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Die versteckten Wahlkampf-Botschaften der Thüringer AfD (II)

Guten Morgen,

tolle Neuigkeiten in eigener Sache: Wir durften eins von drei Sommerinterviews im Podcast “Wochendämmerung“ geben! Katrin Rönicke und Holger Klein klamüsern darin jede Woche gesellschaftliche Themen auseinander und haben mit uns vor ihrem Urlaub über rechte Sprache gesprochen. Hört mal rein 👇

https://open.spotify.com/episode/3cFopanvB8gnUQiIZeVIHj (Opens in a new window)

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Passt auf euch auf und genießt die letzten Sommerwochen!

Um was geht’s?

“2024: Die Bundesrepublik versinkt im Chaos, Massenmigration, Messermänner, Gender-Gaga, und überall NPCs mit ihren Lastenrädern!

Können wir Deutschland noch retten? JA!”

Mit diesen Worten beginnt das Spiel Deutschlandretter24. Dahinter steckt die Junge Alternative (JA), die rechtsextreme Nachwuchsorganisation der AfD.

Pünktlich zum Wahlkampf in den ostdeutschen Bundesländern hat sie das Mini-Game herausgebracht und will damit die Landesverbände ihrer Mutterpartei unterstützen.

Wie genau, dazu später mehr.

Heute geht es noch einmal um die Medien-Kampagne der Thüringer AfD (hier das Video auf Youtube mit allen Motiven (Opens in a new window)). Kurz zusammengefasst, was wir vergangene Woche geschrieben haben: Die rechtsextreme Partei verfolgt zwei Ziele. Sie will sich einerseits selbstverharmlosen, gleichzeitig aber auch ideologisch überzeugte Wähler:innen ansprechen. Diesen Spagat schafft sie mit vordergründig harmloser bis positiver Bildsprache und kleinen inhaltlichen Dogwhistles - also Details, die nur Eingeweihte sehen und als rechtsextremen Code erkennen.

Wir haben für dich noch einmal genau hingeschaut, was hinter den Codes steckt! 🕵️‍♂️🕵️‍♀️

Wer spricht da?

Die Junge Alternative (JA). Die AfD-Nachwuchsorganisation gibt es in allen 16 Bundesländern. Rund 4.000 Menschen sollen dort aktiv sein, heißt es im aktuellen Verfassungsschutzbericht (Opens in a new window) (S. 117 ff). Die JA taucht dort auf, weil sie als gesichert rechtsextreme Bestrebung geführt wird. Begründet wird das so:

“Die Ideologie der JA ist durch einen ethnisch-kulturell geprägten Volksbegriff bestimmt, der im Widerspruch zum Volksverständnis des Grundgesetzes steht.“ Es gehe ihr um den Erhalt des “autochthonen Staatsvolkes“, weshalb sie “Remigration“ fordere - “damit ist im Verständnis der JA eine freiwillige oder erzwungene Rückwanderung von Menschen mit Migrationshintergrund gemeint, auch unabhängig von deren Staatsangehörigkeit.”

Auch wenn die JA die Nachwuchsorganisation der AfD ist, ist sie in der Mutterpartei nicht unumstritten. Der Grund: Laut taz fungiere sie wie ein ”Radikalisierungsmotor (Opens in a new window)”, weil viele ihrer Formulierungen deutlich schärfer seien als in der AfD, die ja bereits völkisch-nationalistisch dominiert sei.

Deshalb haben in Nordrhein-Westfalen beispielsweise führende AfDler die Mitglieder der JA dazu aufgerufen, aus der Nachwuchsorganisation auszutreten. Der Grund: Mit manchen Positionen, die unvereinbar mit dem Grundgesetz seien, stelle die JA ”eine ernste Gefahr für den Fortbestand und die Handlungsfähigkeit (Opens in a new window)“ der AfD dar.

Aber die JA hat einen starken Fürsprecher innerhalb der AfD: Björn Höcke setzt sich immer wieder für sie ein. Bei einem Gespräch mit Götz Kubitschek sagte er während der sogenannten Winterakademie in Schnellroda - einem neurechten Vernetzungstreffen des mittlerweile aufgelösten rechtsextremen Instituts für Staatspolitik: “Alles, was in Richtung Abspaltung der JA geht, wird von mir den entschlossensten Widerstand erleben. Das kann ich sehr deutlich sagen.” Es brauche zwischen AfD und JA unbedingte Solidarität.

Der Grund liegt vor allem in einem langfristigen strategischen Interesse. Das erklärt Felix Steiner von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Thüringen im MDR so (Opens in a new window): “Björn Höcke hat schon vor Jahren [...] formuliert: Es geht um die Prägung des Zeitgeistes als Vorbedingung der politischen Machtergreifung.” Um die ideologische Hoheit zu erringen, spiele die Junge Alternative eine zentrale Rolle, um ”vor allem in den Sozialen Netzwerken die Jugend zur AfD zu ziehen”.

Auch Götz Kubitschek formuliert es ähnlich. Demnach schaffe es die JA, “mit Internetformaten [...] Kontakt in die so wichtige und desillusionierte Gruppe junger Leute und Wähler” herzustellen.

Wie die Nachwuchsorganisation der AfD das macht, damit fangen wir heute an.

Das ist die Strategie dahinter

Vor wenigen Tagen hat die JA ein Onlinespiel veröffentlicht. Es heißt Deutschlandretter24. Es ist eine Art Puzzle, in dem es darum geht, benachbarte Motive auf dem Spielfeld zu vertauschen, um so gleiche Motive in eine Reihe zu bringen. Sind sie in einer Reihe, lösen sie sich auf und neue Motive kommen nach. Es ist also das gleiche Prinzip wie beim Spielehit “Candy Crush”.

Klingt harmlos und so soll es auch wirken. Aber jedes Motiv bedient rassistische oder diskriminierende Narrative. Das zeigen die angeblichen “Bedrohungen“, vor denen Deutschland gerettet werden soll: Massenmigration, Messermänner, Gender-Gaga oder NPCs auf Lastenrädern. (NPC steht im Online Gaming für non-player Character - also Figuren, die dazu beitragen, dass ein Spiel realistischer wirkt, beispielsweise ein vorbeilaufend Spaziergänger. Sie sind programmiert, man kann sie nicht spielen, sie sind simpel gehalten und machen immer das gleiche im Spiel. In rechtsextremen Kreisen wird NPC für Menschen verwendet, die man dem politisch linken oder liberalen Lager zuordnet. Rechtsextreme schreiben ihnen zu, dass sie sich für einzigartig hielten, in Wahrheit aber lediglich “Teil einer grauen konformistischen Masse” seien.)

Hier werden also typische Feindbilder der extremen Rechten gezeichnet. Bringt man drei blutende Dolche (”Messermänner (Opens in a new window)”) in eine Reihe, ertönt ein Martinshorn, die hat man quasi inhaftieren lassen. Bringt man drei dunkle Männer mit Kapuzen, so genannte ”Talahons” (Erklärung weiter unten) in eine Reihe, ertönt der Ruf ”Abschieben” und ein Flugzeug erscheint. Bringt man drei Lastenräder in eine Reihe, hört man ein Motorengeräusch - sie wurden motorisiert. Und so weiter.

Aufmachung, Sprache und Ton des Spiels sind dabei auf junge Menschen zugeschnitten. Auf seinem Telegram-Kanal verbreitet Björn Höcke ein Video der Jungen Alternativen, das die ganze Story erklärt: Der Protagonist des Spiels ist Chad, eines der bekanntesten Internet-Memes. Der bärtige blonde und blauäugige Mann steht für einen ”attraktiven bei Frauen sexuell erfogreichen Mann (Opens in a new window)” und soll den typischen AfD-Wähler verkörpern.

Er rettet im Spiel eine Frau, ebenfalls als bekanntes Meme dargestellt: Trad-Girl (Opens in a new window). Sie verkörpert laut Amadeu Antonio Stiftung (Opens in a new window) ”eine Frau, die Wert auf das Aufrechterhalten traditioneller Werte legt [...] und als positiv konnotiertes Gegenstück zur Feministin fungiert.” (Über die Tradwife-Kultur haben wir auch schon geschrieben (Opens in a new window).)

Trad-Girl jedenfalls wird von einem “Talahon“ angegriffen - eine ”stereotypische Darstellung des migrantisch gelesenen jungen Mannes”, die mittlerweile ebenfalls zum Meme geworden ist. Buzzfeed schreibt, dass das Talahon-Meme genutzt werde, ”um gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu hetzen und teilweise sogar Abschiebungen zu fordern (Opens in a new window)”.

Außerdem wird in dem Spiel auf die identitäre queerfeindliche Stolzmonat-Kampagne aufmerksam gemacht (”erreiche Stolz-Kombos”) und dazu aufgerufen, NPCs für die AfD ”zu rekrutieren”.

Die JA erfüllt mit dem Spiel also genau den Auftrag, den ihr Höcke und Kubitschek erteilt haben: Sie spricht jetzt vor den Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern gezielt junge Menschen an. Auf den ersten Blick ist das ganze harmlos, gamifiziert aber Rassismus und Diskriminierung. Eine Form des sogenannten Mitmachfaschismus (Opens in a new window).

Deutschlandretter24 passt damit sehr genau in die Strategie, die auch der Thüringer Landesverband mit seiner Kampagne verfolgt: radikal sein und dabei harmlos aussehen.

Der zentrale Claim des Wahlkampfs: “Der Osten machts!” Der Politikberater Johannes Hillje nennt ihn aktivierend und identitätsstiftend. Vermutlich, um diese Ziele zu verfolgen, hat die AfD auch einen Popsong produzieren lassen. Der Refrain geht so:

“AfD wir stehen hier, für unser Land,

für unser Recht, für Freiheit und für Ordnung,

dafür kämpf ich und dafür sprech’ ich,

für die Zukunft unserer Kinder,

für ein Deutschland stolz und frei”

Und die AfD-Wahlkampfveranstaltungen haben auch einen besonderen Namen: “Sommerfeste”. Die rechtsextreme Partei versucht offenbar, ihre Politik als gemeinschaftsstiftendes und positives Event zu vermarkten.

Wir sind letzte Woche schon auf einige Motive der Kampagne eingegangen und wollen hier noch einige weitere Motive besprechen, die auf den ersten Blick versteckte Details besitzen.

↗ Ausländerkriminalität und Linke Unfähigkeit

Das erste zeigt eine weiße Frau, tränenverschmiert. Nach ihr greifen vor allem schwarze Hände. Die Überschrift: ”Leben ohne Angst!”. Es braucht nicht viel Interpretationsfähigkeit, um die Botschaft zu verstehen.

Weiße Frauen sollen durch People of Colour (POC) in Deutschland Gewalt erleben und deshalb in ständiger Angst leben. Die AfD, so das Versprechen, will das beenden.

Um die Aussage des Plakats zu verstärken, hat die Partei klein und blass am Rand des Motivs ein Diagramm eingearbeitet - “Anstieg der Ausländerkriminalität“ steht darüber. Es zeigt eine Entwicklung über die Zeit mit jeweils größeren Balken. Es soll nahelegen, dass die Gewalt durch Ausländer:innen in Deutschland zunimmt. Wer sich für einen Faktencheck zu dem Thema interessiert, dem können wir diese Episode der Lage der Nation (Opens in a new window) ans Herz legen. Kurz: Weder fußt die gezeigte Entwicklung der Balken auf realen Zahlen, noch stimmt die angedeutete Aussage dahinter.

Das zweite Motiv zeigt eine Deutschlandflagge mit den Worten: ”Und Tschüss, Bodo!”

Gemeint ist Bodo Ramelow, Linken-Politiker und amtierender Ministerpräsident in Thüringen. Ihn will die AfD ablösen und erinnert hier deshalb an einen mehrere Jahre zurückliegenden Aufreger: 2021 hatte Ramelow während eines nächtlichen Gesprächs in der App Clubhouse erzählt, dass er gerne Candy Crush spiele - auch während Ministerpräsident:innenkonferenzen, in denen damals über Coronamaßnahmen entschieden wurde.

Diesen März nun hat Ramelow bei einer ”Fuck-up-Night”, einer Veranstaltung, auf der man Fehler und Entgleisungen zugibt, erzählt, dass er vor dem Clubhouse-Gespräch drei Bier getrunken habe.

Darauf spielt die AfD nun an, indem sie neben die Worte ”Und Tschüss, Bodo!” Candy-Crush-Symbole und eine offene Weinflasche positioniert. Das soll wohl suggerieren: Es war kein einmaliges Fehlverhalten, sondern der Linken-Politiker ist regelmäßig außer lage, Politik zu betreiben, weil er sich mit Spielen ablenkt oder zu viel Alkohol trinkt.

🌈 Heimat und Queerfeindlichkeit

Das vorletzte Motiv, das wir besprechen wollen, zeigt die Worte “Heimat statt Multikulti“. Auf der ersten Ebene wird hier ein Gegensatz zwischen der sogenannten “Multikulturalisierung“, also letztlich zwischen Migration, und “Heimat“ hergestellt. Bislang ersetze, so wird es ja hier unterstellt, Multikulti die deutsche “Heimat“.

Wenn man das so ausschreibt, ist der Weg nur noch ein kurzer hin zur verschwörungsideologischen Erzählung des sogenannten Großen Austauschs, der hier suggeriert wird - das ist ein rechtsextremes neorassistisches Meta-Narrativ, wonach angeblich “eine europäische ’Stammbevölkerung’ durch kulturell ’fremde’ Bevölkerungsgruppen ersetzt werde (Opens in a new window)” - das schreibt das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft.

Unterschieden werden die Völker anhand ihrer Kulturen. Die sind im neurechten Weltbild unvereinbar und dürfen deshalb nicht miteinander vermischt werden, weil sie nur in ihren vorgesehenen homogenen Räumen ”erfolgreich” sein können. Es ist daher ein rassistisches Weltbild, weil es dem Ideal eines ethnisch-homogenen Volks nacheifert. Wer nun die AfD wählt, so das Versprechen, der setzt sich für den Schutz der Heimat ein - und ist gegen Migration.

Auf der zweiten Ebene, in dem Fall im Hintergrund, will die AfD diesen “Heimatschutz“ mit einem weiteren Thema verknüpfen - der rechtsextremen Kampagne gegen den Pride Month: dem Stolzmonat. (Opens in a new window) Diese Kampagne hat ein eigenes Logo, eine abgewandelte Regenbogenfarbe in sieben Schwarz-, Rot- und Goldtönen. Und genau dieses Logo ist auf dem Thüringer Wahlkampf-Motiv zu sehen.

Das Ziel der Stolzmonat-Kampagne: “Das queerfeindliche, nationalistische Grundrauschen zu normalisieren (Opens in a new window)” und gegen LGBTQIA+-Menschen zu mobilisieren.

Denn für die AfD gibt es nur Mann und Frau, wie ein letztes Motiv zeigt, mit dem die Partei in Thüringen Wahlkampf macht. Darauf steht: ”Es gibt nur zwei!” Dahinter: eine männliche und eine weibliche Figur vor blauem und rosa Hintergrund.

Vor allem vor der aktuellen Kulturkampf-Debatte (Opens in a new window) um eine angebliche trans Boxerin bei Olympia, auf die sich das neurechte Vorfeld derzeit stürzt und das große Resonanz in den Medien erzeugt, zeigt sich wieder einmal: Die AfD hat ein gutes Gespür dafür, welche Themen gerade die Gesellschaft polarisiert - klar, sie sorgt auch selbst mit ihrem Vorfeld für Aufregung und eine Vergrößerung des Themas - aber sie schafft es eben auch, die Debatte zu lenken und die Themen in den Wahlkampf hineinzutragen.

So macht sie gesellschaftliche Debatten zu politischen - und das zu ihren Bedingungen und aus ihrer Deutungshoheit heraus.

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