WeinLetter #26: Die WeinTrends 2022, Teil 2
Liebe Wein-Freund*in,
Du liest den 26. WeinLetter. Heute gibt's: Die ultimativen Weintrends 2022 - Teil 2. In Teil 1 des großen zweiteiligen WeinLetter-Reports (Opens in a new window) beschäftigten sich Professorin Laura Ehm und Sommelier Emmanuel Rosier mit allgemeinen Weintrends und neuen Weinmarketing-Erkenntnissen. Jetzt sind Andrej Marko und Michael A. Else dran. Der eine Bio-Weinhändler, der andere Weinrechts-Experte. Hat die dritte PiWi-Generation jetzt eine Chance? Fällt bei den Naturwein-Produzent*innen der Dogmatismus? Einerseits. Andererseits: Verlieren die klassischen Weinanbaugebiete ihre Bedeutung? Und gibt es wegen neuer Vorschriften bald ausklappbare Weinetiketten? Darüber habe ich mit ihnen geredet. +++ Plus: In der Rubrik "Ins Glas geschaut" testet Andrej Marko die PiWi-Rebsorte Cabernet Blanc des Bio-Weinguts Hoflößnitz in Radebeul +++ So viel Stoff heute wieder! Empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte weiter. Unterstützt den WeinLetter und werdet sehr gerne aktives Mitglied! (Opens in a new window) Und vor allem:
Trinkt’s Euch schön!
Euer Thilo Knott
PS: Es geht nochmal um das Döner-Experiment. Und meine Frage: Welchen Wein würdest Du zu Döner servieren - und warum? Bisher gab es vor allem Schaumwein-Vorschläge. Ist das alles? Was ist mit trockenen Weißweinen, was mit Kabinett-Rieslingen, Bukettrebsorten wie die Scheu - und passen überhaupt Rotweine? Schreib' Deine Vorschläge sehr gerne an weinletter@posteo.de - Betreff: Das Döner-Experiment! Danke!
Bio- und Naturweintrends: Die Chancen der dritten PiWi-Generation und das Ende des Schwefel-Dogmatismus
Andrej Marko ist Bio- und Naturwein-Händler in Berlin. Was sind seine Trends 2022?
Von Thilo Knott
1. Die PiWis! Sind der Lichtblick im Biowein-Desaster-Jahr 2021 – und werden es bleiben
Ökologisch bewirtschaftete Weinberge mit viel Pflanzen zwischen den Rebstöcken: 2021 war für die Bio-Winzer*innen ein schwieriges Jahr mit viel Krankheitsdruck FOTO: DWI
Es war ein ziemliches Desaster-Jahr für die Biowinzer*innen. Es war nicht nur der Frost im Frühjahr, der im Prinzip alle Weinbetriebe betraf. Die feuchtkühle Witterung über Wochen sorgte für hohen Krankheitsdruck in den Weinbergen. Späte Blüte, vor allem Pilzerkrankungen, Spätfröste kamen hinzu. Peronospora war der große Widersacher 2021, der falsche Mehltau. Die Verluste? Waren immens. 35 Prozent der Ernte vernichtet, die Hälfte der Ernte verdorben, mancherorts gab es gar den Totalverlust des Leseguts. Nicht nur Winzer*innen an der Ahr wegen der Klimakatastrophe, vor allem auch Biowinzer*innen in Baden und an der Mosel waren nach Berechnungen des Bio-Weinbauverbands Ecovin besonders betroffen.
So, und nun, was sind die Schlüsse aus diesem Verlustjahr? „Die pilzwiderstandsfähigen Rebsorten, die PiWis, haben 2021 den Praxisbeweis erbracht“, sagt Andrej Marko. Er und seine Frau Claudia betreiben die Weinhandlung „Weinmoral“ in Berlin-Charlottenburg. Sie verkaufen ausschließlich Bio- und Naturweine. Andrej Marko argumentiert so: Die Wetterlagen der Jahre vor 2021 waren so gut, vor allem trocken, dass die Biowinzer keinen Krankheitsdruck in den Weinbergen verspürten. Kupfer, das umstrittene Mittel zum Beispiel gegen falschen Mehltau, musste kaum ausgebracht werden. Die Vorteile der PiWis wurden nicht abgerufen. Statt der Vorteile blieben die Vorurteile, die die PiWis von Beginn an begleitet haben. Manchmal auch zurecht. Andrej Marko würde die Verurteilung der PiWis so formulieren: „Viele denken: PiWis sind eine Art Bastard unter den Weinstöcken – und schmecken tun sie ohnehin nicht.“
2021 markiert für Marko aber die Trendwende. Denn er verweist auf die Ecovin-Bilanz, der zufolge PiWi-Sorten gegenüber Pilzerkrankungen stabil geblieben seien und volle Erträge gebracht hätten. Badens Ecovin-Vorsitzender Paulin Köpfer sagt: “Die meisten PiWis haben ihr Potential voll erbracht.“
Gut, welchen Anteil haben die PiWis? Spielen diese PiWis überhaupt eine Rolle? Diese pilzwiderstandsfähigen Rebsorten machen immerhin 10 Prozent der Bio-Anbaufläche aus. Wenn man davon ausgeht, dass diese wiederum gut 10 Prozent an der gesamten Anbaufläche ausmacht, dann? „Sind PiWis jetzt schon kommerziell bedeutender als die hippen und publikumswirksam vermarkteten Naturweine, die mit deutlich unter einem Prozent hierzulande immer noch ein Nischendasein führen“, sagt Marko. Die Bio-Anbauflächen haben sich in den vergangenen zehn Jahren in Deutschland laut des Deutschen Weininstituts verdoppelt. Die Bedeutung der PiWis wird also parallel wachsen. Aller PiWis?
2. Die dritte Generation der PiWis hat eine Chance – die Vorgänger*innen nicht mehr!
Das sind Regent-Trauben: Sie gehören - wie Solaris oder Johanniter - zur ersten Generation der PiWi-Rebsorten. Setzen sie sich noch durch? FOTO: DWI
Was sind PiWis? Ganz kurz: Es sind Kreuzungen verschiedener Rebsorten. Sie sind sehr widerstandsfähig gegen Pilzerkrankungen und reduzieren qua Charakter den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Im Bio-Weinanbau machen sie einen relativ hohen Anteil aus, weil dort chemisch hergestellte, also nicht-natürliche Pflanzenschutzmittel verboten sind. So weit, so gut.
Andrej Marko sagt – und er meint das völlig unmoralisch: „Die erste und zweite PiWi-Generation sind verbrannt.“ Punkt. Die Urteile, die oft Vorurteile sind, sind oft eindeutig. Schmecken nicht, zumindest nicht im trockenen Bereich. Und dann musst du mal jemand sagen, dass er gerade seine Zunge in PiWi badet. Für Marko betrifft das die ersten PiWi-Rebsorten wie Solaris, Johanniter, Regent. „Die sind verbrannt“, wiederholt Marko.
Aber: „Die dritte Generation hat eine große Chance!“ Die dritte Generation besteht aus Klonen schon vom Namen her bekannter Rebsorten. Sauvignac, nennt Marko, eine Kreuzung aus der Sauvignon-Blanc-Rebsorte, die ohnehin eine Rakete ist im nationalen wie internationalen Markt. Für Cabernet Blanc gilt das gleiche, wie für Cabernet Jura im Rot-Bereich. Sie docken an positiv aufgeladene, international renommierte Rebsorten-Images an – und laden sie auf mit den Attributen „ökologisch“ und „gesund“.
Um das Image-Thema elegant zu umschiffen, bietet sich darüber hinaus noch ein möglicher Königsweg an, der sich so unscheinbar abzeichnet, dass er eher in die Weintrends für 2032 gehört. Er hört auf den Namen Selektion und bedient sich des natürlichen Hangs der Weinrebe zur Mutation. „Erfahrene Züchter durchforsten dabei Weinberge auf der ganzen Welt und analysieren, warum einzelne Stöcke florieren, während ihre direkten Nachbarn leiden. Durch gezielte Vermehrung werden dann die positiven Eigenschaften nutzbar gemacht“, sagt Andrej Marko. Das macht man zur geschmacklichen Optimierung seit langer Zeit im Burgund mit dem Pinot Noir und das lässt sich mit anderen Rebsorten und der Widerstandsfähigkeit gegen Pilzkrankheiten machen. „Zwar steht man damit noch am Anfang, eine österreichische Rebschule hat seit Kurzem aber schon einen Sauvignon Blanc als PiWi-Klon im Programm“, sagt Andrej Marko. Demnächst trinken wir also vielleicht einen Bastard, ohne es zu merken!
3. Die Naturwein-Bewegung verharrt in der Nische – oder verwendet Sulfite. Gut so!
Die Naturwein-Bewegung hat eine Nische im Weinmarkt besetzt. Nicht einmal ein Prozent macht der Anteil am Weinkonsum in Deutschland aus. Aber dieser Markt funktioniert, es gibt spezielle Weinhändler, die nur Naturweine verkaufen, Restaurants, die sich darauf spezialisiert haben. Auch so manch etablierter Winzer macht jetzt seinen PetNat als Ergänzung zum normalen Portfolio. Andrej Marko sagt: „Die Hipster-Naturwein-Welle mit der Klarglasflasche, dem ultra-originellen Namen wie frisch dem Slang Dictionary entsprungen und dem kreischend bunten Comic auf dem Etikett hat seinen Peak gesehen.“ Ist’s damit vorbei mit dem neuesten Trend in der Weinproduktion? Oder verändert sich die Bewegung?
Andrej Marko ist an der Quelle, spricht mit vielen Nature-Winzer*innen und sagt: „Der Dogmatismus weicht auf.“ Mit Dogmatismus meint er: Zusatzstoffe im Wein sind Sünde! Selbst die Zugabe von Schwefel ist Sünde! „Das Credo lautet: So wie der Wein in die Flasche kommt, kommt er auch wieder raus.“ Marko sieht dabei zwei Probleme: Zum einen der Geschmack, da habe „der Mauston stark zugelegt“. Zum anderen die Stabilität der Weine, die ohne die Zugabe von (im Bioweinbau erlaubtem) Schwefel ins Wanken gerät. Er kenne zwar immer noch Naturwein-Winzer*innen, die im Zweifel lieber ein ganzes Fass wegschütten, als es mit Schwefel haltbar und geschmacklich annehmbar zu machen. In jüngster Zeit haben aber auch Aushängeschild-Naturwein-Winzer*innen wie der an den Hängen des Ätna arbeitende Belgier Frank Cornelissen den Weg des „sauberen Weines“ verlassen – und tatsächlich vor der Abfüllung dezent geschwefelt. „Die Vernunft kehrt ein“, sagt Marko, „diesen Weg werden andere Winzer*innen mit einschlagen“.
4. PS: Die Weinhandlungen werden online-tastiger!
Okay, jetzt mal die Moral beiseite. Wie lief das Geschäft? Der Trend für den Weinhändler Andrej Marko sind Online-Tastings als Incentives für Mitarbeiter*innen von Unternehmen. Allein in 2021 hat er ein Dutzend Online-Tastings für ein Weltunternehmen gemacht. Diese Art der Mitarbeiter*innen-Entwicklung in Unternehmen gibt es schon länger. Man traf sich im Kletterpark, um Teambuilding nachvollziehbar zu machen. Irgendwann gab es auch Kochkurse mit verschiedenen Gängen und Timings, die die Kletterparks abgelöst haben. Ging nicht mehr wegen Corona, klar. Dann kamen die Online-Wein-Tastings als gruppendynamisches Element. Andrej Marko sagt: „Das ersetzt nicht wirklich den Kletterpark, wo der eine sich auf den anderen verlassen muss und man so im Team zusammenrückt. Aber als Belohnung, fürs gemütliche Plaudern (über alles außer Arbeit!) bei entspanntem Genuss, sind die Online-Tastings optimal.“
Andrej Marko, 47, war jahrzehntelang Kaufmann bei der Berliner Pharmasparte des Bayer-Konzerns . Er und seine Frau Claudia machten dann ihre Leidenschaft zum Geschäft in Berlin: Weine von kleinen, ökologisch arbeitenden Erzeuger*innen. Schwerpunkt: Deutschland und Österreich. Warum heißt der Laden www.weinmoral.berlin (Opens in a new window)? Andrej Marko sagt: "Kann die Menschheit vollständig ökologisch ernährt werden? Fangen wir doch mal bei einem Genussmittel an: Moral beginnt mit Wein." FOTO: FOTO HOLLIN
Trends im Weinrecht: Sieg der Herkunft, Transparenz der Inhaltsstoffe – und "alkoholfreier" Wein
Michael A. Else ist einer der wenigen Weinrechtsexperten Deutschlands. Was sind seine Trends 2022?
von Thilo Knott
1. Die traditionellen Weinanbaugebiete verlieren ihre Bedeutung - Herkunft wird zur Qualität
13 Anbaugebiete gibt es offiziell. Aber: Was ist mit Göttingen oder Werder an der Havel? Werden Niedersachsen und Brandenburg bald eigene Anbaugebiete? KARTE: DWI
2021 wurde das neue deutsche Weinrecht im Parlament verabschiedet. Es war eine sehr späte Reaktion auf eine EU-Verordnung aus dem Jahr 2008, die im Weinrecht das romanische System der Herkunft verankerte – gegen das germanische Recht des Zuckergehalts. „Die EU hat sich für die Stärkung der Herkünfte entschieden und insgesamt das Schutzsystem darauf umgestellt“, sagt der profilierte Weinrechtsanwalt Michael A. Else. Das wird Folgen haben für den Weinanbau in Deutschland. Dieser ist in 13 Anbaugebieten organisiert: Baden, Mosel, Franken, Rheingau, Sachsen etc. – aber nicht in allen Ländern wie Brandenburg oder Niedersachsen. Dort gab es bisher auch keinen nennenswerten Weinanbau. Und wenn doch vereinzelt Wein angepflanzt wurde, sind die rechtlichen Regeln auch immer noch streng. Hobbywinzer etwa dürfen Weine nicht verkaufen. Andere Weinerzeuger können höchstens einen Landwein vermarkten, ohne Angabe der Lage. Schlimmer noch eine Qualitätsstufe darunter. So darf man nicht Riesling auf die Flasche schreiben, sondern „Deutscher Wein“ ohne Rebsorte, obwohl Riesling drin ist. Die Erzeugung von Qualitätswein ist nur den traditionellen Weinanbaugebieten vorbehalten. Mit dem EU-Recht, das die alte Große Koalition just in ein neues deutsches Weinrecht umgesetzt hat, könnte das vorbei sein.
Denn europaweit werden jetzt die Herkunftsbezeichnungen „geschützte Ursprungsbezeichnung“ (g.U.) und „geschützte geografische Angabe“ (g.g.A.) durchgesetzt. Michael A. Else sagt klipp und klar: „Aus dem Blickwinkel des Geoschutzes sind die eher aus Verwaltungseinheiten hervorgegangenen Weinanbaugebiete mittlerweile eigentlich ein Fremdkörper, der nicht mehr so recht in das neue System der EU passt. Sie sind eben nur noch Gebiete einer geschützten Ursprungsbezeichnung oder einer geschützten geografischen Angabe.“ Michael A. Else verweist auf das Anbaugebiet Mosel: Die Abgrenzung des Gebietes gehe letztlich zurück auf die ältesten Weinbaukarten der Welt, die durch die preußische Steuerverwaltung im 19. Jahrhundert angefertigt worden seien. „Das kann schon mal hinterfragt werden.“
Aus Michael A. Elses Sicht wird das Konsequenzen haben. Die erste: Es werden ganz neue Bezeichnungen ersonnen und auf die Weinflaschen geschrieben. Er nennt zwei schon bestehende Beispiele wie „Würzburger Stein-Berg“ oder „Uhlen Blaufüßer Lay“. Diese liegen zwar innerhalb eines traditionellen Anbaugebiets, Franken und Mosel, sie sind aber ganz eigene Bezeichnungen und sollen eine höhere Qualität deutlich machen. Denkt man das weiter, könnten auch weitere Bereiche ihre Eigenständigkeit einfordern, um sich neu zu positionieren. Die Winzer an der Saar etwa oder am Kaiserstuhl.
Alles über das Comeback des Saar-Weins liest Du hier! (Opens in a new window)
Die zweite Konsequenz: „Wie lange werden wohl die Brandenburger und Niedersachsen noch warten, um gleichgestellt zu werden? Auch die wollen Qualitätswein herstellen. Und warum sollten Weine aus neuen Gebieten schlechter sein?“, fragt Michael A. Else. Rhetorische Frage. Bisher war hier Weinanbau nur in Ausnahmen genehmigt. Brandenburger Wein wird sogar zwei offiziellen Anbaugebieten zugeordnet – Saale-Unstrut und Sachsen. Seitdem im Jahr 2016 wieder gepflanzt werden darf, sind allein in Schleswig-Holstein bereits 22 Hektar Rebflächen entstanden. So schreibt es jedenfalls das Statistische Bundesamt für das Jahr 2020. Die bisherigen Einschränkungen könnten schon bald vorbei sein. So könnte es kommen, dass – um wiederum in Niedersachsen zu bleiben – die Herkunftsbezeichnung „Göttinger Finkenbreite“ (285 Meter hoch) im Regal neben einer „Wehlener Sonnenuhr“ steht. Ja, auch in Göttingen gibt es tatsächlich einen neuen Weinberg.
2. Die Weinetiketten werden ehrlicher gegenüber dem Verbraucher
Und da sollen noch die Inhaltsstoffe und ein QR-Code drauf? Die Etiketten jedenfalls werden informativer im Sinne des Verbraucherschutzes FOTO: DWI
Dieser Wein enthält: Sulfite. Gut, steht auf 85 Prozent aller Weinflaschen (Rest: Bio und PetNat). Sulfite. Stabilisieren den Wein. Ist okay.
Dieser Wein enthält eigentlich: Weißwein 98 %, Zitronensäure, L(+)-Weinsäure, Ascorbinsäure – na, noch Lust auf Wein? – Schwefeldioxid, Metaweinsäure, Gummi Arabicum, Hefe-Mannoproteine, Kupfersulfat. Na denn Prost!
Die Wein-Expert*innen der Hochschule Geisenheim haben einmal durchdekliniert, was auf einem Etikett stehen könnte, wenn die deutschen Qualitätsweingüter tatsächlich auf die Flasche schreiben, was im Wein an Zusatzstoffen unter anderem drin sein kann. Warum haben die Geisenheimer das schon bei einer Tagung 2017 gemacht? Weil klar war, dass die EU die neue so genannte Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) verabschieden wird. Hat sie noch 2021 getan. Jetzt gibt es zwar ein Jahr Übergangsfrist – aber wahrscheinlich wird man schon 2022 die Folgen sehen.
Nicht falsch verstehen, es geht um die Transparenz für den Verbraucher: Diese Inhaltsstoffe sind kein Teufelszeug, sie dienen meist der Stabilisierung dieses Lebensmittels. Ups, habe ich Lebensmittel geschrieben?
„Lange wollte die Branche ihren Wein nicht unbedingt mit Erdbeerjoghurt verglichen sehen“, sagt Michael A. Else, „aber es ist nun mal ein Lebensmittel wie Erdbeerjoghurt“. Zumindest aus der Sicht des Verbraucherschutzes, auch wenn Wein allgemein nicht als Lebensmittel gilt. Aber das ist kompliziert.
Werden die Weinetiketten künftig ausklappbar sein bei all den Zusatzstoffen? Nein. Aber es wird einen QR-Code geben – Corona hat uns ja wieder den Umgang gelehrt mit diesem fast schon antiquierten, digitalen Mittel. Gibt man den QR-Code ein, landet man auf einer Homepage mit den entsprechenden Informationen. Was aber mindestens auf den Etiketten stehen wird, sind die durchschnittlichen Energiewerte pro 100 ml. Also vor allem aus Ethylalkohol und Zucker. Auf die vollständige Nährwertdeklaration mit Fett (davon gesättigte Fettsäuren), Kohlehydrate (davon Zucker), Eiweiß, Salz kann wiederum verwiesen werden. Die EU hat zumindest verstanden, dass ein überfrachtetes Etikett nicht von Vorteil ist.
Was sagt der Rechtsexperte dazu? „Das sorgt für größtmögliche Transparenz“, sagt Michael A. Else „denn es gilt für Discounterweine genauso wie für Spitzenweine.“ Andererseits hätten die bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass Verbraucher die Möglichkeit einer Information über einen Link wenig bis gar nicht nutzen. "Wer will, kann sich aber informieren." Eine größere Auswirkung sieht er eher auf die Branche selbst, denn "schon jetzt werden Behandlungsmittel für Wein angeboten, die mit einem Clean-Label werben, als Zutat später also nicht genannt werden müssen". Jeder Erzeuger ist jetzt dazu aufgerufen, seine Weinbereitung kritisch zu hinterfragen, ob das alles sein muss. Und wenn nicht? Else sagt: „Der Mythos, bei Wein handle es sich um ein reines Naturprodukt, wird sonst schnell erschüttert.“
3. Alkoholfreie Weine sind jetzt – Weine!
Alkoholfreier Wein? Gibt es nicht. Das stellt Michael A. Else gleich mal klar: „Es heißt jetzt ´teilweise entalkoholisierter´ oder ´entalkoholisierter Wein´, den Begriff ´alkoholfrei´ gibt es nach der neuen Rechtslage nicht mehr.“ Die gebräuchlichste Methode, alkoholfreie Weine, pardon, entalkoholisierte Weine oder Biere herzustellen, ist der nachträgliche Entzug des Alkohols. So nimmt das Getränk so viel wie möglich des ursprünglichen Geschmacks mit – verliert aber den Alkohol (bis auf minimale Volumina). Die Bierbrauer sind hier viel weiter als die Weinerzeuger. "Alkoholfreie" Weizenbiere der einschlägigen Qualitätsbrauereien (Maisel’s, Weihenstephan, Unertl) kommen den Originalen schon sehr nahe. Die Wein- und Obstweinerzeuger ziehen hier aber nach.
Aber ist das jetzt ein Wein? Oder doch nicht? „Es war eine Grauzone, die jetzt geregelt ist“, sagt Michael A. Else. „Das entalkoholisierte Erzeugnis darf jetzt offiziell Wein genannt werden.“ Auf den Flaschen darf auch die Ursprungsbezeichnung festgehalten werden: Pfalz, Rheinhessen oder Rheingau zum Beispiel. Entsprechend gelten dafür aber auch die gleichen Vorschriften.“ Noch ein Grund, Brandenburg, Niedersachsen und alle anderen neuen Weinanbaugebiete gleichzustellen.
Michael A. Else, Jahrgang 1975, ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht (https://else-schwarz.de/ (Opens in a new window)) - und einer der profiliertesten Weinrechtsexperten Deutschlands. Er ist ständiger Redner bei den Monzeler Weinrechtstagen, Kommentator des Weinrechts im Verlag C.H. Beck, Herausgeber der LexVinum Weinrechtssammlung (www.lexvinum.de (Opens in a new window)) und Stellvertretender Vorsitzender des Vereins zur Förderung des Historischen Weinbaus im Rheingau e. V. FOTO: PRIVAT
Ins Glas geschaut: Bio-Weinhändler Andrej Marko testet PiWi aus Sachsen
Cabernet Blanc ist eine pilzwiderstandsfähige Rebsorte: Das Weingut Hoflößnitz baut sie trocken (wie hier), aber auch halbtrocken aus FOTO: ANDREJ MARKO
In der Rubrik „Ins Glas geschaut“ stellen Weinexpert*innen und Weinliebhaber*innen ihren Wein der Woche vor. Heute: Bio-Spezialist Andrej Marko testet trockenen Cabernet Blanc vom Weingut Hoflößnitz in Radebeul.
von Andrej Marko
Der Wein: Weingut Hoflößnitz, Cabernet Blanc, trocken, 2017, 12,0 % vol., 17,50 Euro ab Hof.
Der Grund: Insgesamt gibt es drei Gründe. Erstens bin ich bekennender Biowein-Anhänger und Hoflößnitz war im gesamten Anbaugebiet Sachsen das erste biozertifizierte Weingut. Zweitens breche ich gern eine Lanze für pilzwiderstandsfähige Sorten, die PiWis. Wobei man heutzutage ja schon als Befürworter zählt, wenn man solche Züchtungen nicht wie die unzähligen selbsternannten Traditionalisten rundheraus als neumodischen Quatsch und unnütz abstempelt. Und schließlich war es mal spannend zu erkunden, wie sich so ein Wein im fünften Jahr präsentiert.
Wir sind in Radebeul, auf halbem Weg zwischen Dresden und Meißen. Hoflößnitz fußt auf jahrhundertealter Tradition und einem Ensemble pittoresker Fachwerkhäuser. Und doch soll es modern und zukunftsorientiert vorangehen, so schreibt es die Satzung der Stiftung vor, die das Weingut mit der Deutschen Einheit übernahm. Ökologie und das Anpflanzen einer Vielzahl an PiWi-Sorten eingeschlossen.
Das Weingut Hoflößnitz in Radebeul: Ökologischer Betrieb mit unterschiedlichen PiWi-Sorten FOTO: MAX SCHRÖDER
Cabernet Blanc hat eine spannende Herkunft. Eine pilzwiderstandsfähige (aber für sich uninteressante) Sorte wurde mit Cabernet Sauvignon vermählt. Letzterer hat selbst prominente Eltern: Cabernet Franc und Sauvignon Blanc. Jetzt wird’s mir fast zu bunt: Aus einer weißen Sorte entsteht eine rote und daraus wieder eine weiße? Gregor Mendel hätte seine wahre Freue daran.
Viele finden geschmacklich im Cabernet Blanc den Sauvignon Blanc wieder. Für mich ist oft die Paprikanote am prägnantesten, die ich eher aus der Cabernet Franc/Cabernet Sauvignon-Linie ableite.
Und wie schmeckt dieser nun? Schon in der Nase ist sie da, die typische Paprika. Aber nicht grüne Paprika, sondern eher die im Glas eingelegte Paprika. Ah, so altert Cabernet Blanc also. Am Gaumen setzt sich Paprika fort und wird begleitet von einer leicht scharfen Bitterkeit. Die irritiert etwas und ich frage mich, ob sie schon immer da war oder auch eine Alterserscheinung ist. Jedenfalls maskiert sie gut die laut Analyse vorhandene Restsüße von 5g, die sonst sicher leichter wahrnehmbar gewesen wäre.
Im Weinberg des Weinguts Hoflößnitz: Kellermeister Felix Hößelbart (l.) und Geschäftsführer Jörg Hahn FOTO: MAX SCHRÖDER
Der Wein wurde im Jahr der Abfüllung beim Internationalen PiWi Weinpreis mit Gold und 93 Punkten ausgezeichnet. Aktuelle Jahrgänge würden 17,50 Euro ab Hof kosten, wenn sie nicht ausverkauft wären. Ich wäre jetzt am liebsten ein wenig enttäuscht. Aber ich reklamiere den Fehler für mich selbst: Einfach zu lange im Keller vergessen. Hätte ich ihn etwas früher aufgemacht, zu Paprikagemüse, zu geschmortem Chicorée, zur Artischocke, er hätte wunderbar gepasst. Und dafür breche ich jederzeit die nächste Lanze.
Zuletzt in der Rubrik "Ins Glas geschaut" erschienen: +++ Anja Zimmer testet Doctor Riesling vom Weingut Wwe. Dr. H. Thanisch - Erben Thanisch (Opens in a new window) +++ Die Test-Highlights aus 2021 liest du übrigens hier! (Opens in a new window)
Und nicht vergessen: Demnächst im WeinLetter - das Döner-Experiment! Welcher Wein passt zu diesem Klassiker der deutschen Esskultur? Vorschläge bitte an weinletter@posteo.de! Und wenn du sonst noch Fragen oder Antworten hast: Immer her damit!