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Fünf Beispiele, wie Rechtsextremismus wählbar wurde

Hallöchen,

wie versprochen, wollen wir mit allen, die nicht auf der re:publica in Hamburg waren, unseren Vortrag dort teilen. Heute kommt der erste Part und nächste Woche der zweite in dein E-Mail-Postfach geflattert.

Brandenburg hat uns erneut gelehrt, dass Rechtsextremismus wieder wählbar geworden ist. Ein Aufatmen, weil die SPD die AfD mit winzigem Vorsprung überholt hat, sollte es nicht geben!

Falls du vor Ort warst und nun Neu-Abonnent:in bist: Willkommen! Da wir uns viel vorgenommen hatten, deshalb sehr schnell sprechen mussten und die Zeit knapp war, ist es für dich vielleicht auch interessant, noch einmal entspannt hier reinzulesen.

Und wenn du unsere Arbeit unterstützen möchtest, dann geht das ab 1,50 Euro / Ausgabe. Von unbezahlten re:publica-Vorträgen füllen sich die Kassen leider nicht 😉

Bis dahin alles Liebe und bleibt achtsam untereinander!

Mit unserem Vortrag auf der re:publica haben wir einen kleinen thematischen Überblick über (Sprach-)Strategien und Kampagnen gegeben, wie es die Neue Rechte geschafft hat, trotz ihrer immer extremeren Positionen wählbar zu werden.

Grundlage dafür war unsere bisherige Newsletter-Arbeit. Deshalb: Wenn ihr euch nochmal in die einzelnen Themen vertiefen wollt, dann findet ihr sie über die Links in den Überschriften. In den früheren Newsletter-Ausgaben findet ihr dann auch die Links zu unseren Quellen, die wir verwendet haben.

Beispiel 1: Stolz statt Pride (Si apre in una nuova finestra)

Die Neue Rechte nutzt geschickt gesellschaftliche Streitthemen, um unter dem Vorwand eines demokratischen Meinungsaustauschs rechtsextreme Ideen zu verbreiten.

“Unsere Farben sind #SchwarzRotGold und das ist bunt genug! Wir feiern lieber den #Stolzmonat.”

Das schrieb Beatrix von Storch, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, im Juni auf X - und schloss sich so als parteipolitischer Arm der Neuen Rechten an die Gegenkampagne zum Pride Month an.

Kurze Erklärung: Der Pride Month wird vor allem von der queeren Community, aber auch von vielen anderen Menschen, jedes Jahr im Juni gefeiert. Ziel ist es, die Sichtbarkeit der LGBTQIA+-Community zu erhöhen und deren Rechte zu stärken. Der Monat läuft unter dem Hashtag #PrideMonth.

Bereits 2023 stellte die Neue Rechte zur gleichen Zeit online den Hashtag #Stolzmonat entgegen. Das visuelle Gimmick: Anstelle der Pride-Farben wird eine Schwarz-Rot-Goldene Flagge verwendet, siebenfach, genauso wie die Regenbogenfarben der Pride-Flagge.

Ein Beispiel dafür zeigt Björn Höcke, der Vorsitzende der rechtsextremen Thüringer AfD, der im Juni twitterte: “Sommer, Sonne, #Stolzmonat” und sein X-Profilbild in die “Stolzmonat”-Farben änderte. So ein Profilbild, wie er es einstellte, verwendeten viele Anhänger:innen der Kampagne - sie konnten es ganz leicht über einen Profilbildgenerator, der über einen Sharepoint bereitgestellt wurde, herunterladen. Dort zu finden waren auch Banner und andere Werbematerialien - niedrige Hürden erleichtern es Unterstützer:innen, sich an der Kampagne zu beteiligen. Die Amadeu Antonio Stiftung nennt sowas “Mitmach-Faschismus”.

Der Hashtag #Stolzmonat ging viral und wurde bereits im ersten Jahr, also 2023, zu einer sehr “erfolgreichen” Kampagne. Sie schaffte es also, im Pride Month viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Es sollte der Anschein erweckt werden, als sei hier eine Graswurzelbwegung entstanden - also eine Bewegung aus der Zivilbevölkerung heraus, die immer größer geworden ist. Das ist jedoch nur teilweise wahr.

Eine Untersuchung der Bundesarbeitsgemeinschaft “Gegen Hass im Netz” ergab, dass innerhalb eines Monats im Jahr 2023 rund 850.000 Tweets mit dem Hashtag #Stolzmonat abgesetzt wurden, von denen etwa 120.000 von mutmaßlichen Fake-oder Zweitaccounts stammten - die also die Kampagne künstlich vergrößerten.

Was bringt der Neuen Rechten so eine Kampagne?

Das zeigt das Beispiel des Magazins Freilich. Es gehört zum neurechten Spektrum und veröffentlichte 2023 einen Artikel mit der Überschrift: “Positiver Patriotismus: Stolzmonat statt Pride Month“.

Der Artikel fängt harmlos an: Er stellte dar, wie die “Stolzmonat”-Kampagne dazu diene, den Menschen zu helfen, sich wieder auf ihre deutschen Wurzeln zu besinnen und Stolz auf ihre Nation zu entwickeln. Sie bietet also ein alternatives, demokratisches (!) Denkangebot, auf das Menschen zurückgreifen können, die mit dem Pride Month “fremdeln” (um es gelinde auszudrücken), aber keine Anti-Demokrat:innen sein müssen.

Doch schnell wird im Artikel die LGBTQIA+-Community in die Nähe von Pädophilie gerückt, indem behauptet wird, Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierungen seien pauschal gefährlich oder sogar pädokriminell.

Laut dem Institute for Strategic Dialogue (ISD) ist das kein Einzelfall. Der Thinktank hat analysiert, dass Beteiligte der “Stolzmonat”-Kampagne die Existenz von Geschlechtsidentitäten jenseits des binären Weltbilds anzweifeln und alles, was nicht heteronormativ ist, als “abnormal” framen und die vermeintlich traditionelle Familie aus Vater, Mutter, Kind als einzig richtige Lebensweise bezeichnen.

Diese Kampagne zeigt deutlich, wie die Neue Rechte gesellschaftliche Konflikte instrumentalisiert, um ihre extremistischen Ansichten zu normalisieren und rechtsextreme Ideologien in den öffentlichen Diskurs einzuschleusen.

 

Beispiel 2: Unterwanderung von Protesten

In den letzten Jahren ist sehr deutlich geworden, dass die AfD von Krisen und Protesten profitiert. Und das nicht, weil sie besonders gute Lösungen parat hätte, sondern weil sie es immer wieder schafft, Teil von Protesten zu werden.

Das Ziel ist, dass sie damit bürgerlich wirkt und die Protestierenden gleichzeitig radikalisiert.

Ob es um Corona, Ukraine oder Subventionen für Landwirt:innen geht, die AfD mischt immer mit.

Diese Strategie folgt einer Art neurechtem “Playbook”, das Martin Sellner und Philip Stein, also Vertreter der Neuen Rechten, online einmal erklärt haben. Zusammengetragen hat das die Rechercheplattform zur Identitären Bewegung (Si apre in una nuova finestra).

Sellner betont in einem Video, dass es bei den Protesten der Landwirt:innen nicht um deren Belange gehe, sondern darum, “patriotische” Gruppierungen wie die AfD zu stärken. Das zentrale Ziel: Die in Teilen rechtsextreme Partei soll sich in die Bewegung einschleusen. Sie soll also mitlaufen, mit auf die Straßen gehen und damit bürgerlich und als Vertreterin einer “guten Sache” wirken. Es sei deshalb sehr wichtig, eine “Immunreaktion und Abstoßungsreaktion” der Landwirt:innen zu vermeiden.

Um das zu erreichen, sollen sich AfD-Anhänger:innen und -Politiker:innen zunächst mit Parolen zurückhalten, nicht auf Bühnen drängen, stattdessen Erfahrung und Unterstützung anbieten und dann, in einem zweiten Schritt, mit eigener Mobilisierung die Proteste “quantitativ” stärken und damit gleichzeitig die eigene Ideologie hineinbringen.

Ist dies erreicht, folgt laut Stein der nächste Schritt (Si apre in una nuova finestra): In diesem soll die Motivation der “politisch sehr offenen” Landwirt:innen “korrigiert” und “erweitert” werden. Sprich: Sie sollen Teil der “patriotischen Bewegung” werden. Denn: Auch wenn wenn die Forderungen der Landwirt:innen erfüllt werden, sei das laut Stein “freilich nicht genug”. Denn am Ende gehe es “vor allem um unser Volk”.

Die Strategie hatte auch (teilweise) Erfolg: Obwohl der Bauernverband sich von rechtsextremen Einflüssen distanzierte, tauchten laut Institure for Strategic (ISD) Dialogue während der Proteste rechtsextreme Symbole auf, wie das antisemitische Landvolk-Symbol (Si apre in una nuova finestra). Auch wurden antidemokratische Gesinnungen geteilt oder geduldet: beispielsweise ein Galgen von dem die Ampel selbst oder Deutschland baumelt (mit der Ampel als Verursacherin). Und es gab laut ISD verschwörungsideologische Narrative, wie sie gern von der AfD bedient werden, wie die Erzählung vom “Great Reset” oder der Leugnung des Klimawandels.

Die AfD nutzte die Proteste intensiv: Sie stellte sich in sozialen Medien als Stimme der Landwirt:innen dar, wurde auf Demonstrationen geduldet, brachte eigene Fahnen mit und meldete regional wohl auch selbst Proteste an - die sie dann unterwandern konnte.

Für die AfD sind Proteste also sehr wichtig, weil sie sich damit als Teil eines “bürgerlichen Widerstands” inszenieren kann. Dies normalisiert extreme Positionen, vor allem, wenn diese von den Protestierenden geduldet oder sogar wiederholt werden.

Proteste sind also wichtig für die Neue Rechte und vor allem für die AfD, weil sie sich damit als Teil des “bürgerlichen Widerstands” inszenieren kann. Das ist eine krasse Form der Normalisierung, vor allem, wenn bei den Protesten extreme Narrative geduldet oder von den Protestierenden wiederholt werden.

Wir glauben deshalb, dass Akteure der Neuen Rechten, allen voran die AfD, sich immer wieder mit Protesten solidarisieren werden, um als Vertreter:innen einer “guten Sache” dazustehen – ob das nun für Subventionen für Landwirt:innen oder “für den Frieden und gegen den Krieg” in der Ukraine ist – egal. Hauptsache, es gibt eine anschlussfähige Position, von der aus sie ihre Ideologie einschleusen kann.

In einem “Arbeitspapier” der Otto Brenner Stiftung wurde die AfD kürzlich als eine “Partei der Metamorphosen” bezeichnet, die es “wie keine andere Partei versteht, sich selbst als Sprecherin der vermeintlich Nicht-Repräsentierten zu inszenieren. […] In der Euro-Krise vertrat die Partei die Euro-Skeptiker:innen, während der sogenannten Flüchtlingskrise die Ablehnung gegenüber Asylbewerber:innen. In der Corona Krise frönte man dem Impfskeptizismus und heute inszeniert sich die AfD als Kämpferin für den Frieden und lehnt Waffenlieferungen und westliche Sanktionen gegen Russland scharf ab. Die Partei ist programmatisch flexibel, greift polarisierbare Themen auf, um als Sprachrohr der Enttäuschten und Zornigen zu wirken.”

Beispiel 3: Umweltschutz vs. Klimaschutz (Si apre in una nuova finestra)

Die AfD hat es geschafft, immer wählbarer zu werden, indem sie harmlose Themen wie Umweltschutz aufgreift und radikal umdeutet.

Der Schutz der Natur oder von Tier- und Pflanzenarten wirkt auf den ersten Blick unideologisch und unverdächtig und ist gesellschaftlich anerkannt. In Umfragen sagt seit Jahren eine Mehrheit, dass Umweltschutz wichtig oder sehr wichtig sei. Das Thema eignet sich also hervorragend, um neue Wähler:innengruppen anzusprechen, die die AfD vorher nicht erreicht hat.

Das ist aber nicht alles. Die AfD missbraucht das Thema “Umweltpolitik” auch, um gegen Klimaschutz zu agitieren und diesen als angebliche Bedrohung für unsere Identität und unseren Wohlstand zu framen.

Ihr zentraler Spin ist, Umweltschutz als das Gegenteil von Klimaschutz darzustellen. Ein Beispiel dafür ist, dass sich in Wahlkampfreden Björn Höcke kürzlich zum Fledermausschützer gemacht hat, weil diese vor allem durch neue Windräder - also aufgrund von Klimaschutz - gefährdet seien.

Die ganze Argumentation geht nur auf, weil die AfD den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel leugnet, was sie in einem Bundestagsantrag verdeutlicht, der Klimaschutz als “politischen Kampfbegriff” bezeichnet.

Daraus zieht die AfD eine ihrer Kernerzählung, um anschlussfähig zu werden. Die geht so: “Wir müssen uns nicht ändern. Wir sind gut, wie wir sind. Wir tragen keine Verantwortung.”

Das Versprechen der AfD lautet also: Wer sie wählt, kann bleiben, wie er oder sie ist. Und das ist natürlich höchst attraktiv, in einer Zeit, in der alle (anderen) von tiefgreifenden Transformationen sprechen.

Deshalb gehört es auch zur Strategie, genau das den etablierten Parteien zu unterstellen: Dass diese tiefgreifende Transformationen umsetzen wollen, die ganz tief in die persönliche Lebensführung der Bürger:innen eingreifen wird.

Sie nimmt also Klimaschutz und bestreitet damit Kulturkampf. Klimaschutz wird dann als Bedrohung für einen “typisch deutschen Lebensstil” wie Dieselautos, Fleischkonsum und billige Flüge dargestellt, was viele emotional anspricht und mobilisiert. Der Politikberater Johannes Hillje hat das so im Deutschandfunk zusammengefasst:

Die AfD schafft es also, Menschen abzuholen und zu vereinnahmen, die ihren Konsum nicht ändern können oder wollen oder die sich durch Klimaschutzmaßnahmen in ihrer Identität bedroht fühlen - wenn es beispielsweise ums Reisen geht oder um die Ernährung.

Die Steigerung davon ist, jegliche Transformationspläne der Regierung als Wohlstandszerstörung oder drohende Deindustrialisierung für das Land zu framen. Beides Vokabeln, die die AfD immer wieder im Kontext von Klimaschutzmaßnahmen nutzt.

Eine Maßnahme, bei der ihr das besonders “gut” gelungen ist, war die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz - den, wie sie sagte, “Heizhammer”. Sie hat es geschafft, den Diskurs darum stark zu polarisieren (mit fleißiger Unterstützung anderen rechtskonservativer Playern) und dann von diesem Diskurs zu profitieren und in Umfragen zuzulegen.

Das sieht man an der Entwicklung der AfD-Umfragewerte. Der Verlauf zeigt die Zahlen von Beginn 2023 bis heute. Der weiße Abschnitt markiert die Monate, in denen die Politik über das Gebäudeenergiegesetz gestritten hat. In dieser Zeit hat die AfD in Umfragen zulegt - von 15 auf weit über 20 Prozent.

Zusammengefasst verfolgt die AfD mit ihrer Umweltpolitik drei Hauptziele:

  1. Sich entideologisieren und anschlussfähig machen.

  2. Klimaschutz als Gegenteil von Umweltschutz darstellen.

  3. Klimaschutz zur Wohlstandszerstörung umdeuten.

Beispiel 4: Missbrauch (Si apre in una nuova finestra) und Aneignung (Si apre in una nuova finestra) des Ostens

Die AfD hat sich in Ostdeutschland als besonders erfolgreich erwiesen, was auf mehrere Ursachen zurückzuführen ist. Ein entscheidender Punkt liegt jedoch darin, wie die AfD im Osten auftritt und was sie dort sagt.

Vorausgeschickt: Die Integration des Ostens in den Westen (oder in ein gesamtdeutsches Gefüge) hat bislang nicht funktioniert, was statistische Beispiele belegen. Und: Viele Ostdeutsche befinden sich auch 35 Jahre nach der Wende noch auf Identitätssuche.

Und genau diese Suche nach einer Identität nutzt die AfD aus, um sich als Versteherin und alternativlose Repräsentantin darzustellen, sodass Ostdeutsche auch ihre extremen Positionen in Kauf nehmen (was nicht heißen soll, dass sie diese nicht auch in weiten Teilen untertsützen - wie bereits gesagt, die Gründe sind vielfältig).

Die AfD verfolgt zwei Wege: Einerseits missbraucht sie die negativen Erfahrungen der Ostdeutschen in der DDR, um die Bundesrepublik und die heutige Regierung zu diskreditieren. Dies richtet sich besonders an ältere Menschen, die die DDR selbst erlebt haben.

Die Partei projiziert dabei gezielt negative Aspekte des Unrechtsstaats DDR auf die BRD. Ein Beispiel ist Björn Höcke, der kurz nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherchen im Januar twitterte: “Warum erinnert mich der Zustand des Landes immer mehr an die DDR?”

Anmaßend schon allein deshalb, weil Höcke westdeutsch sozialisiert ist und mit der DDR keine Berührungspunkte hatte - geschweige denn, mit dem Unrechtsregime.

Aber auch zu vielen anderen Gelegenheiten nutzen Mitglieder der AfD die DDR als “kriminellen” Referenzrahmen für die BRD. So bezeichnet sie beispielsweise die Methoden des Verfassungsschutz als “Stasi-Methoden”, die Energiewende als “Planwirtschaft” und die Bundesrepublik als “DDR 2.0”. Auch die Partei “Die Linke” wird von der AfD als “umbenannte SED” diffamiert.

Auf diese Weise stellt die AfD ihre eigene Regierungs- und Demokratieskepsis als legitime Kritik dar und versucht, die Ostdeutschen zu vereinnahmen: “Ihr habt doch schon einmal im Widerstand ein Regime gestürzt - tut es nun gemeinsam mit uns erneut!” So könnte die Erzählung lauten.

Auch ihre Einstufung als in Teilen rechtsextreme Bestrebung durch den Verfassungsschutz soll durch dessen “Stasi-Methoden” delegitimiert werden.

Besonders perfide ist die Art, wie sie psychologische Spätfolgen der DDR-Diktatur instrumentalisiert, um Ängste zu schüren, indem sie suggeriert: “Schließt euch uns an, sonst wird euch wieder dasselbe passieren.”

Bei jüngeren Ostdeutschen funktionieren DDR-Anspielungen eher weniger. Sie haben die DDR nicht mehr erlebt oder nur aus Erzählungen übernommene Emotionen für diesen Staat. Für diese Zielgruppe, also nach der Wende Geborene, eignet sich die AfD gezielt ostdeutsche Symbole an, um eine “typisch ostdeutsche Identität” zu kreieren.

Deshalb hat sich Björn Höcke im Landtagswahlkampf auf die Simson - ein altes DDR-Moped - geschwungen. Die Simme (die Höcke beständig falsch “Simmi” oder in der Mehrzahl beim Wahlkampf “Simmes” genannt hat) galt schon zu DDR-Zeiten als Symbol für ein, wenn auch begrenztes, Freiheitsgefühl und hilft auch heute noch ostdeutschen Jugendlichen auf dem Land, dem schlechten ÖPNV zu trotzen.

Die Anbiederung an die Jugend hatte Erfolg. 38 Prozent der 18- bis 24-Jährigen wählten in Thüringen AfD - über fünf Prozent mehr als in der Gesamtwähler:innenschaft.

Beispiel 5: Rechte Rhetorik in der Mainstream-Politik (Si apre in una nuova finestra)

Es gibt aber auch Gründe für den AfD-Erfolg, für den die Partei nur indirekt etwas kann, eines ist die Übernahme von AfD-Themen durch etablierte Parteien. Das normalisiert die in Teilen rechtsextreme Partei und macht sie für Wähler:innen immer attraktiver.

Drei sehr bekannte Beispiele: Kürzlich hat Christian Lindner getwittert, dass es “in Sachen Migration keine Denkverbote geben” dürfe und die FDP bereit sei, auch das Grundgesetz zu ändern. Olaf Scholz will “im großem Stil abschieben” Oder Unionschef Friedrich Merz, der von “kleinen Paschas” spricht und der bevorzugten Behandlung von Geflüchteten beim Zahnarzt.

Alles Beispiele, die Migration thematisieren und diese in einen ausschließlich negativen Kontext stellen.

Warum machen das Politiker:innen quer durch das Parteienspektrum?

Sie versuchen Wähler:innen von der AfD zurückzugewinnen, in der Annahme, sie könnten die AfD schwächen. Doch das klappt nicht - im Gegenteil.

Wenn etablierte Parteien extrem rechte Positionen und Sprache übernehmen, dann führt das nur zum sogenannten “Mainstreaming”. Der Politologe Marcel Lewandowsky, mit dem wir über dieses Thema gesprochen haben, sagt:

“Wenn sogenannte ‘Mainstream-Parteien’ anfangen, wie rechtspopulistische Akteure zu sprechen oder zu handeln, dann trägt das eher dazu bei, dass rechtspopulistische Positionen und Narrative sagbar und in die Mitte der Gesellschaft getragen werden. Und das nutzt in erster Linie Rechtspopulisten, weil sie durch die Übernahme ihrer Themen durch etablierte Parteien mehr Legitimierung erfahren.”

Die AfD wird also auf diese Weise hinaufgewürdigt, sie wird mehr und mehr als normale und wählbare Partei wahrgenommen, obwohl sie sich inhaltlich in den letzten Jahren radikalisiert hat. Die Bundespartei ist rechtsextremer Verdachtsfall, drei Landesverbände gesichert rechtsextrem.

Nur was viele Politiker:innen nicht verstehen: Viele AfD-Wähler:innen wollen das Original wählen. Schon oft gehört den Satz, aber er ist aus folgenden Gründen wahr: Zunächst, es stimmt, dass das Thema Migration ohne die AfD vermutlich nicht so präsent wäre - sie hat also eine inhaltliche Leerstelle besetzt und gefüllt. Es stimmt aber auch, dass sie dafür sorgt, dass es das ist und auch so bleibt bleibt.

Dazu kommt: Die AfD wird nicht mehr überwiegend aus Protest gewählt, sondern aus Überzeugung. Das hat eine Statistik nach der Europawahl gezeigt. Einerseits sagten da 67 Prozent ALLER Befragten, dass AfD-Wähler:innen die Partei hauptsächlich wählen, um der Politik “einen Denkzettel” zu verpassen.

Das stimmt aber nicht: Wenn nur AfD-Wähler:innen gefragt werden, dann sagen das nur 28 Prozent und ganze 70 Prozent geben an, dass sie die Partei wegen ihrer Positionen wählen.

Dazu kommt, dass die AfD eine überzeugte Kernwählerschaft hat. Die sind nicht von anderen Parteien erreichbar. Für sie gibt es nur noch die AfD, alles andere sind unwählbare “Kartellparteien”.

Außerdem stehen viele Wähler:innen der AfD sehr weit rechts - laut der letzten Mittestudie sind etwa 25 Prozent manifest rechtsextrem, über 40 Prozent stimmen fremdenfeindlichen Aussagen zu.

Selbst wenn man sich ihnen sprachlich und inhaltlich nähert, dürfte das vielen Wähler:innen nicht hart genug sein. Gleichzeitig führt es aber dazu, dass die AfD motiviert wird, immer härtere Positionen einzunehmen. Sie will sich ja abgrenzen als “einzig wahre Alternative”.

Was passiert also: Der öffentliche Diskurs und die Forderungen werden extremer rechts - umso schneller, je mehr die etablierten Parteien der AfD in ihrer Radikalisierung nachrücken. Und nichts anderes passiert gerade. Rund um den Migrationsgipfel haben sich die etablierten Parteien einen Überbietungswettbewerb darin geliefert, wer die härtere Migrationspolitik fordert.

Es ist deshalb für Wähler:innen völlig rational, sich auch weiterhin für die AfD zu entscheiden.

Weil das ja ganz offensichtlich dazu führt, dass selbst die Ampel rechter wird und die AfD - wenn auch indirekt - Regierungspolitik betreibt.

Wenn etablierete Parteienalso AfD-Themen übernehmen, dann profitiert die AfD. Weil sie vor allem mit dem Migrationsthema eine inhaltliche Lücke besetzt hat und die seit Jahren virulent hält - und das natürlich ausschließlich negativ definiert. Sie hat sich damit zum Original gemacht und bestimmt den Diskurs. Die demokratischen Parteien haben weder eine Umgang damit gefunden, noch schaffen sie es, eigene Themen zu setzen und groß zu machen. Die Strategie, der AfD nachzueifern, ist jedenfalls keine erfolgsversprechende.

So, das war der erste Teil unseres re:publica-Vortrags, kommende Woche folgt der zweite - da unterbreiten wir fünf Vorschläge, wie wir der Neuen Rechten vielleicht ein bisschen besser argumentativ beikommen können.

Hier noch ein Gruß aus Hamburg, als das ganze Ding dann rum war und wir weniger angespannt 🍺

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