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Die versteckten Wahlkampf-Botschaften der Thüringer AfD (I)

Guten Morgen,

heute und kommende Woche beschäftigen wir uns mit dem Wahlkampf der AfD für die Thüringer Landtagswahl. Nahezu jedes Plakat beherbergt eine Botschaft an die Anhänger:innen - mal mehr, mal weniger offensichtlich.

In einer der folgenden Ausgaben geht es dann um die Inhalte - was genau fordert die Thüringer AfD in ihrem Wahlprogramm (Opens in a new window)? Wir haben uns einige Ideen genauer angesehen.

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Herzliche Grüße!

Um was geht’s?

“Sommer, Sonne, Remigration.”

Das ist einer der Slogans der AfD Thüringen für die anstehende Landtagswahl. In fröhlichem Dreiklang preist er das Konzept der ”Remigration” - einem rechtsextremen Kampfbegriff.

👉 Wir haben den Slogan als Einstieg gewählt, weil er den Charakter der Kampagne so gut zeigt. Die AfD will damit einen, eigentlich unmöglichen, Spagat machen zwischen Selbstverharmlosung und Radikalisierung.

Kein Wunder, dass viele Motive, die der AfD-Landesverband gewählt hat, eine zweite Ebene besitzen.

Wir haben für dich genau hingeschaut! 🕵️‍♂️🕵️‍♀️

Wer spricht da?

Der AfD Landesverband in Thüringen, angeführt vom inzwischen mehrfach verurteilten Björn Höcke, wird vom dortigen Verfassungsschutz seit 2021 als ”erwiesen rechtsextremistische Bestrebung” geführt. Die höchste von drei Bewertungen.

Im damaligen Verfassungsschutzbericht (Opens in a new window) steht, dass es innerhalb der Partei auch nach den ersten beiden Einstufungen zum Prüf- und zum Verdachtsfall ”keine politische Mäßigung” oder ”Bemühungen, Extremisten durch parteiinterne Verfahren auszuschließen” gegeben habe - im Gegenteil. Innerhalb der Partei seien ”verfassungsfeindliche Positionen, die sich gegen die Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip richten”, beherrschende und weitgehend unumstrittene politische Ideologie.

Der MDR hat die Punkte (Opens in a new window), die zu der Einstufung geführt haben, aufgelistet. Es geht dabei vor allem um Verstöße gegen die Menschenwürde - um islam- und ausländerfeindliche, sowie um antisemitische und völkische Aussagen. Dazu kommen geschichtsrevisionistische Positionen und ein ethnisch-homogener Volksbegriff.

Zuletzt haben einige Medien berichtet, dass der Thüringer Landesverfassungsschutz eine weitere Radikalisierung beobachtet und festgehalten habe. Laut einem Geheimgutachten soll die AfD nun auch als “kämpferisch-aggressiv (Opens in a new window)” charakterisiert worden sein. Das ist eine weitere Steigerung zur reinen Feststellung ihrer “verfassungsfeindlichen Bestrebungen“. Die AfD agiere in Thüringen demnach kämpferisch-aggressiv gegen verfassungsmäßige staatliche Ordnung. Diese Charakterisierung ist eine Voraussetzung für ein Verbotsverfahren. Auch das rechtsextreme Compact-Magazin (Opens in a new window) wurde so vom Bundesverfassungsschutz bezeichnet.  

Das ist die Strategie dahinter

Die AfD hat große Ziele bei den anstehenden Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern. Vor allem in Thüringen hofft sie, mindestens einen wichtigen politischen Posten besetzen zu können oder aber die Sperrminorität zu erreichen - stellt sie ein Drittel der Abgeordneten, kann sie beispielsweise in Zukunft verfassungsändernde Abstimmungen im Parlament blockieren. Diese und weitere mögliche Folgen der Thüringer Landtagswahl hat Franzi von Kempis in ihrer aktuellen Newsletter-Ausgabe (Opens in a new window) Adé AfD aufgelistet.

Um ihren Zielen näher zu kommen, hat die Thüringer AfD nun den Wahlkampf eingeläutet. Und er zeigt einmal mehr zwei parallele Entwicklungen, die seit einiger Zeit bei der Partei und ihrem neurechten Vorfeld (also Partei nahestehenden Organisationen und Initiativen) zu beobachten ist: Selbstverharmlosung auf der einen und Radikalisierung auf der anderen Seite.

Die grundlegenden Ziele: Die AfD sendet einerseits radikale Botschaften an ihre ideologisch überzeugte Stammwählerschaft. Zur Erinnerung: Die letzte Mitte-Studie (Opens in a new window) (S. 71 ff) hat gezeigt, dass knapp 25 Prozent der AfD-Anhänger:innen ”manifest rechtsextrem” eingestellt ist, über 40 Prozent Nationalchauvinismus und Fremdenfeindlichkeit und etwa 20 Prozent eine Diktatur in Deutschland befürwortet.

Neben diesem harten Kern geht es der AfD andererseits immer auch darum, ihre Wähler:innenschaft zu erweitern. Das erreicht sie über zwei Wege: durch eine Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft - dass also mehr Menschen der AfD ihre Stimme geben, gerade WEIL sie extreme Positionen vertritt. Andererseits, indem sie radikale Positionen harmlos verpackt, um sie ”normal” und damit wählbar zu machen.

Die Thüringer Wahlkampagne (hier das Video auf Youtube mit den Motiven (Opens in a new window)) kommt deshalb nun als, so hat es Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje (Opens in a new window) genannt, ”Feel-Good-Rechtsextremismus” daher. Er schreibt in einem Thread auf X:

”Botschaften, Gestaltung, Emotionen der Kampagne zielen darauf ab, Rechtsextremismus zu modernisieren, ästhetisieren und euphorisieren.”

Nachdem die Partei lange Zeit vor allem mit düsteren Angst-Botschaften Wahlkampf gemacht habe, setze sie nun auf ”größtenteils positiv formulierte Slogans in warmen Farben”.

Diesem Muster folgt auch die Inszenierung Björn Höckes, der beispielsweise in einem Close-Up großformatig und freundlich in die Kamera lächelt. Hillje schreibt, damit solle der Rechtsextremist ”sympathisch, menschlich, harmlos” dargestellt werden.

🛵 Positive Assoziationen mit DDR-Kultur

Aber: In vielen Motiven steckt eine zweite Ebene, die über eine nette Inszenierung hinausgeht. Das erste Beispiel dafür ist ein Foto von Höcke auf einem DDR-Moped – einer Simson. Auf dem Rückspiegel prangt das Logo der rechtsextremen Jungen Alternativen (Opens in a new window) und darüber steht der Slogan: “Ja! zur Jugend!“ Auf den ersten Blick ist das nicht mehr als das Heranschmeißen an die junge Wähler:innenschaft, die die AfD in den vergangenen Monaten ohnehin schon mit großem Erfolg anspricht (Opens in a new window).

Den zweiten Blick macht Rechtsextremismusexperte David Bergrich in der taz (Opens in a new window) möglich. Er erklärt dort, dass sich Höcke hier “alltagskulturelle Aspekte der DDR-Vergangenheit zu eigen“ mache. Die Strategie ist die folgende: “Es gibt bei der AfD die Tendenz, als Malus empfundene ostdeutsche Insignien positiv zu besetzen und als Bonus zu interpretieren. Das ist ein sehr bewusster Anschluss an kulturelle Erinnerungen im vorpolitischen Raum.“

Die Simson bedeute laut Bergrich für viele Menschen mit DDR-Vergangenheit “Bewegungsfreiheit, Mobilität und ein Gemeinschaftsgefühl“. Wenn Höcke mit diesem Bild für sich wirbt, rufe er also einen positiven “Assoziationskosmos“ ab: “Es schwingt ein rebellischer Gestus gegen den Mainstream mit: Wir sind authentisch, unentfremdet, ostdeutsch.” Und unideologisch, denn anders als andere Parteien tue sich die AfD in ihrem Selbstbild nicht schwer mit der ostdeutschen Identitätsdebatte.

Aber: Das Motiv lässt sich leicht auch als Code interpretieren. Erst vor wenigen Wochen gab es im sächsischen Zwickau ein Simson-Treffen, das bereits im vergangenen Jahr in den Medien war - weil Anwesende den Hitlergruß zeigten. Dieses Jahr hat unter anderem die taz eine Reporterin hingeschickt, die danach eine Gruppe junger Erwachsener auf dem Treffen so beschreibt (Opens in a new window):

Einer zeigt den Hitlergruß, vier grüßen mit demselben zurück. […] Mit Filzstift haben sie sich Hakenkreuze auf die nackten Oberkörper gemalt. Ein Mann aus der Gruppe trägt ein Shirt mit der Aufschrift ’Kraft durch Freude’.”

Höcke könnte sich also hier gezielt an diese “jugendlich und ostdeutsch geprägte Moped-Szene (Opens in a new window)“ richten. Dass er dafür auf einer Simson posiert, dagegen hat sich allerdings kürzlich der Enkel des Moped-Designers, Bruno Dietel, in der Freien Presse ausgesprochen. Er nannte es einen Missbrauch und eine Instrumentalisierung der DDR-Marke (Opens in a new window).

🖤🤍🧡 Schwarz-Weiß-Rot – nur ein Versehen?

Über ein weiteres Motiv mit verstecktem Code hat die Thüringer Allgemeine berichtet. Zu sehen sind darauf zwei Pipelines, vermutlich soll es sich um Nord Stream handeln - Gasleitungen, die von Russland nach Deutschland führen. Dabei steht ”Günstige Energie!”. Kenntlich machen das aufgemalte Deutschland- und Russlandflaggen. Die Leitungen waren als Reaktion auf die Sanktionen durch den Westen gegen Russland nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskriegs auf die Ukraine stillgelegt worden. Die AfD Thüringen wirbt hier vordergründig also mit einer Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit Russland und dem erneuten Bezug von russischem Gas.

Es gibt aber ein Detail, das die TA entdeckt hat. Durch die Deutschlandflagge geht eine waagerechte weiße Lichtreflexion. Es sieht deshalb so aus, als wäre die Deutschlandfahne Schwarz-Weiß-Rot-Gold. Die ersten drei Farben bilden die Reichsflagge. Die TA schreibt deshalb: “Spielt die AfD mit der Reichsflagge (Opens in a new window)?” Die AfD: streitet ab.

Katapult hat kürzlich einen Artikel zu rechten Codes veröffentlicht. Dort heißt es (Opens in a new window):

“Die Farben Schwarz, Weiß und Rot waren die Nationalfarben des deutschen Kaiserreichs und des Dritten Reichs. Daher werden diese Farbkombination und Flaggen von Rechtsextremen auch heute noch häufig gezeigt, um ihre politischen Absichten zu verdeutlichen. Außerdem nutzen sie die Flagge als Ersatz für die Hakenkreuzflagge, deren Zeigen strafbar ist.“

🤥 ”Alles für Thüringen” - einmal mehr die NS-Normalisierung

Auf einem weiteren Motiv ist Höcke vor dem Reichstagsgebäude zu sehen. Dazu der Spruch: “Fast schon verboten gut!“. Das ist wahrscheinlich eine Anspielung auf das vieldiskutierte Parteiverbotsverfahren, das der Verfassungsschutz derzeit gegen die AfD in Stellung bringen könnte. Wer dabei sicherlich im Fokus stehen dürfte, ist Björn Höcke, da er mittlerweile mehrfach verurteilt ist (Opens in a new window).

Der Grund: Er hat die verbotene SA-Losung “Alles für Deutschland (Opens in a new window)” von AfD-Bühnen gerufen oder Anwesende aufgefordert, die Losung mit ihm gemeinsam zu sagen. Die Gerichtsurteile werden auf dem Plakat ironisiert und positiv umgedeutet.

Das ist ein weiterer Versuch der “erinnerungspolitischen Wende“, die Höcke und Vordenker der Neuen Rechten schon lange umsetzen wollen, um endlich den deutschen “Schuldkult“ vergessen zu machen. Götz Kubitschek hat die deutsche Erinnerungskultur einmal “Vergiftung der Vergangenheit“ genannt, eine “der wirkmächtigsten Propaganda-Erzählungen“, die dazu führe, dass die Begriffe “Deutsches Volk“, “rechts“, “Schuld“ und “Holocaust“ auf emotionaler Ebene miteinander verdrahtet seien und “nicht mehr voneinander gelöst werden“ können.

Die gelebte Erinnerung an den Nationalsozialismus führt zu einem Distanzierungsreflex von extremen Rechten, den es in Deutschland lange gab und bei vielen noch immer gibt - der steht aber der AfD im Weg. Sie versucht ihn deshalb zu schleifen, indem sie beispielsweise immer wieder eine SA-Parole wiederholt und sie damit normalisiert oder leicht abgewandelt sogar zum Slogan des ganzen Wahlkampfes erhebt: “Alles für Thüringen (Opens in a new window)”. Auf einem Motiv ist es unscharf im Hintergrund an der Tafel zu sehen; im Landtagswahlprogramm steht es prominent und gut lesbar auf einer der ersten Seiten.

Daneben gibt es noch ein Detail: Höcke trägt auf dem Bild eine Sonnenbrille, darin spiegelt sich ein Flugzeug. Dabei dürfte es sich um das Hauptelement eines weiteren Plakats handeln. 👇

🛫 Perfider Plan zur “Remigration“

Gemeint ist dieses: ”Sommer, Sonne, Remigration!” Das steht in großen Buchstaben vor einem Flugzeug der ”Abschiebe-Hansa”. Eine Fluglinie also, die in der Fantasie der AfD wohl eigens für Abschiebungen zuständig ist. Das Versprechen: Wenn sie gewählt wird, wird von Thüringen aus massenhaft abgeschoben. Oder wie es die Neue Rechte mit ihrem Kampfbegriff bezeichnet: ”remigriert”.

Hier versucht die AfD einmal mehr, einen Begriff zu normalisieren und in die Debatte einzuschleusen, der auf den ersten Blick unverdächtig wirkt, der aber ein autoritäres bis rechtsextremes Handeln beschreibt. Der Soziologe Andreas Kemper erklärt diese Strategie so: “Sie wollen bestimmte Begriffe aussprechbar machen, damit in einer bestimmten Art und Weise gedacht werden kann, damit später in einer bestimmten Art und Weise gehandelt werden kann.“

Die Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl schreibt dazu (Opens in a new window): ”Mit ’Remigration’ wird versucht, einen Begriff in den demokratischen Gedankenaustausch einzubringen, der mit Demokratie nicht vereinbar ist. Er verhüllt und beschönigt Vertreibung und ethnische Säuberung.” Es sei deshalb wichtig, den Begriff immer wieder zu erklären und ihn nie in den normalen Diskurs ”hinaufzuwürdigen”.

Das Perfide an dem Thüringer AfD-Wahlplakat ist nun: Es zeigt genau diese “Remigration“, stellt sie aber vor einem strahlend blauen Himmel als erholsame Urlaubsreise dar, als etwas Schönes, positiv aufgeladen. Diese Verbindung will vermutlich derzeit auch Martin Sellner (Opens in a new window), der rechtsextreme Identitäre, ziehen. Er hat auf seiner ”Lesereise” in Passau ”einen Aperol-Spritzstand” aufgeschlagen, um über ”Remigration” zu sprechen.

Lockere Atmosphäre, ein kühles Getränk, ein autoritärer Plan.

So viel für diese und bis zur nächsten Woche - dann widmen wir uns Teil II!

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