(Un)Solidarische Kollapspolitik: von den Rechten lernen...
15.10.2024
Liebe Leute,
Ihr habt sicherlich gemerkt, dass meine Vorschläge, wie denn nun linke, wie Klimagerechtigkeits-, wie solidarische Kollapspolitik in der Katastrophe aussehen könnte, bisher noch etwas dünn sind: da gibt es die Einsicht, dass wir handlungsfähig (Si apre in una nuova finestra) sein müssen; ein Bisschen Verständnis davon, welche Art von Katastrophe auf Uns zukommt (Si apre in una nuova finestra); und dann ein paar ziemlich vage Vorstellungen (Si apre in una nuova finestra)davon, was wir in diesen Situationen machen könnten (Sandsäcke schippen! Dem THW helfen! Wasser und Sonnenschirme verteilen!).
Das hat dann zur Folge – und das habe ich auch gestern bei meinem Book Launch (Si apre in una nuova finestra) in Frankfurt/Main erlebt, bei einem richtig, richtig schönen Event mit meinen lieben Freund*innen vom Koala Kollektiv (das Ihr in voller Länge hier (Si apre in una nuova finestra)anschauen könnt) – das viele Menschen zwar meinen grundsätzlichen Argumenten über “Katastrophe als strategischen Raum (Si apre in una nuova finestra)” folgen, dann aber auf die Frage “ok, und was können wir in dem Raum machen, was über reines Sandsackschippen hinausgeht?” (btw: nichts gegen Sandsäcke schippen, irgendwo muss man ja anfangen mit der Kollapspolitik) keine wirklich befriedigenden Antworten kriegen.
Woher also gute Antworten auf diese allerwichtigste Frage – also “allerwichtigst” für Team Kollaps: chto delat, was tun in der Katastrophe? - finden? Die zwei ersten Optionen, die mir einfielen, waren entweder unattraktiv (reasoning from first principle im stillen Intellektuellenkämmerlein – da kommt meistens nur allzu abstraktes raus, vgl. Primat der Bewegung (Si apre in una nuova finestra)), oder nicht praktikabel (Auslandsreisen zu linken Bewegungen, die schon in “Kollapsbedingungen” operieren, wie meine Schwedenreise letztes Jahr (Si apre in una nuova finestra) – dafür hab ich im Moment weder Zeit, noch Geld).
Warum von Rechten lernen...
Aber eine Frage beim Event gestern erinnerte mich nochmal daran, dass es für mich in den letzten Jahren immer wieder sehr produktiv war, “von Rechten zu lernen”. Hätte ich nicht jahrelang den politischen Aufstieg Donald Trumps über meine Newscomedians im Detail verfolgt, hätte ich weder verstanden, wie politische Kommunikation tatsächlich funktioniert, dass emotionale Resonanz stärker ist, als jeder Fakt der Welt; noch hätte ich verstanden, dass der Kern des rechten Projekts die Befreiung der Arschlöcher von ihrer Scham ist (Si apre in una nuova finestra), in einer formal humanistischen Gesellschaft halt auf den Humanismus, sprich, auf andere Menschen zu scheißen.
Und überhaupt: die Rechten lernen schon seit Jahrzehnten “von uns”, von den Linken. Was glaubt Ihr, woher der Fokus auf “kulturelle Hegemonie”, “Metapolitik” oder “den vorpolitischen Raum” kommt, den Meloni, Kickl und andere erfolgreiche (Post?-)Faschist*innen als Strategie fahren? Von Gramsci und Badiou, von Laclau und Mouffe, in short, von unseren Leuten. Die gesamte Performance, die Taktiken und Strategien der Identitären Bewegung sind durchaus gut gemachte Kopien des Postautonomen Projekts, das z.B. die Interventionistische Linke antreibt.
Daher also: wer lernen will, was es heißt, sich den Kollaps, die Katastrophe als strategischen Raum zu erschließen, die kann sich das am besten bei den Rechten anschauen, denn die bereiten sich tatsächlich schon länger auf genau solche Szenarien vor, haben uns also mehrere Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte voraus, und haben eine Erzählung, die starke emotionale Resonanzen mit den durchaus vernünftigen Zukunftsängsten vieler Menschen hat (was auch bedeutet: wenn wir nicht aufpassen, entwickeln die Rechten beim Thema Kollaps/Katastrophe “issue ownership”, wie sie es beim Thema “Migration” haben – dann stärkt jede Katastrophe ganz von alleine die Rechten, weil der Begriff/das Feld “ihnen gehört”).
Als “Fallbeispiel” nehmen wir mal die double-whammy Hurrikane Helene-Milton, die den Südosten der USA in den vergangenen Wochen heimgesucht haben. Ein kleiner Punkt vorweg: natürlich nutzt keine der Wahlkämpfenden in den USA diese “Klimakatastrophen” dazu, um über die Klimakatastrophe zu reden. Das hätten wir bis vor kurzem erwartet, aber seitdem auch die Mitte langsam die Sache mit der Verdrängung versteht, erwartet das irgendwie auch niemand mehr.
Aber zurück zum eigentlichen Frage: rechte Politik in der Katastrophe. Es ist wirklich faszinierend, zu beobachten, was im Rahmen und im Nachgang dieser hurricanes gerade passiert, denn es zeigt, wie sehr die Rechten es schaffen, ihre Praxis in der Katastrophe direkt mit ihrer allgemeinen politischen Agenda zu verbinden.
Al...right then: von Rechten über die Katastrophe lernen
Part 1: den Staat delegitimieren.
Wie wir wissen, wollen Rechtsradikale im Kern einen ähnlichen Staat, wie die Neoliberalen, nämlich einen, der eigentlich ziemlich degraded, niederreformiert und kaputtgespart ist, damit er nicht die Fähigkeit hat, in die Handlungsfreiheit von Kapitaleigentümern, Männern, Weißen, Heten, usw einzugreifen. Ein geschwächter Staat reduziert außerdem das gesellschaftliche Vertrauen, in einer Notlage könnte jemand anderes helfen, und das rechte Menschenbild (der Mensch ist dem Hobbesianer ein Wolf) gewinnt vor allem dann an Stärke, wenn Menschen nicht mehr die praktische Erfahrung haben, dass Andere ihnen helfen. Dass ein “starker Staat” natürlich in die Sexualleben queerer Menschen, die Körper von Frauen, die Bewegungsfreiheit brauner Körper usw eingreifen soll, steht auf einem anderen Blatt: das lässt sich dann am besten einrichten, wenn erstmal alle Anderen ihr Vertrauen in den Staat verloren haben, und er vollständig wieder zum Exekutivkommitee der Mächtigen geworden ist (also seine “relative Autonomie” verloren hat).
Und genau dieser langfristigen Strategie entsprechend agiert die MAGA-Rechte gerade, also der faschistische Führerkult, der mittlerweile wieder ne recht gute Chance hat, die Präsident*innenwahl in den USA zu gewinnen. Trump erzählt überall, wo ihm jemand ein Mikro in seine... vor die Nase hält, dass FEMA – die US-Version des Technischen Hilfswerks – in den Katastrophenregionen entweder überhaupt nicht am Start ist, oder aber nur in den Demokratischen “blue states”, also als politisches Machtinstrument eingesetzt wird, nicht als universalistische Hilfsinstitution; oder auch, dass FEMA und die Democrats nur “illegal immigrants” helfen (Si apre in una nuova finestra), aber nicht red blooded, pink-skinned “real Americans”.
Dass das nicht stimmt, dass es tatsächlich andersrum ist – während die Biden/Harris-Administration von den Republican Governors der betroffenen Staaten hoch gelobt wird, war es Trump (Si apre in una nuova finestra), der die FEMA nach dem Hurricane Maria, der 2017 Puerto Rico verwüstete, anwies, Staaten, die ihm “politisch feindlich” erschienen, keine Hilfsgelder zuzuteilen – tut nichts zur Sache, denn erstens sind den Rechten, und leider auch in der politischen Kommunikation darüber hinaus, Fakten einfach nicht besonders wichtig; zweitens ist eine Katastrophe, in der viele Menschen geschockt sind (vgl. Naomi Klein, “Shock Doctrine”) der perfekte Zeitraum, um Menschen zu manipulieren (unsere “mental defense mechanisms” sind dann notwendigerweise geschwächt – vgl. Folter). Effekt des Ganzen ist, dass staatliche Hilfe von vielen Menschen als illegitim angesehen wird, von manchen sogar gefürchtet, was wiederum dazu führt, dass FEMA-Mitarbeiter*innen in Katastrophengebieten zunehmend angefeindet, manchmal sogar angegriffen werden.
Im extremsten bisher dokumentierten Fall musste die FEMA alle ihre Mitarbeiter*innen aus einem County (Landkreis) in North Carolina abziehen (Si apre in una nuova finestra), nachdem bewaffnete rechtsradikale “Milizen” Todesdrohungen gegen sie ausgesprochen hatten.
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Part 2: die reale Notlage sogar noch übertreiben
Teil 2 dieser Strategie ist, die reale Notlage noch weiter zu übertreiben. Das ist insofern nützlich, als die Verdrängungsgesellschaft ja nicht sich selbst, ihre eigene Produktions- und Lebensweise als den Verursacher der Problems und der Katastrophe benennen kann, also muss psychologisch gesprochen ein anderer Villain, ein anderer Bösewicht identifiziert werden. Wir hatten schon den Punkt, dass “illegal immigrants” die Hilfsgelder abzocken, andere Verschwörungstheorien besagen, Harris hätte die für die FEMA zur Verfügung stehenden Gelder nach Israel geschickt, you know why, wink, wink, nudge, nudge. In einer Story, die eine gewisse Berühmtheit erlangte, teilten bekannte republikanische Politiker*innen ein gefaktes KI-Bild eines angeblichen jungen Mädchens (Si apre in una nuova finestra), das nass und allein ihren Puppy umklammernd scheinbar in einem Rettungsboot saß – forsaken by the world and the state, it seems.
Je mehr Katastrophe, desto weniger Hilfe kommt von außen, ist die Erzählung. Und die Hilfe, die kommt, ist natürlich die Falsche, von den Falschen, für die Falschen. Denn da die wirkliche Ursache der Katastrophe verdrängt werden muss, und Verdrängung dumm macht (im Sinne von: irrationale Prozesse in unseren Köpfen verstärkt), und weil ja immer irgendwie jemand Schuld haben muss (this isn't about reality, it's about stories, and stories need villains), nützt es den Rechten, das Ausmaß der Katastrophe zu übertreiben, weil ja entweder der Democratic deep state, oder die immigrants, oder sogar die Meteorolog*innen (Si apre in una nuova finestra) Schuld sind. Auf jeden Fall gibt's jemand, auf den man abhaten kann, und das ist emotional resonant, weil die Leute ja Panik haben, weil es ihnen scheiße geht, und weil sie sich von Allem und Allen verlassen fühlen (vor allem, wenn Faschomilizen den FEMA-Leuten den Weg in manche Counties versperren).
Part 3: den raum, den der staat offenlässt, durch rechtsradikale netzwerke füllen
So, bisher haben die Rechten schon eine für sie politisch ziemlich gut laufende Katastrophe, aber jetzt wird's noch besser: solang keine Hilfe kommt, bestätigt das die rechte Story, dass Du und die Deinen völlig auf sich allein gestellt sind, dass Ihr Euch Waffen kaufen, und ins klassische rechte, ins unsolidarische Prepping einsteigen müsst. Kommt dann aber Hilfe von den Rechten, erleben die Leute, dass ihnen “die Volksgemeinschaft” hilft, dass Weiße eben Weißen helfen, und schon sind wir einen Schritt weiter in den rechten Dystopie.
Hier muss ich mich ein Bisschen aus den USA verabschieden, denn von dort habe ich noch nicht viel Infos, was an praktischer rechter Kollapshilfe existiert. Ich weiß aber, dass in Griechenland, als die Wirtschaft dort kollabierte, die Rechtsradikalen von der Goldenen Morgenröte sehr aktiv darin waren, Sozialhilfe nur für “weiße Griech*innen” zu organisieren, und so ihre gesellschaftliche Basis erheblich erweitern konnten.
Schluss
Das war jetzt nur ein kurzer Ausflug in die rechte Kollapspolitik. Ich sage natürlich nicht, dass wir uns so verhalten sollten, wie die, aber wir könnten schon ein Bisschen von denen lernen. Zum Beispiel sollten wir uns alle Gedanken machen, wie wir in der Katastrophe unsere langen politischen Linien fortschreiben können, wie es die Rechten auch während Corona gemacht haben, und nicht nur, wie wir es während Corona gemacht zu haben, zu sagen “hey, der Staat klärt das alles schon”. Damals gab es eine fette Katastrophe, und die Rechten haben damals die Fahrt aufgenommen, die sie heute fast überall im Norden nahe der Macht bringt. Damals haben die Kollaps- oder Katastrophenpolitik gemacht, während manche von Uns (Asche auf mein Haupt: ich auch) hyperautoritäre “Zero Covid”-Aufrufe unterzeichneten.
Wir müssen lernen: Die Rechten nutzen die Katastrophe aktiv als strategischen Raum, um ihre politischen Ziele voranzutreiben. Das bedeutet: wenn wir das nicht tun, überlassen wir die Katastrophe den Rechten, und das kann einfach nicht sein.
Mit bahnmüden Grüßen,
Euer Tadzio