Resonanzkatastrophe: von jungen Ängsten und rechten Geschichten
Liebe Leute,
heute geht es mal wieder um politische Kommunikation: wie sie funktioniert, warum “unsere” (Ihr wisst schon: die der Linksgrünversifften) meist nicht funktioniert, und warum die der rechten Arschlöcher, allen voran der AfD, so verhältnismäßig gut funktioniert, vor allem bei jungen Menschen. Gerade bei den jungen Menschen, die wir spätestens seitdem sie 2019 als “Fridays for Future” einen erheblichen Teil der Gesellschaft in Richtung Klimaschutz in Bewegung setzten, eigentlich aber schon seit der Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2007ff. - welche die Gesellschaft inhaltlich (kurzzeitig) derart kapitalismuskritisch machte, dass sogar der damalige Chefredakteur der tiefschwarzen FAZ fragen musste, ob die Linke vielleicht doch Recht gehabt hatte – für einen strukturell progressiven Akteur halten. Ich verstieg mich zu Aussagen wie “die Lebenswelt der jungen 'Generation Klima' ist eine grundsätzlich feministischere, queerere, antirassistischere, internationalistischere und ökologischere, als die, in der wir Ältere leben”. Die Europawahlen 2019 waren dementsprechend auch die einzige Wahl, die (aus deutscher Perspektive, andere Länder haben andere Zeitlichkeiten) als eine “Klimawahl” gelten könnte, eine Wahl, deren größte Umschwünge – damals vergrößerten die Grünen ihren Stimmenanteile enorm, erzwangen/ermöglichten den Move zum industriepolitische durchaus relevanten Green Deal.
Und diesmal? Diesmal: s. Schaubild oben. Diesmal hat das rechte Lager unter jungen Menschen eine klare Mehrheit, größter Gewinner unter den Nichtkleinstparteien sind tatsächlich die Faschos von der AfD.
“Die Jugend von heute”: alles wegen TikTok?
Natürlich war es nicht erst die Europawahl, die den Rechtsruck vor allem unter jungen Menschen deutlich machte und zu allerlei Erklärungsversuchen führte. Schon gegen Ende April kam eine Studie (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) raus, die – Methodenkritik hin oder her – folgenden Punkt machte: “Jugendliche und junge Erwachsene sind einer Studie zufolge immer unzufriedener und wenden sich stärker der AfD (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) zu. 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen, die überhaupt eine Parteipräferenz haben und die wählen gehen wollen, würden für die AfD votieren, wenn jetzt Bundestagswahl wäre.” Da diese Erkenntnis erstens sehr verwirrend war (vgl. die “junge Menschen sind progressiv”-Illusion – dazu gehört aber noch ein Bisschen politischer ageism, dann noch die Annahme, dass alte Menschen auf dem Land, junge in der Stadt wohnen...), und zweitens kurz nach einer anderen wichtigen Studie veröffentlicht wurde, in der Johannes Hillje (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) uns alle darauf hinwies, dass wir die sich auf TikTok tummelnden Menschen dort sträflich vernachlässigt und so in die Arme der AfD haben fallen lassen.
Das führte zur ersten, von vielen Menschen aufgenommenenen These zur Erklärung des “junge Menschen wählen lügende Faschoarschlöcher, die ihnen die Zukunft noch weiter ruinieren werden, weil”-Problems: Jugendliche sind auf TikTok. Die AfD ist auf TikTok. Jugendliche wählen plötzlich verstärkt die AfD, und weniger andere Parteien. Andere Parteien sind nicht (sichtbar) auf TikTok. Ergo, und weil wir technische Erklärungen für soziale Probleme den echten Erklärungen vorziehen (weil: dann wären sie einfacher zu lösen), ist die Erklärung für die Stärke der AfD unter jungen Menschen die, dass... die AfD dort zu ihnen spricht, wo sie zuhören. Auf TikTok. Lösung? #ReclaimTikTok, und alles ist in Butter. (btw: ich bin auch auf TikTok (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) gegangen, und bin Luca Barakat, ehedem FFF München, sehr dankbar für den Impuls – andere überhöhten später das Potenzial einer progressiven Offensive auf TikTok.)
Schnell wurde klar, dass diese “Erklärung” vor allem den Effekt hatte, dass Boomer (und wir Gen Xs) sich besser fühlen konnten, die Jugend nach rechts verloren zu haben, weil, TikTok ist ja postfaktisches chinesisches Teufelszeug, wer würde da schon kommunizieren wollen. Ein starker Text von Sebastian Friedrich und Nils Schniederjann im Freitag (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) war da schon sehr viel erhellender, er fokussierte auf mehrere miteinander verwobene, aber doch relativ autonome erklärende Faktoren:
das politische und diskursive Angebot der AfD ist in manchen Feldern dem der FDP durchaus ähnlich, zieht also durch den relativen “Linkskurs” der Partei in der Ampel frustrierte Rechts-FDPisti an. Der Weg zur AfD ist von der FDP nicht weit.
Grundsätzlich weisen junge Menschen eine schwächere Parteibindung auf, als ältere, wählen eher themengebunden: und wenn viele junge Menschen in Europa gerade (aus einer Reihe von Gründen, dazu gleich mehr) keinen Bock auf mehr Immigration haben, wählen sie halt die Partei, die dazu gerade am meisten auf die Kacke haut.
Daran anschließend: die Sorgen junger Menschen nehmen zu, Verteilungskämpfe werden schärfer, das fördert die Arschlochisierung, und die ergreift natürlich auch die junge Generation – teils noch härter, weil, wie gesagt, hier politische Positionen und Identitäten noch nicht so verkrustet sind, wie bei uns älteren.
Politische Kommunikation jenseits politischer Inhalte
Ich teile einen Großteil der Analyse von Friedrich und Schniederjann, und empfehle, den Text ganz zu lesen. Für meinen Geschmack war er aber noch zu sehr in dem intellektuellen Raum verhaftet, in dem tatsächliche Inhalte im Sinne politischer Positionen zu politischen Fragen X, Y und Z noch kausale Relevanz haben, wo politische Kommunikation noch nicht der faktenfreie Bullshit geworden ist, den wir in den USA oder dem UK beobachten können.
Denn: wie schon mehrfach aufgeschrieben habe ich aus dem Erfolg von Trump I die Schlussfolgerung gezogen, dass tatsächliche Inhalte keine besonders große kausale Rolle in der politischen Kommunikation spielen. Ob das jemals anders war, können Historiker*innen diskutieren. Für mich ist klar, dass in der Polykrise, in der Probleme im Grunde immer unlösbarer werden, weil jeder Versuch, ein Problem zu lösen, ein anderes eskalieren würde, was dann wiederum auch die Lösung des ersten Problems schwieriger machen würde, etc., in der “Politik” im Grunde keine Veranstaltung zur Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme wird, sondern eine Art dauerhafte Krisenkommunikation in einer Beziehung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre), die schon lange gescheitert ist, aber aus der wir uns nie lösen können: es geht bei politischer Kommunikation in der Welt, die ich beschreibe, nicht darum, belastbare Aussagen zu formulieren wie “wenn A, dann B”, oder “ang. von Problem C schlage ich durchgerechnete und rechtliche geprüfte Policy D vor”, sondern nur und ausschließlich darum, sich gut zu fühlen, und sich nicht schlecht zu fühlen; zu den Guten zu gehören, nicht zu den Bösen.
Stellt Euch folgende Situation vor, die ihr bestimmt schon mehrfach erlebt habt: vor Euch sitzt ein Freund, dem irgendetwas blödes widerfahren ist. Vielleicht hat sich sein Freund von ihm getrennt, vielleicht seine Freundin, vielleicht hat er irgendwie scheiße gebaut – auf jeden Fall hat er ein Problem. Er erzählt Euch von diesem Problem, und ihr fangt an, ihm gute Ratschläge zu geben, wie er das Problem lösen könnte, oder erklärt ihm, quasi freundschaftstherapeutisch, warum es so kam, wie es kommen musste, etc. In so einer Situation reagieren Menschen überraschend oft gereizt, genervt, man merkt ihnen an: so haben sie sich das Gespräch gar nicht vorgestellt. Es ging deinem Freund doch erstmal gar nicht darum, Erklärungen oder Lösungen zu finden – es geht ihm darum, gehört, oder genauer, gefühlt zu werden. Daher der englische Satz “I feel you”, wenn jemand mit einem Problem ankommt: in emotionalen Krisensituationen geht es in der Kommunikation meistens nicht um Lösungen, sondern um die Suche nach emotionaler Resonanz: one wants to be felt, heard, taken seriously, es geht also um Emotionales. Wer in so einem Gespräch mit rationalen Punkten kommt, redet meist am Gespräch und an den Bedürfnissen des hypothetischen Freundes vorbei. Undd genau das passiert den meisten politischen Parteien derzeit, wenn sie mit jungen Menschen kommunizieren: sie reden völlig an denen vorbei.
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Politische Kommunikation in den Katastrophen
Jetzt will ich nicht behaupten, dass andere Parteien als die AfD nicht in der Lage sind, kollektive gesellschaftliche Gefühlslagen zu bedienen: die SPD zum Beispiel hat mit ihrem beispielhaft schlechten Europawahlkampf – my favourite: “für Jung und Alt und ein gutes Klima für Alle” - den Affekt der Veränderungsunwilligkeit bedienen wollen, im Sinne von “SPD wählen heißt, dass Du nix machen musst, und wir nix verändern”. Auch der “scheiß auf alle Anderen”-Affekt wird durchaus von anderen Parteien, als der AfD bedient (allen voran die FDP). Und die Grünen und LINKEN versuchen es immer wieder mit “Hoffnung!”; “wird alles schon nicht so schlimm!”; “once more unto the breach!”.
Aber ein “Affekt” (Basisdefinition: kollektive Gefühlslagen), der im Diskurs der demokratischen Parteien kaum abgeholt, kaum bedient wird, ist einer, der im Kollaps, in der Polykatastrophe immer mehr Raum einnimmt: die Angst vor der Zukunft. Angst vor einer Zukunft von “zu wenig”, weil halt eine Zukunft in einer schrumpfenden Welt (im Sinne materieller Konsum- und Zukunftschancen). Angst vor einer Welt mit immer weniger Sicherheiten, und immer mehr Konflikten (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre). Angst vor einer Zukunft mit drei Jobs aber ohne Rente, in der man ständig wegen Eigenbedarfsklagen seine Wohnung verlassen muss, oder halt keine findet. Angst vor einer Zukunft, von der man seinen Kindern nicht erzählen kann, ohne sie zu traumatisieren. Angst vor einer Zukunft, die so ganz anders aussieht, als die Zukunft, die wir zu erwarten gelernt haben (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre).
Wie reagieren die demokratischen Parteien jetzt auf diese Ängste? Sie hören überhaupt nicht richtig zu, und während die meisten Menschen – auch die jungen Menschen, um die es hier geht – immer noch dabei sind, sich einfach erstmal auszukotzen, während die alle noch mit ihren Gefühlen gehört und ernst genommen werden, Resonanz spüren wollen, sind die demokratischen Parteien jener schlechte Freund, der ihnen in den Satz fällt, wenn sie über ihre Ängste z.B. voller ökologischer Katastrophen, oder mit zu wenig Geld im Sozialstaat, oder ohne Jobs, ohne Mobilität oder ohne/mit was auch immer reden, und sofort in den Lösungsmodus geht: “Klar, das ist ein Problem, aber schau mal, wenn wir – wenn Du A, B und C machst, kannst Du das alles geklärt kriegen!”
Nochmal: niemand will mit diesem Freund reden! Erstens sind die Menschen ja schon transformations- und anpassungsüberlastet, die wollen sich darüber auskotzen, darin gehört werden, nicht von jemandem, dem sie gerade ihre Probleme beichten, neue Hausaufgaben auferlegt bekommen. Die wollen eine politische Geschichte hören, die ihre Gefühle bestätigt, legitimiert, mit diesen in Schwingung tritt/resonniert: die ihnen das Gefühl gibt, nicht allein zu sein.
Resonanzkatastrophen
Der Clou ist jetzt: da politische Erzählungen mehr von Affekten handeln, als von Inhalten – das stimmt im allgemeinen, im Klimabereich noch mehr (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) – können Geschichten miteinander in Resonanz treten, die inhaltlich diametral entgegengesetzt argumentieren, die aber vom selben Affekt ausgehen: was glaubt Ihr, hat die Hippies und Nazis in den Corona-Protesten zueinander gebracht? Die hatten nicht die selbe Analyse, aber die hatten die selbe Angst: und das bringt Menschen enger zusammen, als irgendeine inhaltliche Übereinstimmung.
Stephen Colbert put it best, als er “Trumpiness” beschrieb: “Voters don't need a leader to say things that are true or feel true. They need a leader to feel things that feel feels. (They need) an emotional megaphone for voters full of (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre)”... full of whatever they happen to be feeling at the time. Und was fühlen die Leute gerade? Verunsicherung, Überforderung, Frustration, und hinter all dem eine gute Portion verdrängter Zukunftsangst. Dies wissend müssten Kommunikationstrateg*innen sich jetzt die Frage stellen: welches dieser Gefühle ist am ehesten dazu geeignet, die Zielperson zu “manipulieren”, d.h., die Gefühle dieser Person (oder dieses Milieus: remember, in meiner Erzählung funktionieren Inidivual- und Kollektivsubjekte nach den selben Regeln) so politisch zu artikulieren, dass sie das politische Projekt des manipulierenden Akteurs unterstützen?
Ask any sexworker: die Begierde, das Gefühl, der Wunsch, mit dem man Menschen am besten manipulieren kann, ist jenes, das von anderen nicht angesprochen, nicht bestätigt, nicht legitimiert wird. Dieses emotionale Nichtgesehenwerden führt zur relativen Verdrängung des Gefühls, oder zumindest zu einem “es weniger präsent halten, als es sein sollte”. Die Energie, die entsteht, wenn dieses halbverdrängte Gefühl dann validiert wird, kann vom Subjekt als Befreiung (S'ouvre dans une nouvelle fenêtre) erlebt werden, und stellt somit eine der stärksten politischen Produktivkräfte dar, die wir kennen.
In diesem Sinne war das Coming Out der Arschlochgesellschaft, das ich letztes Jahr beschrieb, auch ein Coming Out, ein sich-selbst-Eingestehen-und-dabei-gesehen-und-bestätigt-werden derjenigen, die Angst vor der Zukunft haben, und die im zwangsoptimistischen Verdrängungsbullshit, den JEDE Partei über die zentralen Themen der Zeit erzählt – Klima/Ökologie, Migration/globale Gerechtigkeit) das sehen, was es ist, nämlich ein dauernder Prozess des sich-selbst-bescheißen.
Da ist Ehrlichkeit attraktiver, und das macht sogar die Faschoerzählung attraktiver, auch, wenn dann da am Ende ein paar “Inhalte” stehen, auf die man nicht so abfährt.
Weil, wie im Gespräch mit dem Freund, gegenüber dem man sich auskotzt: es geht nicht um die Lösungen. Es geht ums gehört und gesehen und gefühlt werden.
Also: lasst uns endlich diese dämlich norddeutsch-protestantische Abneigung gegenüber negativen Gefühlen ablegen – die sind legitim, sie sind im Kollaps vernünftig, und der Job einer aufklärerischen Linken ist nicht, die zu verdrängen und Hopium zu pushen, sondern: eine realistische Story zu erzählen, an deren Ende Hoffnung steht, die nicht gegen die Fakten erzählt wird, sondern mit den Fakten und aus ihnen heraus.
Mit emotionalen Grüßen,
Euer Tadzio