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WeinLetter #77: Der dramatische Zustand des deutschen Weins!

Liebe Wein-Freund:in,

Du liest den WeinLetter #77. Und ich hatte es im Jubiläums-WeinLetter #75 von Axel Wallrabenstein über die Bar Brutal in Barcelona (Opens in a new window) angekündigt. Heute gibt’s: Die Aldisierung des deutschen Weins. Ein Essay über den dramatischen Zustand einer Branche, die verunsichert ist und nicht mehr investieren will. Entschuldigung, über was soll ich denn sonst schreiben? Wenn Rotweine in Deutschland für nicht mal einen Euro den Liter in Desinfektionsmittel umgewandelt werden müssen - eine Subvention übrigens der EU. Weil der Konsum erheblich zurückgeht - ausgerechnet in Deutschland selbst. Wenn Verbände blockieren, was irgendwie in Richtung Zukunft gehen könnte. Und doch? Es gibt hierzulande Winzer:innen, die Wege in die Zukunft aufzeigen. Weil sie auf Qualität setzen und nicht auf Masse. Weil sie kapiert haben, dass Ökologisierung den Zugang zu Märkten verschaffen können Das ist das Tröstliche. Hier beschreibe ich die Malaise, hier zeige ich die Möglichkeiten auf - und warum es eine Rebstockwurzel-Bewegung braucht! +++ Viel Spaß beim Lesen! Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window) Aber vor allem: 

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

PS: Was sind deine Vorschläge? Was hast du für Ideen? Ich will hier eine ehrliche Diskussion über die Zukunft des deutschen Weins anstoßen! Schreibt mir an weinletter@posteo.de (Opens in a new window) - danke!

Junger Mann greift in ein Weinregal ubnd holt eine Flasche heraus

So sieht die Zukunft des deutschen Weins aus - und sie lieben die Riesling-Chardonnay-Cuvée, die von 2,79 auf 2,59 Euro heruntergesetzt ist und mit “Billiger!” angepriesen wird. Das gilt für Discounter wie Lidl und Aldi SYMBOLFOTO: ALDI EINKAUF SE & Co. OHG

Die Aldsierung des deutschen Weins

Ein Essay von Thilo Knott

Bordeaux ist in der Krise. Ja, das berühmteste Anbaugebiet der Welt hatte 2023 ein Desaster-Jahr. Mal abgesehen davon, dass der Falsche Mehltau die Bordeaux-Ernte großflächig ruiniert hat (Opens in a new window), leiden die Winzer:innen unter strukturellen Problemen. Der Bordeaux-Konsum geht zurück. Die Überproduktion übersteigt die Nachfrage. Im Jahr 2022 wurden bei einer durchschnittlich nicht gerade üppigen Ernte 4,1 Millionen Hektoliter produziert, normal sind 4,6, doch nur 3,98 Millionen wurden verkauft. Ein Minus von fünf Prozent. Weingüter wandeln in ihrer Not Weine in Industriealkohol um, daraus entstehen dann Desinfektionsmittel. Sie fordern vom Staat eine Ausstiegsprämie, wenn sie ihre Fläche reduzieren oder ihren Laden gleich dicht machen. 10.000 Euro pro Hektar. Die Entwicklung im Bordelaise – sie ist ein Jammer.

Kapitel 1: Die Strukturkrise der deutschen Weinbranche

Moment. Konsum-Rückgang. Überproduktion. Desinfektionsmittel. War das wirklich Bordeaux? Ja, aber nicht nur.

In Deutschland gab es zuletzt gleichlautende Nachrichten, die auf eine tiefe strukturelle Krise hindeuten (die aber kaum jemand wahrhaben will). Sie sind hierzulande nicht minder dramatisch. Belege? Ich nenne die zwei wichtigsten:

  1. Die deutschen Winzer:innen produzieren zu viel Masse!

In Baden-Württemberg haben Winzer:innen zum ersten Mal seit Jahren wieder Rotwein zu Industriealkohol brennen lassen. Es ging um eine Menge in Höhe von 8,3 Millionen Liter Rotwein. Das sind 8,5 Prozent der 2023 geernteten 98 Millionen Litern Most. 8,5 Prozent einer ganzen Ernte! Verarbeitet zu: Industriealkohol! Und was bekamen die Winzer:innen dafür? Ein entsprechendes Notprogramm der EU sieht hier 65 Cent für den umgewandelten Liter Wein vor. Ein Trostpflaster. Und eine Subvention, wenn man das in dieser aufgebrachten Situation in der Landwirtschaft noch sagen darf. Was sind die Gründe?

  1. Deutsche Weine sind nicht mehr gefragt – bei den Deutschen!

Der Absatz deutscher Weine bricht ein. Um zehn Prozent sei der Absatz innerhalb eines Jahres zurückgegangen, sagt Hermann Morast, Geschäftsführer des Württemberger Weinbauverbands. "Diese eklatanten Absatzrückgänge, die wir so bisher nicht kannten binnen eines Jahres, müssten abgefangen werden." Notfalls mit Industriealkohol. Das Deutsche Weininstitut hat die offiziellen Zahlen für das vergangene Geschäftsjahr im Januar publik gemacht (hier (Opens in a new window)). Der Weinkonsum bezogen auf die Gesamtbevölkerung sei im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 19,9 auf 19,2 Litern pro Person gesunken. Die Deutschen konsumierten pro Jahr „eine Flasche weniger“. Das vermeldete das DWI schon im Geschäftsjahr davor. Jetzt noch eine Flasche weniger. Das Bild mit der einen Flasche weniger ist aber ein offensichtlicher PR-Spin. Ich gehe nicht davon aus, dass 2-Jährige oder 11-Jährige pro Jahr „nur“ noch 19,2 Liter Wein trinken – also eine Flasche weniger. Bei den über 16-jährigen, die laut Gesetz Wein trinken dürfen, ist der Weinkonsum pro Person nämlich um mehr als einen Liter von 23,6 auf 22,5 Liter im Jahr zurückgegangen. Die Gründe? Inflation, demografischer Wandel, verändertes Konsumverhalten – also gesünderer Konsum mit weniger Alkohol. Das wird seitens der Weinverbände genannt. Die selbstkritische Erwähnung struktureller Gründe und Rückstände? Nope. Ein Hinweis auf die Gründe des Einbruchs und eventuell ein Hinweis, wo Ansatzpunkte wären, ist diese Zahl: Lediglich noch 40 Prozent des konsumierten Weins in Deutschland komme aus Deutschland, sagt der Württemberger Verbandschef Morast (hier (Opens in a new window)).

Kapitel II: Die falschen Schlüsse der Weinbranche

Wenn man also an einem Punkt ansetzen will, der die Misere trefflich beschreibt, dann muss man feststellen: Deutscher Wein hat offenbar ein Glaubwürdigkeitsproblem – und zwar in Deutschland. Ausgerechnet. Hier greifen sie lieber zum billigen Primitivo aus dem Discounter als 10 Euro zu investieren für einen Trinkgenuss aus der Region.

Die Krise geht an den Winzer:innen nicht spurlos vorbei. Betriebe werden aufgegeben. Und die, die bleiben, haben Angst. Sie ziehen meines Erachtens die falschen Schlüsse aus rückläufigem Konsum und Überproduktion. Im Januar, unter dem Eindruck schwindender Umsätze, hat die ProWein mit der Uni Geisenheim ihren ProWein Business Report (Opens in a new window) herausgebracht, eine groß angelegte Umfrage unter Winzer:innen und Wein-Fachleuten in 47 Ländern. Titel: Wege aus der Krise (hier). Drei Ergebnisse finde ich bedenklich.

  • Der Kostenanstieg in der Produktion wird von den Betrieben als größtes Risiko gesehen (von 73 auf 85 Prozent) und verdrängt den Klimawandel fast komplett in der Wahrnehmung (von 45 auf 40 Prozent). Dies ist ein vielleicht nachvollziehbarer, aber kurzfristiger Fokus. Der weitaus wichtigere Fokus wäre auf Nachhaltigkeit zu setzen, weil dieser angesichts der Klimaverschiebungen und Extremwetter existentiell ist.

  • 40 Prozent der Betriebe haben Investitionen reduziert oder gar gestoppt. Das scheint naheliegend - neben der Anhebung der Preise und damit Weitergabe der Kosten. Aber gerade der Klimawandel mit seinem gestiegenen Druck auf die Trauben, das sukzessive Versiegen des Grundwasserspiegels müssten dazu führen, dass noch mehr investiert wird in Technologie, Umbau der Weinberge entweder durch Ersetzen qualitativ minderwertigere Trauben (siehe: Trollinger-Problem in Württemberg) oder in Richtung nachhaltigen Rebbestands durch Pflanzen von pilzwiderstandsfähigen Rebsorten.

  • Der Handel – und davon sind viele Winzer:innen abhängig – glaubt nicht an die Vermarktung von Top-Weinen. Der Handel setzt klar auf die Einstiegsweine, die Basisweine. Das bedeutet aber für deutsche Weine, dass sie sich noch mehr in Konkurrenz begeben werden mit den Billig-Importeuren aus Italien, Spanien oder Frankreich, die aufgrund ihrer Anbaugröße aber viel besser skalieren können. Nur zum Vergleich: Allein das Bordeaux-Gebiet ist größer als das gesamte deutsche. Dieser Kampf ist schon verloren. Klar, das Pricing in Relation zur Qualität ist ein heikler Spagat: Wenn die Basisweine der Qualitäts-Weingüter die 20-Euro-Grenze so langsam erreichen, ja auch zurecht ob der Qualität, dann wird es auch da schwierig, mit solchen Einstiegspreisen neues Klientel zu überzeugen. Und keinem ist geholfen.

Kapitel III: Drei Ansatzpunkte für die Zukunftsfähigekeit des deutschen Weins

Preise anheben für alle Weine? Bei gleichzeitiger Konzentration auf das Niedrigsegment? Stopp der Innovationen und damit Aufgabe der Moderation des Klimawandels? Ein solch defensives Krisenmanagement hätte nur eine Folge: die Aldisierung des deutschen Weins.

Auf die real existierenden Problemen von sinkendem Konsumverhalten und Überproduktion könnten die deutschen Winzer:innen – wenn sie sich denn einig wären – auch ganz anders reagieren. Sie könnten die Ökologisierung ihrer Landwirtschaft vorantreiben. Sie könnten in die Digitalisierung und damit in neue Technologien investieren. Sie könnten konsequent an der Qualität ihrer Produkte arbeiten – und damit an der Internationalisierung deutscher Weine. Diese drei Punkte sind einzeln betrachtet schon wertsteigernd. Diese drei Punkte entwickeln aber erst ihre Dynamik, wenn sie zusammen gedacht werden:

  1. Die Ökologisierung der Weinbranche sichert den ökonomischen Erfolg.

Es wird in Deutschland gerne und oft eine Debatte geführt, die nur einen Sinn hat: Von den Problemen abzulenken. Es wird hier gerne gefragt: Schmecken Bio-Weine nicht anders (gemeint ist hier meist schlechter) als die „normalen“ Weine? Bitte. Warum ist die Debatte absurd? Ich sage es an einem Beispiel: Schmecken die Pinots und Chardonnays im Burgund schlechter, weil sie allesamt ökologisch hergestellt wurden? Du hast meinen Punkt, oder? In vielen Weinanbaugebieten ist es keine Frage, ob sie Bio/Bio-dynamisch oder konventionell produzieren. Was denn sonst? Das gilt für Burgund, das gilt für Languedoc-Roussillion. Und das gilt eben nicht – für Bordeaux.

Chance für die Zukunft: Ökologische Weinproduktion fängt mit einer Investition in den Weinberg an FOTO: DWI

In Deutschland machen die Bio-Produzent:innen lächerliche 13 Prozent aus. Selbst im Elite-Club des VDP mit 250 Betrieben sind es gerade mal 30 Prozent. Nur: Die besten unter den VDP-Betrieben sind komischerweise allesamt – bio-dynamisch: Bürklin-Wolf, Battenfeld Spanier, Jakob Kühn, Wittmann. Es ist für sie die Vorausaussetzung für eine hohe Qualität und ihren damit erworbenen internationalen Erfolg. Das ist ja überhaupt die Pointe: Ökologisierung hat immer auch einen hohen ökonomischen Output. Schon allein, weil sich die Welt um die deutsche längst weitergedreht hat. Ökologisierung wird hier absehbar den Zutritt zu Märkten regulieren. Für die deutschen „Cool-Climate“-Reiter ist beispielsweise Skandinavien plus Finnland ein attraktiver Markt geworden. (WeinLetter #57) (Opens in a new window)Die dortigen staatlichen Weinmonopole regulieren aber teils härter als in Deutschland. Dies gilt für Informationspflichten der Lebensmittel-Hersteller, aber auch für die Nachhaltigkeitsbilanz. Wer hier nicht vorne ist, kann nicht exportieren. So wird die Ökologisierung der Landwirtschaft zum Eintritt – oder Austritt.

WeinLetter #78: PIWI-Special, Teil 1: Wann gibt’s das erste Große PIWI-Gewächs, VDP? (Opens in a new window)

WeinLetter #79: PIWI-Wein-Special, Teil 2: Das große A bis Z der PIWI-Rebsorten! (Opens in a new window)

  1. Die Digitalisierung und Technologisierung der Weinproduktion hilft bei Nachhaltigkeitszielen.

Eines vorweg: Mit Digitalisierung meine ich nicht Online-Weinshops. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Spätestens nach Corona. Mit Digitalisierung meine ich die Digitalisierung der Landwirtschaft, die Technologisierung einer auf den Klimawandel abgestimmte Arbeit im Weinberg, etwa beim Wasser-Management.

Grundwasser ist ein Thema in Deutschland. Nicht nur in Brandenburg, wo die Böden langsam versteppen. Es ist eher so, dass Neupflanzungen schwieriger geworden sind, weil die kürzeren Wurzeln einfach nicht an den sinkenden Grundwasserspiegel rankommen. Anders als die alten Rebstöcke. Nur: Die geben auch irgendwann den Geist auf. Ist es dann vorbei mit dem Riesling aus Deutschland?

Es gibt heute Sensorik-basierten Drohneneinsatz, der ganz genau Informationen darüber liefert, welcher Rebstock jetzt Wasser benötigt und welcher nicht. KI hilft bei der Schädlingsbekämpfung. Ja, es wird sogar an der Rebe der Zukunft gearbeitet, die kaum mehr Wasser benötigt. Es gibt Solar-Segel für den Weinberg, die Strom produzieren und gleichzeitig Schatten geben können als Schutz vor Hitze.

Klar, dafür sind Investitionen nötig. Deshalb ist es ja verheerend, dass so viele Winzer:innen diese reduzieren oder stoppen wollen, wie es der ProWein Report darstellt. Ich glaube aber, das hat auch mit einem falschen Mindset zu tun. Auf der Wine Conference des Meininger Verlags steht im März die Technologisierung im Mittelpunkt. „With NASA-Technology to More Sustainability“, “AI Cuts The Vines: How Technology Helps to Replace Manual Labour in the Vineyard” oder schlicht “The Robot Cellar” heißen die Vorträge. Das heißt aber auch, dass wir uns immer noch im Stadium „Erde-Kugel-nicht-Scheibe“ befinden: Die Branche muss noch überzeugt werden. Als ein Württemberger Winzer – sagen wir nahe Stuttgart – in der Stuttgarter Wald- und Wiesen Zeitung über den Einsatz von Drohnen im Weinberg berichtete, da hat die Redaktion dann gleich den Karrikaturisten mit dem Thema beauftragt. So viel Spießigkeit führt nicht zu Digitalisierung und Technologisierung.

  1. Der deutsche Wein braucht Luxus – für internationale Märkte und zur Motivation der Deutschen.

Dass in Deutschland ausgerechnet die Deutschen immer weniger zu deutschem Wein greifen, ist besorgniserregend. Schon immer war die Quote viel niedriger als etwa in Italien, Frankreich oder Spanien. Es gibt hierzulande keinen: Rebstock-Patriotismus. Ich glaube aber, es wäre falsch, die Gründe bei den Verbraucher:innen zu suchen. Es ist die Weinbranche selbst, die viel zu lange an Oechsle festgehalten hat und ansonsten in der Breite auf Masse getrimmt ist. Man muss sich nur Preislisten von manchen Kellereien und Genossenschaften durchlesen, dann weiß man, dass nicht nur jede Rebsorte angeboten wird, die bei drei nicht auf den Bäumen ist. Sie wird dann auch gleich jeweils in trocken, feinherb, als Reserve, halbtrocken und mit Schoko kredenzt. Dabei ist es kein Geheimnis, dass Reduzierung Qualität bringt. Und hartes Arbeiten an der Qualität wäre die Voraussetzung, dass deutscher Wein auch international an Renommee gewänne. Ich glaube, wenn die Welt nicht immer nur Egon Müller sagen würde, wenn es um die Louis-Vuitton-Liga des Weins ginge, dann hätte das Strahlkraft auch auf den deutschen Markt. Letzten Endes sieht der Distinktionsgewinn in deutschen Wohnzimmern so aus: „Ja, toll, wir trinken heute einen Primitivo!“ Es ist dann egal, ob Primitivo nicht eigentlich eine primitive Allerweltsrebe ist. Oder in Restaurants. Da gibt es Menschen, die verlangen: „Diesen Brat Pitt!“ Glaubt irgendjemand, dass deutscher Rosé jemals mit Brat Pitt mithalten kann. Vergesst es! Aber nein, gefühlt 99 Prozent aller Weingüter haben Rosé. Auch da wieder: Wir machen alles – und stehen für nichts.

In vier Jahren von 140 auf 300 Euro - gut so! Der Riesling der Grand-Cru-Lage “Kirchenstück” von Bürklin-Wolf FOTO: BÜRKLIN-Wolf

Ich will an einem anderen Beispiel zeigen, warum das mit den unterschiedlichen Interessen in der deutschen Weinbranche nicht zusammen geht. Gehen wir in die: Pfalz. Das Weingut: Bürklin-Wolf. Die Rebsorte: Riesling. Der Top-Wein: Grand Cru der Lage „Kirchenstück“ (WeinLetter #4). (Opens in a new window)Nicht mal 1.000 Flaschen. Der 2019er Jahrgang hat noch 140 Euro gekostet. Drei Jahre später zahlt man für den 2022er Jahrgang 300 Euro. Und ich sage: Sehr gut! Genau das ist der Weg der Internationalisierung. Extrem hohe Riesling-Qualität, ein weit höheres Preis-Genuss-Verhältnis als weit teurere Burgunder. Macht deutschen Wein dann bitte auch zu Luxus! Und dann kommt da der Pfälzer Weinbauverband und definiert sieben (!) Rebsorten, deren Lagenbezeichnung man aufs Etikett schreiben darf, was eigentlich eher für Besonderes vorgesehen sind. Und man denkt sich: Was ist das alles nur? Riesling. Klar. Dann die Burgunderrebsorten. Also Spätburgunder, Weiß- und Grauburgunder und Chardonnay. Und dann? Silvaner als hochwertigste weiße Rebsorte nach Riesling? Nein. Gewürztraminer und Dornfelder. Nochmal. Gewürztraminer und Dornfelder. Die eine wegen der Genossenschaften, der andere wegen der Kellereien. Vielleicht kann der Pfälzer Weinbauverband demnächst noch für Industriealkohol eine Lagenbezeichnung zulassen. 

Kapitel IV: Die Notwendigkeit der Rebstockwurzel-Bewegung

Wer in der Weinbranche kann diese drei Zukunftsentwicklungen vorantreiben? Die Weinbauverbände sind dazu nicht in der Lage. Sie sind Dornfelder-Konsens-Vereine. Noch in jeder Zukunftsdebatte wählte der Deutsche Weinbauverband das Mittel der Obstruktion. Zusatzstoffe auf das Etikett schreiben? Nein, reicht doch ein Bar-Code. Als wäre Wein kein Lebensmittel. Pfandsysteme für Weinflaschen? Hm, naja, lasst uns mal lieber das Flaschengewicht um drei Gramm senken. Reduzierung der Pestizide in sensiblen Gebieten? Klar, aber doch nicht so. (Opens in a new window)Was heißt: Lasst doch alles beim Alten.

Die wesentlichen Entwicklungen kamen immer von unten. Der Verband der Prädikatsweingüter war eines der ersten erfolgreichen Netzwerke von Winzer:innen abseits des Verbandswesens. Der VDP hat das Große Gewächs bzw. die große Lage etabliert. Also die Qualitätsdebatte geführt. Diese Netzwerke „von unten“ müssen auf nichts Rücksicht nehmen – außer freilich den ökonomischen Erfolg. „Zukunftsweine“ ist so ein Netzwerk, das sich für den Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten stark macht. Gerade haben sich Winzer:innen zur Initiative „Vision Mosel“ zusammen getan, um neben den klassischen Rieslingen Rebsorten wie Cabernet Blanc, Sauvigniac, Calardis blanc, Souvignier gris und Muscaris anzubauen. In Baden-Württemberg baut sich gerade ein nachhaltiges Pfandflaschen-System auf, geführt ausnahmsweise von Genossenschaften, die immerhin fünf Prozent der Anbaufläche in Deutschland vereinen (WeinLetter #54) (Opens in a new window) . Das hat Gewicht. Und es gibt die kleinen Maßnahmen, die etwas bringen. Vor allem: Qualität. Der Gut-Hermannsberg-Wiederbeleber Karsten Peter hat in der Pfälzer Heimat ein eigenes Weingut gegründet. Er hat Rebflächen in flachen Lagen gegen Steillagen getauscht, um die Qualität seiner Weine zu erhöhen (WeinLetter #51) (Opens in a new window). Warum keine großangelegten Tauschgeschäfte für mehr Qualität?

Das alles zeigt. Wenn der deutsche Wein eine Chance haben soll, dann braucht es vor allem eins: eine echte Rebstockwurzel-Bewegung, die die Zukunft des deutschen Weins vorantreibt.

Was ist Deine Meinung? Schreib mir an: weinletter@posteo.de

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