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Führen in Krisenzeiten: Wie Führungskräfte eine würdewahrende Atmosphäre schaffen

Bäm, bäm, bäääm! So klingen vermutlich Pandemie, Krieg und Klimakollaps für viele.

Katastrophen beballern unsere Augen, Ohren und Herzen. Zumindest bei den meisten. Schlag auf Schlag jagt eine Krise die andere, so scheint es.

Hunger, Kälte, Spaltung waren schon immer Waffen des Kriegs. Die Schergen des diktatorischen Putin-Regims brachten sie nun auch wieder ins Herz Europas. Klatschten sie uns ins Bewusstsein. Und damit auch in die Organsiationen.

Das ängstigt viele. Unsere Ängste geben sich in der Folge die Türklinke. Und zwar nicht nur die, rund um das pure Fortbestehen: frieren in kalten Räumen, obdachlos von der Straße in beleuchtete Büros linsen, hungern als Rentner:in, … sondern gewöhnlich auch noch eine alte Bekannte: die Angst vor diesen Ängsten. Wem sind solche (ähnlichen) Gefühle nicht schon einmal in den Kopf gekrochen?

Wenn Scham und Angst blockieren

„Du kannst ganz offen über deine Ängste mit mir sprechen…“, ist sicherlich von vielen Führungskräften ehrlich gemeint, wenn sie Verantwortung übernehmend Mitarbeiter:innen einladen, über Sorgen und Nöte zu sprechen. Gerade wenn eine Krise nach der anderen in unser Bewusstsein springt. Doch da ist noch das „Ding“ mit der Scham.

Wir wissen aus der Forschung, dass Scham neuronal ähnlich starke Schmerzen verursacht, wie körperliche Verletzungen. Manche Forscher:innen konstatieren gar, dass die Intensität der Schmerzen durch Scham noch höher ist. Kein Wunder, dass wir mehr oder weniger alles tun, um die Scham zu umgehen. Blöd daran ist, dass wir damit auch einen Weg blockieren, um unsere Ängste zu bearbeiten.

Um viele existenzielle Ängste ist die Angst vor Beschämung oder auch vor Erniedrigung gespannt. In den Leben der meisten Menschen sowieso. Und in Arbeitskulturen, in denen man „immer gut drauf sein muss“, ganz besonders. Auch wenn das natürlich niemand offiziell verlautbart. Doch autoritäre HR-Systeme, die „Perfomance“ messen und eine menschenunwürdige Führungsatmosphäre prägen, tragen mehr oder weniger subtil dazu bei. Sie wollen keine Mitarbeiter:innen die „durchhängen“. Sie können mit Existenzfragen nichts anfangen. Und mit Angst und Scham schon gar nicht. Tja, und nun?

Fragen nackter Existenz zwingen Führungskräfte in die Präsenz

Als Menschen mit Führungsverantwortung können wir diesen fundamentalen Fragen des (Über-)Lebens nicht (mehr) ausweichen. Wir sind gefordert zu führen. Position zu beziehen. Einzustehen für Werte des Lebens. Sichere Beziehungen aktiv zu gestalten. Das meint in Präsenz gehen.

Dazu gehört auch, eine Atmosphäre der Würde zu schaffen. Denn die Sorgen, die Mitarbeiter:innen in diesen Zeiten sehr wahrscheinlich mit sich herumtragen, belasten sie. Das geht natürlich auf die Leistung. Wie sollten sie es auch nicht? Menschen sind keine Maschinen. Und Würde ist kein Tuwort.

Das Mittel gegen Scham ist Würde.

Die Hüterin der Scham ist die Würde. Würde wird daher eher als ein konstruktiveres Element wahrgenommen und kann helfen, schambewusst zu arbeiten. Daher spreche ich auch absichtlich nicht von einer angstfreien Kultur (kann es die jemals geben? Fritz Riemanns „Grundformen der Angst“ lächeln weise…), sondern von einer würdewahrenden Atmosphäre.

Wie schaffen wir eine Atmosphäre der Würde, in denen sich Mitarbeiter:innen wirklich eingeladen fühlen, ihre Sorgen zu besprechen? Wie könnten Führungskräfte beispielsweise in einem Team-Meeting kommunizieren?

Auch hier: Haltung entscheidet. Es ist das eine, passende Worte zu wählen. Wichtiger ist, mit welcher inneren Haltung, welcher innerer Verfasstheit wir Mitarbeiter:innen begegnen.

Wenn die drei Autoritätshaltungen auf Ängste treffen

Eine Führungskraft mit einer autoritären Autoritätshaltung würde vermutlich so kommunizieren: “Ihr habt Sorgen? Wo sind wir denn, in einer Therapiegruppe? Klärt das nach Feierabend! Hier sind die Ziele zu erfüllen. Dafür gibt’s das Geld. Ende von dem Rumgejammer!” Solche Äußerungen offenbaren eine überholte Haltung, die dem Taylorismus entspringt: der Mensch als Maschine, die Führungskraft als Herrscher:in.

Was würde eine Führungskraft mit einer eher antiautoritären Haltung sagen? Vermutlich nichts; das Thema würde ignoriert und gar nicht angesprochen. Oder, einer der Klassiker in diesem Zusammenhang: „Das sind doch alles Erwachsene…“. Diese Äußerungen machen sichtbar, wie sich eine Führungskraft der Verantwortung ihrer Autoritätsfunktion (potestas) entzieht.

Eine Führungskraft in der Haltung der Transformativen Autorität geht voran und führt - indem er oder sie anfängt, selbst darüber zu sprechen: “Ich habe momentan auch Sorgen; die wirtschaftliche Situation finde ich bedrohlich. Ich erzähle euch das im Sinne der Transparenz - denn ich bin zwar in der Führungsrolle, gleichzeitig aber auch als Mensch hier. Vielleicht betrifft das Thema auch jemand anderes. Wollen wir uns dazu einmal treffen und schauen, wie wir damit bestmöglich umgehen können, neben der ganzen Arbeit hier?”

Keine:r muss mehr alleine führen: Das Führungsnetzwerk

Eine würdewahrende Atmosphäre gilt auch für die Führungskräfte selbst. Um konstruktiv mit den eigenen Ängsten umzugehen, können Menschen in Führungsfunktion sich Unterstützung und Rat in der Führungskoalition holen, also einem vertrauensvollen Führungsnetzwerk von Kolleg:innen mit Führungsverantwortung. Denn in der Transformativen Autorität muss keine:r mehr alleine führen - und das entlastet die, die führen auch. Dadurch können sie sich gestärkt in solche herausfordernden Führungsthemen einbringen.

Frank auch bei Mastadon https://sciences.social/@FrankBauHa (Öffnet in neuem Fenster)

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