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Bei allem, was diese Woche passiert ist, tut ein bisschen Trost sicher gut. Und was kann verlässlicher trösten, als zu sehen, was Wunderbares entstehen kann, wenn man sich zusammenschließt?
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#86 #Evolution #Mensch-Natur-Beziehung #Symbiosen
Mit Netzwerken die Welt erobern
Die Evolution besteht nicht nur aus Rivalität, wie wir gerne glauben, sondern vor allem aus Kooperation. Was wir von den Symbiosen der Natur lernen können. ~ 10 Minuten Lesezeit
Es ist ein kolossales Wesen, bis zu dreieinhalb Meter lang und 1,4 Tonnen schwer. Löwen oder Hyänen suchen sich lieber leichtere Beute. Trotzdem umgibt sich das Tier gern mit anderen, viel kleineren Wesen. Es braucht sie zum Überleben.
Spitzmaulnashörner leben in Savannen südlich der Sahara und sind vom Aussterben bedroht, nur noch ein paar Tausend (Abre numa nova janela) Exemplare sind übrig. Das liegt vor allem an ihren Hörnern – eigentlich nicht mehr als ein halber Meter zusammengepresstes Keratin. Doch weil eine gewisse Spezies glaubt, dass dieses Keratin ein Wundermittel wäre, das die Potenz steigert oder sogar Krebs heilt, ist das Horn teils wertvoller als Gold (Abre numa nova janela).
Also jagen Wilderer die Tiere, hacken ihnen die Hörner ab und verkaufen sie zu horrenden Preisen, meist nach China oder Vietnam. Die Käufer*innen dort zerreiben das Horn und trinken es wie Aspirin mit Wasser vermischt (Abre numa nova janela) oder streuen es in ihren Wein (Abre numa nova janela). Nochmal: Das Horn besteht aus Keratin. Genauso gut könnte man seine Haare in den Tee hängen oder geraspelte Fußnägel schnupfen.
Gefiederte Freunde, die Leben retten
Nashörner bemerken oft nicht, wenn sich Wilderer anschleichen, sie sehen schlecht. Weil bei Nashorn-Optikern aber gerade Fachkräftemangel herrscht, greifen die Tiere zu einem anderen Trick, um sich zu schützen: Sie gehen eine lebensrettende Partnerschaft mit einem besonderen Vogel ein, dem Madenhacker.
Die Singvögel lassen sich auf dem Rücken der Nashörner nieder, und wenn sich ein Wilderer nähert, stoßen sie einen Alarmruf aus. Mit großem Erfolg, wie ein Forscherteam feststellte (Abre numa nova janela): Ohne Madenhacker bemerken Nashörner nur jeden vierten Wilderer, mit singender Alarmanlage hingegen jeden einzelnen. Als Dank für ihren Dienst dürfen es sich die Nashorn-Wächter auf dem Koloss gemütlich machen. Dort schnappen sie sich Insekten, Larven oder Zecken, die das Nashorn befallen – und manchmal auch Hautschuppen und Ohrenschmalz.
Diese Savannen-Partnerschaft ist mein Lieblingsbeispiel für Symbiosen – und Symbiosen sind mein Lieblingsphänomen aus der Natur. Obwohl es schon in meinem Bio-Buch in der Schule auftauchte, war mir lange nicht klar, wie unterschätzt dieses Phänomen eigentlich ist.
Wir Menschen lieben Erzählungen vom Bösen (Abre numa nova janela), von Konkurrenz und dem Recht des Stärkeren, und die machen auch vor der Natur nicht Halt: Häufig sehen wir in ihr ein erbarmungsloses Fressen-und-gefressen-Werden. Nenne mir eine Naturdoku, in der nicht früher oder später ein Löwe seine Klauen in das Fleisch eines Zebras rammt.
„Kooperation ist ein völlig unterschätzter Mechanismus in der Evolution.“
Die Natur besteht aber nicht nur aus Egoismus und Rivalität, auch wenn uns das landläufige Darwin-Interpretationen gerne weismachen wollen. Wenige Aussagen wurden nachträglich derart entstellt wie Darwins „Survival of the fittest“: Angeblich würden nur die Stärksten im Kampf ums Dasein überleben – eine Erzählung, die zu allem Überfluss auch noch von rechts gekapert und zum „Sozialdarwinismus“ pervertiert wurde. Dabei meinte Darwin mit „Survival of the fittest“ gar nicht die Stärksten, sondern die, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind.
Pilzfarmen und umarmte Algen
In Wahrheit ist die Natur voll von Symbiosen. Ein anderes faszinierendes Beispiel: Ameisen und Akazien (Abre numa nova janela) in den Trockenwäldern Mittelamerikas. Die Ameisen sind abhängig von den Akazien, sie ernähren sich vom Nektar der Bäume und finden Schutz, etwa in hohlen Dornen. Im Gegenzug verteidigen sie die Akazien aggressiv gegen andere Insekten oder größere Tiere, die es auf die Blätter und Zweige abgesehen haben. Sie entfernen oder zerstören sogar andere Pflanzen, die den Akazien Raum zum Wachsen nehmen.
Ameisen einer anderen Art geben sich nicht als Wächterinnen, sondern als Züchterinnen: Blattschneiderameisen in den Tropen und Subtropen Amerikas graben unterirdische Nester, wo sie einen Pilz kultivieren (Abre numa nova janela), von dem sie sich ernähren, wie auf einer Farm. Sie schleppen Blätter heran, füttern den Pilz und wehren sogar andere schädliche Pilze ab. (Das schaffen sie übrigens wiederum nur dank einer Symbiose, nämlich mithilfe eines Bakteriums (Abre numa nova janela), das ein Antibiotikum produziert.)
Durch Kooperation können sogar ganz neue Wesen entstehen, Flechten zum Beispiel. Flechten sind keine Pflanzen, sondern ein Zusammenschluss aus Pilzen und Algen. Sie lassen damit die Grenzen davon verschwimmen, wie wir Arten und Individuen definieren.
Pflanzen finden auf kargen Gebieten wie Felswänden nicht genügend Nährstoffe und Feuchtigkeit vor. Pilz und Alge im Flechten-Team hingegen schon. Sie tauschen Mineralien und Zucker aus und überstehen so auch lange Trockenphasen.
Damit sind sie so etwas wie Pioniere und legen den Grundstein für weiteres Leben: Sie speichern Feuchtigkeit auch an unwirtlichen Orten. Moose und Farne folgen und mit der Zeit bildet sich der Boden für ein neues Ökosystem.
Ameisen, die Pilze züchten und Pilze, die sich Algen halten … da soll noch jemand behaupten, die Landwirtschaft wäre eine Erfindung des Menschen.
Die Symbiose-WG
Manche Symbiosen sind teils so eng, dass die Arten alleine gar nicht mehr überleben können. Die engsten Zusammenschlüsse sind sogenannte Endosymbiosen. So nennt man es, wenn Organismen innerhalb ihrer Symbiosepartner leben.
Hülsenfrüchte sind große Fans von Endosymbiosen. Wie alle Pflanzen benötigen sie Stickstoff. Blöd nur, dass die meisten Pflanzen den Stickstoff aus der Luft nicht verwerten können, wo er im Überfluss vorhanden ist. Hülsenfrüchte können das schon. Dafür gehen sie einen Pakt mit sogenannten Rhizobium-Bakterien ein.
Rhizobien können Stickstoff umwandeln – aber nur, wenn sie keinem Sauerstoff ausgesetzt sind. Hülsenfrüchte bilden also kleine sauerstofffreie Knötchen an ihren Wurzeln und beherbergen die Rhizobien darin.
Noch inniger ist die Symbiose zwischen Blattläusen und dem Buchnera-Bakterium. Dieses lebt in bestimmten Zellen der Blattläuse und wird dort mit Zucker versorgt. Im Gegenzug hilft das Bakterium, Pflanzensaft zu verdauen. Diese Symbiose ist über hundert Millionen Jahre alt. Die beiden Wesen sind gemeinsam evolviert und so eng miteinander verflochten, dass es keinen Sinn ergibt, sie getrennt voneinander zu betrachten.
Zwei verschiedene Arten, aber irgendwie auch nicht. Sie sind zu einer Einheit verschmolzen und sprengen wie die Flechten die herkömmliche Definition von Art und Individuum.
Viele Forscher*innen gehen heute davon aus, dass Endosymbiosen eine treibende Kraft der Evolution sind und komplexes Leben erst ermöglicht haben.
Symbiogenese nennt man es, wenn neue Lebensformen durch das Verschmelzen zweier Organismen entstehen, wenn sich der Stammbaum des Lebens also nicht verzweigt, sondern wieder vernetzt. Pflanzen zum Beispiel sind überhaupt erst entstanden, nachdem eine Urzelle ein Cyanobakterium in sich aufgenommen hat.
Wenn Evolution sich nur mittels Konkurrenz vollzogen hätte, wären die Organismen der Erde wohl viel homogener. Womöglich wäre niemals das komplexe Leben samt Pflanzen und Tieren entstanden, wie wir es heute kennen. Kooperation ist demnach ein völlig unterschätzter Mechanismus in der Evolution. Oder wie die Biologin Lynn Margulis schreibt (Abre numa nova janela): „Life did not take over the world by combat, but by networking.“
Netzwerke statt Gefechte
Seitdem ich mich tiefgehender mit Naturthemen beschäftige, stößt mir eine Sache immer wieder auf: die martialische Sprache (Abre numa nova janela), mit der wir viele Phänomene beschreiben – auch die Evolution. Unser Nachdenken darüber ist geprägt von Begriffen wie Überlebenskampf, Rivalität und dem Recht des Stärkeren. Offenbar reden wir liebend gerne von Konkurrenz. Doch damit zeichnen wir ein Zerrbild davon, wie die Natur – und auch unsere soziale Welt – wirklich funktioniert.
Dass Kooperation auf unserem Planeten eine so zentrale Rolle spielt, ist eine völlig andere Erzählung als die, die wir jeden Tag zu hören bekommen: in Nachrichten, Büchern und Filmen, im Wahlkampf, bei Bewerbungsgesprächen, in Management-Kursen, im Straßenverkehr, eigentlich überall. Symbiosen und Kooperation zum Vorteil aller widerspricht unserer modernen Weltsicht völlig, insbesondere dem neoliberalen Märchen vom egoistischen Einzelkämpfer.
Es lohnt sich, diese absurde Weltsicht Stück für Stück zu dekonstruieren. Indem wir unseren Mitmenschen unsere Hände entgegenstrecken. Indem wir uns zusammen gegen Diskriminierung, Gewalt und Faschismus stark machen. Indem wir dadurch erkennen, dass uns mehr verbindet, als trennt.
Es befreit unheimlich, wenn man nicht annehmen muss, dass hinter jeder Ecke jemand wartet, der einem den Ellbogen in die Seite rammen möchte. Um das zu erkennen, reicht es schon, sich umzusehen und zu beobachten, was jeden Tag durch Kooperationen alles Wunderbares entsteht.
Sobald man einmal damit angefangen hat, sieht man Symbiosen überall – selbstverständlich auch zwischen uns Menschen und der Natur. Sie streckt uns millionenfach ihre helfenden Hände entgegen. Wälder, die uns beruhigen und Luft zum Atmen schenken, Moore, die CO₂ binden, Biber, die Flüsse renaturieren, Mangroven, die Küsten schützen. Sie alle sind für uns da, wir müssten ihre Hilfe nur annehmen.
Und natürlich können wir auch etwas zurückgeben. Wir können Moore schützen, Flächen entsiegeln, Tiere auswildern, einen Garten anlegen oder den Baum vor unserer Haustür gießen. Wir können unzählige Mensch-Natur-Symbiosen schaffen, jeden Tag und überall, wenn wir nur wollen.
Vielen Dank fürs Lesen, hoffentlich inspiriert Dich die ein oder andere Symbiose genauso wie uns.
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Unser Klimasong kommt dieses Mal von Donald Glover aka Childish Gambino. Ein sommerlicher Soundtrack, der es in sich hat: Feels like Summer (Abre numa nova janela).
You can feel it in the streets
On a day like this, the heat
It feel like summer
I feel like summer
I feel like summer
Seven billion souls that move around the sun
Rolling faster, fast and not a chance to slow down […]
Every day gets hotter than the one before
Running out of water, it’s about to go down
Go down
Air that kill the bees that we depend upon
Birds were made for singing
Waking up to no sound
No sound
I know
Oh, I know you know my pain
I’m hopin’ that this world will change (yeah)
But it just seems the same
Die nächste Treibhauspost bekommst Du am 8. Februar.
Herzliche Grüße
Manuel
PS: Die neue Folge vom Pod der guten Hoffnung könnte nicht besser in den Wahlkampf voller Fake News passen – zu Gast ist Blogger Thomas Laschyk, Gründer der Faktencheck-Website Volksverpetzer. Hier geht’s zum Podcast auf Spotify (Abre numa nova janela). (Alternativ kannst Du im Podcast-Player Deiner Wahl nach „Pod der guten Hoffnung“ suchen.)
(Abre numa nova janela)👨🏻🎨 Alle Illustrationen wie immer in Handarbeit von Manuel Kronenberg
📖 Zu unserem Buch „Unlearn CO₂ (Abre numa nova janela)“ (Ullstein)
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