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Klimamagie im Kollaps: Geistertänze der Verdrängungsgesellschaft

Ghost Dance of the Sioux, print from a wood engraving, 1891. Quelle: https://www.britannica.com/topic/Ghost-Dance (Abre numa nova janela)

09.01.2025

Liebe Leute,

willkommen im Jahr 2025, in dem ich mich scheue, Euch ein “frohes Neues” zu wünschen, weil darin irgendwie zu viel Ironie oder gar Sarkasmus mitschwingen könnte. Auf jeden Fall wünsche ich Euch ein den Umständen entsprechend so gut wie mögliches Jahr (auch Gruß- und Abschiedsformen müssen sich also dem #AgeOfCollapse anpassen, good to know). Ich selbst kann berichten, dass ich eine wirklich schöne Jahresendpause hatte, so richtig mit keine Zeitungen lesen, fast kein social media machen, und wie angekündigt (Abre numa nova janela) “auf der Couch liegen, (Romane lesen,) Hörbücher hören, Serien bingen, vor dem Frühstück Joints rauchen, und alles in allem so wenig tun, wie irgend möglich.”

Faschos machen Faschosachen

Aber aller schöner Urlaub hat leider sein Ende, und als ich am Sonntag morgen wieder mit dem Zeitunglesen anfing, verging mir sehr schnell die gute Laune. Naja, die gute Laune: sagen wir mal, mir verging sehr schnell die Lust, an meinen Arbeitsplatz zurückzukehren (dass mir meine Arbeit gefällt, und ich mich üblicherweise darauf freue, ist natürlich ein großbürgerliches Privileg, I'm aware of that), denn mein Arbeitsplatz ist die Politik, genauer, die öffentliche Politdiskursarena, und die sah am 5. und 6. Januar ungefähr so aus, als hätte da gerade ein riesiger Scheißelaster seine Ladung abgekippt.

Zuerst waren da die ganzen Meldungen zur rapiden Faschisierung reicher Gesellschaften, angefangen damit, dass es mit Herbert Kickl möglicherweise bald wieder einen österreichischen “Volkskanzler” geben wird – because the last time was such a charm. Auch schön fand ich: “Die Washington Post (Abre numa nova janela) weigert sich, eine Karikatur ihres Eigentümers Jeff Bezos zu drucken, wie er zusammen mit anderen Technologiebaronen vor Trump kniet, während dieser sich auf seine 2. Amtszeit vorbereitet”, weil es so schön zeigt, wie schnell das Kapital vor dem Faschismus auf die Knie geht und anfängt, ihm die Hose aufzuknöpfen...

Dazu passte dann auch noch die Tatsache, dass 2024 ein 17%iger Anstieg rechtsradikaler Straftaten in Deutschland (Abre numa nova janela) registriert wurde. So weit, so wenig überraschend: wenn 2023 das Coming Out der Arschlochgesellschaft (Abre numa nova janela) erlebte, und 2024 von der rapiden “Arschlochisierung (Abre numa nova janela)” des gesellschaftlichen Lebens gekennzeichnet war, wird 2025 wohl so 'ne Art dauernder Arschloch-Pride-Parade sein, und der Wahlkampf (jeder Wahlkampf, in jedem reichen Land) ein permanenter ethischer Unterbietungswettbewerb. Aber na gut: Faschos machen Faschosachen, und wenn Faschisierung, dann machen halt auch andere als “nur” Faschos Faschosachen. Wie gesagt: scheiße, aber nicht überraschend, deswegen auch nicht so ein emotionaler Abfuck.

Die Dummheit der eigenen Leute

Was mich aber wirklich wütend machte, war nicht der ganze irrationale Schwachsinn oder die Desinformation von rechts. Was mich wütend und traurig machte, war der ganze irrationale Schwachsinn, sometimes bordering on active disinformation, die von (im erweiterten Sinne) unseren Leuten kam.

Highlight Nr. 1: die taz, innerlich derzeit tief zwischen einem realistischen und einem Verdrängungs-Flügel gespalten, sieht, dass 2024 1,6 Grad wärmer (Abre numa nova janela) war, als der vorindustrielle Durchschnitt, dass 2025 sogar bei 1,71 Grad wärmer anfing (Abre numa nova janela), weiß auch, dass die Emissionen nicht runter, sondern rauf gehen, und fragt trotzdem, ob “die 1,5 Grad noch zu retten (Abre numa nova janela)” sind. Seriously, ich könnte auch fragen, ob ich wieder unter 30 oder vielleicht Jungfrau sein könnte – that ship has sailed, liebe taz, und Ihr wisst das auch. Warum diese dämliche Frage? Sorry, das wiederum war eine rhetorische Frage, wir wissen, es geht um Verdrängung. In die selbe Richtung geht auch der Kniefall von Hannes Koch (Abre numa nova janela), ehedem kluger Klima- und Energiejournalist bei der taz (to be clear: er ist immer noch Klima- und Energiejournalist bei der taz), vor dem Fossilismus, wenn er schreibt, dass Flüssiggas, das unter nicht gerade unrealistischen Bedingungen klimaschädlicher ist, als Kohle, eine “notwendige Brückentechnologie” zur Energiewende sei. Hey Hannes: 2012 hat angerufen, es hätte gerne seine klimapolitischen Leerformeln zurück.

Highlight Nr. 2: das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, das von Ottmar “Otti” Edenhofer geleitet wird, “hält die künstliche Abkühlung der Erde (Abre numa nova janela) in der 2. Hälfte des Jahrhunderts für möglich”. Liebes PIK: was genau hast Du am Prinzip der “Irreversibilität (Abre numa nova janela)” nicht verstanden, das die mittlerweile ja leider auch zum Hopium-Flügel übergelaufene Maja Göpel dereinst mal so klug erklärte? Wenn das Klima erstmal gekippt ist, wird es auch nicht durch CO2-Entnahme wieder stabilisiert werden, dann ist es erstmal instabil. Das weißt Du, lieber Otti, eigentlich auch, aber Du – you guessed it – verdrängst es natürlich. Du gehörst deshalb zur Gruppe der: Männer, die die Welt verdrängen (Abre numa nova janela).

Highlight Nr. 3: die Washington Post (ok: nur im wirklich sehr erweiterten Sinne “eigene Leute”, aber doch eine der weniger durchgeknallten großen Zeitungen in den USA) titelt “Wie ein Magensäureblocker für den Ozean die Erde kühlen könnte (Abre numa nova janela)". Klar, wer kennt das nicht - beim lebensgefährlichen Magendurchbruch ne Pantoprazol schlucken, und dann einfach fröhlich weitersaufen und -koksen. Klimapolitik mit ner Pepto Bismol-Flasche. Alter Schwede, sehr viel alberner geht's echt nicht mehr.

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Vorwärts in die Vergangenheit

Dass unsere “eigenen Leute”, dass der moderate Flügel des grünen und des Klimafeldes immer mehr zum Ökoflügel der Verdrängungsgesellschaft absteigen würde, ist an sich auch nicht besonders überraschend, habe ich hier vorhergesagt (Abre numa nova janela). Was mich viel mehr faszinierte, war die grundsätzlich rückwärtsgewandte Struktur dieser Verdrängungserzählungen. Die taz fragt, ob wir, bei vorgestern 1,71 Grad über..., irgendwann durch unsere Zauberkräfte, durch magische, gleichsam göttliche Intervention wieder bei 1,5 Grad landen könnten; Otti fantasiert, dass es jetzt erstmal ganz viel Erwärmung gibt, die dann aber magisch wieder umgedreht, aus der Atmosphäre gesaugt werden kann (genauer: das CO2); und die WaPo sieht, dass die Ozeane übersäuert sind, dass sie nicht mehr genügend von unserem Müll wegräumen (CO2 absorbieren), also schmeißen wir magische Pillen in die Ozeane, dann sind sie wieder sauber, und wir können sie wieder, wie früher, wie immer eigentlich, als Müllkippen nutzen.

To be sure, im Gegensatz zu den Faschos, wo auch echte Dinge passieren (Kickls drohende Machütbernahme, 17% mehr Naziverbrechen...), geht es hier nur um Gelaber, um “Diskurs” im engsten Sinne, weil es natürlich keinen zukünftigen Klimaschutz geben wird, keine Pantoprazol für die Ozeane, und keine magische Temperaturreduktion und Rückkehr zum stabilen Klima des Holozäns. Aber manchmal ist es interessant, quatschiges Gelaber zu analysieren, wenn seine Struktur – nicht: sein Inhalt, der ist im Grunde beliebig austauschbar – Rückschlüsse darüber zulässt, was eigentlich passiert. “Eigentlich” im Sinne von: im Unterbewusstsein der verdrängenden Akteure, das die Realität meist sehr viel besser abbildet, als ihr Bewusstsein.

Und die Struktur dieser Bullshitstories ist wie schon angedeutet immer die selbe, sie ist nicht nur allgemeine Verdrängung, sie sind eine spezifische Form der Verdrängung-im-Kollaps, die sich durch das gesamte politische Feld zieht, von ganz mittig über ganz weit rechts über ganz weit links. Die Struktur ist: “unsere Gesellschaft, unsere Realität, unsere Welt kollabiert unter der Übermacht eines Prozesses, den wir nicht aufhalten können. Anstatt dies zu akzeptieren und uns darauf einzustellen, erzählen wir uns lieber Geschichten, in denen eine magische Möglichkeit zur Auflösung der Situation auftaucht, zur Rückholung des schon im Verlauf begriffenen gesellschaftlichen Totalzusammenbruchs.” Die hart rechte Erzählung will uns in ein weirdes Amalgam aus 1850ern und 1950ern zurückschicken, die gewerkschaftliche Erzählung in die 1970er, und die Ökoverdrängungserzählung will in die 1990er zurück, als wir von einer ökologischen “Friedensdividende” sprachen, und die Lösung globaler Umweltprobleme nur als eine Frage der richtigen Policy erschien. Alle wollen in die Zeit zurück, bevor ihr eigenes Weltbild aufhörte, Sinn zu ergeben. Put differently: “unsere Leute” reden teilweise genau so viel Quatsch, wie die harte Rechte, und das... naja, das wahrzunehmen, am ersten Tag nach dem Urlaub, zeckt schon ziemlich, macht nicht gerade gute Laune.

Magischen Denken im gesellschaftlichen Kollaps

Ein bisschen verbessert wurde die schlechte Laune, die mir all dieser Bullshit von angeblich aufgeklärten Leuten (Abre numa nova janela) machte, durch ein Gespräch mit Jan Leidecker, seineszeichens Historiker, der viel Zeit in verschiedenen Teilen Afrikas verbrachte. Der erinnerte mich daran, dass diese Art von irrationalem magischen Denken, dieses sich-herbei-imaginieren übernatürlicher, transzendenter Lösungen für Probleme, die immanent (also in der Realität) nicht zu lösen seien, für ihn nichts neues sein. Obacht: die drei Beispiele, die folgen, kommen aus antikolonialen Kämpfen. Warum? Weil kolonisiert zu werden einen ganz konkreten Kollaps darstellt, und ich ja verstehen will, wie Gesellschaften sich im Kollaps verhalten. Da wir für globalen ökologischen Kollaps noch keine Vergleichsbeispiele haben, nutze ich eine diesem Kollaps nicht unähnliche Kollapserfahrung, die des kolonisiert-werdens.

Beispiel 1: der sog. “Maji Maji Aufstand (Abre numa nova janela)” gegen deutsche Kolonialherrschaft im heutigen Tanzania (1905-07). “The insurgents turned to magic to drive out the German colonizers and used it as a unifying force in the rebellion. (They used a) war medicine that (they believed) would turn German bullets into water. This 'war medicine' was in fact water (maji in Kiswahili) mixed with castor oil and millet seeds. Empowered with this new liquid, Bokero's followers began what would become known as the Maji Maji Rebellion.” Ich kann mir gut vorstellen, dass die vor der Rebellion ähnliche Debatten hatten, wie wir heute in der Klimabewegung, und dass die Maji Maji-Leute die selben Argumente gegen ihre Kritiker*innen verwendeten, wie die Kollapsleuger*innen heute gegen uns: “ihr mit Eurem Realismus, ihr macht den Leuten nur schlechte Laune, redet die Niederlage herbei! Schaut, wenn wir dieses Wasser trinken (Emissionshandel oder CCS an den Start bringen), können uns die Kugeln (Emissionen) nichts anhaben!”

Beispiel 2: der sog. “Boxeraufstand (Abre numa nova janela)” gegen “westliche” Kolonialmächte in China (1899-1901). “Nach dem Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg von 1895 fürchteten die Dorfbewohner in Nordchina die Ausdehnung ausländischer Einflusssphären. 1898 wurde Nordchina von mehreren Naturkatastrophen heimgesucht, darunter die Überschwemmung des Gelben Flusses und Dürreperioden. Die Boxer machten ausländische und christliche Einflüsse für diese Katastrophen verantwortlich. Ab 1899 verbreiteten die Boxer in Shandong und in der nordchinesischen Tiefebene Gewalt, zerstörten ausländisches Eigentum, griffen christliche Missionare und chinesische Christen an oder ermordeten sie. Die Ereignisse spitzten sich im Juni 1900 zu, als Boxer-Kämpfer, die überzeugt waren, gegen ausländische Waffen unverwundbar zu sein, unter der Parole 'Unterstützt die Qing-Regierung und vernichtet die Ausländer' auf Peking (marschierten).” Auch hier sehen wir wieder: es waren die Kugeln, die Schusswaffen der europäischen Mächte, die im alltäglichen Kampf gegen die Colonizers die Niederlage indigener Truppen verursachte, also entstand magisches Denken, dass diese unschädlich machen wollte, weil es natürlich keinen wirklichen Weg gab, diese unschädlich zu machen. Sound familiar? Ersetzt einfach Kugeln durch CO2-Moleküle, und ihr habt's.

Beispiel 3: die sog. “ghost dances (Abre numa nova janela)” nordamerikanischer Indigener (1870/1890). In diesen sich seit Ende des 15. Jahrhunderts im aggressiv durch die Colonizers vorangetriebenen Totalkollaps ihrer Gesellschaften, ihrer Welt(en), entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Glaube, dass “die alten Zeiten und mit ihnen die traditionelle Lebensweise zurückkehren würden, wenn die indianischen Völker den Geistertanz tanzen würden. Dann würde sich die Erde in ein Paradies verwandeln und die weißen Eroberer würden durch eine große Flut oder ein Feuer eliminiert werden.” Hier sehen wir am deutlichsten die Grundstruktur magischen Denkens in kollabierenden Gesellschaften: “Seht her, alles geht kaputt, aber wenn ihr magische Technologie XYZ (CCS oder eben Geistertänze, MajiMaji-Wasser oder Säureblocker für die Ozeane) anwendet, DANN lässt sich die Geschichte zurückrollen, DANN kehren wir in die guten Zeiten zurück.”

Geistertänze der Verdrängungsgesellschaft

Zusammengefasst: Gesellschaften im Kollaps imaginieren sich magische Retter*innen oder magische Rettungs-”Technologien”, die es ihnen erlauben würden, die Zeit zurückzurollen oder zumindest anzuhalten, und die alte Welt wieder herzustellen. D.h., dass im Klimakollaps jeder Klimadiskurs, der nicht den Kollaps akzeptiert, immer abgefucktere, dümmere und magischere Formen annehmen wird. Das macht es nicht angenehmer, mit denen zu kommunizieren, die diese Magie brauchen, um sich motivieren zu können. Denn stellt Euch mal vor, ihr würdet kurz vor dem großen Battle zu den Boxern gehen, und versuchen, denen zu erklären, dass sie nicht gegen die Kugeln immun sind. Die würden Euch den Kopf abreißen.

Ungefähr so reagieren die meisten Klimas mittlerweile auf Wahrheit und Realismus: mit irrationaler Abwehr, weil, der magische Fetisch, das Totem wird ja gebraucht, sonst wäre ja alles anders...

Soviel dazu. Nächste Woche wird's konstruktiver, da setze ich mich dann mit einer Sache auseinander, die hoffentlich nicht Bullshit ist: mit den immer mehr um uns herum auftauchenden “Kollaps-Spaces”. Bis nächste Woche dann, mit jetzt schon wieder leicht arbeitsmüden Grüßen,

Euer Tadzio

p.s.: für die Berliner*innen unter Euch, am Fr. 10.1. bin ich ab 20:00 zusammen mit Kilian Jörg beim “antiautombilen Neujahrsempfang” im about:blank, wo wir über unsere respektiven Bücher diskutieren, Schnaps trinken, und für den Kampf vs. die A100 mobilisieren werden :)

https://bi-a100.de/dead-city-driving-antiautomobiler-neujahrsempfang/ (Abre numa nova janela)



Tópico Verdrängungsgesellschaft

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