Pride Month versus Stolzmonat
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Um was geht’s?
“Unsere Farben sind #SchwarzRotGold und das ist bunt genug! Wir feiern lieber den #Stolzmonat.”
Das hat diese Woche die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD, Beatrix von Storch, auf dem Kurznachrichtendienst X (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben.
Dazu veröffentlichte sie den kurzen Ausschnitt einer Rede, die sie am 30. Mai vor dem Schloss Charlottenburg in Berlin gehalten hat. Das Schloss hatte zum Pride Month offenbar die Regenbogenfahne aufgehängt, woran sich Storch abarbeitete.
Zeitgleich zum Pride Month Juni findet auch 2024 wieder eine neurechte Gegenkampagne statt, die bereits vergangenes Jahr unter dem Hashtag “#Stolzmonat” firmierte.
Die Kampagne hat auch einen ästhetischen Aspekt: Statt der Regenbohnenfahne teilen rechte bis extrem rechte Accounts eine modifizierte Deutschlandfahne, die aus vielen Schwarz-, Rot- und Gelbtönen besteht (wie unser Cover zeigt) - das sei “bunt genug”.
Was hinter der Kampagne zum #Stolzmonat steckt, darum geht es diese Woche.
Wer spricht da?
Beatrix von Storch wird 1971 in Lübeck als Herzogin von Oldenburg geboren. Ihr Vater ist Bauingenieur und stammt aus dem ehemaligen Hochadel. Der Großvater väterlicherseits, Nikolaus Erbgroßherzog von Oldenburg, verlor im Zuge der Novemberrevolution 1918 seinen Status als Thronerbe. Der Großvater mütterlicherseits, Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, war von 1932 bis 1945 Reichsfinanzminister (Öffnet in neuem Fenster).
Von Storch hat sowohl eine Ausbildung zur Bankkaufrau als auch ein Jurastudium absolviert. In letzterem lernte sie ihren Ehemann Sven von Storch kennen. Beide vereinte ihr Engagement für eine Wiedergutmachung der Enteignungen im Zuge der Bodenreform von 1945 – 1949 in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR. Ein Thema, das viele Adelige umtreibt.
Für “erregte Konservative” gründeten die von Storchs auch den Blog freiewelt.net. Dort ging es aber nicht nur um Enteignungen. Der Spiegel (Öffnet in neuem Fenster) schreibt:
“Hier pflegten Eurogegner ihre Angst vor dem Zerfall der Währung, hier schrieben Abtreibungsgegner und Antifeministen gegen den vermeintlichen Niedergang der traditionellen Familie an. Auf freiewelt.net traf sich das Vor-AfD-Milieu und wagte Provokationen und Polemiken, die kein seriöses Medium publiziert hätte.”
Überhaupt gründeten die von Storchs eine ganze Reihe von Initiativen und Vereinen, beispielsweise die “Allianz für den Rechtsstaat e.V.”, aber auch die “Initiative Familienschutz”, diverse Online-Bürgerportale, das “Institut für Strategische Studien Berlin e.V. “ und “Zivile Koalition e.V.”.
Im Buch “Netzwerk der Neuen Rechten (Öffnet in neuem Fenster)” von Paul Middelhoff und Christian Fuchs heißt es zur Zivilen Koalition (ZK): “Die Mitglieder wollen den Familiennachzug von Flüchtlingen stoppen und die Ehe zwischen Mann und Frau aufwerten. Sie kritsieren homo- und transsexuelle Lebensweisen, Abtreibungen wollen sie verbieten.”
Zur Durchsetzung dieser Ideen hätten die von Storchs ein mächtiges Kampagnen-Mosaik aus eigenen Medien, Plattformen und Vereinen geschaffen, das die konservativ-christlichen Interessen sowohl in der gesamten Gesellschaft als auch in der AfD stärken solle. Wichtige Positionen in ihren Vereinen besetzen die von Storchs mit Familienmitgliedern (siehe Foto).
Seit 2010 organisierten die von Storchs Kampagnen gegen die europäische Euro-Rettungspolitik und mobilisierten Bürger:innen dazu, massenhaft E-Mails an Abgeordnete zu senden. Als sich die AfD 2013 gründete und die Kritik an den milliardenschweren EU-Rettungsschirmen ihr Hauptthema nannte, wurde Beatrix von Storch sofort Mitglied und übernahm deren Bezirksvorsitz in Berlin Mitte.
Eins der Profilierungsthemen von Beatrix von Storch wurde der Kampf gegen den “Gender-Wahn”. Sie kritisierte die Auflösung der Geschlechterrollen im Zuge der Gleichstellungspolitik, setzte sich für ein traditionelles Familienbild ein, wandte sich gegen gleichgeschlechtliche Ehen, geltendes Abtreibungsrecht und sexualpädagogische Reformen - und wurde so zur Galionsfigur ultrakonservativer Christen, denen die CDU/CSU zu beliebig geworden war. 2015 wurde sie zur stellvertretenden AfD-Sprecherin gewählt.
Auch im Umgang mit dem Flüchtlingsthema gehörte von Storch zu den Hardlinern in ihrer Partei. Als Bundessprecherin Frauke Petry 2016 sagte, dass die Polizei “notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen” müsse, um illegale Grenzübertritte von Geflüchteten zu verhindern, schrieb die damalige stellvertretende AfD-Vorsitzende von Storch (auf Nachfrage) in einem Facebook-Eintrag, dass Frauen und Kinder davon nicht ausgenommen sein sollten.
Insgesamt neigt von Storch zu radikalen bis beleidigenden Aussagen. So schrieb sie 2018 als Reaktion auf einen Silvester-Tweet der Kölner Polizei in arabischer Sprache von “muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden” auf Twitter. Die Polizei stellte daraufhin Strafanzeige, das Verfahren wurde wieder eingestellt.
In einer Debatte zum Internationalen Frauentag am 8. März 2022 im Bundestag warf von Storch einem Großteil der Abgeordneten zunächst vor, sie würden einer “Genderideologie” anhängen. Anschließend sagte sie, unter Verwendung des abgelegten männlichen Namens der Grünen-Abgeordneten Tessa Ganserer, es sei völlig in Ordnung, wenn sie “Rock, Lippenstift und Hackenschuhe” trage. Dies sei Privatsache. “Biologisch und juristisch” bleibe Ganserer aber ein Mann und wenn sie als solcher “über die grüne Frauenquote in den Bundestag einzieht und hier als Frau geführt wird, ist das schlicht rechtswidrig”.
Jeden Juni ist Pride Month. Dann demonstrieren LGBTQIA+-Communitys auf der ganzen Welt gegen Diskriminierung oder feiern die Freiheit, so leben zu können, wie sie wollen.
Die Idee geht auf die sogenannten Stonewall-Aufstände im Juni 1969 in New York City zurück. Laut Echte Vielfalt (Öffnet in neuem Fenster) eskalierte damals ein Polizeieinsatz in der Schwulenbar “Stonewall Inn”. Die Folge: ein dreitägiger Aufstand, aus dem sich die moderne “Gay Rights Bewegung” entwickelte. Bereits im Jahr nach den Stonewall-Aufständen fanden in den USA die ersten Gay Pride Märsche statt. Bis heute wird der Pride Month vor allem “von Menschen zelebriert, deren sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität nicht automatisch von der heteronormativen Mehrheitsgesellschaft gefeiert wird”.
Auch online erhält der Pride Month viel Aufmerksamkeit. Im vergangenen Jahr aber mischte sich unter die zahlreichen Beiträge in sozialen Medien auf einmal der Hashtag #Stolzmonat. Was auf den ersten Blick wie eine bloße Übersetzung aussieht, ist eine neurechte Umdeutung. Zu den Initiator:innen gehört laut Medienberichten ein rechtsextremer Influencer, der sich selbst “Shlomo Finkelstein” nennt.
Erst vor Kurzem hat sich der queere Aktivist Fabian Grischkat die Markenrechte an dem Wort gesichert (Öffnet in neuem Fenster), um so der rechtsextremen Kampagne teilweise die Grundlage zu entziehen.
Dagegen erging Widerspruch beim Marken- und Patentamt. Federführend ist hier der Anwalt Sascha Schlösser, AfD-Kandidat bei der Europawahl und Stadtrat in Erfurt. Er postete zu einem Bild mit sich selbst und Deutschlandfahne: “Stabile Beflaggung hier in Erfurt! Es kann nur einen geben! Es gibt nur einen #Stolzmonat!”
In einer Analyse nennt die Amadeu Antonio Stiftung (Öffnet in neuem Fenster) den #Stolzmonat ein “versuchtes Gegennarrativ zum queeren Pride Month”. Wir haben fünf Strategien und Ziele hinter der Kampagne identifiziert.
🔎 1. Von der Graswurzel zum Scheinriesen
Ein erstes Ziel solcher Kampagnen ist es, wie eine Graswurzelbewegung zu wirken - also eine Initiative, die aus der Bevölkerung entsteht. Im zweite Schritt will man den Anschein erwecken, dass diese Bewegung schnell Zulauf bekommt und riesengroß wird. Das soll vortäuschen, dass die vertretene Position von einem Großteil der Bevölkerung geteilt wird, die sich deshalb anschließen.
Nur: Der #Stolzmonat wurde am neurechten Reißbrett geplant. Die Amadeu Antonio Stiftung (Öffnet in neuem Fenster) schreibt: “Suggeriert werden soll die organische Entstehung eines Trends, der von vielen Menschen getragen wird. Dies ist aber nicht wirklich der Fall, sondern es gibt Hinweise auf eine Koordinierung.”
So etwas nennt sich Astroturfing: Eine Bewegung wird künstlich erschaffen, soll aber aussehen wie eine Graswurzelbewegung, die einen “natürlichen” Ursprung mit geteilten Werten und Überzeugungen hat.
Die Forschungsstelle BAG “Gegen Hass im Netz (Öffnet in neuem Fenster)” hat sich die Kampagne vergangenes Jahr angesehen und auch sie nennt #Stolzmonat eine künstlich erzeugte “Diskurspiraterie”. Sie schreibt: “Allein vom 25. Mai bis zum 21. Juni waren es rund 850.000 Tweets, die in Umlauf gebracht wurden und dafür sorgten, dass der Hashtag Anfang Juni für fünf Tage in Folge an der Spitze der Twitter-Trends stand.”
Außerdem seien “klassische rechte bis rechtsextreme Aggregatoren-Accounts mit einem Hang zum Trolling” beteiligt gewesen und im Untersuchungszeitraum rund 2.300 neue Accounts entstanden, die allein über 120.000 Tweets absetzten. So genannte “Sockenpuppen”-Accounts (Mehrfachkonten eines Users oder einer Userin) sind anonyme Social-Media-Konten, die genutzt werden, um Online-Kampagnen populärer wirken zu lassen als sie tatsächlich sind.
So richtig Fahrt nehmen die Kampagnen laut BAG aber erst auf, “wenn auch viele Uneingeweihte mitmachen”. Deshalb ist der nächste Punkt wichtig:
🎮 2. Den Hass leicht machen
Ein weiteres Ziel einer solchen Kampagne ist es, über die eigenen Blase hinaus zu kommunizieren. Deshalb muss es “Mitmachangebote” geben - und zwar möglichst niedrigschwellige. Die passenden Werkzeuge zum Mitmachen wurden Online bereitgestellt.
So gab es laut BAG beispielsweise extra gebaute Webseiten, auf denen jede:r das eigene X-Profilbild mit einer modifizierten Deutschlandfahne versehen konnte. Das soll zeigen, dass sich sehr viele Menschen mit der Kampagne identifizieren und gleichzeitig werden die Inhalte, “die letztlich unter dem Hashtag geteilt wurden, thematisch und visuell vielfältig, wodurch ein breites Publikum angesprochen wurde”.
Dazu kam laut Amadeu Antonio Stiftung die sogenannte “Memetic Warfare (Öffnet in neuem Fenster)”, also die politische Agitation anhand von Memes. Damit soll Hass “gamifiziert” werden. Die Initiator:innen haben dazu aufgerufen, “sich aktiv am Hass zu beteiligen, Memes zu erstellen, sich zu vernetzen und daran erfreuen, andere zu triggern”. Es entstanden Meme-Sammlungen auf Discord und Telegram “mit der Einladung an alle, sich fleißig daran zu bedienen, und begleitet von dem Aufruf, kreativ mitzumischen”.
Auf diese Weise haben Neurechte mit spielerischen Mitteln ein Identitätsangebot geschaffen. Laut Amadeu Antonio Stiftung war die Botschaft: “Mach mit. Wir sind viele. Du kannst Teil einer coolen, rebellischen, lustigen Gegenbewegung sein.”
Hier wird Diskriminierung und Hass als Spaß und Rebellion geframt.
🤝 3. Das Kollektive Wir
Der AfD und ihrem rechten bis rechtsextremen Netzwerk geht es beim #Stolzmonat um die gemeinschaftliche Abgrenzung zu denjenigen, die sie als politische Gegner:innen begreifen.
Die BAG hat analysiert, dass bei der Kampagne #Stolzmonat so offen wie selten der “Schulterschluss zwischen AfD und ihrem digitalen Vorfeld zelebriert wurde”. Gemeinsam verhöhnen sie queere Menschen und schüchtern sie ein.
Es wird also eine “kollektive Identität” in Abgrenzung zu anderen gebildet: Queere Menschen gehören nicht zu dem von der AfD entworfenen Deutschland.
Der Politologe Johannes Hillje nennt das in Blätter für deutsche und internationale Politik (Öffnet in neuem Fenster)rechtsradikales identity building mit dem Ziel, eine kollektive Identität zwischen AfD und ihrer digitalen Community aufzubauen: “Dieses Gemeinschaftsgefühl wird von der Partei einerseits soziokulturell (kulturelle Homogenität, Geschichte, Tradition), anderseits emotional ausgestaltet, letzteres sowohl durch negative (Angst, Wut, Empörung) als auch positive Affekte (Überlegenheit, Moral, Machertum).”
⬛️🟥🟨 4. Neue Wähler:innen gewinnen
Ist das “kollektive Wir” gebildet, geht es in einer solchen Kampagne auch darum, weitere Wählergruppen - abseits des bestehenden Klientels - zu erschließen.
Um dieses Ziel zu erreichen, identifiziert die Neue Rechte immer wieder gesellschaftliche Streitpunkte und bringt die eigene Position als vermeintlich gleichwertig und ebenso demokratisch ein, wie beispielsweise eine progressive oder konservative Sichtweise.
So haben sie sich in den vergangenen Jahren auch auf queerpolitische Entwicklungen konzentriert - und mit der Stolzmonat-Kampagne ihre eigene vermeintlich harmlose Position in den Diskurs eingebracht.
Als die Kampagne 2023 aufkam, erklärte der Landesverfassungsschutz Niedersachsen (Öffnet in neuem Fenster) auf X: “In der rechtsextremistischen Szene ist die LGBTQIA+-Community ein Feindbild.” Mit dem Hashtag #Stolzmonat versuche die rechtsextreme Szene eine Gegenbewegung zum Pride Month ins Leben zu rufen. Mit solchen Aktionen wolle sie die Diskurshoheit erringen und “breite Teile der Gesellschaft” ansprechen. Nur: “Die rechtsextremistischen Hintergründe sind bewusst nicht für jeden erkennbar”.
Ein Text im rechtspopulistischen Freilich Magazin (Öffnet in neuem Fenster) zeigt genau das. Dort heißt es, dass der Stolzmonat in erster Linie der “Identitätsfindung der deutschen Nation” diene und die “Liebe zur Heimat”, “Nationalbewusstsein” und “Gemeinschaftsgefühl” fördere - alles Aussagen, die auf den ersten Blick wenig verdächtig sind.
Diese Positionen werden im weiteren Verlauf des Textes aber mit typischen neurechten Narrativen verknüpft. Das bringt uns zum letzten Punkt:
➕ 5. Ein Brückennarrativ für rechten Anti-Genderkampf
Wer sich Beiträge zum #Stolzmonat ansieht, findet schnell typisch rechte Kulturkampfthemen, die damit verknüpft werden sollen - der Stolzmonat ist ein sogenanntes Brückennarrativ. Die Kampagne soll eine Brücke schlagen zwischen demokratisch haltbaren Positionen und extrem rechten Ideen.
So heißt es im weiteren Verlauf des Freilich Magazin-Beitrags, dass der Pride Month eine “unheilige Lobby” sei, der Kampf um Gleichberechtigung “nur ein Vorwand”, um “hinterrücks eine kulturmarxistische Agenda” ohne Tabus zu verbreiten. Zudem wird die LGBTQIA+-Community mit “pädophil veranlagten Gestalten” gleichgesetzt - also pauschal kriminalisiert.
Auch das Institute for Strategic Dialoge (Öffnet in neuem Fenster) schreibt, dass während der Kampagne eine von der “Heterosexualität abweichende sexuelle Orientierung” als “abnormal und Teil einer linken Ideologie” geframt wurde.
Gleichzeitig lag ein Fokus auf der “traditionellen Familie mit Vater, Mutter, Kind”, die als “einzig legitime Familienstruktur” dargestellt wurde.
Demgegenüber, so die neurechte Erzählung, stehe eine ideologisch geleitete Minderheit, die Menschen gegen ihren Willen und durch “Gehirnwäsche” ein LGBTQIA+-Weltbild aufzwingen würde - weshalb vor allem Kinder vor einer “Indoktrination” geschützt werden müssten.
Ähnliches analysiert auch die Rechtsextremismus-Expertin Greta Jasser (Öffnet in neuem Fenster). Sie schreibt, dass das extrem rechte Spektrum schon lange gegen “Genderismus” polemisiert, weil die Themen Geschlecht und Geschlechterpolitik “diverse Politikfelder durchziehen”:
“Wegen ihrer hohen Anschlussfähigkeit sind Mobilisierungen gegen die LGBTQIA*-Community sowie Agitationen gegen queere Personen, Frauen und Feminist:innen keine Neuheit in rechten und rechtsradikalen Parteien, Gruppen und Bewegungen. Sie sind eine Möglichkeit der Rekrutierung von Personen, die sich nicht als dezidiert rechts verstehen, aber anti-feministische Haltungen haben.”
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