprung erschlägt, ist plötzlich nicht mehr ein triebgesteuerter Affekttäter, sondern ein Vollstrecker vor Gottes Gnaden. Die Religionen bestätigen also nicht nur die bisherigen Ungerechtigkeiten gegen die Frau, sondern werten sie auch noch auf und machen sie zu etwas Edlem, Höherem.

Die Folgen dieses ganzen auf Angst und Manipulationswille beruhenden Konstrukts namens Religion sind hinlänglich bekannt. Sie reichen von systematischer Frauenverfolgung über Kreuzzüge/Glaubenskriege bis zum Auslöschen ganzer Zivilisationen im Rahmen der Reisetätigkeit christlicher Missionare.

Aus meiner Sicht kann man weder den Zweck noch die unfassbar aggressive und gewalttätige Vergangenheit der Monotheismen ignorieren, weil man Weihnachten "so gemütlich" findet. Religion ist eine Missbrauchsstruktur. Das zu ignorieren oder sich hinter dem Spruch "Es ist nicht die Religion, es sind die Menschen" zu verstecken und weiterhin Religionsmitglied zu bleiben oder zumindest religiöse Traditionen am Leben zu halten, bedeutet, das System am Leben zu halten.

Nach der gleichen Logik könnte man auch sagen "Es ist nicht die Sklaverei, es sind die Menschen", denn es gab ja schließlich auch Sklavenhalter, die ihre Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter anständig behandelt haben. Außerdem kurbelt Sklaverei den wirtschaftlichen Aufschwung an, wo sonst bekommt man Akkordarbeit fast zum Nulltarif. Und in ihrer afrikanischen Heimat hätten diese Menschen gar keinen Job. Man muss das also differenzierter sehen.

Ja, ich überzeichne hier, weil ich es kaum aushalte, wie viele Menschen dieses System und damit auch die menschenverachtenden Glaubenssätze dahinter stützen. Bei überzeugten und praktizierenden Gläubigen kann ich das noch formell nachvollziehen, sie stecken bis zum Hals drin in der Indoktrinierung. Aber dass auch nicht-praktizierende Gläubige und Atheisten religiöse Feste mittragen und damit zu einer schädlichen kulturellen Prägung beitragen, ist mir schwer verständlich.

Was ich sagen will: Sollen überzeugte Christen an Weihnachten machen, was sie wollen, aber alle anderen sollten vielleicht überlegen, ob sie Traditionen einer Struktur aufrecht erhalten wollen, die der Unterdrückung und Kontrolle von Menschen dient. Und wer nicht an einen monotheistischen Gott glaubt, aber noch in der Kirche ist, weil er auf ein Zeichen wartet, auszutreten: Hier ist es.

So, und jetzt habe ich mich hier in Rage geschrieben und noch nicht einmal einen Schnaps im Schrank. Schöne Scheiße.

Kategorie Kessel Buntes

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