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Das Wahlprogramm der Thüringer AfD (Teil I)

Hallöchen,

wie versprochen beschäftigen wir uns diese und nächste Woche mit den Inhalten des Wahlprogramms der AfD in Thüringen. 👀

Warum Thüringen? Es ist mit Abstand das umfangreichste Wahlprogramm für die anstehenden Landtagswahlen - mit 148 Seiten.

Und: In Thüringen steht mit Björn Höcke der wohl bekannteste Vertreter seiner Partei zur Wahl. Gerade erst sind zahlreiche Beiträge über ihn erschienen: In der ARD-Mediathek findest du bei Interesse “Höcke. Und seine Hintermänner. (Opens in a new window)” Die SZ hat einen großen Artikel geschrieben: “Einer mit Geschichte (Opens in a new window)” und einmal mehr Höcke selbst zu Wort kommen lassen, anstatt besser über ihn zu schreiben. Und auch der Spiegel titelte gerade: “Wie Faschismus beginnt (Opens in a new window)” und reiht Höcke bei Trump und Orbán ein (auf einer Stufe mit ehemaligen Staatsoberhäuptern also).

Das Wahlprogramm ist das eine, was Höcke auf Grundlage von Aussagen in Thüringen planen könnte, das hat der MDR (Opens in a new window) vor einigen Monaten schon mit einer Reihe von Expert:innen aufgelistet.

Zuguterletzt noch einmal ein Reminder an die Sonderposition Thüringens: Hier hofft die Partei mindestens einen wichtigen politischen Posten besetzen zu können oder aber die Sperrminorität zu erreichen - stellt sie ein Drittel der Abgeordneten, kann sie beispielsweise in Zukunft verfassungsändernde Abstimmungen im Parlament blockieren. Diese und weitere mögliche Folgen der Thüringer Landtagswahl hat Franzi von Kempis in dieser Newsletter-Ausgabe (Opens in a new window) von “Adé AfD” aufgelistet.

Insgesamt stehen ja drei Landtagswahlen an. Welche programmatischen Unterschiede die AfD in den jeweiligen Bundesländern aufweist, damit hat sich ein Sozialethiker beschäftigt und einige Aspekte herausgearbeitet (Opens in a new window) (vor allem mit Bezug zu Glaube und Kirche).

Euch nun viele interessante Erkenntnisse und wenn ihr unsere Arbeit unterstützen wollt, könnt ihr das ab 1,50 Euro / Ausgabe tun.

Alles für Thüringen

Das Wahlprogramm, der als gesichert rechtsextremistisch eingestuften AfD in Thüringen, beginnt mit einem Volkslied. Drei Strophen kurz, “Für Thüringen” heißt es, geschrieben im Jahr 1912 von Franz Langheinrich. Ist das einfach eine schöne Idee, um sich künstlerisch auf das eigene Bundesland zu beziehen? Wenn es nach der AfD geht: natürlich. Sie will hier Kunst und Künstler trennen.

Das hat einen guten Grund, wie mittlerweile viele Medien aufgezeigt haben. Denn Langheinrich war “glühender Nationalsozialist” und Redakteur der NS-Zeitschrift Völkischer Beobachter, in der er “von Hitler schwärmte und gegen ‘semitische Untermenschen’ hetzte”. Das schreibt beispielsweise die Welt (Opens in a new window). Weiter heißt es in dem Artikel, dass Langheinrich “Teil der völkischen und nationalistischen Deutschen Kunstgesellschaft” war und sich für eine “rein deutsche” und gegen “eine Verrottung” der Kunst einsetzte.

Auch der Volksverpetzer (Opens in a new window) hat über den ideologischen Hintergrund des Dichters geschrieben und in einen Zusammenhang mit dem zentralen Wahlkampfslogan der AfD Thüringen gebracht. Der lautet: “Alles für Thüringen!”. Eine Abwandlung des heute verbotenen SA-Spruches “Alles für Deutschland (Opens in a new window)”, den Höcke mindestens zweimal öffentlich benutzt hat, deswegen vor Gericht stand und auch verurteilt wurde.

Ein überzeugter Nazidichter und ein leicht angepasster, weil ansonsten verbotener, SA-Slogan auf den ersten drei Seiten des Wahlprogramms: “Das sind keine Provokationen, mit denen die Partei nur ihre politische Konkurrenz verspotten will. Nein, diese Parolen sind mittlerweile ernst gemeint”, schreibt deshalb der Volksverpetzer.

Doch auch wenn der Vorspann eine faschistische Dogwhistle (Opens in a new window) ist, in ihrem Wahlprogramm selbst gibt sich die AfD Thüringen gemäßigt, ihre Wortwahl ist implizit, kein einziges Mal sind beispielsweise die rechtsextremen Kampfbegriffe “Remigration” und “Ethnopluralismus” zu finden. Wobei ersteres 2019, bei der letzten Landtagswahl (Opens in a new window), noch enthalten war.

Dafür könnte es einen einfachen Grund geben: ein mögliches Parteiverbotsverfahren. Voraussetzung dafür ist, dass eine Partei die freiheitliche demokratische Grundordnung “zumindest beeinträchtigen oder gar ganz beseitigen möchte (Opens in a new window)”, dass sie also gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip oder das Rechtsstaatsprinzip planvoll vorgeht oder vorgehen will. Das muss sich aus ihren Zielen ergeben - idealerweise aus dem Parteiprogramm. Das Problem:

Anders als bei der NPD ergibt sich die Verfassungsfeindlichkeit der AfD nicht aus dem Programm. Und selbst wenn die AfD mit verfassungsfeindlichen Aussagen aus ihrem Umfeld in Verbindung gebracht wird, distanziert sie sich davon”, erklärt der Verfassungsjurist Christian Rath bei Legal Tribune Online (Opens in a new window).

Auch das Wahlprogramm der AfD in Thüringen ist - bewusst oder nicht - verhältnismäßig harmlos oder schwammig gehalten. Aus dem Grund lohnt sich ein genauerer Blick. Wir haben uns einige Punkte herausgesucht, die - neben vielen anderen - besonderer Aufmerksamkeit bedürfen.

Da das Programm 148 Seiten hat, bieten wir euch diese Woche einen ersten und nächste Woche einen zweiten Teil mit unserer Analyse von Auszügen des Programms im Newsletter.  

🛑 Gegen das Zensurverbot und für freie Medien!

Kapitel 01 / Seite 8: “Die Vielfalt der Meinungen muss sich auch in der Medienlandschaft widerspiegeln. Indessen müssen wir feststellen, dass sich der Meinungskorridor in den klassischen Medien und insbesondere im öffentlich-rechtlichen Rundfunk während der letzten Jahre zunehmend verengt hat. Auch im Internet greifen Zensurmaßnahmen und die Behinderung von nicht regierungskonformen Meinungsäußerungen um sich. Die Thüringer AfD bleibt dabei, dass das Zensurverbot des Grundgesetzes umfassend gilt und umzusetzen ist. Nur mit einem wirklich freien Internet kann den demokratiegefährdenden Entwicklungen entgegengewirkt werden.”

Im Wahlprogramm fordert die Thüringer AfD ein “wirklich freies Internet”, weil sich in ihren Augen der “Meinungskorridor” verengt habe - vor allem in den klassischen Medien und beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber auch online würden Zensurmaßnahmen “gegen nicht regierungskonforme Meinungsäußerungen” um sich greifen.

Was wird hier suggeriert: Auf den digitalen Plattformen würden legitime Meinungsäußerungen gelöscht und klassische Medien befänden sich auf Staatslinie, sonst würden sie ja zensiert. Die Regierung gibt also Inhalte vor, die Medien und Plattformen folgen der “Meinungsdiktatur” und helfen bei der Machtbewahrung und schießen gegen die Opposition. Das passt zu klassischen medienfeindlichen Narrativen der AfD, wie “Staatsfunk”, “Systemmedien”, “Lügenpresse” und “Lückenpresse” oder “Kartellmedien”, wie sie etablierte Medien oft betiteln, wenn diese beispielsweise die teils rechtsextreme Ideologie der AfD thematisieren.

Ausgenommen von der Kritik dürfte der Kurznachrichtendienst X sein, auf dem es praktisch keine Moderation mehr gibt und der laut dem Soziologen Andreas Kemper zu einem “profaschistischen Projekt (Opens in a new window)” und “Shithole” verkommen sei. Und ebenfalls ausgenommen: AfD-nahe Medien, die sogenannten “freien Medien”, wie sie etwa der neurechte Götz Kubitschek bezeichnet.

Diese bieten AfD-Inhalten digitale Bühnen und verbreiten so unkritisch extrem rechte Ideen. Sie sollen deshalb in Zukunft eine größere Rolle und Reichweite bekommen. Dafür plant die AfD Thüringen einerseits den “Grundfunk”, also die Eindampfung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks “auf vielleicht zehn Prozent (Opens in a new window)” und eine Finanzierung über Steuern und nicht mehr über Rundfunkgebühren (was ihn dann dann wirklich zu seinem Staatsfunk machen würde).

Andererseits will die AfD nur noch mit “ihren” Medien sprechen und deren Bedeutung so erhöhen. Kubitschek erklärte die Strategie im Frühjahr so (Opens in a new window): “Die Idee ist, dass ihr [gemeint sind alle AfD-Politiker:innen - Anm. der. Red.] Regierungsmedien keine Interviews und keine Stellungnahmen mehr gewährt, wenn sie nicht vorher exklusiv in den freien Medien ventiliert wurden, und den Bürger und das Establishment so zwingt, auf diese freien Medien zuzugreifen.”

Björn Höcke antwortete darauf: “Ich praktiziere das sehr ausgiebig, […] weil über die öffentlich-rechtlichen Sender nur Regierungspropaganda veräußert wird.”

Die AfD wünscht sich also kritiklose Verbreitung ihrer Ideologie, keinen Widerspruch, keine journalistische Einordnung, kein Gatekeeping, keine Kontrolle. Sie schreibt aber: “für eine freie Medienlandschaft”.

👨‍⚖️👩‍⚖️ Die Justiz in Thüringen muss geschützt werden - oder doch nicht?

Kapitel 03 / S. 18: “Wer als Ostdeutscher vor einem Richter steht, soll darauf vertrauen können, dass bei der Beurteilung seines Falls in Thüringen durch die Justiz auch die spezifisch ostdeutschen Lebenserfahrungen und Perspektiven berücksichtigt werden. […] Wir werden uns dafür einsetzen, dass Parteien zukünftig weder direkt noch indirekt Einfluss auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten haben.”

So steht es im Kapitel “Innere Sicherheit” des AfD-Wahlprogramms. Die Aussage ist interessant, weil sie vordergründig Glauben machen will, dass die AfD die Gewaltentrennung hochhalten und eine politische Einflussnahme auf die Justiz ausschließen möchte. Denn genau die besteht derzeit, schreibt sie weiter, weil nur “Personen als Verfassungsrichter ins Amt” gebracht würden, die “im Vorfeld eine Unterstützung der Regierungspolitik zu erkennen gegeben haben”. Deshalb falle es schwer, “die Justiz ungebrochen als neutrale, unabhängige dritte Gewalt wahrzunehmen”.

Hier teilt sie einmal mehr ihre Erzählung, dass sich die Regierung nur durch Machtmissbrauch halten würde. Die Stoßrichtung ist klar: Das juristische Vorgehen gegen die AfD, wie in den Klagen gegen Höcke, ist in Wahrheit politisch gewollt und somit nicht legal.

Die AfD will also Gewaltenteilung und damit den Rechtsstaat wiederherstellen. Oder? Nicht ganz: Denn nur wenige Zeilen später beschreibt die AfD ein Vorhaben, das sich wirklich als politische Einflussnahme auf die Justiz interpretieren lässt. Noch auf derselben Seite des Wahlprogramms steht, dass der Anteil Ostdeutscher in der Thüringer Justiz gezielt gefördert werden solle. “Damit Ostdeutsche, die “vor einem Richter stehen”, darauf vertrauen könnten, dass bei ihrer Beurteilung die “spezifisch ostdeutschen Lebenserfahrungen und Perspektiven berücksichtigt werden”.

Die AfD will hier praktisch eine Quotenregelung einführen, was ironisch ist, weil sie diese an anderer Stelle aggressiv bekämpft. So schrieb die Bundes-AfD 2020 in einem Gesetzesentwurf (Opens in a new window) zur Frauenquote, dass Regelungen, “die geschlechtsbezogen Einfluss auf die Postenbesetzung in Wirtschaftsunternehmen nehmen, sowohl Frauen als auch Männer in verfassungswidriger Weise diskriminieren” und Frauen, aufgrund einer Quote befördert, nur als “Quotenfrau” angesehen werden würden.

Was die Thüringer AfD außerdem bezwecken will, ist einmal mehr das Hervorheben einer “spezifischen” ostdeutschen Identität verbunden mit der Selbstdarstellung, man würde - im Gegensatz zu allen anderen Parteien - besonderes Verständnis dafür haben.

Diese Strategie erklärt Rechtsextremismus-Experte David Begrich in der Zeit so (Opens in a new window): Die AfD eigne sich “Aspekte eines ostdeutschen Lebensgefühls und der dortigen Alltagskultur an, und zwar mit dem Ziel, sich als authentische, einzig legitime Vertreterin ostdeutscher Interessen zu inszenieren”.

Ausgerechnet der Thüringer Landesverband versucht das, mit einem Björn Höcke an der Spitze, der in Nordrhein-Westfalen geboren wurde, der in Rheinland-Pfalz aufwuchs und der bis 2014 in Hessen als Lehrer gearbeitet hat. Auch hier also ein klaffender Widerspruch: Während Richter:innen thüringischen Stallgeruch haben sollten, um besser über Angeklagte richten zu können, stellt sich diese Frage beim angehenden Landesvater, der für alle Thüringer:innen entscheiden soll und der Höcke ja gern sein möchte, offenbar nicht.

Es gibt noch einen letzten Aspekt, den wir hier erwähnen wollen. Wenn die AfD den “Anteil Ostdeutscher in der Justiz gezielt fördern” will, dann kündigt sie damit an, den Status Quo an Gerichten ändern und offene Posten in ihrem Sinne besetzen zu wollen.

Diese Gefahr - als Vorbild dürfte der Supreme Court in den USA dienen, für den Donald Trump drei ultrakonservative Richter:innen selbst ernannt hat, was heute am höchsten Gericht eine konservative Mehrheit von 6 zu 3 Stimmen (Opens in a new window) bedeutet - hat auch das Team vom Verfassungsblog benannt. Das widmet sich seit einiger Zeit dem Thüringen-Projekt, in dem er herausfinden will, was “autoritär-populistische Parteien mit staatlichen Machtmitteln” anstellen könnten - Parteien also, wie die AfD eine ist.

In einem Policy Paper (Opens in a new window) schreiben die Rechtsexpert:innen: “Die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichtshofs ist besonders gefährdet, wenn eine autoritär-populistische Partei über ein Drittel der Sitze im Parlament erreicht und diese sogenannte Sperrminorität gezielt nutzt, um die Neubesetzung von Richterposten am Verfassungsgerichtshof zu verhindern.” Und: Mit so einer Blockade könnte die Wahl eigener Kandidat:innen erpresst werden.

Was die AfD damit plant, passt ins Bild. Extrem rechte Akteur:innen wollen schon lange die Rechtssprechung in ihrem Sinne beeinflussen. So riefen laut MDR (Opens in a new window) beispielsweise die Freien Sachsen, aber auch Björn Höcke, vor Jahren schon Anhänger:innen dazu auf, an Schöff:innenwahlen teilzunehmen. Sie wären dann Laienrichter:innen und könnten über Schuld und Unschuld der Angeklagten mitentscheiden.

Und was Björn Höcke übrigens von einer Justiz hält, die ihn für die Verwendung einer verbotenen Parole aus der Zeit des Nationalsozialismus verurteilt, sagte er kürzlich auf Telegram (Opens in a new window).

Seine Aussage lässt erahnen, ob der AfD-Landesvorsitzende wirklich die Unabhängigkeit der Justiz akzeptieren würde: “Ich verspreche euch. Wenn die AfD an der Regierung ist, werden diese politischen Schauprozesse aufgearbeitet, dann wird es wieder eine neutrale Justiz geben.”

🕵️‍♂️ Weg mit dem korrupten Verfassungsschutz!

Kapitel 03 / S. 21: “Der Inlandsgeheimdienst ist aufgrund seiner freiheitsfeindlichen Einflussnahme auf Bestandteile der freiheitlichen-demokratischen Grundordnung, seiner personellen Ausgestaltung und seiner offenkundigen politischen Beeinflussbarkeit die größte Gefahr für unsere Demokratie. […] In den letzten Jahren verschärfte sich die Tendenz, Äußerungen, die vom Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützt sind, als rassistisch, sexistisch oder gleich als verfassungsfeindlich zu diffamieren. Auch aufgrund der historischen Erfahrungen, die in dieser Praxis ihre Fortsetzung finden, erweist sich der Inlandsgeheimdienst letztendlich als unreformierbar. Wir wollen daher den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form abschaffen.”

Ähnliche Töne schlägt die AfD Thüringen an, wenn es um den Verfassungsschutz geht. Den will sie einstampfen, weil er angeblich korrumpiert und längst nur noch Regierungswerkzeug sei. Die Partei schreibt im Wahlprogramm, dass der Inlandsgeheimdienst “die größte Gefahr für unsere Demokratie” sei und “nicht nur im Freistaat Thüringen offen zur Bekämpfung und Unterdrückung friedlicher Opposition missbraucht” werde. Der Verfassungsschutz sei mit “linksextremistischen Institutionen und Personen” verflochten, seine Arbeit “auf die wirtschaftliche, soziale und politische Vernichtung von Oppositionellen gerichtet”.

Diese Verschwörungserzählungen sind nicht neu. Die AfD will damit die Behörde als gesteuertes Instrument der Regierung delegitimieren. Im Kern lautet der Vorwurf: Der Verfassungsschutz handle nicht unabhängig, sondern auf Weisung der Regierung. Er diene ihrem Machterhalt und solle den Aufstieg der AfD verhindern. Wenn nötig, greife der Verfassungsschutz dafür sogar zum groben Besteck und stufe die AfD als rechtsextrem ein. Das sei in Wahrheit aber haltlos.

Ein weiteres Ziel der Erzählung ist deshalb Selbstverharmlosung. AfD-Anhänger:innen (oder noch Unentschiedene) sollen glauben, dass die Einstufung der AfD politische Willkür sei und nicht aufgrund rechtsextremistischer, verschwörungstheoretischer, rassistischer oder antisemitischer Aussagen und Positionen.

Der argumentative Zirkelschluss: Wird der Verfassungsschutz nur durch die Regierung instrumentalisiert, sind alle Aussagen von AfD-Politiker:innen, die zur Einstufung als rechtsextremistisch herangezogen wurden, in Wahrheit legitime oppositionelle Kritik - offensichtlich zu unangenehm für die Regierung, um sie stehen zu lassen. Die AfD will deshalb den Verfassungsschutz, den sie als unreformierbar bezeichnet, “in seiner jetzigen Form abschaffen”.

👨‍👩‍👧‍👦 Die Kernfamilie ist nicht queer!

Kapitel 04 / S. 26: “Im Mittelpunkt der Betreuung in Kindergärten und Krippen stehen altersgerechtes Spielen und kindgerechtes Lernen. Sexualerziehung hingegen ist das primäre Recht und die Pflicht der Eltern und muss mit der körperlichen und der seelischen Entwicklung der Kinder übereinstimmen. Sie sollte daher nicht im Kindergarten oder in der Grundschule erfolgen. Die AfD lehnt eine detaillierte Darstellung und Erläuterung von sexuellen Praktiken, die Infragestellung des eigenen Geschlechts und die Propagierung ‘queerer’ Lebensweisen im Rahmen der Kindergartenpädagogik entschieden ab.”

Im nächsten Kapitel verteilt die AfD Thüringen Wahlkampfgeschenke - und zwar an Familien. 10.000 Euro pro Kind soll es geben, steuerfrei über fünf Jahre. Das passt, lautet einer der aktuellen Slogans der AfD doch: “Fachkräfte machen wir selbst!” Abgebildet dazu ist ein weißes Heteropaar, einer der beiden (vermutlich nicht er) hat schwarz-rot-gold-lackierte Fußnägel.

Auch wenn Familienpolitik auf dem Etikett steht, betreibt die AfD mit solchen Aussagen und Anreizen doch vielmehr völkische Bevölkerungspolitik (Opens in a new window). Weil sie ihre “aktivierende Familienpolitik” immer wieder als Argument gegen Zuwanderung setzt. Ihr Ziel: mehr “ethnisch deutsche Kinder” statt Migration. Das ist nicht nur unrealistisch (Opens in a new window), sondern laut Amadeu Antonio Stiftung (AAS) auch eine typische Position für die extreme Rechte. In “Analysen zu Geschlecht und Rechtsextremismus (Opens in a new window)” steht, dass die extreme Rechte stets eine “traditionelle” Familie imaginiere, die “weiß sein und aus einem möglichst lebenslang verheirateten heterosexuellen Paar und vielen gesunden Kindern bestehen soll.” Der Grund: “Familie wird in den Dienst von Bevölkerungspolitik gestellt und bildet die kleinste Zelle der Gesellschaft respektive der ‘Volksgemeinschaft’ ab.”

🎓 Gegen die Frühsexualisierung von Kindern!

Kaptiel 05 / S. 34: “Unzulässig sind demnach eine einseitige politische Indoktrination und Einflussnahmen, durch die bestimmte politische Auffassungen oder Parteien verächtlich gemacht oder unsachlich diskutiert werden. Unstatthaft ist ferner der Aufbau von Meinungsdruck, der auf Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Auffassungen hinwirken soll. Verstöße des Schulpersonals gegen das Neutralitätsgebot sind zu ahnden. […] Im Bereich der Sexualpädagogik muss vonseiten der Schule ein lebensbejahendes Konzept vertreten werden, welches das Ja zum eigenen Kind als etwas Natürliches sowie als Teil und Bereicherung der eigenen Persönlichkeit begreift und vermittelt.”

Die AfD fordert hier im ersten Teil ein “Neutralitätsgebot” an Schulen - nur um im nächsten Teil die Sexualpädagogik vorzuschreiben, in der ein “lebensbejahendes Konzept” vertreten werden muss. Also Abtreibungen im Umkehrschluss etwas Schlechtes sind.

Weil es vor allem um Reproduktion geht, sind damit auch Geschlechtervorstellungen eng verknüpft, die “binär, aufeinander bezogen und natürlich vorausgesetzt” sind und damit “gesellschaftlichen Aushandlungen und modernen Entwicklungen entzogen” werden - diverse und selbstbestimmte Lebensentwürfe werden also komplett negiert. Auch das findet seine Entsprechung im Wahlprogramm der thüringischen AfD, die die “Darstellung und Erläuterung von sexuellen Praktiken, die Infragestellung des eigenen Geschlechts und die Propagierung ‘queerer’ Lebensweisen im Rahmen der Kindergartenpädagogik entschieden” ablehnt. Sexualerziehung sei das primäre Recht der Eltern und solle “nicht im Kindergarten oder in der Grundschule erfolgen”. Die AfD will damit die sogenannte “Frühsexualisierung” verhindern.

“Frühsexualisierung” ist ein Kampfbegriff, den die AfD schon lange einsetzt, um damit das Thema Kinderschutz zu instrumentalisieren. Die AAS schreibt:

“Eine Beschäftigung mit Homosexualität und gleichgeschlechtlichen Lebensweisen, trans und Intergeschlechtlichkeit wird häufig auf Sexualität reduziert - sie gehe, so der Vorwurf, mit einer Sexualisierung von Lebensentwürfen einher. Dabei stehen bei vielfaltspädagogischen Ansätzen Beziehung, Liebe, Verlieben und Familie im Mittelpunkt. Es geht um Wertschätzung, Akzeptanz und Gleichwertigkeit von vielfältigen Daseins-, Lebens- und Liebensformen.”

Doch das alles soll im Weltbild der AfD keine Rolle spielen. Deshalb wollte die Bundespartei solche vielfaltspädagogischen Ansätze bereits verbieten und kriminalisieren. 2020 reichte sie im Bundestag einen Antrag ein (Opens in a new window), in dem sie forderte, “jede sexuelle Konfrontation von Kindern und Jugendlichen in staatlichen oder staatsnahen Einrichtungen, die über eine rein biologische und abstrakte Aufklärung für Schulkinder […] hinausgeht, […] als Kindesmissbrauch zu werten und unter Strafe zu stellen”. Die AfD richtet sich also konkret gegen die Mit- und Selbstbestimmung junger Menschen oder will diese zumindest erschweren. Kein Wunder, dass sie auch gegen “sogenannte” Kinderrechte ist - wie die AfD Thüringen schreibt.

❌ Kinderrechte sind ein Angriff auf Familien

Kapitel 05 / S. 28: “Demgegenüber zielen die sogenannten Kinderrechte in der Verfassung darauf ab, das Elternrecht zugunsten eines staatlichen Bestimmungsrechts über die Kinder zurückzudrängen und in letzter Konsequenz Kinder auch gegen ihre Eltern auszuspielen. Entsprechende politische Absichten traten beispielsweise im Zusammenhang mit der Problematik der Corona-Impfung für Kinder offen zutage. Hier wird bereits propagiert, dass sich Kinder auch gegen den Willen ihrer Eltern sollen impfen oder ihr Geschlecht „ändern“ lassen können. Solchen Bestrebungen, Kinder aus ihren Familien zuerst rechtlich und dann tatsächlich herauszulösen und dem Staat die umfassende Verfügung über die Rechte der Kinder auch gegen den Willen der Eltern anheimzugeben, treten wir mit Entschiedenheit entgegen.”

Wenn es um die von der Regierung geplante Stärkung der Kinderrechte geht, dann stecken der AfD zufolge politische Absichten dahinter: Kinder könnten sich dann “gegen den Willen ihrer Eltern” impfen lassen oder ihr Geschlecht “ändern” (die AfD schreibt nicht von “anpassen”). Beides sind komplexe Themen, bei denen wir auf umfangreiche externe Quellen verweisen wollen. Hier (Opens in a new window) klären die Kinder- und Jungenärzte im Netz über das Recht von Kindern auf Gesundheit “und damit auf Impfungen” auf und hier (Opens in a new window) und hier (Opens in a new window) erklärt queer.de (Opens in a new window), wie die extreme Rechte den Diskurs um Kinderrechte ausnutzt, um gegen das Selbstbestimmungsgesetz und geschlechtsangleichende Maßnahmen zu agitieren.

Die AfD hantiert bei diesen Themen immer wieder mit absichtlichen Unschärfen und Verallgemeinerungen, Aufklärung über diverse Lebensentwürfe gelten wahlweise als Sexualisierung, Indoktrination oder Gender-Ideologie von links.

🏳️‍🌈 Wissenschaftliche Freiheit herstellen - “Pseudowissenschaft” Gender Studies abschaffen!

Kapitel 05 / S. 43f. : “Die AfD Thüringen will der linken Identitätspolitik den politischen Rückhalt entziehen und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Lehre und Forschung wieder durchsetzen.[…] Ideologie steht auch hinter der politischen Förderung bestimmter Fächer wie etwa der „Genderforschung“. Wir fordern die Abschaffung dieser Pseudowissenschaft an den Thüringer Hochschulen.”

Ein letztes Beispiel, das eng mit der Familienpolitik verbunden ist, findet sich bei der Bildungspolitik. Hier schreibt die AfD, dass sie “der linken Identitätspolitik den politischen Rückhalt entziehen und die grundgesetzlich garantierte Freiheit von Lehre und Forschung wieder durchsetzen” will - nur um dann direkt hinterherzuschieben, dass sie die Gender-Forschung abschaffen will. Denn dabei handle es sich nur um eine “Pseudowissenschaft”.

Diese Position stand so schon vor fünf Jahren im vergangenen Wahlprogramm der AfD, damals hat der Kommunikationswissenschaftler Kai Hafez eine Kurzanalyse (Opens in a new window) gemacht und die Inhalte auf verfassungsfeindliche Tendenzen abgeklopft: “Da es sich hier nicht um Wahlkampfpolemik handelt, für die rechtlich ein erweiterter Freiraum der Meinungsäußerung gilt, sondern um eine offizielle Parteiprogrammatik, ist diese Position als Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit zu werten. Von einer AfD-Regierung müsste befürchtet werden, dass sie die Wissenschaftsfreiheit beeinträchtigt.”

So viel in dieser Woche, kommende Woche geht es mit einigen weiteren Aspekten aus dem Wahlprogramm weiter.

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