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Iran, Feminismus: Über männliche Unterstützung

Unterstützung durch Männer ist in historisch patriarchalen Systemen ein wichtiger Pfeiler im Feminismus. Welche Männer sind es und warum sind es so viele nicht?

Im Iran kämpfen seit Wochen Frauen um ihre Freiheit und ihr Leben. Es ist eine ungeheure Auflehnung gegen ein System, das sie zu Sklavinnen macht, zu Menschen zweiter Klasse, zu Unsichtbaren. Nach dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini in Polizeigewahrsam protestierten tausende Frauen auf den Straßen und im Netz gegen die frauenfeindlichen Gesetze der Scharia. Mahsa Amini war verhaftet worden, weil sie ihren Hijab nicht gemäß der Kleiderverordnung getragen hatte.

Nach und nach kamen unterstützten mehr Männer den Kampf der Frauen und nie zuvor wurde ihr Engagement in Medien so euphorisch kommentiert wie im Iran. Tweets (Öffnet in neuem Fenster), Zeitungsartikel (Öffnet in neuem Fenster) und die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (Öffnet in neuem Fenster) erwähnen die Solidarität von Männern immer wieder ganz ausdrücklich. Die Vorbildfunktion, die den iranischen Männern dabei zugeschrieben wird, ist zwar nur implizit, aber dennoch unübersehbar – "Seht, Ihr Männer, der Welt sogar die iranischen Männer usw."

Zeit zu schauen, warum die Männer sich solidarisch mit feministischen Anliegen zeigen, welche Männer es tun und warum so viele andere nicht.

Zum einen ist Iran eine Diktatur (Öffnet in neuem Fenster) und in Diktaturen ist kein Geschlecht frei. Oppositionelle werden auch über die Landesgrenzen hinaus verfolgt, in Gefängnissen wird gefoltert, Presseorgane kontrolliert und zensiert und Kommunikationskanäle im Internet blockiert. Die Männer mögen "freier" sein als die Frauen, weil viele Kleider- und Benimmregeln für sie nicht gelten, aber sie sind nicht frei in einem demokratischen Sinne und haben daher ebenfalls ein starkes Interesse daran, das Regime zu stürzen.

Viele der männlichen Unterstützer kommen aus dem LGBTQ-Umfeld, das ebenso wie Frauen massiver Gewalt ausgesetzt ist. Warum ist autoritären Regimes Homosexualität so ein starkes Feindbild?
Heterosexualität ist eine wichtige Stellschraube von autoritären Regimes zur Festigung ihrer Macht, weil sie eine direkte Verbindung zwischen den Geschlechtern herstellt. Was man dem einen Geschlecht antut und vorschreibt, wirkt sich in kurzer Zeit auch auf das andere aus. Heterosexualität nimmt Männer und Frauen in eine Art Geiselhaft, weil beide in gewisser Weise aufeinander angewiesen sind.
Das gilt natürlich nicht für homosexuelle Menschen, die sich theoretisch (!) der Obrigkeitskontrolle entziehen können, weil sie außerhalb der zwischengeschlechtlichen Abhängigkeit stehen. Sie sind eine Sollbruchstelle im Unterdrückungsapparat, die Diktaturen daher mit aller Gewalt ausmerzen wollen. Dazu gehört natürlich eine Gesetzgebung gegen Homosexualität, aber auch tägliche Repressalien, so dass LGBTQ-Menschen immer in Angst leben müssen.
Aus dem Grund ist es naheliegend, dass sich Feminismus nicht mehr ausschließlich gegen die Unterdrückung von Frauen, sondern als Queerfeminismus auch für LGBTQ-Menschen kämpft. Dass diese sich den Protesten anschließen, ist also selbstverständlich.

Auch verheiratete Männer zeigen vermehrt Unterstützung für die Frauenproteste. Dieses Phänomen kann man auch im Westen gut beobachten, wo sich gerne Ehemänner und Partner für die feministischen Belange ihrer Frauen einsetzen. Es sind Männer, die bereits von einer patriarchalen Tradition – nämlich der sexuell treuen Langzeitpartnerschaft – profitiert haben. Für sie wirkt der weibliche Kampf um sexuelle Selbstbestimmung und körperliche Freiheit nicht bedrohlich – sie haben ja eine Frau, die ihre Sexualität nur ihnen zugänglich macht, sicher. Und sie gehen davon aus, dass ihre Partnerin durch eine Revolution zufriedener und entspannter wird, sich aber ansonsten nichts an der Beziehung ändert. Es ist leichter, großzügig zu sein, wenn man seinen Teil vom patriarchalen Kuchen schon hatte.

Ich bin sicher, viele dieser Männer werden ein böses Erwachen erleben, wenn der Feminismus erstmals in ihre Ehe hineingreift. Etwas am Alltag ändert, am Umgang miteinander, wenn die Frau plötzlich Forderungen stellt oder Körperlichkeit verweigert. Das gilt für liierte Männer weltweit. Es ist kein Wunder, dass Scheidungsraten in westlichen (sprich: tendenziell gleichberechtigten) Ländern steigen und dass meist die Frauen diejenigen sind, die sich scheiden lassen wollen. Die Freiheit der Frau im Allgemeinen und ihr feministisches Erwachen im Besonderen gehen eben sehr oft mit einer Unzufriedenheit mit dem Bestehenden einher, die auch vor der eigenen Beziehung nicht Halt macht.

Zahlen über den Beziehungsstatus männlicher Demonstranten im Iran gibt es natürlich nicht, ich kann bei meiner Beobachtung nur auf die allgemeine Berichterstattung zurückgreifen. Und bei der habe ich das diffuse Gefühl, dass es nicht einfach nur Männer sind, die sich mit Frauen solidarisch zeigen, sondern ganz bestimmte Männer, die die Frauenproteste als Vehikel nutzen, um ihre eigenen Repressalien in diesem System zu beenden.

Als die Lobeshymnen auf die iranischen Männer in den (Sozialen) Medien begannen, hatte ich ein komisches Gefühl im Bauch, weil ich sofort an den Arabischen Frühling denken musste. Diese Protestwelle begann 2010 in Tunesien, erfasste aber schnell fast das gesamte Nordafrika und Teile des Nahen Ostens. Auch im Iran gingen Menschen auf die Straße. Auslöser der Revolten war zwar kein geschlechtsspezifisches Verbrechen, aber auch hier standen Frauen und Männer geschlossen gegen unterdrückerische Regime zusammen. Ich erinnere mich daran, dass ich damals zunächst ähnlich euphorisiert war über die große Einigkeit zwischen den Geschlechtern.
Bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo machten Frauen bis zu fünfzig Prozent der Menge aus, sie mobilisierten (ihre) Männer, sich ebenfalls zu beteiligen, und setzten sich mit dem gleichen Mut und der gleichen Wut wie heute die Frauen im Iran unter dem Einsatz ihres Lebens für ein Ende des Regimes unter Husni Mubarak ein.

Und was passierte, nachdem der Diktator endlich zurücktrat?

Auf eben dem Tahrir-Platz, auf dem Frauen zuvor wie Kriegerinnen gestanden hatten, brach durch den Zusammenbruch des Staatsapparates und der Polizei eine Welle sexueller Gewalt gegen Frauen aus, die zwei Jahre dauerte. Sie hörte nur auf, weil die neue Regierung ein absolutes Versammlungsverbot verhängte. Die Gewalt ging dabei anfangs von einfachen Männern aus, später dann mehr und mehr auch von den "Sicherheitskräften" der in diesem Zeitraum schnell wechselnden Regierungen. Die (Gruppen-)Vergewaltigungen waren zum Teil also ein spontaner Ausbruch einfacher Männer, als auch systematisches Unterdrückungswerkzeug, um Frauen an Versammlungen zu hindern und ihre Proteste gegen sexuelle Belästigungen durch Männer zu brechen.

Heute ist Ägypten wieder eine Diktatur und Frauen leiden immer noch. Ägypten ist das Land mit der höchsten Häufigkeit von Genitalverstümmelung von Mädchen, Homosexualität ist verboten und Folter weit verbreitet.

Dass die Männer im Iran momentan durchaus auch eigene Interessen haben, sich dem von Frauen geführten Kampf anzuschließen, macht ihre Unterstützung natürlich nicht wertlos, im Gegenteil: Je mehr Menschen, gleich welchen Geschlechts, auf die Straße gehen, desto größer ist die Chance, dass sich tatsächlich etwas ändert.

Aber wie viel Solidarität mit den spezifischen Frauenanliegen bleibt, wie viel Unterstützung für die sexuelle Selbstbestimmung der Frau, wird sich erst zeigen, wenn die Frauen von der neugewonnenen Freiheit Gebrauch machen. Vielleicht warten wir noch einen Augenblick, bevor wir (nicht nur iranische) Männer, die an der Seite von Frauen protestieren, zu Helden erklären.

Foto: Taymaz Valley (Öffnet in neuem Fenster) (CC BY 2.0 (Öffnet in neuem Fenster))

Kategorie Feminismus & Patriarchat

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