WeinLetter #63: Das EU-Verbot, die Grünen und die deutsche Wein-Diplomatie
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #63. Heute gibt’s: Die Zukunft des deutschen Weins! Wie immer. Die wird gerade strukturell fast durchweg in Brüssel entschieden. Und jüngste Verordnungspläne haben’s in sich. Die EU will die Pflanzenschutz-Ausbringung bis 2030 um 50 Prozent reduzieren. Hurra! Finden aber nicht alle: Hurra! Der Deutsche Weinbauverband zum Beispiel. Der hat deswegen sehnlichst ein Treffen mit Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Die Grünen) herbeigesehnt. Hat dann auch stattgefunden (leider kurz nach Drucklegung (sic!) des WeinLetters #62). Aber die „Ergebnisse“ wollte ich Euch nicht vorenthalten. Schließlich hat der WeinLetter als eines der ersten überregionalen Qualitätsmedien darüber berichtet. Es gibt also: Die Zusammenfassung des Treffens. Und einen Brief in der Sache von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann an EU-Chefin Ursula von der Leyen (beide Deutschland), den der #WeinLetter erstmals in voller Länge dokumentiert. +++ Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Abre numa nova janela) Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
So läuft's im Weinberg von Eltville (v. l.): Priska Hinz, Cem Özdemir, Klaus Schneider FOTO: ©BMEL/MEWES
Das Treffen von Eltville
Die Obstbauern hatte er am Bodensee besucht, jetzt waren die Weinbauern in Eltville dran. Bundesumweltminister Cem Özdemir (Die Grünen) hat sich im Rheingau Anfang Juli zu einem Spitzengespräch mit Politiker:innen und Weinbau-Lobbyisten getroffen. Oder wie es der Deutsche Weinbauverband (DWV) formulierte: Zu einem „lange erwarteten persönlichen Austausch“. Es ging vor allem um die Pläne der EU-Kommission, in besonders „sensiblen Gebieten“ ein Totalverbot für Pflanenzenschutzmittel zu beschließen, über das der WeinLetter als eines der ersten Qulitätsmedien berichtet hatte. Wer war dabei? Was waren die Positionen? Was gab’s zu trinken? In welchem Weingut? Hier sind die Antworten auf die wichtigsten Fragen:
1. Wer traf sich zum Wein-Diplomatie-Spitzengespräch?
Es kamen zusammen: Bundesumweltminister Cem Özdemir (Die Grünen); Priska Hinz, Staatsministerin im hessischen Landwirtschaftsministerium (Die Grünen); Klaus Schneider, Präsident des Deutschen Weinbauverbands (DWV); Peter Seyffardt, Präsident des Weinbauverbands Rheingau; Otto Guthier, Präsident des Weinbauverbands Hessische Bergstraße.
Austausch der fast strikt getrennten Positionen unter strikter Holzvertäfelung: Cem Özdemir (rechts, Grüne) und Klaus Schneider (links, Nicht-Grüne) FOTO: ©BMEL/MEWES
2. Wo fand der Austausch statt?
In Eltville im Rheingau. Noch genauer: in Marthinstal. Dort residiert das Weingut Diefenhardt und beherbergte für den Austausch die Gesellschaft. Einem der Beteiligten Verbandspolitiker gehört nämlich das schmucke Weingut mitsamt dem Gutsausschank: Peter Seyffardt, CDU-Politker und Mitglied des hessischen Landtags zwischen 2009 und 2014, Vorsitzender des Weinbauverbands Rheingau – und Winzer. In der Gutsschänke fand denn auch das Gespräch statt.
3. Um was ging es bei dem Gespräch?
Es ging einmal durch die wesentlichen Zukunftsfragen der Landwirtschaft: Es ging um die EU-Themen Pflanzenschutz, die Etikettierung von Nährwert- und Zutaten des Weins auf Weinflaschen und die Zukunft des Bioweinbaus.
4. Okay, was war das Hauptthema?
Das wichtigste Thema: die Pestizid-Verordnung der EU und der Entwurf der EU-Kommission. Denn diese gefährdet die Existenz vieler Winzer:innen. Klammer auf: Wenn sie sich nicht bewegen.
5. Um was geht es nochmal bei der Pestizid-Verordnung?
Sie wird rechtlich verbindlich sein und den Mitgliedsstaaten der EU keine nationalen Spielräume lassen. Großes Ziel ist eine Pestizid-Reduzierung bis 2030 in Höhe von 50 Prozent. Dies ist ein zentraler Kern des Green Deals. Diese Regelung gilt für konventionellen Pflanzenschutz wie auch für Bio-Pflanzenschutzmittel. Es gibt eine weitere Einschränkung: In „sensiblen Gebieten“ soll es ein Totalverbot von Pflanzenschutzmittel geben – betrifft dann konventionell wie bio. Unter „sensible Gebiete“ fallen öffentliche Parks und Gärten, Spielplätze, Schulen, Freizeit- und Sportplätze, öffentliche Wege und Natura-2000-Schutzgebiete. In Deutschland fallen auch Landschaftsschutzgebiete, Naturschutzgebiete, Wasserschutzgebiete und Vogelschutzgebiete darunter.
Die Landwirtschaft – egal ob Obstbauern oder Weinbauern – fürchtet um die Existenz. Im Weinanbau sind zum Beispiel alle Steillagen betroffen – quer durch alle Anbaugebiete von Mosel bis Neckar.
6. Was waren jetzt die Positionen beim Wein-Gipfel von Eltville?
Bundesumweltminister Cem Özdemir erläuterte seine Position auch in Eltville: Das Pestizid-Reduktionsziel der EU ist für ihn das richtige Ziel – es sind die 50 Prozent bis 2030. Schon früher betonte der Grünen-Politiker, dass dieses Ziel „nicht verhandelbar“ sei. Er wolle sich aber für „praxistaugliche Regeln beim Pflanzenschutz“ einsetzen. Dies gilt für zwei Stellschrauben: Zum einen sieht er noch Spielraum beim Referenzjahr, also dem Jahr 2030. Zum anderen hält er die Definition der ökologisch „sensiblen Gebiete“ noch nicht für ausverhandelt. Prinzipiell sagte er: „Deutschland ohne Weinbau ist gar nicht denkbar, das ist Heimat und Tradition und das gilt es zu erhalten.“
Die Position des Deutschen Weinbauverbands ist eine andere. Der DWV lehnt ein Totalverbot von Pflanzenschutzmitteln in den „sensiblen Gebieten“ ab. Auch fordert er ein realistisches Reduktionsziel bei den Pflanzenschutzmitteln. DWV-Präsident Klaus Schneider sagte: „Es stimmt hoffnungsvoll, dass die Auswirkungen auf die Praxis, insbesondere bei einem Totalverbot von Pflanzenschutzmitteln in sensiblen Gebieten, aber auch in Bezug auf die Biodiversität in Weinbergen von unserem Bundesminister wahrgenommen werden.“ Wahrgenommen werden ist schön diplomatisch ausgedrückt.
7. Wie lange dauerte das Treffen?
90 Minuten dauerte der Austausch zu den Zukunftsfragen des Weinbaus. Neben dem Gespräch liefen die Protagonist:innen noch durch die Eltviller Weinberge.
Riesling ohne Stoff FOTO: ©BMEL/MEWES
8. Was wurde getrunken?
Ein Riesling wurde angeboten – zur Tageszeit selbstverständlich in der alkoholfreien Variante des Weinguts Diefenhardt (8,50 Euro ab Hof).
9. Was hat das Wein-Diplomatie-Treffen jetzt gebracht?
Zunächst mal: Nix. So ist das oft in der Diplomatie. Die Positionen, die ausgetauscht wurden, haben sich vor wie nach dem Treffen nicht geändert. Dafür sind sie zu weit auseinander. Cem Özdemir findet das Reduktionsziel der EU bei Pflanzenschutzmitteln richtig, der Deutsche Weinbauverband eben nicht. Oder nicht so. Oder noch nicht so früh. Also: Nicht. Punkt.
Wie es in der Diplomatie dann oft ist, finden die Parteien auf anderen Feldern Konsens. Der herrscht beim Thema Kaliumphosphonat im Bioweinbau. Dieses (chemisch hergestellte) Mittel war bis 2013 im Bioweinbau erlaubt – es wirkt als Pflanzenstärkungsmittel gegen den Falschen Mehltau (Rebenperonospora). Zugelassen ist seitdem nur noch Kupfer als Kontaktmittel für die Reben. Das wiederum widerstrebt vielen Winzer:innen, die sich eigentlich als Bio-Winzer:innen zertifizieren lassen würden, denn sie lehnen Kupfer im Weinberg prinzipiell ab. Hier jedenfalls herrscht Einigkeit.
„Exzellenz, damit wären 100 Prozent vom Verbot erfasst“
Er trinkt am liebsten die "Traumzeit" vom Staatsweingut Weinsberg (Abre numa nova janela) und sorgt sich um die Winzer:innen Baden-Württembergs: Winfried Kretschmann (Die Grünen) FOTO: STAATSMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG
In Baden-Württemberg hat sich früh Widerstand gegen die Pläne der EU-Kommission formiert. Top-Winzer wie Gert Aldinger aus Fellbach sagten dem WeinLetter exklusiv: „Das ist eine Art Enteignung. Die EU ist übers Ziel hinausgeschossen. Es geht jetzt um mein Lebenswerk.“ Der ehemalige Umweltminister im Kabinett von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, Franz Untersteller (Die Grünen), kommentierte im WeinLetter: „Das ist Gift für den deutschen Weinbau.“ Er forderte seine Parteikolleg:innen Steffi Lemke (Verbraucherschutz) und Cem Özdemir (Landwirtschaft), in Brüssel auf die Barrikaden zu gehen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann folgte dem Appell – in Form eines Briefes. Der WeinLetter dokumentiert den Brief von Winfried Kretschmann an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom Mai 2023 erstmals in voller Länge:
Exzellenz,
ich wende mich an Sie hinsichtlich zweier Verordnungsvorschläge der EU-Kommission, die mich teilweise mit Sorge erfüllen. Zum einen geht es um den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln, zum anderen um den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur.
Die Landesregierung Baden-Württembergs begrüßt ausdrücklich die Zielrichtung der beiden Verordnungen, sieht jedoch im Detail inhaltlichen Nachbesserungsbedarf.
Bei der Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln sollen ohne Unterscheidung nach Toxizität alle – auch die im ökologischen Landbau erlaubten – Pflanzenschutzmittel in „ökologisch empfindlichen Gebieten“ verboten werden. Durch dieses Verbot wäre mit massiven Einschränkungen in der landwirtschaftlichen Produktion zu rechnen. Die aktuelle Fassung der Verordnung sieht eine sehr weitreichende Definition der sensiblen Gebiete vor, inklusive der Gebietskulisse der Wasserrahmenrichtlinie. Damit wären 100 Prozent der Landesfläche in Baden-Württemberg vom Verbot umfasst. Selbst wenn die Schutzgebiete nach der Wasserrahmenrichtlinie ausgenommen werden, würden immer noch rund 48 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Baden-Württembergs in naturschutzrechtlichen bzw. Wasserschutzgebieten liegen. Dies würde zu zahlreichen Betriebsaufgaben gerade in den für Baden-Württemberg wichtigen Sonderkulturen, wie Weinbau sowie Obst- und Gemüsebau führen, und die Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Flächen ausbremsen. Damit würden in wichtigen Kulturlandschaften, die für die Biodiversität von entscheidender Bedeutung sind, massive Veränderungen und so genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung der Verordnung eintreten.
Bereits vor drei Jahren hat Baden-Württemberg weitreichende Regelungen zum Pflanzenschutzmitteleinsatz geschaffen, die in der Praxis schon erfolgreich umgesetzt werden. Im Rahmen eines Dialogverfahrens zwischen Landwirtschaft und Naturschutz wurden die zielführenden Regeln und Maßnahmen festgelegt, die seither im sogenannten „Biodiversitätsstärkungsgesetz“ rechtlich verankert sind. Für Baden-Württemberg wird eine Reduktion chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel um 40 bis 50 Prozent bis 2030 angestrebt. Erreicht werden soll dies mit einem breiten Spektrum an Maßnahmen, unter anderem durch einen Ausbau des Ökolandbaus auf 30 bis 40 Prozent bis 2030, verschärften Regelungen der guten fachlichen Praxis beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie dem Verbot von allen Pflanzenschutzmitteln und Bioziden in Naturschutzgebieten. Dabei wurde darauf geachtet, dass Ausnahmen möglich sind, wenn dadurch das Ziel des Schutzgebietes und die Stärkung seiner Schutzgüter unterstützt wird, wie es beispielsweise beim Steillagenweinbau regelmäßig der Fall ist.
Daher möchte ich Sie dringend bitten, in den Verhandlungen mit dem Parlament und dem Rat darauf hinzuwirken, dass die empfindlichen Gebiete beziehungsweise die Verbotstatbestände unter Berücksichtigung der jeweiligen Schutzziele überarbeitet werden. Gemäß dem Bundesratsbeschluss 297/22 vom 16.09.2022 sollten als Richtschnur hier die Regelungen der im vorletzten Jahr verabschiedeten Pflanzenschutzanwendungsverordnung herangezogen werden.
Auch bezüglich der Verordnung zur Wiederherstellung der Natur möchte ich Sie bitten, bei den Verhandlungen mit dem Parlament und dem Rat auf Anpassungen hinzuwirken. Die Verordnung geht in ihrem Anwendungsbereich weit über die Natura-2000-Gebiete hinaus, da alle Lebensraumtypen und Artenhabitate, Oberflächengewässer, landwirtschaftlichen Ökosysteme und Waldökosysteme erfasst werden sollen. In Baden-Württemberg werden viele dieser Habitate und Ökosysteme in der Tradition einer jahrhundertealten Kulturlandschaft bewirtschaftet. Die für den Sektor Land- und Forstwirtschaft vorgeschlagenen Wiederherstellungsmaßnahmen könnten daher zu weiteren Bewirtschaftungseinschränkungen und Ertrags- bzw. Produktionsrückgängen, unter Umständen sogar zu Betriebsaufgaben oder Umsiedelungen führen. Für die Zielerreichung sollte deshalb von Seiten der EU zum einen ein weiteres Anreizsystem für freiwillige Maßnahmen geschaffen werden, um mögliche Ertragseinbußen der betroffenen Landwirtinnen und Landwirten zu schmälern. Zum anderen sollten die vorgesehenen Regelungen im Einzelfall im Hinblick auf ihre konkreten Auswirkungen auf die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Dabei sollte auch darauf geachtet werden, dass die Regelungen zur Wiederherstellung der Natur mit den erforderlichen Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel konformgehen, wie zum Beispiel die Klimastabilisierung der Wälder zum langfristigen Erhalt der vielfältigen Funktionen der Offenland- und Waldökosysteme. Mittelfristig sollte ein EU-Umwelt- und Klimafonds eingerichtet werden, um den europäischen Belangen des Klima-, Umwelt- und Biodiversitätsschutzes mit einem eigenständigen EU-Förderinstrument gerecht zu werden.
Mit freundlichen Grüßen
Winfried Kretschmann
Ursula von der Leyen (CDU) hat nach WeinLetter-Informationen dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, bis heute nicht geantwortet.
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