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Wie der Freiheitspopulismus uns allen schadet (2)

Freiheit ist dieser Tage wieder in aller Munde. Die einen propagieren das Märchen bedrohter Freiheit (Opens in a new window). Die anderen geben sich als selbsterklärte Anpeitscher der deutschen Wirtschaft. Und die Landesverräter von der AfD sind gleich so frei, Deutschland an China und Russland gleichzeitig zu verraten. Bei so viel Freiheitsliebe bleibt mir nichts anderes übrig, als mir anzuschauen, wer alles mit der liberalen Leitidee Schindluder treibt – und wie. Heute ist vor allem die FDP an der Reihe.

Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte

Die Sonne scheint, die Vögel singen, die Natur blüht auf. Ein Frühling, der sich wie Frühsommer anfühlt. Die Klimakrise hat somit auch ihr Gutes: Nicht nur der Erdüberlastungstag (Opens in a new window) rückt jedes Jahr vor, sondern auch die Festivalsaison. Neulich erst ging das ultimative frühsommerliche Freiheitsfestival zu Ende.

Wie, nicht mitbekommen? Der FDP-Parteitag, natürlich.

Vorab wurde das liberale Festivalprogramm veröffentlicht. Der „12-Punkte-Plan“, mit vollem Titel bekannt als: „12 Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende (Opens in a new window)“. Beschleunigung! Wirtschaftswende! Das klingt knackig, das klingt zackig – setzt Deutschland den Lindner ans Steuer, beschleunigt die Wirtschaft schneller auf 200 als der Porsche auf der Autobahn. So jedenfalls die gelbe Message.

Der tatsächliche Inhalt des 12-Punkte-Papiers war jedoch, vom medialen Tamtam abgesehen, kalter Kaffee in neuen Schläuchen. Es geht wenig überraschend um Themen wie Bürokratieabbau, weniger Steuern für Wohlhabende (mehr Reichtum für Reiche) und den Abbau von Sozialleistungen (mehr Armut für Arme). Mehr für alle, quasi.

Allerdings existieren nicht wenige Probleme wegen Desinformation.

Kein gemeinsamer Nenner

Interessanter als was im Detail in dem 12-Punkte-Papier steht, ist seine Signalwirkung. Markus Söder, seines Zeichens selbst Freiheitspopulist erster Güte (mit stetiger Gratwanderung zwischen verbaler Freiheitsromantik (Opens in a new window) und faktischer Verbotspolitik (Opens in a new window)), nannte das Thesenpapier zur Wirtschaftswende „nichts anderes als eine Scheidungsurkunde für die Ampel (Opens in a new window)“. Offen wurde vor dem FDP-Parteitag über einen Ampel-Bruch spekuliert. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende? Aus, Ende, finito? Heißt es für die Ampel bis baldrian und san frantschüssko?

Die FDP dementiert. Die zwölf Punkte seien kein Scheidungspapier (Opens in a new window), auch in der Ampel wolle man verbleiben.

Zeitgleich zeigt der Parteitag: Auf einen gemeinsamen Nenner kommen möchte man hingegen nicht.

Ich persönlich sehe im momentanen Gebaren der FDP vor allem eines: Die Freiheit zum Selbstwiderspruch. Die widersprüchliche Botschaft der FDP lautet nämlich: Widerstand statt Zusammenarbeit. Opposition in der Regierung. Weltanschauliche Differenzen statt politische Konsensfindung. Was dabei steigt, ist der allgemeine Politikverdruss; unter anderem mit der dramatischen Konsequenz, dass die deutsche Jugend nachweislich so pessimistisch ist wie noch nie (Opens in a new window). Und so unzufrieden mit der Ampel wie noch nie. Und so rechts wie noch nie (Opens in a new window). Wir können jetzt alle so überrascht sein wie noch nie; so richtig überraschend ist das Trauerspiel aber nicht.  

Immerhin: Diese vulgärpopulistische Spannung zwischen Anspruch und Wirklichkeit sieht man selbst in der FDP. Wenngleich man es anders nennt. FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai sagte auf dem Parteitag (Opens in a new window) über SPD und Grüne: „Es gibt einen großen Unterschied zwischen uns, und daran wird sich niemals etwas ändern“. Der Generalsekretär fuhr fort:

„Wir haben ein anderes Staatsverständnis als unsere Koalitionspartner. Für uns ist das Geld der Steuerzahler nicht eine beliebige Verteilungsmasse – das ist der große Unterschied zu der Betrachtungsweise, die einige in dieser Koalition haben.“

Klingt erstmal gut. Die anderen: Verteiler, Verschwender, Geschenkemacher. Wir: Sparfüchse, Haushalter, Investoren. Der aufmerksame Beobachter stellt sich dabei durchaus die Frage, was das Geld der Steuerzahler denn sein soll, wenn nicht eine Verteilungsmasse. Die fiskalpolitische Funktion von Steuergeld ist nämlich eines und nur eines: seine Verteilung. Der Staat nimmt Steuern ein, um sie idealerweise im Sinne des Gemeinwohls – man könnte aus utilitaristischer (Opens in a new window) Perspektive sagen: zum größten Wohl aller (Opens in a new window) – zu verteilen und in die Gesellschaft zu investieren.

Die Prämisse „Steuergeld verteilen = schlecht“ ist also eine vulgärliberale Prämisse, bei der weder die Koalitionspartner noch die Öffentlichkeit mitgehen. Im Gegenteil: Steuergeld muss erst erhoben, dann umverteilt werden, und genau dafür ist es da. Wer horten will, anstatt zu investieren, darf sich nicht als Wirtschaftspartei aufspielen. Darüber hinaus: Investieren – was ja wirtschaftsüblich mit Krediten geschieht – will man, Stichwort Schuldenbremse, FDP-seits ja auch nicht. Auf diesen Widerspruch weist auch die Frankfurter Rundschau hin (Opens in a new window):

„Und natürlich fiel auch wieder der Satz, wonach man nur das Geld ausgeben könne, das man vorher eingenommen habe. Für eine Partei, die das private Unternehmertum preist, ist das erstaunlich. Sollten die wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten, die auch Christian Lindner in seiner Rede streifte, tatsächlich alle ohne Kreditaufnahme bewerkstelligt worden sein?“

Die gelbe Selbstfindungsphase

In diesem Punkt, wie vielen weiteren, sehen wir symbolhaft, was es mit der momentanen liberalen Parteipolitik auf sich hat. Es geht der Partei um Finanzminister Christian Lindner weniger um Sachpolitik als um Selbstaffirmation. Man kann es auch als „Identitätspolitik“ beschreiben, denn darum gehts: Die eigene Identität. Das Motto lautet: Wir zeigen den anderen, wer wir sind, indem wir klarmachen: „Wir sind nicht wie ihr.“ Ein Leben im Umkehrschluss. In dubio pro Sozialkürzung.

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