WeinLetter #76: Aus für das EU-Pestizidgesetz. Und nun?
Liebe Wein-Freund:in,
Du liest den WeinLetter #76. Heute gibt’s: eine Programmänderung. Aus gegebenem Anlass. Ich hatte ja mein Essay über die Aldisierung des deutschen Weins im WeinLetter #75 mit Axel Wallrabensteins Würdigung der Bar Brutal in Barcelona (Opens in a new window) angekündigt. Verschiebe ich. Kommt in WeinLetter #77. Wird nicht minder deftig. Versprochen. Heute gibt’s: Mein 5-Punkte-Plan für ein neues EU-Pestizidgesetz - zum Wohle von Umwelt, Winzer:innen und Weintrinker:innen. Das bin ich euch schuldig. Schließlich war der WeinLetter das erste große Wein-Qualitätsmedium, das ausführlich über den Streit zwischen der EU-Kommission und den Winzer:innen sowie der Wein-Lobby berichtet hatte. Jetzt hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr eigenes Gesetz zurückgenommen. Ist das Ziel, die Pestizide in der Landwirtschaft - also auch dem Weinbau -, auf 50 Prozent zu reduzieren, perdu? Nein. Denn das Ziel ist richtig. Hier analysiere ich, wie es doch noch gelingen kann, die ökologischen Interessen der Artenvielfalt mit den ökonomischen Interessen der Weinbäuer:innen zu verbinden. Es bedarf dazu einer ganz eigenartigen Allianz - Vorsicht! - aus Deutschem Weinbauverband mit Chef Klaus Schneider und dem grünen Landwirtschaftsminister Cem Özdemir. +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window)Aber vor allem:
Trinkt friedlich!
Euer Thilo
Die Zeltinger Sonnenuhr: Steillagen wie diese an der Mosel sind die Heimat des Apollo-Falters FOTO: DEUTSCHES WEININSTITUT
Der Fünf-Punkte-Plan zum Wohl von Umwelt und Winzer:innen
von Thilo Knott
Diesmal ging es um den Parnassius apollo Linnaeus. Er hat eine Flügelspannweite von 75 Millimetern, braucht ein Jahr, bis er groß ist. Auf seinen gelblich-weißen Flügeln hat er markante schwarze Punkte. Der Apollo-Falter fliegt am liebsten zwischen Juni und August und lebt bevorzugt an felsigen Hängen – genau da ist auch Helikopter-Spritzzeit in seinem Weinberg der Terrassenmosel.
Naturschützer sehen die Existenz des seltenen Falters durch die systematischen Pestizid-Spritzungen bedroht und forderten ein Verbot der Helikopter-Flüge. Sie wandten sich an das Umweltbundesamt. Das drohende Verbot der Hubschrauber-Ausbringungen ist jetzt aber vom Tisch – zur Erleichterung vieler Winzer:innen. Das rheinland-pfälzische Weinbau-Ministerium argumentiert nämlich ökonomisch-ökologisch: Wenn die Winzer:innen nicht mehr maschinell spritzen dürften, lohnt sich der Steillagen-Weinbau nicht mehr, weil die Steillagen per Hand kaum zu bewirtschaften sind. Aber die Weinberge sind die Heimat des Apollo-Falters. Heißt: Ohne Weinberge kein Apollo-Falter an der Mosel und anderen Anbaugebieten.
Der Apollo-Falter fliegt in den Weinbergen - und irgendwann kommen die Pestizid-Helikopter FOTO: M. MAIER/LUBW
Der kleine Apollo-Falter an der Terrassenmosel steht hier stellvertretend für einen größeren Konflikt. Landwirtschaft, hier der Weinbau, ist per se ein Eingriff in die Umwelt. Und, sind wir ehrlich, dass die Ausbringung chemisch synthetischer Spritzmittel sich in der Vergangenheit nicht unbedingt positiv auf die Artenvielfalt ausgewirkt hat, ist längst Allgemeinwissen.
Wein ist kein Naturprodukt, wie häufig romantisiert wird. Er ist eine seit Jahrtausenden hochgezüchtete, oft in Monokulturen lebende, anfällige Kulturpflanze. Damit verbunden ist daher immer ein Abwägen zwischen ökonomischen und ökologischen Faktoren. Mit dem Klimawandel hat sich diese Auseinandersetzung verstärkt. Thema des Klimawandels ist mittlerweile nicht nur der Grad der Erderwärmung, auch Artenvielfalt und Biodiversität sind in den Fokus gerückt. Weil deren Bedrohung für die gesamte Umwelt existentiell ist. Biodiversität im Weinberg ist heute (hoffentlich) State of the Art – und nicht nur bio-dynamische Spinnerei.
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Auf der großen politischen Bühne hat sich ebenfalls ein Konflikt entsponnen um das „richtige“ Landwirtschaften, das Abwägen von ökonomischen und ökologischen Interessen – ähnlich wie beim Apollo-Falter, nur viel größer. Die EU hat sich einem Green Deal verschrieben. Zentraler Bestandteil ist die Reduzierung der Ausbringung von Pestiziden um 50 Prozent bis 2030. Damit sollte - siehe oben - das Artensterben gebremst werden, das sich dramatisch beschleunigt hat. Ein Ziel, das richtig ist. Nur: Der Gesetzesentwurf der EU-Kommission hat dies verbunden mit einem Totalverbot für jedwede Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln in „sensiblen Gebieten“. Das sind öffentliche Räume wie Parks, Spielplätze, aber auch Landschafts- und Naturschutzgebiete sowie die von der EU ausgewiesenen Natura-2000-Schutzgebiete. Das Totalverbot hätte konventionelle Chemie betroffen – aber eben auch biologische Pflanzenschutzmittel. Nach monatelanger Kritik unter anderem der Wein-Lobby und den massiven Bauernprotesten hat EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (CDU) den Gesetzentwurf zurückgezogen.
Wie geht es jetzt weiter? Vor der Europawahl im Juni ist nicht mit einem neuerlichen Regelungsvorschlag zu rechnen. Und doch: Es wird ein neues Pestizidgesetz kommen müssen, sonst würde die EU den zentralen Teil des Green Deal erledigen. Nur: Wie könnte der aussehen? Und wer könnte ihn verfolgen? Das jetzige Vorgehen zeigt: Der bisherige Entwurf leidet vor allem darunter, dass er viel vorschreibt, aber wenig Wege aufzeigt, wie die Landwirtschaft diese Vorschriften sinnvoll umsetzen kann. Ja, mehr noch, wie die EU den Winzer:innen bzw. Landwirt:innen helfen kann – auch finanziell. Denn ohne den Staat wird so eine Strukturveränderung nicht zu managen sein.
Deshalb sollte ein neuerlicher Gesetzesentwurf diese fünf wichtigen Punkte enthalten:
1. Die sensiblen Gebiete gehören geschützt.
Deshalb sollten hier chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel tatsächlich verboten, biologische dagegen aber ausdrücklich erlaubt werden bzw. bleiben. Wenn wir solche Verbote für Spielplätze für richtig halten, warum soll das für den - nennen wir ihn wieder - Apollo-Falter im Naturschutzgebiet nicht auch gelten. Das Ziel der Reduzierung von Pestiziden ist richtig.
2. Es braucht eine Übergangsfrist von zehn Jahren.
Weinanbau ist kein schnelllebiges Geschäft. Wer heute neue Rebsorten anpflanzt, muss drei Jahre warten, bis die Stöcke überhaupt Trauben tragen. Und auch da sind diese noch lange nicht gleich auf dem höchsten Niveau. Das kann Jahrzehnte dauern. Wer heute von konventionellem auf Bio-Weinanbau umstellen will, muss zunächst die Böden ins Gleichgewicht bringen. Eine Umstellung auch anderer Bereiche wie die Vermarktung dauert. Also: Zehn Jahre sind realistisch – ökologisch wie betriebswirtschaftlich.
3. Die Bio-Umstellung sollte erleichtert und gefördert werden.
Vor allem erleichtert! In der Debatte um die Subventionierung der Landwirtschaft, Stichwort Dieselsteuer, haben Bio-Winzer vorgerechnet, dass sie beispielsweise mit 9 bewirtschafteten Hektar 20.000 Euro an Subventionen erhalten. Ihnen ging es in der Debatte aber gar nicht um das Ja oder Nein zur Dieselsteuer, sondern um das Bürokratie-Monster, das ihre Zeit auffrisst. Hier sollte angesetzt werden. Ganz nebenbei: Bis 2013 wurden im Bio-Weinbau Kaliumphosphonate gegen beispielsweise Falschen Mehltau eingesetzt. Die EU hat das aber verboten, weil sie im Bio-Bereich nur noch Pflanzenstärkungsmittel erlaubten, die auch in der Natur vorkommen. Jetzt müssen die Bio-Winzer:innen Kupfer ausbringen – was in der Öko-Szene selbst höchst umstritten ist.
4. Die EU sollte PiWi-Anpflanzungen stärker fördern.
Die konsequenteste Vermeidung von Pestiziden sind Rebsorten, die weit weniger den „Feinden“ wie echtem oder falschem Mehltau ausgesetzt sind als Riesling, Spätburgunder oder Silvaner. Es ist auch so, dass die PiWi-Rebsorten – mittlerweile in der dritten Generation – eine sehr gute Qualität bieten. Anders als in den Anfangsjahren.
5. Winzer:innen, die innovative, technologische Konzepte verfolgen, sollten unterstützt werden.
Es gibt, „leider“ in der Schweiz, Projekte mit Solarfaltdächern im Weinberg, die eine Mehrfachnutzung der landwirtschaftlichen Fläche ermöglichen. Es gibt, etwa in Baden-Württemberg, Winzer:innen, die Drohnen im Weinberg einsetzen, um den Wasserbedarf gezielt zu kontrollieren. Ermöglicht wird dies durch Sensoren. Übrigens: In Sensorik ist Deutschland ziemlich weit vorne. Damit nicht genug: Schon heute gibt es digitale Früherkennungssysteme für Rebdruck-Formen aller Arten. Die EU sollte diese digitalen Systeme forcieren, wissenschaftlich begleiten, und eine europaweite Datenbank zur Bekämpfung etwa von Pilzerkrankungen im Weinbau aufbauen.
Der Wein-Gipfel von Eltville: Klaus Schneider (links) vom Deutschen Weinbauverband diskutiert mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir FOTO: ©BMEL/MEWES
Es gibt sicherlich noch weitere Punkte. Diese fünf scheinen mir aber zentral zu sein für eine zukunftsfähige Balance zwischen ökologischen Erfordernissen und ökonomischen Notwendigkeiten, zwischen der Eigeninitiative der Winzer:innen und ihrer Aktivierung durch die EU.
Ursula von der Leyen hat jetzt über ihren Gesetzentwurf gesagt, er sei zu einem „Symbol der Polarisierung“ geworden. Wie könnte dieses Entweder-Oder wieder neutralisiert werden? Es gab im Juli letzten Jahres den Wein-Gipfel von Eltville. Klaus Schneider, Präsident des Deutschen Weinbauverbands, und seine Entourage diskutierten mit Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis90/Die Grünen) über die Zukunft des deutschen Wein. Wenn beide Seiten weitsichtig wären, würden sie die gescheiterten Pläne zum Anlass nehmen, gemeinsam einen neuen Plan zu entwickeln. Özdemir war von Anfang an gegen das Totalverbot, von daher wäre er unverdächtig. Und der Deutsche Weinbauverband könnte beweisen, dass er nicht nur ein „Dagegen-Verein“, sondern vorwärtsgewandt an der Zukunft des deutschen Weins interessiert ist. Es wäre ein Gewinn für die Winzer:innen, die Weintrinker:innen und die Apollo-Falter dieser Welt.
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