Warum Dirk von Gehlen Content in Staffeln denkt
Dieses Interview war Teil des digitalen Steady Growth Day, einer Serie von Gesprächen mit unabhängigen Medienmacher:innen, die du kostenlos und in voller Länge überall findest, wo es Podcasts gibt.
Für Dirk von Gehlen gehört Innovation zum täglich Brot. Wie dafür Demut, Vernetzung und der Mut zum Scheitern zusammenspielen, erzählt er im Interview mit Steady-Geschäftsführerin Tina Dingel.
Falls du das Interview lieber hören möchtest, findest du es als Podcast-Folge hier bei Podigee (Opens in a new window).
Dirk, wer bist du und was machst du eigentlich?
Ich heiße Dirk von Gehlen. Ich bin eigentlich in meinem Hauptberuf bei der Süddeutschen Zeitung beschäftigt. Dort steht auf meiner Visitenkarte, dass ich für Innovation zuständig bin. Und das interpretiere ich seit über zehn Jahren schon so, dass ich wahnsinnig gerne coole Sachen ausprobieren.
Ich bin großer Fan des Internets und da ist eine der coolsten Sachen Steady für mich. Deswegen habe ich im Frühjahr zu meinem Buch (Opens in a new window) ein Experiment auf Steady gemacht, das sich ein bisschen unterscheidet von den anderen, die ihr heute vielleicht in dem Growth Day seht, weil ich das nicht gemacht habe, um Steady als Finanzierungsplattform zu nutzen − weil ich eben einen Hauptberuf habe − sondern weil ich aus diesem Buch quasi einen Workshop gemacht habe. Und die Idee dahinter, das Buch zu einem Newsletter zu machen, darüber will ich heute mit euch ein bisschen reden, weil ich glaube, dass dahinter ein zusätzlicher Angang steht, den man mit Steady realisieren kann.
Wenn man Innovation auf seiner Visitenkarte stehen hat – zehn Jahre lang – was macht man da so den ganzen Tag?
Das Gute dabei ist, dass es bei der Süddeutschen Zeitung vielleicht auch einfacher ist. Da sind kleine Schritte schon innovativ. Also da macht man den ganzen Tag möglichst viel Vernetzung. Als wir noch keinen Lockdown hatten, haben sich Kolleginnen und Kollegen über mich lustig gemacht, weil sie gesagt haben: "Du sitzt ja den ganzen Tag in der Cafeteria und unterhältst dich mit Leuten." Ich habe das jetzt sozusagen aus der Cafeteria in Calls übertragen.
Ich versuche, die Süddeutsche Zeitung in unterschiedlichen Formen möglichst eng zu vernetzen an das, was da draußen so passiert. Ich bin seit 1999 bei der Süddeutschen beschäftigt, und das, was wir damals als Zeitung uns vorgestellt haben, ist mit dem, was wir heute als Zeitung uns vorstellen, eigentlich schon fast nicht mehr vergleichbar. Wenn ich davon nur die Hälfte nach vorne spule, dann kann ich prognostizieren, dass wir in zehn Jahren auch Medien anders denken werden. Und ich versuche, weil ich selber eine journalistische Ausbildung habe – ich war an der Journalistenschule – möglichst viel davon selber auszuprobieren und Schlüsse daraus dann anderen zugänglich zu machen.
Zwei Beispiele, die ich bei der Süddeutschen da so entwickelt habe: Das eine ist ein Longread-Magazin. Das heißt: "Süddeutsche Zeitung Langstrecke". Das haben wir in einem Crowdfunding finanziert, mittlerweile ist das Magazin normal am Kiosk.
Zu Beginn der Corona-Pandemie habe ich außerdem für die Süddeutsche einen Laufnewsletter gestartet. Der heißt: "SZ Minuten Marathon". Und geht über 42,195 Minuten. Wir haben die berühmte Marathonzahl verkleinert und gesagt: "Wer mit dem Laufen beginnen möchte, soll sich 42 Minuten am Stück als Ziel nehmen." Und das hab ich in vier Staffeln mit Leserinnen und Lesern der SZ gemacht. Das sind zwei Beispiele für das, was ich so operativ mache.
Steady als Distributionsplattform − und Vernetzungsinstrument
Auf Steady hat Dirk von Gehlen mit anderen Creators als Mentor zusammengearbeitet und auch sein eigenes Projekt gestartet: Anleitung zum Unkreativsein (Opens in a new window)
Sehr cool, vielen Dank. Und dann hast du eben was gesagt, das hat mich sehr gefreut: Steady findest du total cool. Erzähl doch mal mehr darüber.
Deswegen bin ich ja hier. Ich habe zwei sehr, sehr positive Steady-Erfahrungen gemacht. Die eine ist, dass ich angefragt wurde für ein Mentorship (Opens in a new window). Ich habe mit Angelika von Musermeku.org (Opens in a new window) mitentwickelt, wie sie ihren herausragenden Museums-Newsletter über Steady verbreitet. Zum Zweiten habe ich mein Kreativitätsbuch (Opens in a new window) in elf Newsletterfolgen zerlegt und das von Anfang April bis zum längsten Tag des Jahres, Mitte Juni, über Steady verbreitet.
Warum habe ich das bei Steady gemacht? Zum einen bin ich immer dafür, dass man deutsche Nicht-Silicon-Valley-Ideen unterstützt. Gar nicht wegen des Deutschen, sondern weil ich finde, dass Menschen, die in der Nähe sind, immer leichter erreichbar sind. Und wenn man bei einem großen US-amerikanischen Unternehmen etwas macht, dann dauert es, bis man dahin kommt. Bei Steady weiß ich, wo ich jemanden kontaktieren kann, wie ich mich mit dem austausche und vielleicht helfen die mir ja auch schneller, wenn ich mal ein Problem habe. Das ist der erste Punkt.
Der zweite ist, dass das Internet ein Netzwerk ist und in einem Netzwerk profitiert man davon, wenn irgendwo andere tolle Leute sind. Also ich bin super, finde mich total toll, aber ich finde es noch toller, wenn ich in einem Umfeld von tollen Leuten sein kann und allein der Growth Day heute zeigt, was für tolle Leute Steady anzieht. Ich habe im Vorgespräch gesagt, vielleicht ist Steady, ohne dass man es merkt, auch ein wahnsinnig cooles Social Network und gar nicht so sehr einfach nur eine Distributionsplattform, sondern ein Vernetzungsinstrument.
Ich sage euch nochmal ganz kurz, was ich konkret gemacht habe. Ihr könnt es auf Steady auch nachlesen (Opens in a new window). Da sind diese Folgen auch noch zugänglich. Die habe ich jeden Montag um 18 Uhr verschickt, weil ich aus diesem Buch einen Workshop machen wollte.
Ich habe das gemacht, weil ich glaube, dass ihr als Creators und als kreative Menschen etwas habt, was ihr, glaube ich, noch über die klassische Form benutzen könnt. Und zwar überlegt euch mal selber, wofür ihr Geld ausgebt. Es gibt zwei Wege, für die man Geld für Content ausgibt. Das eine ist, man kauft sich ein Buch. Das kostet in der Preiskategorie "10 bis 30 Euro". Oder man kauft sich den Zugang zu einem Workshop. Der kostet in der Preiskategorie "100 Euro aufwärts". Im Kern ist es aber der gleiche Inhalt.
Warum zahlt man für einen Workshop mehr Geld als für ein Buch? Weil man bei einem Workshop die Möglichkeit hat, mit der Autorin oder dem Autor, also den Workshopleitenden, in den Austausch zu treten. Was ist der Kern von Internet? Dass man miteinander in den Austausch treten kann. Also ein Workshop braucht keinen physischen Ort. Und das gilt jetzt für Sachbücher.
Warum zahlt man für einen Workshop mehr Geld als für ein Buch? Weil man bei einem Workshop die Möglichkeit hat, mit der Autorin oder dem Autor, also den Workshopleitenden, in den Austausch zu treten. Was ist der Kern von Internet? Dass man miteinander in den Austausch treten kann.
Wenn ihr eine Hammeridee habt für eine, sagen wir mal, Disney+ Serie und ihr wollt die "Hawkeye" nennen. Dann würde ich euch empfehlen, die nicht einfach an einem Stück abzudrehen und sofort zu veröffentlichen, sondern jeden Freitag auf Disney+ zu verbreiten, weil alle Marvel Fans sich dann freitags vor Disney+ hinsetzen und auf die nächste Folge warten.
Das ist total interessant, weil daraus etwas wahnsinnig Spannendes abzulesen ist. Nämlich, dass Content auf einen Schlag verbreitet, so ist wie ein Fass Bier, dass man über dir ausgießt. Aber in der Sekunde, wo jemand – und das sind hier die Kolleginnen und Kollegen von Steady – ein Glas erfindet, kann man sich jede Woche ein Glas nehmen und es trinken. Und es schmeckt viel besser, als wenn das auf einen Schlag über dir ausgekippt wird.
Ich habe neben meinem Bett einen Haufen Bücher liegen, die ich mir mal gekauft habe, von denen ich dachte, ich müsste die irgendwann lesen. Die liegen da jetzt und da kommt immer ein neues Buch obendrauf. Unten wächst das schlechte Gewissen. Und oben ist das aktuellere Buch obendrauf und alle kämpfen um meine Aufmerksamkeit. Wenn es uns gelänge, in einen Newsletter, den ich on demand bestellen kann und sagen kann: "Ich habe jeden Donnerstag um 17 Uhr total Lust, dieses nächste Kapitel zu lesen."
Wenn es uns gelingt, den Inhalt in so ein Format zu übertragen, dann haben wir auf einmal nicht nur den Content, sondern auch den Kontext, den wir steuern. Zumindest mit einem Angebot. Das wollte ich ausprobieren mit einem Sachbuch. Ich habe danach mit sehr, sehr vielen Leuten gesprochen, die auch Belletristik oder eben fiktionale Inhalte schreiben. Auch da ist es durchaus denkbar. Und dieses ganze Prinzip kann jeder und jeder von euch ganz einfach ausprobieren, weil Steady nahezu alle Funktionalitäten dazu schon bietet. Das einzige, was man noch nicht da hat, aber das hat auch kein anderer Anbieter bisher, glaube ich, dass ich on demand die Versandzeit des Newsletters bestellen kann. Das wäre sozusagen eine Ausbaustufe.
Für den ersten Schritt glaube ich, dass ihr als Creators Möglichkeiten habt, indem ihr eure Inhalte in kleinere Einheiten zerlegt, den dann sozusagen ein bisschen orchestriert und diese kleineren Einheiten auf einmal eine andere Zahlungsbereitschaft in sich tragen. Also ich bin bereit, mehr Geld für einen Workshop als für ein Buch zu bezahlen, obwohl der Inhalt genau der gleiche ist. Und das ist der Impuls, den ich euch mitgeben will, euren Inhalt mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten.
Ihr als Creators habt Möglichkeiten, indem ihr eure Inhalte in kleinere Einheiten zerlegt, den dann sozusagen ein bisschen orchestriert und diese kleineren Einheiten auf einmal eine andere Zahlungsbereitschaft in sich tragen.
Das ist ja völlig faszinierend und auch so ein bisschen counterintuitive – ich weiß gar nicht, wie das deutsche Wort heißt – weil sonst immer die Denke ist: "Mein Gott, mein Inhalt muss frisch sein und es muss neu sein und es muss wöchentlich sein oder am besten zweimal die Woche, weil sonst kommt keiner und liest das." Jetzt hast du sicherlich als Innovator bei der Süddeutschen Zeitung ein wahnsinniges Following und Reach auf Social Media. Gibt es Zahlen, die deine These untermauern? Gibt dir der Erfolg recht?
Das ist das Schöne am Erfolg, dass man ihn ja vorher selber bestimmen kann. Wichtiger als die Messung ist ja das Erwartungsmanagement. Und ich hatte zwei Sachen, die ich dabei messen wollte. Das eine war: Macht da überhaupt jemand mit? Also sehr binär gedacht. Ist das überhaupt interessant? Und dann war der zweite Punkt: Es ist halt ein normal veröffentlichtes Buch im Rheinwerk Verlag, das übrigens auch mit dem "counterintuitive" spielt, also die Perspektivwechsel in sich trägt. Ich wollte nicht nur testen: Macht da überhaupt jemand mit? Sondern: Kannibalisiert es dieses Buch oder befördert es sogar dieses Buch? Das war sozusagen der Test, den ich gemacht habe.
Dazu eine kleine Nutzerbefragung gemacht. Alles in einer verhältnismäßig kleinen Nutzerschaft. Ich habe gesagt, 500 Leserinnen und Leser dürfen umsonst mitmachen. Es waren dann, glaube ich, 480, die sich angemeldet haben und unter denen habe ich dann eine Umfrage gemacht. Kann man in meinem Blog finden. Poste ich gleich auch noch mal rein. Habe ich so eine Auswertung gemacht. Ich habe ihnen – ich glaube mit "easyfeedback" oder "Typeform" eine Befragung zugeschickt, wie sie das denn fanden.
Das Erstaunliche war, dass der Gedanke der Kannibalisierung nahezu ... Ich glaube, 20 Prozent haben gesagt: "Ich habe den Newsletter gelesen, jetzt muss ich das Buch nicht mehr kaufen." Im Gegenteil war es aber so, dass fast 80 Prozent der Leute gesagt haben: "Keine Ahnung, dass du dazu ein Buch geschrieben hattest. Wusste ich gar nicht. Das hat mich so interessiert, dass ich überlege, dieses Buch zu kaufen."
Also die Frage zwischen Kannibalisierung auf der einen Seite und Marketing auf der anderen eher in die Marketingrichtung geschlagen ist. 500 Grundgesamtheit, Leserinnen, Leser, die mitgemacht haben. Eine extrem hohe Öffnungsrate, bei denen die da mitgelesen haben. Was, glaube ich, auch daran liegt, dass ich vorher gesagt habe, jeden Montagabend kommt dieser Newsletter. Das heißt, es war so Erwartungsmanagement. Ich bin da so ein bisschen strukturmäßig unterwegs. Ich finde es gut, wenn mir jemand sagt: "Zu der Tageszeit, an dem Tag kannst du von mir was erwarten." Es macht mir Spaß. Deswegen habe ich vorher gesagt und ich glaube, dass das umgekehrt als Erwartungsmanagement bei Leserinnen und Lesern auch was nach sich zieht. Die haben es also sehr gut aufgemacht, haben bei der Umfrage mitgemacht.
Ich habe nachher nix verkauft. Also insofern kann ich nicht sagen, gibt mir der Erfolg recht im Sinne von "Super, die Verkäufe sind in die Höhe gegangen." Ich kann aber sagen, dass zumindest der Inhalt, der ja ohnehin da war – also ich hatte das Buch ja schon geschrieben – den habe ich auf eine neue Art und Weise einer erweiterten Nutzerschaft zugänglich gemacht, die wiederum Interesse an dem Marketing hat. Und ich bin darüber in ganz viele neue Kontakte gekommen.
Gegen Clickbait, für On-Demand: Content vom Empfangenden aus denken
https://steadyhq.com/de/unkreativsein/posts/102e40af-b098-4846-a56a-c5de732fdbba (Opens in a new window)In seinem Steady-Projekt (Opens in a new window) stellte Dirk von Gehlen die wichtigsten Ideen seines Buches neu vor. Die Newsletterserie ist dort immer noch nachzulesen
Was hat denn der Verlag gesagt? Die Rechte und überhaupt. Durftest du das? Warum?
Durfte ich, ja. Der Verlag hat es auch als Experiment gesehen. Und das ist ja so ein bisschen mein Ticket, auf dem ich auch fahre und sage: "Komm, wir überlegen mal." Wir haben das in erster Linie tatsächlich als Marketing gesehen. Das geht aber einher mit der nächsten Frage, die da auch drin war. Ich habe das ein bisschen angepasst. Also ich habe nicht ein PDF mit Buchinhalten verschickt, sondern ich habe das versucht anzupassen im Sinne von "Wir lernen Perspektive".
Und ich bin ein großer Freund von Akronymen – also von zusammengesetzten Worten. Und ich habe das Wort "Perspektive" aus elf Buchstaben zusammengesetzt, die wiederum elf kleine Lerneinheiten waren. Man konnte also von P bis E das Wort Perspektive durchspielen und das hat jeweils auf einen Inhalt hingewiesen. Und ich habe versucht, das in der Waage zu halten zwischen Teasing auf das Buch. Und gleichzeitig hinzukriegen, dass jeder Newsletter für sich genommen aber funktioniert.
Also ich finde es immer sehr ärgerlich, wenn man sozusagen ein Angebot bekommt, das dann reines – ich würde fast sagen – Clickbaiting ist, weil man es nur versteht, wenn man auch das Buch kauft. Ich habe die Einheit versucht immer so zu bauen, dass man sagt: "Okay, da ist was Interessantes drin. Das kann ich so verstehen." Das ist für sich eine abgeschlossene Einheit. Dahinter gäbe es aber noch die Möglichkeit, noch tiefer zu tauchen. Also so ein bisschen wie das Nichtschwimmer-Becken, wo man auch planschen und Spaß haben kann. Wenn man aber schon schwimmen kann, kann man auch zu den Großen zum Schwimmen gehen.
Ein schönes Bild, wo wir auch alle gerade nicht draußen schwimmen gehen können. So, jetzt aber nochmal so ganz basal: der Steady-Newsletter. Gibt es den noch? Ist er kostenlos? Kann ich den jetzt noch abonnieren und genießen?
Den gibt es noch. Ich befülle ihn gerade nicht, weil ich tatsächlich – falls jemand von den Anwesenden eine Idee hat – noch nicht so genau weiß, was ich damit machen will. Eine Idee wäre, darüber könnte ich jetzt zum Beispiel mit den Steady-Chefs noch mal reden. Man könnte die natürlich sozusagen Evergreen-artig noch mal vorhalten. Also der Inhalt ist ja jetzt da. Man könnte jetzt sagen, Steady bietet an, dass man den zu einem selbstgewählten Zeitpunkt bestellt und das ist sozusagen on demand startet.
Also stellt euch vor, ihr macht einen Newsletter für Menschen, die neu in eure Heimatstadt kommen. Also je kleiner und je nicht Berliner, umso besser. Ich bin also irgendwo auf der Schwäbischen Alb zu Hause – Heidenheim – und biete den "Heidenheim at Home"-Newsletter an. Und den kann ich punktuell starten, wenn neue Leute nach Heidenheim ziehen. Keine Ahnung, wann das passiert, aber nehmen wir das an. Also man macht on demand den Inhalt – "Das müsstest du über Heidenheim wissen in 10 Folgen" – und ich kann das dann bezahlen, wenn ich neu in Heidenheim bin. So ähnlich wäre es mit meinem Newsletter auch. Das man sagen könnte: Der steht da einfach und er wird gezündet, wenn jemand sagt: "Jetzt brauche ich auch eine Inspiration."
Das könnte eine Entwicklung sein, weil ich das sozusagen bisher nur aus Hoch-Marketing-Spezial-Newslettern kenne. Daraus könnte man was machen. Was man dann natürlich ein bisschen an so einen Jahreszeitenkalender anbauen kann. Also wenn jetzt jemand hier ein Kochblog startet, dann ist es natürlich total super, dass man im Herbst sagt: Es ist Herbst, jetzt musst du was mit Kürbis kochen. Deswegen kannst du jetzt die Kürbis-Variante meines Koch-Newsletters starten.
Wir sind Publikationen so gewöhnt, dass wir immer von den Sendenden aus denken und der Trick könnte sein, dass man einen Newsletter vom Empfangenen ausdenkt. Das wäre ein Entwicklungsschritt, über den ich grade so nachdenke. Aber ich habe da jetzt auch, weil es eben ein Experiment war, nicht den Druck, dass ich jetzt sage: "Das will ich übermorgen starten."
Also, ich kann auch heute noch auf Steady deine elf Newsletter abrufen und angucken. Die werden mir nur nicht mehr gesendet, sondern die stehen da und ich muss mir die selber abholen, weil es die geheime Funktionalität des Sender Timings leider noch nicht gibt. Noch eine Frage: Du sagst, du hast viele neue Kontakte bekommen. Was hast du damit gemacht?
Was habe ich mit denen gemacht? Meine Netzwerk-Idee ist immer erstmal mit Leuten zu sprechen. Das ist total interessant, weil daraus kommen interessante Sachen. Ich bin deswegen zum Beispiel auf der Frankfurter Buchmesse gelandet, wo ich diese Idee "Buch als Newsletter" vorstellen durfte am Stand des Media Lab Bayerns. Das hat sich daraus ergeben. Da habe ich dann wieder Leute getroffen So geht das ja mit Netzwerken. Also man lernt Leute kennen, die Leute kennenlernen. Da kann ich jetzt keinen Strich drunter ziehen und sagen: "Das hat mir das gebracht." Mich macht es immer schlauer, mit Menschen zu reden.
Staffelprinzip statt Endlosschleife − eine Strategie für Creators
https://www.youtube.com/watch?v=MgHcq-OeMt4 (Opens in a new window)Mit seinem Steady-Projekt (Opens in a new window) hat Dirk von Gehlen gezeigt, wie Content im Staffelformat funktioniern kann
Und von welchen anderen Newsletter hast du dich inspirieren lassen für dein Projekt?
Inspirieren lassen habe ich mich von allen Newslettern, die, ich nenne es mal: inspirierenden Journalismus in sich tragen. Also, die nach dem Staffelprinzip arbeiten. Newsletter sind ganz oft – und ich sage das als jemand, der beim großen Medienhaus arbeitet – so konzipiert, dass sie ohne Ende immer weitergehen. Also dass man sagt: "Wir fangen jetzt diesen Newsletter an und wenn die Welt nicht untergeht, wird er immer weiter erscheinen." Das ist wahnsinnig anstrengend. Sowohl für die Produzierenden als auch für die Lesenden.
Diese Idee von dem Hawkeye oder Ted Lasso oder was auch immer ist ja: Ich stimuliere die Aufmerksamkeit meines Publikums, indem ich eine Staffel anbiete. Diese ganzen Fernsehnasen, die Sommerpause machen, während bei mir irgendwie immer noch Frühling ist. Das machen die ja auch, weil sie damit das Interesse stimulieren. Also wenn ich wirklich jeden Freitag Böhmermann gucken könnte, dann wäre es ja irgendwann langweilig. Dann macht er irgendwann wahllos eine Sommerpause. Also ich glaube, es ist schon irgendwo dann auch Sommer. Aber dann − ihr wisst, was ich meine. Durch Verknappung wird Interesse gesteigert.
Content, der einfach immer weiterläuft, wird wahnsinnig anstrengend. Sowohl für die Produzierenden als auch für die Lesenden. Durch Verknappung wird Interesse gesteigert.
Deswegen würde ich jedem und jeder von euch, die einen Newsletter startet, sagen: Probiert es mit 10 Folgen. Das ist viel leichter als zu sagen: "Ich mache jetzt für immer einen Newsletter. Jetzt muss ich jeden Donnerstag um 14 Uhr diesen Newsletter verschicken." Bei 8 Folgen kommt man total gut hinten raus. Man kann sagen, die erste Staffel war ein großer Erfolg, über die zweite verhandeln wir noch und dann schleicht man sich so raus. So ist es immer besser und es ist viel händelbarer. Vielleicht fällt einem auch bei der zweiten Staffel ein: "Wir machen es total anders."
Ich hab beim Netzwerken den Bastian von "viel schönes dabei" (Opens in a new window) kennengelernt, der auch bei Steady einen Podcast macht. Wir sind so ins Gespräch gekommen und haben uns letzte Woche mal uns ausgetauscht und darüber gesprochen, ob es erste und zweite Staffel geben kann bei seinem Podcast. Ich glaube, das ist eine totale Hilfe, weil ihr nicht euch sofort festlegen müsst auf ein Konzept.
Das ist ein spannender Gedanke. Wir fragen mal was ganz anderes: Aus Perspektive. Welcher Buchstabe hatte die beste Öffnungsrate?
Ich glaube, der erste. Ich weiß es nicht mehr genau. Kann ich noch mal nachgucken. Bei diesem Newsletter sind ja relativ wenig Leute dazugekommen. Bei normalen Newslettern ist es ja eher umgekehrt. Also man macht den Newsletter, dann kommen Neue dazu. Das hat das schöne Dilemma an sich, dass man mit der ersten Folge seines Newsletters sich immer am aller-aller-allermeisten Mühe gibt. Und die wird aber, wenn man bisschen erfolgreich ist, die mit Abstand schlechteste gelesene sein.
Das ist so ein Paradox, das man beim Newsletter-Schreiben mal lösen muss, glaub ich. Wir als Creative People haben manchmal das Gefühl: "Das habe ich ja schon mal letzte Woche in irgendeinem Nebensatz diesen Gedanken gesagt." Es ist überhaupt nicht schlimm, sich auch mal zu wiederholen in dem, was man inhaltlich macht. Also wenn ihr jetzt eine total bekannte Band wärt, würdet ihr auch – nehmen wir an, ihr seid die Ärzte, also nicht die, die gerade uns bei der Pandemie retten, sondern die Band – dann spielt ihr ja auch bei jedem Konzert die gleichen Lieder und ihr würdet euch auch nicht komisch vorkommen. Die Leute wollen das ja auch so. Das ist total okay, das auch noch mal zu machen in anderen Kanälen.
Es ist überhaupt nicht schlimm, sich auch mal zu wiederholen in dem, was man inhaltlich macht. Wenn ihr eine bekannte Band wärt, würdet ihr auch ja auch bei jedem Konzert die gleichen Lieder spielen und euch dabei nicht komisch vorkommen.
Kreativität ist Innovation ohne Angeberei
Inzwischen ist Dirk von Gehlen Director Think Tank des SZ-Instituts (Opens in a new window)
Manchmal wird so vermutet, Creators, das sind eher so einsame Wölfe. Du sagst dagegen: "Alles Quatsch, vernetzt euch." Aus deinen beruflichen Erfahrungen, sind denn nun deine Kolleg:innen alles Einzelkämpfer:innen und wollen sie immer alleine?
Also meiner Erfahrung nach sind die meisten Leute ja so interessiert, dass sie sich zumindest leise in so einen Talk reinschleichen und dazulernen wollen. Und man lernt halt am besten dazu, wenn man andere Menschen kennenlernt. Ich würde immer anderen Menschen mit dem Verdacht begegnen, dass sie auch was Gutes wollen. Und manche Leute labern halt wahnsinnig viel wie ich und wollen immer sofort auf eine Bühne, wenn irgendwo eine aufgebaut wird. Und andere Leute hassen das und finden das das Schlimmste.
Das heißt aber nicht, dass man deswegen, nur weil man nicht ständig selber reden will, ein Einzelgänger ist oder eine Einzelgängerin. Dafür muss man ja vielleicht andere Formate finden. Ich persönlich habe total viele tolle Leute kennengelernt, die mir einfach – und dazu lade ich euch gerne ein – danach geschrieben haben und gesagt haben: "Ich bin so nicht der Typ für 'Ich melde mich', sondern 'Ich habe hier noch mal eine Frage'." Mir macht es eigentlich immer Spaß und wenn es gegenseitig keinen Spaß macht, dann hört man halt auf miteinander zu schreiben. Also wer Lust hat, darf sich gern auch nochmal bei mir melden.
Das ist nett von dir, vielen Dank − und sehr großzügig. In deiner Tätigkeit als Innovator guckst du schon seit 10 Jahren auf die Medienlandschaft und in die Zukunft. Was sind die Themen, die du glaubst, die sich in den Vordergrund entwickeln werden?
Ich beschäftige mich mit Kreativität, weil ganz viele Leute an Innovationen interessiert sind. Das klingt so toll. Da gibt es dann so Medienboard Berlin-Brandenburg, Media Lab Bayern. Wir wollen alle eine innovative Gesellschaft sein. Ich glaube, die kleinere, sympathischere, demütigere Einheit von Innovation ist Kreativität. Kreativität ist die Graswurzelidee von Innovation. Wenn ich selber eine kleine Idee habe und sie für mich umsetze, dann kann ich Kreativität spüren.
Kreativität ist die kleinere, sympathischere, demütigere Einheit von Innovation. Wenn ich selber eine kleine Idee habe und sie für mich umsetze, dann kann ich Kreativität spüren.
Innovation brauche immer den ganzen Laden. Hier ein Geheimnis: Ein Laden, eine Organisation ist darauf angelegt, sich zu verfestigen. Das ist das Ziel der Organisation. Eine Innovation ist darauf angelegt, das zu verändern. Das heißt, die Innovation wird immer per se nicht das erreichen, was man sich vornimmt. Also das Scheitern ist Bestandteil davon.
Bei Kreativität ist das ein bisschen anders. Ich kann dafür sorgen, dass in meinem Team Leute kreativer werden. Selbst wenn ich in einer Stromberg-artigen Büro-Büro-Situation arbeiten muss, kann ich da dafür sorgen, dass Kreativität wächst. Ich kann also Selbstwirksamkeit erfahren. Das ist in der Psychologie auch das Zauberkonzept gegen Burnout. Menschen, die keine Lust mehr haben, die fertig sind, die ausgebrannt sind, sind es meistens, weil sie nicht merken, dass ihre Arbeit einen Erfolg, eine Wirkung erzielt.
Dieses Gefühl von Selbstwirksamkeit kann man schaffen, indem man bei Steady einen Newsletter anfängt. Und selbst, wenn man zehn Leute findet, die da mitlesen, irgendwann kommt die elfte Person, die ist nicht mit dir verwandt und liest mit. Was das für ein tolles Gefühl ist, eine weitere Person zu erreichen.
Dafür muss man die eigenen Erwartungen so anpassen, dass man nicht sagt: "Wenn ich starte, werde ich Übermedien überholen." Nein. Übermedien ist ein wahnsinnig tolles Superangebot. Ich fange mit etwas kleinerem an. Da hinzukommen und diese Selbstwirksamkeit zu nutzen, um neue Ideen weiter zu entwickeln, das würde ich euch ganz dringend empfehlen. Ich kenne niemanden, der sagt, wir haben jetzt ausreichend viele Leserinnen und Leser. Alle denken, es könnte noch mehr sein. Es ist halt die Frage, womit man anfängt.
Die Organisation, für die du arbeitest, ist bestimmt nicht Stromberg-artig Büro-Büro, sondern total fluide und aufgeschlossen. Veränderst du was bei der Süddeutschen Zeitung?
Kennt ihr dieses tolle Harald Lesch Zitat "Das ist eine sehr gute Frage" auf TikTok (Opens in a new window)? Und dann sagt er: "Nein." Nein, so ist es nicht. Ich glaube, dass die Frage eben ist: Was erwarte ich? Ich habe sehr viel Resilienz gelernt in den letzten 20 Jahren, weil ich anfangs dachte: "Ich bin ja so klug, ich habe so viele Ideen, ist doch total offensichtlich, dass man alles machen muss, was ich gut finde." Und dann habe ich gemerkt, dass es eben nicht so offensichtlich ist und dass der Erfolg sich auch nicht daran bemisst, dass alles realisiert wird, was ich selber gut finde, sondern dass ich meine Erwartungen angepasst habe. Und ich glaube, dass ich schon was bewege, aber in einem sehr, sehr viel kleineren Maß.
Und: Ich habe mir selber Wege gesucht, wie ich Selbstwirksamkeit und meine Form von Innovation spielen kann. Und deswegen habe ich auch, obwohl ich eigentlich kein Creator bin, trotzdem mal was bei Steady probiert. Das ist lustig, es ist ganz viel möglich, von dem man vorher immer so denkt: "Das passt doch gar nicht zu mir. Ich bin doch gar nicht in dem Sinne ein Creator." Und trotzdem waren alle Leute bei Steady immer wahnsinnig nett zu mir, obwohl ich weder Geld verdienen wollte damit, noch irgendwas anderes. Ich habe wahnsinnig viel gelernt dabei und das war für mich inspirierend.
Interessegetriebenes Netzwerken und die Frage der Furcht
In 11 Folgen (Opens in a new window) hat Dirk von Gehlen seine Ideen zum Perspektivwechsel auf Kreativität vorgestellt
Aber wie kommt man denn nun an Kontakte, um ergänzende Formate erarbeiten zu können für seine eigenen Kreationen?
Ich glaube, grundsätzlich gilt es, mit Menschen zu reden. Also etwas zu machen und dann darüber zu sprechen, zu sagen: "Ich habe das übrigens gemacht." Ist nicht Angeberei, ist nicht Protzerei. Einfach sagen: "Das interessiert mich und darüber berichte ich." Ich habe das irgendwann vor 15 Jahren bei Twitter angefangen und hab total interessante Leute darüber kennengelernt, dass ich erzählt habe, was mich interessiert. Und dann haben mir Leute gesagt, was sie interessiert und daraus hat sich dann mehr ergeben.
Dieser These hänge ich immer noch an und das ist die – man könnte es vielleicht so nennen – Inhalt und Interesse getriebene Form des Netzwerkens. Die unterscheidet sich von der reinen Netzwerkform des Netzwerkes darin, dass man nicht einfach sagt: "Ich muss mich jetzt total dringend mit Lucas Hoffmann verbinden, weil der ist ja auch bei Steady. Völlig egal, dass uns beide gar nichts verbindet, weil wir wollen einfach nur verbunden sein." Sondern eine innerliche Begeisterung für etwas zu entwickeln und dann festzustellen: "Ach, toll, das interessiert ihn oder sie ja auch." Und darüber haben wir eine Gemeinsamkeit. Ganz, ganz oft ist der Gedanke, dass man immer denkt, das ist ja ein Konkurrent oder eine Konkurrentin, irrwitzig falsch. Fast nie ist dieser Konkurrenzaspekt wichtig. Fast immer ist richtig, dass man ähnliche Probleme teilt und in einer Zusammenarbeit mehr gewinnt. Am Anfang haben wir über "Mittagspause versus Teilnehmen hier" gesprochen. Ganz oft ist sowohl als auch, nicht nur beim Mittagessen, sondern auch beim sonstigen Denken eine große Hilfe.
Wenn ich dir so zuhöre ... Bist du furchtlos, Dirk?
Ich habe auch total Schiss, dass ich scheitere und dass Sachen kaputt gehen oder falsch sind. Das Tolle an dieser Art von – ich sage mal Crowdfunding – ist ja, dass es eingepreist ist. Ich gehe ja auf die Bühne und sage: "Ich mache jetzt hier ein Experiment. Es wird vielleicht scheitern." Also sich sozusagen nicht im stillen Kämmerlein zurückziehen und dann mit der fertigen Idee kommen, sondern sagen: "Hey, wer von euch hat Lust, meine Idee zu unterstützen?" Basiert auf der Bereitschaft, zumindest so furchtlos zu sein – ich glaube, darauf zielt vielleicht deine Frage – öffentlich zu scheitern und zu sagen: "Ich habe hier diese Idee, wollt ihr da mitmachen?"
Eine wahnsinnig spannende Erkenntnis war: Ich habe zu einem anderen Buch mal einen Podcast gemacht, der hat schon O.K. funktioniert und dann dachten der Jannik, mit dem ich das zusammen gemacht habe und ich, wir fragen jetzt die Leute, ob sie uns nicht dafür Geld geben wollen. Und das ist krachend gescheitert. Uns hat niemand Geld gegeben. Wir haben aber auch was total Gutes gelernt, weil wir hatten das schon alles produziert und die Leute waren schon dran gewöhnt und haben gesagt: "Ja, ihr macht diesen Podcast. Ist so ganz nett, hören wir uns an. Und jetzt wollt ihr plötzlich Geld dafür. Hä? Verstehe ich nicht." Das war so ein bisschen unlogisch für alle. Das habe ich im Nachhinein verstanden. Deswegen bin ich da zwar mit gescheitert, aber ich habe eine relativ gute Selbstbetrugfähigkeit, mir dann zumindest nachher noch Sachen für mich selber so hinzubiegen, dass ich was gelernt habe.
Das ist faszinierend. Und ich würde sagen, das ist furchtlos. Dirk, ich danke dir. Es war ein großartiges Vergnügen.
Dirk von Gehlen kannst du auf seiner Webseite (Opens in a new window) oder den sozialen Medien wie zum Beispiel Twitter (Opens in a new window) folgen.
Hast du aus diesem Interview Ideen für deine eigene Arbeit mitgenommen? Wenn du mit einem Projekt durchstarten willst, egal ob Youtube-Show, Newsletter, Podcast oder Blog, stehen wir von Steady dir bei jedem Schritt zur Seite. Ein Projekt zu starten ist einfach und kostenlos. Bei Fragen wende dich gern jederzeit an support@steadyhq.com.
Das Interview wurde redaktionell bearbeitet und gekürzt. Die vollständige Aufnahme findest du auf Podigee (Opens in a new window), Spotify (Opens in a new window), Apple Podcasts (Opens in a new window) und überall, wo es Podcasts gibt.