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Politische Gegenrede zu rechten Narrativen

Hallöchen,

und herzlich willkommen, falls du aufgrund des Artikels in Publik Forum zu uns gefunden hast!

In dieser Ausgabe geht es um genau das, was viele unserer Lesenden sich wünschen.

Wir haben Rhetoriktrainer Malte Krüger im Interview, der dir sagt, wie du gegen die AfD und andere Menschen mit neurechten Ideologien argumentieren kannst. Doch bevor du jetzt völlig aus dem Häusschen bist, weil du meinst, dass unser Interviewpartner die Patentlösung für dich gefunden hat, dämpfen wir deine Erwartungen ein wenig und schicken voraus:

Gegenrede ist anstrengend!

Wir wollen an dieser Stelle auch noch unserer Leserin danken, die uns auf den Interviewgast Malte Krüger und sein Buch “Abteilung Attacke - mit welcher Rhetorik die AfD endlich bekämpft werden muss” aufmerksam gemacht hat. Es erschien gerade erst - am 22. Juli. (Opens in a new window)

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Passt auf euch auf,

“Demokratische Kräfte beschränken sich darauf, sich zu empören”

Malte Krüger, 1968 in Schleswig-Holstein geboren, studierte Sprachwissenschaften in München. Er coacht Politiker:innen, Ärzt:innen, Lehrer:innen und Jurist:innen in Rhetorik und Dialektik.

Für sein Buch “Abteilung Attacke - mit welcher Rhetorik die AfD endlich bekämpft werden muss” - hat er mehrere Jahre recherchiert. Auf 450 Seiten analysiert er nicht nur die Diskurse, die die AfD führt, sondern bietet auch Anhaltspunkte, wie man ihnen argumentativ begegnet. Was uns besonders gut gefällt: Auf den weiteren mehr als 100 Seiten werden die Aussagen der AfDler alle belegt.

Wie Rechte reden: Malte, kann man eine Diskussion mit extrem Rechten gewinnen?

Malte Krüger: Ja, das geht.

Und wie?

In meinem Fall: Übung. Ich recherchiere seit vielen Jahren in verschiedenen sozialen Netzwerken zur AfD und zur Neuen Rechten. Ich habe mir ihre Argumentationen angeschaut und immer wieder mit Vertreter:innen und Anhänger:innen aus ihrem Dunstkreis debattiert. Das waren AfDler, aber auch Klimawandel-Leugner:innen, Corona-Skeptiker:innen, Verschwörungsgläubige, Frauenhasser, Reichsbürger:innen, Identitäre. Deshalb kenne ich ihre rhetorischen Kniffe, Narrative und Argumentationslinien auswendig. Ich bin auch Rhetoriktrainer und habe mich lange mit der Kunst des Streitens beschäftigt.

Was ist dir bei deiner Recherche aufgefallen?

Es geht den meisten nicht darum, ein Übereinkommen oder einen Kompromiss zu erzielen. Es geht um den Sieg.

Sie wollen also andere von ihrer Position überzeugen?

Nein, sie wollen andere plattmachen. Mit Schwarzer Rhetorik.

Was soll das sein - Schwarze Rhetorik?

Eine unfaire Gesprächsführung. Es geht darum, das Spielfeld zu den eigenen Gunsten zu kippen. Sie vereinfachen Debatten bis zur Unkenntlichkeit, sie konstruieren Sündenböcke für Fehlentwicklungen, sie unterteilen die Welt in Schwarz-Weiß und natürlich lügen sie ständig. Sie treten extrem aggressiv auf, sie machen ihre Gegenüber nieder, schüchtern sie ein, sie verbreiten sprachlich Angst und manipulieren ihre Zuhörer:innen. Es geht nie um ein konstruktives Gespräch, sondern darum, die eigene Ideologie durchsetzen. Wenn wir in die Politik schauen, kann das die AfD besser als jede andere Partei.

Woran machst du das fest?

Ich sichte alles, was es zur AfD gibt. Ich gucke mir ihre Reden im Bundestag an, ich sehe sie mir in Talkshows an, ich lese ihre Bücher und schaue, was sie auf Social Media schreiben. Und da sehe ich, dass AfDler rhetorisch besser geschult sind: Marc Jongen, Björn Höcke und Alice Weidel. Wenn Weidel im Bundestag oder in Talkshows seit Jahren die gleiche Rede in unterschiedlichen Variationen darüber hält, dass ein ”Ökosozialismus” drohe oder ”massenhafte Messereinwanderung”, frage ich mich schon, warum sie dazu noch die Gelegenheit erhält. Meine Antwort: Weil die Gegenwehr zu schwach ist.

Wie könnte diese Gegenwehr aussehen?

Wir dürfen der AfD nicht die Deutungshoheit überlassen. Wir müssen ihre Erzählungen bloßstellen. Beispielsweise, dass sie Migration nur über das Negative definiert. Dass sie Menschen, die einwandern, als unintegrierbar oder unbeschulbar bezeichnet. Das ist Rassismus und das muss man benennen. Wir müssen ihre unmenschlichen und empathiefreien Argumentationen aufzeigen. Das darf nicht zur politischen Normalität werden.

Noch einmal einen Schritt zurück Schritt zurück: Worin besteht der Schulungsvorsprung der AfD-Politiker:innen?

Kernkompetenz von AfDlern ist, dass sie über viele Jahre Narrative aufgebaut und kultiviert haben. Ein Beispiel dafür ist, dass sie ihre angebliche Opferrolle absolut verinnerlicht haben und immer wieder darauf zurückfallen. Die AfD sieht sich als verfolgte Minderheit - ist aber gleichzeitig im Besitz der absoluten Wahrheit, was das Volk will. Und wenn die AfD verfolgt wird, wird in ihrem Narrativ das ganze Volk verfolgt. Eine weitere verinnerlichte Erzählung sind ahistorische Bezüge. Beispielsweise die Illusion, dass vor Angela Merkel - Stichwort ”Merkel-Diktatur” - alles in Ordnung war. Was natürlich Unsinn ist.

Es geht darum, von einer Vergangenheit zu erzählen, in der die Welt angeblich noch in Ordnung war?

Genau. Aber erstens gab es damals auch Probleme, zweitens leben wir aktuell in einer Zeit der Polykrisen und drittens ist die Gesellschaft, zum Glück, pluraler geworden. Damit geht aber einher, dass beispielsweise Menschen mit Migrationsgeschichte sichtbarer sind und verständlicherweise für mehr Gleichberechtigung kämpfen. Die türkische Frau, die im Verborgenen blieb, wie beispielsweise im Film ”40 Quadratmeter Deutschland” von Tevfik Başer, war kein Problem. Die türkischstämmige Frau, die Lehrerin ist und vor Gerichten ihr Recht auf das Tragen ihres Kopftuchs einklagt - die nimmt aber angeblich den Deutschen ihre Privilegien weg. Deshalb bedient die AfD immer wieder das Narrativ vom Eigenen und vom Fremden.

Und fremd kann mittlerweile vieles sein: ”globalistische Eliten”, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, ”unintegrierbare Migrant:innen”, der Islam, der sich angeblich nicht mit der Demokratie vereinen lasse, nicht-binäre sexuelle Identitäten, nicht-patriarchalisch unterworfene Frauen, angeblich faule Südeuropäer:innen, das ”Bürokratiemonster” aus Brüssel und mehr.

Alles Fremde ist eine Bedrohung.

Ja, und die AfD versteht es, ihre Narrative um völkische, sozial-darwinistische, nationalistische oder rassistisch Anteile zu erweitern. Und dann sitzt Tino Chrupalla bei Markus Lanz und erklärt, warum er und die AfD nicht rechtsradikal seien. Und die Gegenkräfte etablierter Parteien und anerkannter Journalist:innen haben keine Antwort darauf. Sie überlassen der AfD die Definitionsmacht, was Rechtsradikalismus ist. Sie haben sich keine Gedanken gemacht, warum der Rechtsradikalismus, den die AfD anbietet, abzulehnen ist und warum die liberale Demokratie zu den besseren ideellen, materiellen und sozialen Ergebnissen führt.

Wie würdest du Gegenwehr auf der Ebene politischer Kommunikation leisten?

Der erste Faktor wäre, sich genügend Wissen über die politische Gegnerin oder den politischen Gegner draufzuschaffen. Das ist anstrengend. Wissen erlange ich nicht durch Fingerschnippen. Meinungsbildung ist anstrengend. Ich weiß, der Begriff ”Meinung” wird inflationär gebraucht: Habe ich ein Gefühl, habe ich eine Meinung. Das ist Unsinn. Eine Meinung ist ein kritisch-rationales Arbeitsergebnis und es kann Jahre dauern, sich eine Meinung zu bilden, wenn man sie auf Wissen gründen will.

Rupert Lay hat 1975 ein Buch herausgebracht: ”Marxismus für Manager”. Das ist ein Lehrbuch über Marxismus. Es unterliegt der Maßgabe, dass Manager:innen, die die Debattenhoheit gegenüber Marxist:innen nicht verlieren wollen, deren Ideologie besser kennen müssen als die Marxist:innen selbst, um darüber ihre eigene Position zu schärfen. Eine Blaupause für den Umgang mit der AfD.

Okay, Politiker:innen sollten sich informieren. Was wäre ein weiterer Faktor für eine starke Gegenrede?

Man muss zum Publikum eine soziale Beziehung herstellen und sie mit der eigenen Persönlichkeit in den Bann ziehen, sympathisch sein. Das gilt für alle, die Menschen überzeugen wollen - ob für Lehrer:innen, Autoverkäufer:innen oder Schauspieler:innen.

Schaffen es AfD-Politiker:innen, sympathisch auf ihr Publikum zu wirken?

Es gelingt ihnen auf jeden Fall besser, sich als Normalos darzustellen, die von unten gekommen sind und jetzt den abgehobenen Eliten zeigen, was das wahre Volk will. In den Diskussionen, die ich dazu geführt habe, ist das ein häufiges Argument für etwaige sprachliche “Ausrutscher“. Dann wird über AfDler gesagt: “Sie üben ja noch, aber sie lernen dazu, werden besser und sie gehören zu uns.”

Du sprichst in deinem Buch noch einen dritten Faktor für erfolgreiche Gegenrede an: Einflussnahme auf Gefühle.

Stimmt. Der AfD gelingt es, alles zu emotionalisieren. Das ist es, was sie perfektioniert haben. Die Frage ist deshalb: Wie begegnet man dieser Dauer-Emotionalisierung? Fakten könnten ja angeblich nichts dagegen ausrichten. Ich widerspreche: Auch Fakten können Emotionen auslösen. Wir freuen uns doch, wenn wir eine Erkenntnis gewinnen. Wenn uns in der Schule früher ein Licht aufgegangen ist. Ein Aha-Moment weckt positive Gefühle. Bloß: Die Vertreter:innen demokratischer Parteien müssen auch etwas anzubieten haben, um diesen Aha-Moment zu kreieren. Sie benötigen eine Idee, eine Vision, eine geschärfte eigene Position - trotz aller Zwänge, auf Sicht zu fahren. Und daran hapert es.

Wieso hat sich deiner Meinung nach in all den Jahren immer noch kein:e Politiker:in auf die Rhetorik der AfD eingestellt?

Zum einen ist das Bequemlichkeit. Alle beschriebenen Schritte zur Gegenrede sind anstrengend. Zum anderen ist das Nichtstun für mich auch Ausdruck von Schuld. Die etablierten Parteien wissen, dass es auch ihre Politik war, die den Nährboden bereitet hat, aus dem die AfD erwachsen ist. Sie haben eine Neoliberalisierung aller Lebensbereiche mitgetragen, aus der eine Kultur der Vereinzelung entstanden ist, eine Abstiegsgesellschaft, vor der die Menschen jetzt Angst haben. Das ist eine wesentliche Ursache für die Rechtsradikalisierung. Der Witz ist, dass die AfD das System nicht ändern, sondern radikalisieren will. Sie ist die Totengräberin für die Interessen ihrer Anhänger:innen.

Was empfiehlst du?

Die etablierten Parteien müssen sich diese Fehlentwicklungen eingestehen, ihre bisherige Politik und Kommunikation reflektieren. Beim Umgang mit der AfD haben sie sich meist darauf beschränkt, sich zu empören. Oder sie dachten, es reicht, die AfD als rechts und böse zu markieren. Aber das ist zu wenig. Wenn Katrin Göring-Eckardt vor den Wahlen in Nordhausen sagt: ”Bitte wählt nicht AfD”, forciert sie eine Vermeidungswahl. Das ist doch eine inhaltliche Kapitulation. Stattdessen sollte sie erklären, worin der Zugewinn besteht, wenn man nicht AfD wählt. Politiker:innen müssen lernen, den Wert der Errungenschaft einer liberalen Demokratie lauter, aggressiver und leidenschaftlicher zu vertreten und zu verteidigen.

Und sie sollten den Wähler:innen dabei auch Widersprüche zumuten: ”Ja, die EU hat demokratische Defizite, aber…”; ”Ja, die Energiewende ist ein noch nie dagewesenes Experiment, aber…”; ”Ja, gendergerechte Sprache hat Widersprüche und Defekte, aber…” Es geht darum, Komplexität erklären und transparent machen zu können.

Was würdest du Privatpersonen raten, wenn es um Gegenrede geht?

Das, was für die politische Bühne gilt, gilt auch für den Stammtisch oder andere Orte der Begegnung. Bei meinen kampfrhetorischen Schulungen mit Landesverbänden der SPD geht teilweise die nackte Angst um, genauso bei Menschen der LGBTQIA+-Community oder bei Gleichstellungsbeauftragten oder Mitarbeitenden in Gedenkstätten. Sie müssen deshalb zuerst lernen, mit der Aggressivität des Gegenübers umzugehen.

Und zum anderen müssen sie die Energie aufbringen, sich über die AfD zu informieren. Wer über Björn Höcke spricht, sollte sein Buch gelesen haben und seine Reden kennen. Und wichtig ist auch: Es geht nicht darum, Ideolog:innen, Rechtsextreme oder die AfD-Stammwählerschaft zu überzeugen. Das gelingt nicht. Aber die Zuhörer:innen und die Unentschlossenen, die können erreicht werden.

Hast du das Gefühl, dass die Zivilgesellschaft sich mehr rührt als früher?

Ja, sie ist in meinen Augen weiter als die Politik. Jetzt kommt es darauf an, dass sie den Atem nicht verliert und die Politik vor sich hertreibt. Wenn die Zivilgesellschaft der Politik den Arsch rettet, steht diese umso mehr in der Bringschuld. Aber der Druck muss aufrecht erhalten bleiben - auf die AfD, aber auch auf die Regierung.

Welche Lektüre würdest du für besseres Argumentationstraining empfehlen?

Karl Otto Erdmann hat ein Buch geschrieben, das heißt ”Die Kunst, Recht zu behalten”. Das Buch lehrt, wie man Gesprächsgegner:innen beim Wort nimmt und darauf herumreitet. Eine Gesprächsführung, die mit Politiker:innen der AfD unabdingbar ist. Wir müssen auf allem, was sie sagen, herumreiten. Auf jedem Wort, auf jedem Satz. Sie dürfen nicht die Möglichkeit haben, Luft zu holen. Leider wird das Buch heute selten gelesen, weil es nicht einfach ist. Es lässt sich nicht einfach so in der Badewanne schmökern. Aber das ist mein Appell an alle: Wir müssen endlich raus aus der Badewanne!

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