WeinLetter #96: Die besondere Wein-Lage: Das Geheimnis des Idig
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #96. Heute gibt’s: Idig. Diese besondere Lage Idig liegt in Neustadt, Pfalz. Warum beschäftigen wir uns ständig mit Lagen im WeinLetter? Zum Beispiel mit: Kirchenstück (Abre numa nova janela), Kalmit (Abre numa nova janela) oder Küchenmeister (Abre numa nova janela). WeinLetter-Autor Philipp Bohn porträtiert hier den Idig und meint: Große Lagen von Weltrang zeichnen sich „durch ein hervorragendes Terroir, eine besondere Geschichte und erstklassige Winzer aus”. Alle drei vorhanden beim Idig. Also sind diese Lagen-Geschichten im WeinLetter eigentlich immer auch Geschichten über die Qualitätsentwicklung des deutschen Weins. Zumindest in der Spitze. Ohne einen gewissen Lagen-Fetisch, den absoluten Fokus auf Herkunft hätten deutsche (Top-)Winzer keine solch rasanten Qualitätssprünge gemacht, mit denen sie international konkurrenzfähig wurden. Aber jetzt - ab geht’s in den Idig mit Philipp Bohn! +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied!
Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo

Der Idig-Flight der Weingüter Andres, Christmann und von Winning: Die Idig-Rieslinge hat die Grafikerin Anna Vu gezeichnet. Sie lebt in Paris und illustriert als Good Food Crap Drawing (Abre numa nova janela) besondere Gerichte und Flaschen. Sie war zuvor Art Director der Zeitschrift Gourmet Traveller ILLUSTRATION: ANNA VU
600 Jahre deutsche Weingeschichte: Alles über die besondere Pfälzer Weinlage Idig
von Philipp Bohn
Rieslinge aus dem Idig stehen an der Spitze der Pfälzer und deutschen Weine. Wie alle großen Lagen von Weltrang zeichnet sich der Idig durch ein hervorragendes Terroir, eine besondere Geschichte und erstklassige Winzer aus. Das war nicht immer so. Lange war der historische Wingert in Königsbach an der Weinstraße bei Neustadt in Vergessenheit geraten. Bis er vom Weingut Christmann wiederentdeckt und national wie international berühmt gemacht wurde.
Seit Kurzem aber sind die Winzer Steffen und seine Tochter Sophie Christmann nicht mehr ganz allein auf ihrer Flur. Die Top-Weingüter von Winning und Andres haben sich kleine Parzellen gesichert und mit 2022 ihre ersten Idig-Jahrgänge vorgestellt.
Was macht den Idig besonders? Wieso zieht er die Winzer an? Und schmeckt man ihre Handschriften?
Die Geografie des Idig: Sonne, Kessel und Kalk prägen die Lage
Der Idig (Abre numa nova janela) liegt in der südlichen Mittelhaardt und bietet beste Voraussetzungen für trockene, frische und fruchtige Rieslinge. Das nahegelegene Haardt-Gebirge und der Rolandsberg halten kühle Westwinde ab, ohne die bis 180 Meter hohe Lage zu verschatten. Im Gegensatz zur unmittelbaren Umgebung ist die Ausrichtung nach Südsüdost bis südlich, so dass die Reben bis in den Abend hinein Sonne bekommen. Die Steigung bis 20 Prozent ist für Pfälzer Verhältnisse recht steil und sorgt für zusätzliche Exponiertheit der Reben zur Sonne. Es ist ein Kessel mit warmen Temperaturen.
Der Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) klassifiziert die insgesamt 6,53 Hektar der Kernfläche als Große Lage. Als Große Gewächse sind die Sorten Riesling und Spätburgunder zugelassen.
Der Weinberg ruht auf einem mächtigen Kalkmassiv, das nach Einbruch des Oberrheingrabens im Tertiär aus der Ablagerung von Kalk entstanden ist. Der Oberboden besteht aus Terra Fusca, entstanden aus Kalk und Ton. Dadurch profitieren die sonnenverwöhnten Reben von einem ausgezeichneten Wasserspeicher, trocknen also nicht aus. Im Boden findet man zusätzlich eine Menge Basaltsteine, die vor etwa 150 Jahren durch das Weingut von Buhl in den Weinberg verbracht wurden.

Der Königsbacher Idig FOTO: VDP/PETER BENDER
Die Geschichte des Idig: Vom Kurfürsten über Buhl und Guttenberg zu Christmann
Die Lage hat eine gerade fürs Weinland Deutschland ungewöhnlich lange Geschichte und wechselte in ihrem Verlauf mehrmals die illustren Besitzer. Im 14. Jahrhundert befindet sie sich im Besitz der Pfälzer Kurfürsten. 1347 werden erstmalig 13 Morgen Wein „im Idischen“ erwähnt, die zum kurpfälzischen Hofkammeralgut gehören.
Einige Zeit später wird die Pfalz französisch und mit der Revolution 1792 die Republik Eigentümerin des Weinbergs. Sie verwendet ihn bis 1812 zur Versorgung von Veteranen der Revolutionsarmee. Dann erwirbt eine Mannheimer Familie das Gut und veräußert es wenig später an die Forster Weingutsfamilie Schellhorn-Wallbillich.
1856 bringt Tochter Julie allerbeste Weinberge im Kirchenstück, Pechstein, Ungeheuer und eben auch den Idig durch Heirat in die Deidesheimer Winzerfamilie von Buhl ein. Der Weingutsbesitz der Familie von Buhl entstand 1884 durch die Erbteilung des Pfälzer Politikers und Winzers Andreas Jordan, der sogenannten „Jordanschen Teilung“. Durch die Teilung entstehen die Weingüter Bassermann-Jordan, von Winning und von Buhl. Sie verbringen zur Verbesserung des Bodens besagte Basaltsteine aus dem vulkanischen Forster Steinbruch Pechsteinkopf in den Idig ein.
Im Jahr 1952 vererbt die Witwe Frida Piper-von Buhl das Weingut an den zuvor adoptierten Karl-Theodor zu Guttenberg, Großvater des ehemaligen deutschen Wirtschafts- und Verteidigungsministers. Der wirtschaftliche Erfolg des Weinguts von Buhl bleibt wechselhaft. In den Achtzigerjahren beschließt die Familie, das 115 Hektar umfassende Weingut stark zu verkleinern. 50 vom Sitz in Deidesheim weiter entfernte Hektar Land werden verpachtet, unter anderem an Christmann.

Die Winzer:innen Steffen und Sophie Christmann in ihrer Flagship-Lage Idig FOTO: VDP/PETER BENDER
Die Wiederentdeckung des Idig: Kein Christmann, kein Idig, kein Christmann
„Ganz große Weinberge haben Geschichte“, sagt Steffen Christmann im Gespräch mit dem Weinletter. „Wein ist Kulturgut und Kultur ist Geschichte, reflektiert und konzentriert in wenigen Hektar Land. Der Idig hat diesen Genius Loci, das habe ich immer gespürt.“
Historische Kritiken und Einordnungen verdeutlichen die Besonderheit der Lage. So hat sie eine höchste Einstufung in der königlichen bayerischen Bodenbewertung von 1828. Der Weinautor André Jullien zählt 1866 in seinem Grundlagenwerk „Topographie des tous les vignobles connus“ den Idig zu den besten Lagen der Pfalz. Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert führen Versteigerungslisten des Eigentümers von Buhl den Idig als eine der besten Lagen mit höchsten Auktionspreisen. Ernst Hornickel, ein führender Weinjournalist der Nachkriegszeit, zählt in seinem Werk „Die Spitzenweine Europas“ von 1963 den Idig zu den zehn besten Lagen der Pfalz.
Aber Christmann berichtet: „Die Lage war sehr heruntergekommen, am unteren Teil gar nicht mehr geschnitten. Eine Mauer des Wingerts war seit Jahren zerfallen. Anstatt sie wieder aufzurichten, wurden Rebstöcke eingekürzt, damit der Trecker wenden konnte. Nachbarn haben an einigen Stellen sogar den Drahtzaun durchtrennt, um auf dem Gelände Kompost zu lagern.“
So entsteht bei dem damals Neunzehnjährigen und seinem Vater der Entschluss, den Idig zu alter Größe zurückzuführen. Christmann pachtet die Lage 1985 vom Weingut von Buhl.
Als sich die Familie zu Guttenberg von ihrem Weingut Reichsrat von Buhl trennen will, soll es nicht filetiert, sondern als Ganzes verkauft werden. „Über meinen Vorgänger im Amt des VDP-Präsidenten Michael Prinz zu Salm-Salm habe ich Kontakt zu Philipp zu Guttenberg aufgenommen und konnte ihn überzeugen, dass der Weinberg bei uns in den besten Händen ist“, erinnert sich Christmann. 2001 kann er die Lage Idig erwerben, bevor der Neustädter Unternehmer Achim Niederberger das Weingut von Buhl zusammen mit Bassermann-Jordan und von Winning übernimmt und die Jordansche Teilung damit rückgängig macht.
Mit den Idig-Weinen geht es seit der Übernahme durch die Familie Christmann wieder steil bergauf. Die einschlägigen Zeitschriften, Führer und Kritiker überhäufen Jahrgang um Jahrgang mit Auszeichnungen und Punkten. Meistens sind sie direkt nach Release ausverkauft. Christmann verfügt über besondere Pfälzer Lagen wie Ölberg, Heidböhl, Meerspinne oder Vogelsang. Aber der Idig als Flagship ist die Grundlage für die heute herausragende Bedeutung des Weinguts Christmann und seiner Eigentümer. Ohne Christmann kein Idig und ohne Idig kein Christmann.
Stephan Attmann ist als Betriebsleiter für die Weine beim Weingut von Winning verantwortlich FOTO: MARKUS BASSLER
Die Konkurrenz im Idig: Vom Quasimonopol zum Quasiwettbewerb mit Winning und Andres
Viele Jahre vermarktet das Weingut Christmann seine Idig-Rieslinge mit 2,8 Hektar Anbaufläche als „monopolartig“. Mit den Topweingütern von Winning und Andres kommt jetzt mehr Dynamik ins Spiel. Auch wenn ihre dortigen Parzellen winzig sind: Was hat sie angezogen?
Für Stephan Attmann als Betriebsleiter bei von Winning spielt die Historie eine wesentliche Rolle: „Von Winning und von Buhl gehörten bis zur Jordanschen Teilung zusammen und sind inzwischen wieder in der Hand einer Unternehmerfamilie. Als sich für uns als Teil der Gruppe die Gelegenheit bot, wieder ein Stück Idig zu bekommen, hat sich ein Kreis geschlossen.“
An die begehrte Lage ist er durch Zufall gekommen: „Eine Genossenschaft brauchte von uns ein Stück Land für die Erweiterung eines Betriebsgebäudes. Sie besaß eine kleine Parzelle in der Kernlage des Idig, hatte die Trauben aber nur für Basisweine verschnitten“, so Attmann. So kam es zu einem beidseitig naheliegenden Tauschgeschäft. Aktuell erbringen die 0,4 Hektar etwa 1200 Flaschen Riesling. Langfristiges Ziel sind 1800 Flaschen des Großen Gewächses, also ein kleiner Ertrag auf höchstem Niveau.

Die Brüder Michael (links) und Thomas führen das Familienweingut Andres gemeinsam FOTO: JO BAYER
Ähnlich ging es dem Deidesheimer Winzer Michael Andres, der auf 0,1 Hektar mit dem Jahrgang 2022 ebenfalls seinen ersten Idig auf den Markt gebracht hat: „Wir haben mit einer Ruppertsberger Genossenschaft ein Tauschgeschäft gemacht. Jeder Winzer würde ein Stück Idig nehmen, wenn es möglich ist“, bringt es Andres auf den Punkt. Auch für ihn spielte die persönliche Lagengeschichte eine Rolle: „Es gab früher schon Idig-Wein von Andres. Vor kurzem habe ich noch ein altes Etikett mit dem Namen gefunden. Leider ist davon sonst nichts übriggeblieben. Dieser Familiengeschichte verleihen wir jetzt neues Leben.“
Dreimal Idig: Das Lagen-Tasting mit den Weingütern Christmann, von Winning und Andres FOTO: PHILIPP BOHN
Das Idig-Tasting: Eine Lage, drei Weine, drei Handschriften
Was machen drei Winzer aus einer Lage? Dafür habe ich mit einigen Weinfreunden im Berliner Laden Dreiviertel Weine (Abre numa nova janela) die drei Flaschen des ersten gemeinsamen Jahrgangs 2022 verkostet.
Zuerst Christmann: Im Mund sind die Kräuter noch sehr zart, etwas geriebene Zitronenmelisse und gezupftes Basilikum. Dazu weißer Pfirsich und zermahlener Stein, vielleicht der Basalt. Die vorhandene Komplexität wird sensorisch noch etwas durch die straffe Säure unterdrückt. Aber will der Wein jetzt gefallen? Nicht mit zwei Jahren. Also egal. Der Jahrgang hat Zug, Druck und mineralische Intensität. Das macht ihn groß und er ruft einem zu: Bitte noch warten, da kommt noch mehr! Was der ergänzend verkostete Jahrgang 2014 doppelt unterstreicht. Ein Wein für viele Jahre.
Von Winning-Weine werden im Holzfass ausgebaut, egal ob weiß oder rot. Für den Idig ist das ein gebrauchtes 500-Liter-Tonneau-Fass aus französischer Eiche. Und das schmeckt man gleich. Der von Winning-Idig ist jetzt schon offener, cremiger. Die Mineralität schiebt eher von hinten an. Die leicht gelbe Frucht hat auch was Dunkles, etwas Pilze und mineralische Würze. Der Wein ist schon jung zugänglich und schmeichelt.
Aber bitte nicht falsch verstehen: Das ist nicht anbiedernd, sondern fordernd. Hier scheinen Stephan Attmann und sein Team schnell einen Zugang zur Lage gefunden zu haben, ohne den Winning-Touch zu vernachlässigen. Der erste Eindruck – noch als Bückware bei der VDP-Lagentour 2024 in Berlin – bestätigt sich: ein großer Wein mit viel Potenzial!
Zunächst etwas ungestümer kommt der Wein von Andres ins Glas: Er ist fordernd trocken mit zitrischer Säurestruktur, wie man sie von einem Idig-Gewächs erwarten kann. Der Wein hat alle Voraussetzungen, die es braucht, um ein besonderer zu sein: Frucht, Würze, Kräutrigkeit, Mineralität, Komplexität, Kraft und Länge. Mit etwas Zeit und Luft im Glas fügen sich die geschmacklichen Einzelteile zu einem erfrischenden und feinen Ganzen zusammen.
Mit der größten Fläche und jahrzehntelanger Erfahrung bleibt Christmann der Maßstab für Idig-Rieslinge. Mit von Winning und Andres bieten jetzt weitere ambitionierte Winzer ihre eigenen Lageninterpretationen an. Sie werden über die nächsten Jahre noch viel Überraschendes und Gutes aus ihren Parzellen rausholen und ihre Ortsstilistik weiter verfeinern. Beide werten die großartige und besondere Lage mit neuer Vielfalt auf. Die lange und bewegte Idig-Geschichte ist um ein Kapitel reicher.
Die drei Idigs: Christmann, von Winning, Andres
Weingut A. Christmann: Riesling Idig, 2022, Neustadt a. d. Weinstraße, 70 Euro ab Hof.
Weingut von Winning: Riesling Idig, 2022, Deidesheim, 39 Euro ab Hof.
Weingut Andres: Riesling Idig, 2022, Deidesheim 40 Euro ab Hof

Philipp Bohn leitet das Produktmarketing beim globalen Digitalisierungsspezialisten Atos. Er lebt mit Frau und zwei Kindern im Prenzlauer Berg. Seine Weinheimat ist die Pfalz. Für den WeinLetter hat Philipp u. a. über PIWI (Abre numa nova janela), die Apple-TV-Manga-Serie “Drops of God” (Abre numa nova janela), die Weingeschäfte von Lieferdiensten wie Flink (Abre numa nova janela), das Weingut von Karsten Peter (Abre numa nova janela), die Nachhaltigkeitsstrategie des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) (Abre numa nova janela). FOTO: MONIKA JIANG
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