Wie rechts redet Sahra Wagenknechts BSW?
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Was ist passiert?
Viele reden gerade über die AfD.
Ebenfalls zu den Wahlgewinnern gehört aber auch das “Bündnis Sahra Wagenknecht” (BSW). Aus dem Stand ist die Partei auf 6,2 Prozent gekommen.
Wie sie das geschafft hat, das haben wir diese Woche mit Sarah Wagner besprochen. Die Politologin forscht schon lange zu linken und extrem linken Parteien und hat bereits 2023 eine Studie veröffentlicht, in der sie mögliche Positionen einer potenziellen Wagenknecht-Partei untersucht hat - lange vor der BSW-Gründung.
Deshalb ist jetzt der perfekte Zeitpunkt, um über Sprache und Inhalte des BSW zu reden. Zuerst aber kommt eine kurze Vorstellung der Galionsfigur:
Sahra Wagenknecht wurde am 16. Juli 1969 in Jena geboren. Zunächst wuchs sie bei ihren Großeltern in einem Dorf bei Jena auf, kurz vor Schulbeginn zog sie nach Ost-Berlin zu ihrer Mutter - einer Galeristin. Wagenknecht hat einen iranischen Vater, der zurück in den Iran ging als sie drei Jahre alt war. Sie lernte ihn nie kennen. Als Abgeordnete im Bundestag ließ sie die amtliche Schreibweise ihres Namens Sarah in die von den Eltern gewünschte persische Schreibweise “Sahra” ändern.
Nach ihrem Abschluss wurde Wagenknecht 1988 vom DDR-Regime zunächst ein Studium verweigert. Die Begründung: Sie sei nicht aufgeschlossen genug für das Kollektiv. Beispielsweise war ihr die paramilitärische Ausbildung, die auch junge Frauen machen mussten, zuwider. Trotzdem bekannte sich Wagenknecht zur DDR und nannt sie “in jeder Phase das friedlichere, sozialere, menschlichere Deutschland”. So zitiert das Munzinger-Archiv (Öffnet in neuem Fenster) den Spiegel von 1994.
Nach dem Zusammenbruch der DDR studierte sie ab 1990 in Berlin und Jena Philosophie und Neuere Deutsche Literatur. 1996 schloss sie im niederländischen Groningen mit einer Magisterarbeit über die Hegel-Rezeption des jungen Karl Marx ab. 2012 erhielt sie für ihre Dissertation an der TU Chemnitz die Note “magna cum laude”.
Noch im März 1989, kurz vor dem Zerfall der DDR, trat Wagenknecht der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei und wurde nach der Wende Wortführerin der Kommunistischen Plattform (KPF) innerhalb der Nachfolgepartei der SED - der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). In der Kommunistischen Plattform sammelte sich unter anderem der alte SED-Kader. Von 1991 bis 2010 war Wagenknecht Mitglied der Leitung des KPF, die vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft wurde.
Ab 1991 war Wagenknecht im Vorstand der PDS, 1998 zog sie in den Bundestag ein, 2004 ins Europaparlament. Als sich die PDS mit der WASG (Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit) neu zur Partei Die Linke formierte, übernahm Wagenknecht auch dort einen der 44 Vorstandsposten. Später wurde sie stellvertretende Fraktionschefin und Vorsitzende der Partei. Innerhalb der Partei blieb sie mit ihrer positiven Haltung zum Stalinismus im Visier der Kritiker:innen. 2012 veröffentlichte der Spiegel eine Recherche, dass Wagenknecht eine von 27 Abgeordneten sei, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.
2011 veröffentlichte Wagenknecht ihr Buch “Freiheit statt Kapitalismus”. Während die einen darin eine Weiterentwicklung ihrer Person sahen “von der Radikalsozialistin zur intellektuellen Kapitalismuskritikerin” (zitiert nach Munzinger; Süddeutsche Zeitung Magazin 2.9.2011), schrieb die taz über Sahra Wagenknecht, sie sei eine Führungsfigur in ihrer Partei: “Weil sie bleibt, was sie ist - eine stramm linke Linke.”
Obwohl die Linke 2013 zur stärksten Oppositionskraft gegenüber der Großen Koalition gewählt wurde, zog sich Wagenknecht ein Jahr später aus der Parteispitze zurück und kandidierte nicht mehr als stellvertretende Vorsitzende. Sie blieb aber als prominente und eloquente Frontfrau der Linken präsent und war in zahllosen Zeitungsinterviews oder TV-Talkrunden zu Gast. Die einen bewunderten ihre kompromisslose Haltung als antikapitalistische Vorkämpferin, die anderen warfen ihr bereits damals Populismus (Öffnet in neuem Fenster) vor.
Immer wieder irritierte Wagenknecht innerhalb und außerhalb ihrer Partei mit umstrittenen Positionen. Der Spiegel: (Öffnet in neuem Fenster) “Es geht seit Jahren so: Wagenknecht gegen Teile ihrer eigenen Partei, und Teile ihrer eigenen Partei gegen Wagenknecht.”
Während sich die Linke beispielsweise vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise 2015 für offene Grenzen aussprach, sorgte Wagenknecht mit ihrem Hinweis auf eine “Kapazitätsgrenze” und der Aussage, Asyl sei ein Gastrecht, das man durch Kriminalität auch verwirken könne, für Unmut in ihrer Partei. Mit ihrer restriktiven Haltung zur Flüchtlingsfrage reagierte sie auf den Aufstieg der AfD, die 2015 Migration zum Kernthema ihres Programms machte und die Linke besonders in Ostdeutschland als Protestpartei ablöste. Die FAZ fasste die Kritik ihrer Gegner 2019 so zusammen, “dass sie sich in der entscheidenden Frage, wie sich die Linke zur AfD und zur neuen Rechten stelle, falsch positioniere, dass sie den internationalistischen Ansatz für eine linkspopulistische nationale Position aufgebe” (zitiert nach Munzinger).
Sahra Wagenknecht ist seit 2014 mit ihrem Parteikollegen Oskar Lafontaine verheiratet. Gemeinsam gründeten sie 2018 die parteiübergreifende außerparlamentarische Sammlungsbewegung “Aufstehen”, die “Wähler einsammelt, die am rechten Rand des linken Spektrums abhandenkommen und jetzt AfD wählen (Öffnet in neuem Fenster)”. Doch die Bewegung scheiterte. Es konnten weder funktionierende Strukturen noch prominente Politiker:innen gewonnen werden.
Während der Covid-19-Pandemie wurde Wagenknecht laut Spiegel zur “Heldin der Ungeimpften (Öffnet in neuem Fenster)” , weil sie sich nicht zu ihrem Impfstatus äußerte und mit den Demonstrationen von Impfskeptiker:innen und Corona-Leugner:innen sympathisierte.
Eine weitere Debatte löste sie mit ihrer Haltung zum völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine aus. In einer Bundestagsrede im September 2022 sagte sie (Öffnet in neuem Fenster) an die Ampelregierung gerichtet: “Das größte Problem ist Ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen.” Gemeinsam mit Alice Schwarzer veröffentlichte sie im vergangenen Jahr ein “Manifest für Frieden (Öffnet in neuem Fenster)”, in dem sie ein Ende der Waffenlieferung an die Ukraine und Friedensverhandlungen forderte. Zu einer späteren Friedenskundgebung kamen über 10.000 Menschen, darunter Rechtsextremist:innen.
Erst im Oktober 2023 gab Wagenknecht ihren Austritt aus der Links-Partei bekannt. Sieben Monate später stand ihre eigene Partei “Bündnis Sahra Wagenknecht” auf den Wahlzetteln zur Europawahl. Schon 2019 konstatierte Boris Herrmann in der SZ (Öffnet in neuem Fenster) bei der Präsentation der Wagenknecht-Biografie, sie habe “fast 30 Jahre lang Politik gemacht und dabei so viel Porzellan zerschlagen, dass es allemal für 245 interessante Seiten reicht.”
“Eine Stimme für das BSW ist eine Stimme gegen alle anderen Parteien”
Die Politologin Sarah Wagner arbeitet an der Queen´s University in Belfast und forscht zu linken bis extrem linken Parteien. Sie hat sich mit zwei Kollegen bereits vor zwei Jahren angeschaut, wie eine eigene Partei mit Sahra Wagenknecht an der Spitze aussehen könnte (Öffnet in neuem Fenster) - und hat die Gründung und die ersten Schritte des “Bündnis Sahra Wagenknecht” genau beobachtet.
Jetzt, nach der Europawahl, hat das BSW einen ersten Arbeitsnachweis erbracht. Wo ordnet sich die Partei auf dem politischen Koordinatensystem ein?
WRR: Unser Newsletter heißt “Wie Rechte reden"“. Daher die erste Frage: Wie rechts redet Sahra Wagenknecht?
Ich würde mich hier nicht auf eine Definition von links oder rechts einlassen. Aber Sahra Wagenknecht nutzt - ebenso wie die AfD - Populismus als rhetorisches Mittel. Ein Beispiel hierfür ist der Ukrainekrieg, in dem die Partei simple Lösungen für hochkomplexe Fragen liefert. Nach dem Motto: “Man muss sich nur mal an einen Tisch setzen und verhandeln”. Außerdem agitiert sie gegen die sogenannten Eliten, beispielsweise wenn sie sinngemäß sagt, dass die Ampelparteien “dem einfachen Mann” nicht mehr zuhören würden. Das BSW ist eine links-konservative populistische Partei.
Erklären Sie uns bitte, was mit “links-konservativ” genau gemeint ist.
Früher haben vor allem wirtschaftliche Positionen die Frage bestimmt, ob eine Partei links oder rechts ist. Fragen der Verteilung von Ressourcen oder das Verhältnis von Staat und Markt. Spätestens seit den 90er Jahren besprechen wir in der Gesellschaft auch sozio-kulturelle Themen: Das sind beispielsweise Migration, Rechte von Trans-Menschen und Umweltschutz.
In der Politikwissenschaft arbeiten wir deshalb mit einem Koordinatensystem: eine Achse zu wirtschaftlichen, eine Achse zu gesellschaftlich-kulturellen Positionen. Würden wir nur mit einem Links-Rechts-Schema arbeiten, könnten wir Parteien kaum unterscheiden. Das BSW ist in diesem Koordinatensystem links-konservativ. Sie hat wirtschaftlich linke Positionen, sie fordert etwa einen höheren Spitzensteuersatz und besetzt gesellschaftspolitisch klassisch rechte Positionen, wie eine harte Begrenzung von Migration.
Sie haben in einer Studie das BSW als “links-autoritär” bezeichnet.
Stimmt, die Zuschreibung kommt aus der Parteienforschung. Das heißt nicht, dass die Partei antidemokratisch ist, sondern dass sie am Ende der Achse liegt - zwischen konservativ, nationalistisch und autoritär.
Gerade war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Bundestag zu Besuch. AfD und BSW sind in weiten Teilen fortgeblieben. Kann man das als Schulterschluss von BSW mit einer autoritär getriebenen Partei wie der AfD sehen?
Beim russischen Invasionskrieg finden wir Parallelen zwischen den Parteien. AfD und BSW wollen beide die gleiche Gruppe mobilisieren, nämlich Menschen, die in prekären Umständen leben und die zu den schwächsten der Gesellschaft zählen. Das sind gleichzeitig diejenigen, die subjektiv und objektiv am meisten unter den erhöhten Preisen und weiteren Kriegsfolgen leiden. Deshalb fordern beide, der Krieg müsse aufhören, Deutschland dürfe sich nicht mehr einmischen, denn man habe ja nichts damit zu tun.
Beide stellen sich als Friedenspartei dar.
Ja. Auch ihre Sprache ähnelt sich hier sehr. Beide stellen Verhandlungen als Lösung dar. Das ist sehr vereinfacht und kann so banal in der Realität nicht stattfinden. Trotzdem halte ich das BSW nicht für antidemokratisch, aber für sehr populistisch.
Das Bündnis Sahra Wagenknecht hat bei den EU-Wahlen locker die 5-Prozent-Marke übersprungen. Hat Sie das überrascht?
Europawahlen nennen wir in der Politikwissenschaft “Second Order Elections”, die normalerweise als weniger wichtig erachtet werden. Viele Wähler:innen stimmen nicht zu EU-Themen ab, sondern wollen zeigen, dass sie unzufrieden sind. Wir sehen bei jeder Europawahl, dass es viel mehr Protestwähler:innen als bei Bundestags- oder Landtagswahlen gibt.
Es ist deshalb nicht überraschend, dass das BSW gut ankommt. Denn eine Stimme für das Bündnis Sahra Wagenknecht ist eine Stimme gegen alle anderen Parteien der deutschen Parteienlandschaft. Dass das BSW aus dem Stand 6,2 Prozent erreicht hat, spricht dafür, dass ihre Kampagne funktioniert hat - auch, weil ihre Positionen bekannt sind.
Vor einigen Monaten haben Sie prognostiziert, dass Wähler:innen vor allem von der AfD zum BSW wandern werden. Die Europawahl hat gezeigt, dass das BSW vor allem von ehemals Links-und SPD-Wählenden profitiert hat. Wie ist das zu erklären?
Erstens, weil wir die Europawahl anders einordnen müssen als eine Bundestagswahl oder eine Landtagswahl. Da drücken Menschen häufiger ihre Unzufriedenheit mit Regierungsparteien aus und wählen eher Oppositionsparteien. Zweitens haben die Statistiken die Wahlentscheidungen der aktuellen Europawahl mit der Bundestagswahl 2021 verglichen, die in einem ganz anderen Kontext stand. Viel spannender werden die anstehenden Landtagswahlen in Ostdeutschland sein. Dann werden wir sehen, wie viele AfD-Wähler:innen wirklich vom BSW angezogen werden.
Das heißt, Sie bleiben bei Ihrer Prognose?
Ja, ich glaube, dass wir viel stärkere Bewegung von der AfD zum BSW sehen werden. Beide Parteien sprechen ähnliche Wähler:innen an. Nur ist das BSW neu und frisch und führt vielleicht noch mehr Protestpotenzial mit sich. Im Gegensatz dazu gibt es die AfD seit zehn Jahren, sie hat viele Kontroversen und es gibt sicherlich Menschen, die ihre politische Heimat nicht bei der AfD sehen, aber bislang keine politische Alternative zur sogenannten Alternative hatten.
Sahra Wagenknecht will eine Politik der “Vernunft und Gerechtigkeit”, was soll das bedeuten?
Ich interpretiere die Formulierung “Vernunft und Gerechtigkeit” als Opposition zu unseren progressiven Regierungsparteien, die demnach unvernünftig und ideologisiert handelt. Vor allem die Grünen hat Wagenknecht zum Feindbild erklärt, der sie eine Politik des “erhobenen Zeigefingers” unterstellt, die weit weg ist von der Lebensrealität vieler Menschen und die dazu führt, dass sich diese abgehängt fühlen.
Das BSW will sich damit als Alternative zu den links-progressiven Ideen der Regierung inszenieren. Deshalb betont Wagenknecht auch immer wieder, dass es nicht wichtig sei, ob sie linke oder rechte Politik mache, sondern dass es “um die Sache” geht. Das ist ihre sprachliche Strategie, sie will sich als vollkommen unideologisch darstellen. Aber natürlich folgt jede Partei einer Ideologie, auch das BSW.
Was hat Sie bislang am meisten überrascht am BSW?
Wie schnell sie ihre Partei organisiert und auf den Wahlzettel gebracht hat. Wagenknecht hatte mit der “Aufstehen-Bewegung” schon einmal ein gesellschaftspolitisches Experiment gestartet, das brutal gescheitert ist. Weil es kein Ziel besaß und im Sande verlaufen ist. Eine große Frage war deshalb, ob sie es bis zur Europawahl schafft, ausreichend Ressourcen aufzubauen. Das hat offensichtlich funktioniert. Aber eine Europawahl ist einfach im Vergleich zu einer Landtagswahl. Die werden viel schwieriger – vielleicht werden wir noch einige Fehler von Wagenknechts Partei sehen.
Außerdem hat es mich überrascht, wie sehr das BSW den Zugang für neue Parteimitglieder beschränkt hat. Was wahrscheinlich ein kluger Schachzug war. Ich denke auch, es wäre ein Fehler gewesen, schnell viele Mitglieder aufzunehmen. Dann wäre die Gefahr groß gewesen, dass Menschen mit extremistischen Hintergründen dabei gewesen und das BSW direkt auf einer Liste des Verfassungsschutzes gelandet wäre. Aber da waren sie bislang sehr vorsichtig. Das zeigt aber auch, wie die Partei organisiert sein soll: streng top-down. Alles geht von der Spitze aus.
Viele haben die Hoffnung, dass durch das BSW die AfD an Zuspruch verliert. Ist das BSW der demokratische Heilsbringer?
Ich finde es schwierig, das BSW als Hoffnung für unsere Gesellschaft dazustellen. Je nachdem, wie weit Wagenknechts Partei wächst, haben wir mit ihr mehr Parteien in den Parlamenten, die migrationskritisch sind, die Waffenlieferungen in die Ukraine ablehnen und die konservative Positionen im Umgang mit Minderheiten wie der LGBTQIA+-Community hat. Das wird dazu führen, dass diese Themen insgesamt konservativer diskutiert werden und Positionen der AfD von einer weiteren Partei in die Mitte der Gesellschaft getragen werden. Letztlich schließt Wagenknecht mit ihrer Partei eine Repräsentationslücke und bietet damit Wähler:innen mehr Auswahl.
Vielen Dank für das Gespräch!
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