Der unbewegte Mann: Klimakampf als Beziehungskonflikt
source: ideogram.ai (Öffnet in neuem Fenster)
02.05.2024
Liebe Leute,
so langsam sickert die Einsicht immer weiter durch dass es keinen Klimaschutz gibt, obwohl wir seit über 30 Jahren darüber reden (zum Vergleich: “Umweltschutz” gab es wenige Jahre, nachdem das Gespräch darüber in den frühen 60ern anfing; dass die Klimadebatte immer absurder wird, und dass mehr Klimakollaps tatsächlich nicht zu einer rationaleren Auseinandersetzung mit dem Klimathema führt. Ich durfte kürzlich sogar in der taz einen Text zum Thema “Klimadebatte als blockierter Trauerprozess” schreiben (“Wie viele Kippen darf ich noch? (Öffnet in neuem Fenster)”), der viel geteilt und kommentiert wurde.
D.h., es ist jetzt an der Zeit, mit Euch noch einen Schritt weiter zu gehen, denn der Trauerprozess, der ist im Kern ein eigener Weg. Kein Weg, den man alleine gehen sollte, aber es liegt an Dir, an Euch, ob und was akzeptiert wird, da kann auch die beste Therapeutin nur helfen, you need to do the work. Übrigens etwas, das für alle Therapien gilt, aber das nur nebenbei.
Aber vor der Trauer die Verdrängung, genauer: die mehrheitsgesellschaftliche Verdrängung von Informationen, die durch bestimmte Akteure – z.B. Klimawissenschaft und Klimabewegung – immer wieder zurück ins Bewusstsein geholt werden sollen. In diesem Kommunikationsprozess entsteh ein Verhältnis zwischen, einerseits, der Mehrheitsgesellschaft, und den Klimakommunizierenden andererseits. Dieses Verhältnis ist seit mindestens zwei Jahren durch immer mehr Konflikt geprägt, durch mehr Brutalität, und auf jeden Fall immer mehr gegenseitiges Unverständnis. Und wie Ihr mittlerweile wisst entschied ich ebenfalls vor ungefähr zwei Jahren, das Gespräch, den politischen Konflikt zwischen uns Klimas und der Verdrängungsgesellschaft nicht als politischen Konflikt im klassischen Sinne zu verstehen, sondern als Beziehungskonflikt.
In vielen Veranstaltungen habe ich seitdem zu hören bekommen, dass man das doch nicht einfach gleichsetzen könne, dass da doch ganz andere Regeln gelten, dass Konflikte zwischen Individuen nicht mit solchen zwischen Kollektivsubjekten gleichgesetzt werden können. However, I beg to differ, and what's more: der Begriff “Beziehungskonflikt” ist hier keine Metapher, keine Analogie, keine “heuristic device”, sondern einfach die richtige Bezeichnung dessen, was im “Klimakampf” eigentlich geschieht – nix Politik. Alles Beziehung. Und das wollte ich endlich mal ausführen, um die Debatte voranzutreiben. So here goes:
Anfang 2022: Klima nach der Pandemie
Als sich die Hochphase der Corona-Pandemie ihrem Ende zuneigte, als die Klimabewegung vor der “was jetzt?”-Frage stand, versuchte ich zu verstehen, warum nichts von dem, was wir bisher getan hatten, “funktioniert” hatte, im Sinne von “zur Erreichung des selbstgesteckten Ziels beitragen”. Die Kombination aus gesteigerter Aufmerksamkeit für das Klimathema-als-Konfliktthema (Paris, Ende Gelände, Hambi), gesteigerter Zustimmung für Klimaschutz und Generationengerechtigkeit (Fridays for Future), und einer Katastrophe, die der deutschen Öffentlichkeit die realen Kosten der Klimakatastophe drastisch vor Augen führte, hätte eigentlich zu Klimaschutz führen müssen, auch wenn dieser kurzfristig erhebliche Kosten verursachen würde. Irgendwann, davon war die absolute Mehrheit des Klimafeldes überzeugt, würde direkte Betroffenheit zu rationalem Verhalten führen.
Aber 2022 kam, und echter Klimaschutz war auch unter der Ampel nirgendwo in Sicht. Als dann noch Putins klerikalfaschistisches Russland die Ukraine überfiel, und die deutsche Gesellschaft begann, sich unter einem anderen “master signifier” als “Klima” zu organisieren, diesem stärksten aller gesellschaftlichen Symbole “KRIEG”, wurde mir schlagartig eines klar: dass das Fenster für echten Klimaschutz, so es denn jemals offen gestanden hatte, sich mittlerweile unwiderruflich geschlossen hatte. Dass “mehr Klimakrise” nicht, wie in den Annahmen fast aller Öko- und Klimastrateg*innen impliziert, irgendwann zu “mehr Klimarationalität” führen würde, sondern zu mehr Abwehr, mehr Ignoranz, und irgendwann zur aktiven Verdrängung des ganzen Klimathemas führen würde.
Klima überall, Rationalität nirgendwo
Der Grund, warum mir das plötzlich so glasklar wurde, warum ich seitdem keinerlei Zweifel habe, dass es wirklich gar keinen signifikanten Klimaschutz geben wird, würde sonst im Rahmen einer politischen Analyse etwas... nunja, ungewöhnlich erscheinen, but bear with me. Ich versuchte, zu verstehen, wieso ein Akteur – in diesem Fall das Kollektivsubjekt “Deutschland” - auf den der Druck zum Klimaschutz (sowohl von Wissenschaft und Bewegung, als auch von der Klimakatastophe selbst) ständig steigt, der selbst ständig sagt, er wolle auf jeden Fall Klimaschutz betreiben, und in dessen mittel- und langfristigem Interesse es war, das Klima zu schützen, immer noch keine relevanten Schritte Richtung Klimaschutz unternahm, sich tatsächlich eher davon wegbewegte, wie man an den schon damals zunehmend desinteressierten oder aggressiven Reaktionen auf Klimaaktivismus ablesen konnte. Um ehrlich zu sein kannte ich diese Konfliktkonstellation aus der Politik bisher nicht, kannte keine politische Auseinandersetzung, in der “die Gegenseite” (sagen wir mal, das fossile Mehrheitsdeutschland) auf keinerlei Signale, weder auf Zuckerbrot, noch auf Peitsche, so reagierte, wie es “normalerweise” zu erwarten wäre. Ich kannte keine Politik, die ohne irgendwelche erkennbaren Rationalitäten funktionierte. Genau deswegen war und ist es immer noch so schwierig, für die meisten Klimapolitikkommentator*innen, den andauernden Nichtklimaschutz zu erklären: wir haben dafür keine politischen Modelle.
Mit welchen Modellen diese neue und unerwartete Situation erklären, wie sich darin verhalten? Glücklicherweise hatte ich gerade – also in den zwei Jahren seit Beginn der Pandemie – zwei romantische Beziehungen mit Anlauf in den Sand gesetzt, und verfügte über eine umfangreiche Datenbasis über eine Art von Konflikt, in der es tatsächlich nur sehr selten “rational” zugeht: Beziehungskonflikte. Ich saß also Anfang 2022 zwischen den Trümmern zweier Strategien, politisch und persönlich, und plötzlich begannen diese beiden Trümmerhaufen, einander ziemlich stark zu ähneln.
Gebrochene Versprechen
Step 1: in beiden Fällen begann die Auseinandersetzung damit, dass das Gegenüber (das fossile Deutschland; meine zwei Expartner) große Versprechungen machte (“sozialökologische, postfossile Transformation und Klimaschutz; emotionale Treue, sexuelle Erfüllung, vor allem aber stabile und verlässliche Carearbeit), diese dann aber unmöglich einhalten konnte, weil das Erfüllen dieser Versprechen das Aufbrechen und fundamentale Verändern von Strukturen bedurft hätte, die in der zur Verfügung stehenden Zeit und mit den gegebenen Ressourcen einfach nicht hinreichend verändert werden konnten. Im Falle Deutschlands handelt es sich hier, um mal stark zu vereinfachen, um den fossilen deutschen Exportkapitalismus, im Falle meiner Expartner um meist schwulenspezifische emotionale und Kindheitstraumata. Wessen Wohlstand vor allem aus der Produktion und dem Export fossiler Dreckschleudern entspringt, dem wird es schwer fallen, effektiv das Klima zu schützen, ohne so ziemlich Alles zu verändern, was dem eigenen Leben halt gibt, und wessen Kindheit ihn so geprägt hat, dass er kaum in der Lage ist, stabile Beziehungen einzugehen, wird nicht in der Lage sein, die völlig überkandidelten emotionalen Erwartungen und Bedürfnisse eines mindestens ebenso gestörten Menschen zu erfüllen.
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Kognitive Dissonanz
Step 2: angesichts der Nichterfüllung rechtlich oder emotional verbindlicher Versprechen geschieht nun zweierlei. Erstens erlebt das seine eigenen Versprechen nicht-erfüllende Subjekt sein eigenes Verhalten als schuldhaft oder gar schamvoll, zumindest aber erlebt es “kognitive Dissonanz”, weil sein Verhalten sich nicht mit seinen Ansprüchen deckt. Das bedeutet, dass es versucht, das Themenfeld zu vermeiden, zu verdrängen, das bei ihm diese Gefühle auslöst (weil Subjekte üblicherweise versuchen, negative Gefühlszustände zu vermeiden). Zweitens beginnt das “Objekt” der nichterfüllten Versprechen (die Klimabewegung als “Haupt-Trägerin” der Idee des Klimaschutz, der enttäuschte Partner, also ich) das baldige Erfüllen der Versprechen aktiver und mit mehr Nachdruck einzufordern.
Unlösbarer Dauerkonflikt
Step 3: enter Verdrängung, denn nun haben wir ein Subjekt, in dessen Interesse es liegt, ständig auf ein und das selbe Thema zu verweisen, und ein zweites Subjekt, in dessen psychologischen Interesse es nun liegt, das Thema zu ignorieren, zu verdrängen. Der Trick ist jetzt, dass im Gegensatz zur “normalen” politischen Konflikten, wo es um ökonomische und politische Interessen geht, wo es vernünftig ist, davon auszugehen, dass das situationsadäquate Erhöhen bestimmter Negativa (Kosten: weniger Profite, weniger Stimmen bei Wahlen, mehr Riots; immer mehr Stress beim Abendessen, jedes Date wird von Streits ruiniert) den erwünschten Effekt hat, dass ein Konflikt mit einem verdrängenden Subjekt ganz anders läuft. Ein verdrängendes Subjekt will um alles in der Welt verdrängen, weil das Verdrängte, vor allem, wenn es Scham auslöst, im Falle seiner Rückkehr ins Bewusstsein (Freud spricht von der “Rückkehr des Verdrängten”) das Subjekt im Grunde handlungsunfähig machen könnte. Genau deswegen verdrängt man es ja. Jeder Hinweis auf das Thema wird also abgeblockt werden, und wenn das enttäuschte, das drängelnde, das “aktivistische” Subjekt (die Bewegung; ich) daraufhin seine Kommunikationsstrategien eskaliert (mehr Lautstärke, mehr Druck, mehr “Negativa”), wird das verdrängende Subjekt darauf nicht an irgendeinem Kipppunkt mit “hey, ok, so siehst Du das, jetzt versteh ich, jetzt werd ich mich richtig verhalten” reagieren, weil es das gar nicht kann. Und diese verdrängte Einsicht in seine fundamentale Unfähigkeit, sich an seine eigenen Versprechen zu halten, wird dazu führen, dass sich das Subjekt immer mehr schämt, immer mehr verdrängt, und genau dadurch immer irrationaler wird.
Das war also meine These: der Klimakampf in Deutschland ist ein Beziehungskonflikt mit einem verdrängenden, beschämten, ängstlichen Akteur. Deswegen gibt es, wird es auch keinen Klimaschutz geben. Weil alles dem beschämten Subjekt lieber ist, als sich mit seiner eigenen Scheiße auseinanderzusetzen. Da ist sogar der Thanatos (Klimakollaps; unwiderrufliches Ende der Beziehung) besser, als die kritische Selbstreflexion und vor allem Selbsttransformation.
Go on: disagree with me. I dare you ;)
Euer Tadzio