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Onlinedating: Was ich gelernt habe

Beobachtungen und ihre mögliche Bedeutung jenseits von Spott und Vorurteilen nach 3 Jahren Sexportal

Weil ich als Single zwar sehr zufrieden bin, meinen Alltag aber dennoch hin und wieder mit Romanzen unterbreche, habe ich ein Profil auf einer Datingplattform. Das Portal ist fokussiert auf Sex, was zwar nicht das einzige ist, was ich suche, aber weil sexuelle Kompatibilität für mich sehr wichtig ist und man auf "normalen" Portalen selten angeben kann, worauf man im Bett steht, bleibt nur dieser Weg.

Technisch funktioniert das Portal etwas anders als die üblichen Dating-Apps:

- Männer, die keine Bezahl-Mitgliedschaft abschließen, können niemanden kontaktieren, nur Frauen können bei Nichtzahlern den ersten Schritt machen (um die volle Funktionalität der Seite zu nutzen, z.B. letzte Profilbesucher, müssen Frauen allerdings auch zahlen)

- jedes Mitglied kann sich prüfen lassen und bekommt dann ein Häkchen an den Namen. Für die Prüfung muss man ein Bild mit seinem Ausweis einsenden. Da die meisten Profile den Haken haben, ist die Anzahl Fakes hier sicher geringer als bei anderen Plattformen.

In den knapp drei Jahren, die ich mich jetzt dort herumtreibe, habe ich einige Muster bemerkt, die über die üblichen Stereotype und Vorurteile gegen Datingplattformen im Allgemeinen und Männer auf Datingplattformen im Besonderen hinausgehen. Diese sind natürlich nicht repräsentativ, begegnen mir aber in so großer Häufigkeit, dass sie mir aufgefallen sind. Vielleicht steckt dahinter ein quantifizierbares Muster, vielleicht auch nicht, mal gucken.

Profilgestaltung
Das Erste, was mir auffällt, ist ein Mangel an Individualität bei den Männerprofilen.

Auf einem Sexportal gibt es viele Mitglieder, die ihr Gesicht der Anonymität wegen nicht zeigen möchten. Dahinter steckt die Angst, als Mensch mit sexuellen Bedürfnissen erkannt (und geoutet) zu werden, und allein über dieses Thema könnte ich schon wieder ein ganzes Buch schreiben, aber das nur nebenbei. Die Möglichkeit, zugriffsgeschützte Bilderordner anzulegen, haben nur zahlende Mitglieder. Viele Profile haben also anonymisierte Bilder oder solche, auf denen nur ein kleiner (Körper-)Ausschnitt zu sehen ist. Das bedeutet, dass man nicht anhand des Profilfotos erkennen kann, ob man den anderen anziehend findet.

Optik ist nicht alles und deshalb kann man einen Text mit unbegrenzter Zeichenzahl über sich, seine Wünsche und Qualitäten schreiben. Wer das nicht möchte, kann auf einen Textgenerator zurückgreifen: Man gibt ein paar Stichworte zur eigenen Persönlichkeit ein und die Technik baut ganze Sätze daraus. Viele Männer nutzen lieber diesen Generator als eigene Worte und dadurch geht viel Individualität verloren, denn die Sätze klingen immer gleich oder sehr ähnlich, lediglich die Stichworte unterscheiden sich. Ebenso viele Männer tun noch nicht einmal das: In ihren Profilen steht nur: "Ich kann Dich nicht anschreiben, Du musst den ersten Schritt machen. Frag, wenn Du etwas wissen willst". Da steht man dann also als Frau vor einem Profil, das faktisch leer ist und nur das Foto eines Hinterns oder Auges zeigt, und die Männer glauben, das macht so neugierig, dass man Kontakt aufnehmen will.

Dieses Phänomen offenbart etwas über das Verständnis der Männer sowohl der eigenen als auch der weiblichen Sexualität.

Sie glauben, dass Frauen genauso auf optische Schlüsselreize reagieren wie sie selbst und dass diese Schlüsselreize das Wichtigste beim Dating sind, dass im Zweifelsfall also das Foto eines nackten Hinterns reicht, um sexuelle Neugier auszulösen. Sie tun das, weil es bei ihnen selbst so ist. Die männliche Lust reagiert stark auf optische Reize, deshalb bekommt fast jede Frau auf egal welcher Plattform irgendwann die Nachricht: "Send nudes". Weibliche Nacktheit, hard- und softcore, hat auf viele Männer eine mehr oder weniger starke Wirkung. In einer patriarchal geprägten Gesellschaft ist eine Frau immer zuerst Körper und die männliche Sexualität gilt als gesunde Norm. Mangels Bewusstsein und Aufklärung über die Unterschiede männlicher und weiblicher Sexualität denken die Männer eben, Frauen seien genauso gepolt. In dieser Ahnungslosigkeit unterscheiden sich "normale" Männer und kinky Männer auf Sexplattformen meiner Erfahrung nach nicht sehr.

Ich persönlich ficke nicht mit Körpern, ich ficke mit Persönlichkeiten. Mit Menschen, deren Eigenschaften mich für sie einnehmen. Mit denen ich neben Sextalk noch ein anregendes Gespräch führen kann. Ein Profilfoto (egal ob anonym oder mit erkennbarem Gesicht) kann mich auf ein Profil locken, das ja, aber wenn ich dort nichts finde, das den Mann als Individuum ausweist, schließe ich das Profil wieder.

Gesprächsführung/Kommunikation
Das zweite Muster, das mir aufgefallen ist, sind die schlechten Kommunikations-Skills der Männer meines präferierten Altersspektrums (38-58 Jahre). Ich meine nicht Eloquenz oder Rechtschreibung, sondern die Fähigkeit, ein Gespräch zu führen. Und zwar unabhängig davon, ob das Gespräch aus Text- oder Sprachnachrichten besteht.

Führen ist dabei durchaus wörtlich zu verstehen, denn viele Männer zeigen dabei eine gewisse Passivität. Sie geben hermetische Antworten, also Antworten, die es dem Gegenüber erschweren, anzuknüpfen. Sie stellen selbst keine Fragen oder sprechen weitere Themen an, um den Ball zurückzuspielen.

Mit mangelndem Interesse an ihrem Gegenüber scheint mir das nicht hinreichend erklärt. Vielmehr glaube ich, dass es sich um einen grundlegend unterschiedlichen Umgang mit Sprache handelt. Dass Frauen mehr sprechen als Männer, scheint zwar eher eine Art urban legend (Öffnet in neuem Fenster) zu sein, aber dass der Gebrauch der Sprache sich nicht nur beim Onlinedating unterscheidet, scheint mir unbestreitbar.

Für Männer ist Sprache eher ein Werkzeug, um Informationen zu übermitteln. Ihr Umgang damit ist eher technisch. Ich stelle eine Frage, der Mann antwortet darauf und hat sich damit nach seinem Gefühl sinnvoll in das Gespräch eingebracht. Punkt. Hierzu passt auch das oben zitierte "Frag, wenn Du etwas wissen willst", das in unzähligen Profilen steht. Sprachliche Kommunikation ist für sie selbst bei einem emotionalen Thema wie Dating eher zweckgebunden.

Reden um des Redens Willen will natürlich niemand, ich auch nicht, aber aus der Kommunikation lässt sich doch eine Menge über das Miteinander ablesen. Passive Gesprächsteilnahme etwa schiebt dem Gegenüber die Verantwortung zu, das Gespräch fortzuführen, was auf Dauer sehr anstrengend ist. Wenn ich Männer auf diese Passivität anspreche, sind sie oft überrascht, weil sie ihnen  nicht bewusst ist. Doch selbst nach dem Ansprechen schaffen es die meisten nicht, aus dieser Art herauszukommen.

Das ist für mich als Sprachfetischistin mit hohen Ansprüchen an Ausdrucksweise natürlich besonders tragisch, weil für mich gute Kommunikation beim Onlinedating ungeachtet des Themas wie ein Vorspiel ist, sie lässt den Wunsch nach einem Treffen überhaupt erst wachsen. Ich finde Männer mit kommunikativen Fähigkeiten erotisch, ein Mann, der im Gespräch wirklich führt, der es aktiv mitgestaltet und nicht nur passiv reagiert, ist mein Kryptonit.

Doch abseits meiner persönlichen Kinks ist die magere Kommunikationsbereitschaft der Männer auch aus einem anderen Grund schwierig und damit kommen wir zum nächsten Phänomen.

Schnelle Treffen
Viele Männer wollen beim Onlinedating die "Sprechphase" so kurz wie möglich zu halten oder ganz zu überspringen. Sie schreiben Dinge wie "Ich will nicht lang hin und her schreiben, lass lieber bei Sympathie direkt auf einen Wein treffen". Da ich solche Männer explizit aussortiere, bin ich nicht sicher, wie sie Sympathie entwickeln oder wecken wollen, ob da ein paar Komplimente und Emojis reichen.

Das ist für mich natürlich blöd, weil ich so nicht zu meinem Vorspiel (s.o.) komme, aber auch hier sehe ich dahinter mehr als meine persönliche Enttäuschung.

Das Wichtigste scheint mir, dass diese Männer offenbar überhaupt kein Gespür dafür haben, wie essentiell wichtig es für Frauen ist zu wissen, mit wem sie sich treffen. Ja, auch eine sexpositive Frau, die sich auf einem Portal für Sexkontakte herumtreibt, kann ein Opfer von sexueller Übergriffigkeit werden. Einen potentiellen Date-Kandidaten vorab ein wenig kennezulernen, kann ihr im harmlostesten Fall unangenehme Baggersituationen ersparen, ihr im extremsten Fall aber auch das Leben retten. Unter vielen Frauen ist es Usus, vor einem Date Zeit, Ort und Infos über den Mann bei Bekannten zu hinterlegen – falls etwas passiert.

Männer, die nach drei Einzeilern zur konkreten Verabredung schreiten wollen, zeigen damit ein erschütternd geringes Bewusstsein für das gesamte Thema sexueller Gewalt. Für fast jede Frau ist dieses Thema spätestens seit Eintritt der Pubertät ständiger Lebensbegleiter. Sie wächst mit Warnungen auf, mit Tipps zur Vermeidung, mit einem diffusen Bedrohungsgefühl. Ich bin sicher, dass eine überwältigende Mehrheit der Frauen vor einem Date wenigstens einmal kurz überlegt, ob es für sie sicher ist. Eine 100%ige Sicherheit hat man niemals, aber natürlich kann man einen Mann nach einigen Tagen des schriftlichen oder telefonischen Austauschs eher einschätzen als nach drei Einzeilern, die außer den Vorlieben und dem Vornamen nichts offenbaren.

Eine sexpositive Plattform, auf der Männer bezahlen und ihren Ausweis vorzeigen müssen, ist sicher nicht die erste Anlaufstelle für sexuelle Gewaltverbrecher und übergriffige Männer, aber in den zu der Plattform gehörigen Foren kann man immer wieder nachlesen, dass Dates auch mit solchen Männern beklemmend ablaufen können. Und es gehört für viele Frauen zu der nötigen Absicherung, vor einem Date etwas mehr als Emojis und Komplimente auszutauschen.

Midlife-Crisis
Ich habe auf dem Sex-Portal tolle Männer kennengelernt: intelligent, sich selbst, die eigene Männlichkeit und die Welt reflektierend, klug, sinnlich. Ja, ich habe auch fragile männliche Egos gesehen, habe Ghosting erlebt und mir nach einem Korb Beleidigungen anhören dürfen. Aber die meisten der Männer, mit denen ich mich in den letzten Jahren getroffen haben, waren gute Typen.

Und etwas einte sie: Sie hatten in ihrem Leben eine Disruption durchlaufen und durchlitten und sich zu ihrer Überwindung professionelle Hilfe geholt.

Die zu Unrecht verspottete Midlife-Crisis ging oft mit dem Ende einer langen Partnerschaft einher, einem Zusammenbruch der psychischen oder physischen Gesundheit oder der Erkenntnis, sich für eine Arbeit aufzureiben, die einen nicht glücklich macht. Diese Männer waren ganz unten gewesen und hatten sich mühsam Stück für Stück wieder zusammengesetzt.

Diese Hilfe – mag sie nun in einem Meditationskurs in Thailand, einer klassischen Psychotherapie, einer Familienaufstellung in der Selbsthilfegruppe oder in Coachingseminaren liegen – hatte den Männern geholfen, sich selbst zu erkennen. Eigene Bedürfnisse, Verhaltensuatomatismen, Kindheitsprägungen und gesellschaftliche Drücke zu erkennen und so in die Position versetzt zu werden, diese zum Teil schädlichen Lebenseinflüsse zu überwinden.

Diese Männer begegneten mir dank dieser persönlichen Reifung respektvoll, einfühlsam, verfügten über wertvolle psychologische Grundkenntnisse und waren entweder mit sich und ihrer Sexualität im Reinen oder auf dem besten Weg dorthin. Auch wenn ich mit keinem von ihnen eine längere Beziehung aufgebaut habe, empfand ich sie als Bereicherung.

Es gehört zu den am schwersten ausrottbaren Geschlechteranforderungen an Männer, sich niemals Hilfe zu holen, weil das als verweichlicht angesehen wird. An dieser Stelle darf ich verraten, dass ich mich im erotisch-amourösen Kontext ausschließlich mit dominanten Männern befasse. Männer, die man nicht nur sexuell, sondern in ihrer ganzen Persönlichkeit als führend wahrnimmt (nein, ich meine keine Businesskasper mit dicker Uhr und Managerposten). Die Männer, die ich getroffen habe, waren alle bis auf einen sexuell dominant und strahlten zum Teil auch außerhalb des Bettes eine Art natürlicher Autorität aus. Ich schreibe das nur deshalb, weil Stärke, Dominanz und Autorität nicht im Widerspruch zu einer psychisch-physischen Krise stehen. Und auch nicht dazu, sich in dieser Krise helfen zu lassen.

Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, erst durch diese Hilfe konnten die Männer die von außen aufoktruierte (oft toxische) zu einer wahrhaftigen Stärke und Dominanz wandeln.

So wie ich ja auch durch meine Midlife-Crisis von 2018 bis Ende 2020 und die therapeutische Begleitung extrem viel über mich, meine Vergangenheit, meine psychische Gesundheit, meine zerstörerischen Muster und einen konstruktiven Umgang mit allem gelernt und so eine Ruhe und Selbstgewissheit in mir spüre, die ich früher gar nicht kannte und die auch heute nur durch depressive Episoden erschüttert werden.

Insofern empfinde ich nicht nur meine eigene Krise als Möglichkeit zur wertvollen Entwicklung, sondern auch Männer, die einen solchen Prozess durchlaufen haben, als wesentlich reizvoller und anziehender als Männer, die bisher ohne Krise und Therapie durch ihr Leben gelaufen sind. Denn der Grund dafür besteht nicht zwingend darin, dass sie wirklich gesund sind, sondern mitunter können sie den Druck nur besser verdrängen.

All diese Beobachtungen zeigen nur einen kleinen Ausschnitt. Weder weiß ich, wie Männer außerhalb meines Altersspektrums drauf sind, noch wie sich Frauen auf Datingplattformen präsentieren. Und ich will diese Muster auch nicht als objektive Defizite von Männern anprangern. Sicher, das Thema sexueller Übergriffe sollte ihnen bewusster werden, sie sollten sich klar machen, dass Frauen immer ein Risiko eingehen, wenn sie sich mit völlig Unbekannten aus dem Internet treffen. Und dann überlegen, ob sie einer Frau wirklich nach dem dritten Einzeiler ein Treffen vorschlagen wollen. Aber die anderen Beobachtungen sehe ich eher als Teil normaler Geschlechterunterschiede, bei deren Überbrückung alle gefordert sind. Die Profilgestaltung von Männern ist nicht "falsch", sie scheint mir aus weiblicher Sicht nur wenig zielführend.

Welche Erfahrungen man macht, hängt außerdem von der gewählten Plattform ab. Wer zu Tinder geht, das nur einen kurzen Steckbrief erlaubt, darf sich über Oberflächlichkeit nicht wundern. Ein Mann, der sich bei Bumble anmeldet, wo nur Frauen nach einem Match den ersten Schritt machen können, darf sich nicht über die eigene Ohnmacht beklagen. Und wer sexuelle Kompatibilität wichtig findet, meldet sich nicht auf einem Portal an, wo die Frage nach ihrer sexuellen Persönlichkeit nur zu Fehlinterpretationen führt.

Viele unangenehme Zuschriften kann man als Frau ausfiltern, wenn man sein Profil entsprechend befüllt. Meines ist so stramm formuliert, dass ich nur wenig Post bekomme. Weil ich es so will. Das so oft beschriebene Phänomen, dass Frauen in einer kaum zu bewältigenden Menge an Zuschriften ertrinken: Man kann es steuern.

Ich habe in mein wortreiches Profil eine Art Codewort eingebaut, das Männer in ihre erste Nachricht einbauen sollen. Tun sie es nicht, weiß ich, dass sie das Profil nicht gelesen haben, also nicht das Minimum an Interesse und Zeit aufbringen wollen, um mich kennenzulernen.

Man kann die eigenen Erfahrungen beim Onlinedating viel stärker selbst beeinflussen als es so gemeinhin scheint. Und unter dem Strich fühle ich mich auf diesem Sexportal wohl, wohler als bei Tinder oder OKCupid, die ich beide ausprobiert, aber nach einer gewissen Zeit gelöscht habe. Die oben beschriebenen Beobachtungen sind natürlich nicht toll, gerade der Kommunikationsaspekt lässt manchen Chat im Sande verlaufen, bevor es zu einem Treffen kommt. Aber ich bin sicher, dass das dann auch richtig ist.

In diesem Sinne: Probieren Sie es doch einfach mal aus.

Ihre Meike Stoverock

(Teaserbild (Öffnet in neuem Fenster) by rawpixel.com (Öffnet in neuem Fenster))

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Kategorie Liebe, Dating & Sex

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