Die Verantwortung der ostdeutschen AfD-Wähler:innen
Hallöchen,
ja, auch in dieser Woche haben wir wieder ein Interview für dich geführt. 🎤
Keine Sorge: “Wie Rechte reden” wird kein ausschließliches Interview-Medium sein, aber es gibt viele kluge Menschen, die zur AfD recherchieren und etwas zu sagen haben - deshalb freuen wir uns, dass der Journalist und Autor Michael Kraske mit uns über sein neues Buch “Angriff auf Deutschland: die schleichende Machtergreifung der AfD” gesprochen hat.
Das Buch ist nicht nur eine gute Belegsammlung für die Demokratiefeindlichkeit, sondern auch eine Abrechnung mit den Medien und ihrem Umgang mit der Partei. Kaufen könnt ihr es zum Beispiel unter diesem Link (Si apre in una nuova finestra).
Am Sonntag stehen die letzten Landtagswahlen in Ostdeutschland an - Brandenburg wählt und derzeit steht dort die AfD als stärkste Kraft bei 27 %, knapp vor der SPD.
Wir werden zwei Tage vorher, am Freitag, einen Vortrag auf der re:publica halten und darüber sprechen, wie Rechtsextremismus wählbar wurde und was wir dagegen tun können. Die Inhalte des Vortrags erhaltet ihr in den nächsten beiden Newslettern!
Bis dahin herzliche Grüße und bleibt achtsam!
Michael Kraske arbeitet seit vielen Jahren als Journalist von Leipzig aus für nahezu alle überregionalen deutschen Zeitungen und hat sich hier vor allem auf den Osten als Themenschwerpunkt festgelegt. In seinen Büchern «Tatworte - Denn AfD & Co. meinen, was sie sagen» und «Der Riss» beschreibt er die drastischen Folgen einer zunehmenden Radikalisierung in Deutschland. Er wurde mehrfach für seine publizistische Arbeit ausgezeichnet, zuletzt mit dem Spezialpreis der Otto-Brenner-Stiftung für kritischen Journalismus. Gemeinsam mit seinem Hamburger Kollegen Dirk Laabs hat er nun das Buch “Angriff auf Deutschland” geschrieben.
“Ostdeutsche AfD-Wähler:innen werden zu leicht aus der Verantwortung genommen”
Michael, euer Buch liest sich wie eine Beweissammlung für die Demokratiefeindlichkeit der AfD, so als hättet ihr Belege für ein Parteiverbot gesammelt. War das euer Ziel?
Michael Kraske: Ja, wir verstehen “Angriff auf Deutschland” als eine Art Anklageschrift, in der wir sehr viele Argumente und Belege für die Gefährlichkeit der AfD zusammengetragen haben. Wir listen belegbare Fakten auf, etwa mit wem die AfD auf der Straße unterwegs ist, wer für sie arbeitet und welche rechtsextremistischen Ziele sie verfolgt. Unser Wunsch ist, dass Leser:innen mit dem Buch für politische Gespräche gewappnet sind – egal ob am Küchentisch unter Freund:innen oder im Bundestag bei der Frage, ob man die AfD verbieten soll. Unsere Antwort ist klar: Ja, die AfD soll und sie kann verboten werden.
Du beschäftigst dich seit Jahren mit der Radikalisierung der Partei – welche Momente sind dir besonders eindrücklich in Erinnerung geblieben?
Da gab es mehrere Aha-Effekte, die mich beunruhigt haben. Ein prägnantes Beispiel ist Freia Lippold-Eggen. Sie ist eine ehemalige AfD-Stadträtin aus Bad Kissingen in Bayern, die mittlerweile aus der AfD ausgestiegen ist. Sie sagte mir, dass die Partei die Demokratie abschaffen wolle – und dafür ähnlich wie die NSDAP die Schwächen der Demokratie ausnutze. Sie sagte auch, dass bei der angestrebten “Remigration” Gewalt von Seiten der Partei ausdrücklich mit eingepreist sei. Eine Insiderin, die so klare Worte findet, das ist erschreckend.
Ein weiteres Beispiel ist Björn Höckes Nähe zur Reichsbürgerbewegung. Er marschiert in Thüringen Seite an Seite mit Menschen wie dem Reichsbürger Frank Haußner. Dessen “Verdienst” er als “ein historisches” bezeichnet. Derselbe Haußner spricht in Hinterzimmern von dem Ziel der „Überwindung des “BRD-Unrechtssystems” und davon, dass Deutsche wie “in einer Sklavenplantage” leben. Diese demokratiefeindlichen und auch wahnhaften Ideen im sogenannten “Vorfeld” der AfD auf der einen Seite und der Personenkult um Björn Höcke, durch seine Anhänger:innen auf der Straße auf der anderen, sind brandgefährlich.
Du lebst und arbeitest in Ostdeutschland – welche Rolle spielen die neuen Bundesländer für die AfD?
Es ist offensichtlich, dass die Ansprechbarkeit für völkische und autoritäre Erzählungen im Osten deutlich größer ist als im Westen. Björn Höcke, der kürzlich für die Verwendung einer SA-Parole verurteilt wurde, konnte in Thüringen ein Drittel der Wählerstimmen gewinnen. Immer wieder höre ich Beschwichtigungsversuche: AfD-Wähler:innen können ja nicht alle rechtsextrem sein. Fakt ist: Höcke ist es egal, ob seine Wähler:innen tatsächlich Rechtsextreme sind. Wer Höcke wählt, ermächtigt ihn und seine völkisch-nationalistische Politik. Die Konsequenz, die aus den Wahlergebnissen folgt, wird medial schöngeredet. Es ist höchste Zeit, sich dieser Realität zu stellen und ins Handeln zu kommen, beispielsweise das überfällige Verbotsverfahren gegen die AfD endlich auf den Weg zu bringen. Nicht nur zum Schutz der Institutionen, sondern auch zum Schutz derjenigen Menschen, die von der brutalen völkischen Politik betroffen wären.
Was meinst du mit “medial schöngeredet”?
Mit dem Label “Ostidentität” – eine Identität, die angeblich sehr komplex ist und man nicht verstehen kann, wenn man nicht dazu gehört, wird die ostdeutsche Wählerschaft geschützt. Medien stellen sich mit beschwichtigenden Stimmen vor die AfD-Wähler:innen, weil man “nicht ein Drittel der Wähler:innen ausgrenzen” könne. Das ist die Botschaft, die immer wieder beispielsweise in Talkshows gesendet wird. Aber die ostdeutschen AfD-Wähler:innen in dieser Form so leicht aus der Verantwortung zu nehmen, ist Teil des Problems.
Ihr zitiert die AfD und ihre Gesinnungsgenoss: innen auf fast jeder Seite mehrfach. Warum war euch das so wichtig?
Uns war es wichtig, dass ganz klar wird, dass wir hier nichts filtern oder vom Gesagten abstrahiert wiedergeben, sondern das Original! Wir wollten uns nicht nur in Analysen ergehen, sondern uns war wichtig, dass unsere Lesenden die Ideologie der AfD von deren Personal selbst hören. Denn gerade diese Ideologie ist es, mit der sie maßgeblich versuchen, die Gesellschaft zu destabilisieren. Hätten mehr Menschen schon früher genauer zugehört oder gelesen, was die AfD sagt und schreibt, hätten sie gewusst, dass “Remigration” nie ein Geheimplan war, sondern seit Jahren Teil der rechtsextremistischen Agenda und von Höcke in seinem Buch konkret benannt. Außerdem wollten wir zeigen, dass nicht nur einzelne Figuren wie Björn Höcke das Problem sind. Die gesamte AfD trägt mittlerweile den völkisch-nationalistischen Kurs mit und bekennt sich auf allen Hierarchieebenen zu rechtsextremen Zielen und Ideologien, wie etwa der “Great Replacement”-Verschwörungserzählung, die Rechtsterrorist:innen auf der ganzen Welt zu Morden anstiftet.
Welche Rolle spielt Sprache im Machtstreben der AfD?
Sprache ist das strategische Mittel der AfD, um die sogenannte “kulturelle Hegemonie” zu erreichen. In einer Rede in Eisleben hat Björn Höcke selbst auf die Bedeutung der Worte hingewiesen und sich dabei an Antonio Gramsci orientiert. Er sagte: “Wer die Begriffe prägt, der prägt die Sprache. Wer die Sprache prägt, der prägt das Denken. Wer das Denken prägt, der prägt den politischen Diskurs. Und wer den politischen Diskurs prägt, der beherrscht die Politik, egal ob er in der Opposition ist oder in der Regierung.”
Sehen wir uns die Debatte um Asyl und Migration an – die AfD hat diesen Kampf um die Begriffe bereits gewonnen oder zumindest deutliche Geländegewinne erzielt. Ein Beispiel ist der Begriff “Überfremdung”, der seit 1929 im Duden steht, damals allerdings noch mit der Bedeutung, dass zu viel “ausländisches Geld” aufgenommen werde. Erst 1934, also nachdem die NSDAP die Macht übernommen hatte, passte der Duden die Definition von “Überfremdung” zu “Eindringen Fremdrassiger” an. Heute wird der Begriff auch von den Wähler:innen der AfD in seiner rassistischen Bedeutung verstanden.
Die AfD heizt Ängste vor “Überfremdung” und einem angeblichen “großen Austausch” permanent an. Und mit Kampfbegriffen wie “Altparteien-Kartell”, “Deutschland-Abschaffer” und “Systemparteien” werden nicht nur politische Konkurrent:innen delegitimiert, sondern auch das politische System der Bundesrepublik. Die AfD setzt Sprache gezielt für demokratiefeindliche Agitation ein.
Du bist selbst Journalist in Ostdeutschland – welche Rolle spielen die Medien im Zusammenhang mit der AfD?
Leider tragen die Medien oft zur Verharmlosung und Normalisierung der AfD bei. Je größer die AfD wird, desto unsicherer werden auch die Redaktionen in ihrer Berichterstattung. Sie zeigen einen vorauseilenden Gehorsam im Sinne einer vermeintlichen Neutralität und scheuen sich davor, klar zu benennen, was die AfD wirklich ist: eine rechtsextreme Partei.
Im Buch skizziert ihr die Lösung, dass Berichterstattung „vernetzter“ ablaufen müsse – was genau ist damit gemeint?
Häufig dreht sich der Journalismus im Kreis. Markus Lanz fragte in seiner Talksendung vor einer Weile AfD-Chef Tino Chrupalla, ob er Björn Höcke für einen Rechtsextremisten halte. Damit überließ er ihm die Deutungshoheit. Chrupalla verneinte das natürlich und Markus Lanz kommentierte: “Interessant”. Aber warum hat er das überhaupt gefragt? Rechtsextremismus ist ja keine Frage von Meinungen. Das war ein weiterer gescheiterter Versuch eines Journalisten, einen AfD-Politiker zu entlarven. Stattdessen hätte Lanz den zigfach belegten Status Quo anlegen sollen. Denn, dass Höcke der Vorsitzende eines gesichert rechtsextremen Landesverbandes ist, ist Fakt. Dass man ihn gerichtsfest als Faschisten bezeichnen darf ebenfalls. Wie Chrupalla das findet, ist völlig egal. Entscheidend ist, wie er sich zu Höckes völkischem Nationalismus positioniert.
“Vernetzte Berichterstattung” könnte solche Kurzschlüsse verhindern. Das meint, dass nicht jede Redaktion wieder bei Null anfangen darf, sondern auf das enorme Reservoir an Wissen über die Strategien und Netzwerke der AfD, das es unter Journalist:innen gibt, zurückgreifen sollte. Die würden Lanz von so einer Frage ganz sicher abraten, weil sie die medialen Strategien der AfD viel besser kennen. Und wir hätten auch keine oberflächlichen Sommerinterviews, in denen AfD-Politiker:innen oft viel zu unkritisch befragt werden. Es fehlt der Mut, auf Basis der Faktenlage klare Positionen zu beziehen und die rechtsextremen Strukturen und Inhalte der Partei konsequent zu benennen.
Was erwartest du dir von den Medien im Umgang mit der AfD, insbesondere in Hinblick auf die kommenden Bundestagswahlen 2025?
Ich wünsche mir von den Medien, dass sie professionell und stabil bleiben und sich nicht an den Rechtsextremismus der AfD gewöhnen. Sie müssen die Folgen der Dauerradikalisierung , konsequent skandalisieren. Die AfD ist keine normale Partei, sondern eine Gefahr für die Demokratie. Wir sehen bereits einen Anstieg rechter Gewalt, wie im Fall Sonneberg, wo die AfD erstmals einen Landrat stellt – hier hat sich die Anzahl der rechtsextremen Übergriffe 2023 im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht. Diese Fakten müssen stärker betont werden.
Was kann die Zivilgesellschaft tun, um das Machtstreben der AfD einzudämmen?
Die Zivilgesellschaft muss laut und sichtbar bleiben. Besonders gefragt sind Gewerkschaften, Kirchen und Unternehmen. Ein gutes Beispiel war die „Made by Vielfalt“-Initiative, bei der sich Unternehmen klar gegen die AfD positioniert haben. Zudem muss die Zivilgesellschaft mit langfristiger Planung und abgesicherten Strukturen ausgestattet werden, etwa durch das überfällige Demokratiefördergesetz. Es braucht Mut und Solidarität. Viele Menschen, wie die “Omas gegen Rechts”, haben sich ganz klar gegen die AfD positioniert, aber sie dürfen nicht allein gelassen werden. Wir alle sind gefragt. Dazu gehört auch, den Druck auf die demokratischen Parteien zu erhöhen. Das Verbotsverfahren gegen die AfD muss endlich im Bundestag auf den Weg gebracht werden. Und weitere notwendige Maßnahmen wie bessere politische Bildung müssen auch dann eingefordert werden, wenn gerade alle nur noch über Migration und Abschiebungen reden.
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