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WeinLetter #68: Alles über koscheren Wein aus Deutschland

Liebe Wein-Freund:in,

Du liest den WeinLetter #68. Heute gibt’s: Koscheren Wein aus Deutschland. Okay, okay, bevor jetzt Gerüchte aufkommen, der WeinLetter wolle mit diesem Thema in die große Weltpolitik eingreifen: Geht auch ne Nummer kleiner. Neu-WeinLetter-Reporter Michael Thaidigsmann aus Brüssel und Hohenlohe, Redaktionsmitglied Philipp Bohn und ich hatten das Thema schon länger diskutiert. Passt jetzt gut. Und der WeinLetter ist ja durchaus auch an gesellschaftspolitischen Themen dran – als der Ukrainekrieg begann, gings in WeinLetter #30 um den möglichen Verlust eines für manches deutsche Weingut wichtigen Absatzmarktes (Opens in a new window). Wie auch sonst Themen wie EU-Agrar- und Verbraucher:innenschutzpolitik (Opens in a new window) oder der Klimawandel (Opens in a new window) zum Markenkern des WeinLetters gehören. Jetzt also: koscherer Wein. Denn es gibt tatsächlich zwei bekannte Qualitätsweingüter in Deutschland, die koscheren Wein produzieren: das Staatsweingut Weinsberg in Württemberg und das Weingut Wirsching in Iphofen, Franken. Warum tun sie das? Wie tun sie das? Und für wen tun sie das? Viel Spaß beim Lesen und: L‘Chaim! +++ Und jetzt empfehlt (und shared) diesen WeinLetter bitte. Unterstützt den WeinLetter gerne auch finanziell und werdet aktives Mitglied! (Opens in a new window)Aber vor allem:

Trinkt friedlich!

Euer Thilo

 

Koschere Weine aus Deutschland

Auf das Leben! Koschere Weine aus Deutschland FOTO: THILO KNOTT

Und dann waren 2.500 Liter fast futsch!

 Von Thilo Knott und Michael Thaidigsmann

Es war nur ein Standröhrchen, das Simon Bachmann berührt hatte. Das Standröhrchen ist bei einem Weinfass außen angebracht. Es zeigt den Stand des Weins im Fass an. Daran hat Bachmann kurz geklopft. Stille. Ruhe im Weinkeller von Weinsberg. Und Blicke.

An ein Standröhrchen klopft Simon Bachmann wahrscheinlich so oft, dass er gar nicht mehr mitzählen kann. Er ist Referatsleiter Kellerei und Kellerwirtschaftliche Versuche am Staatsweingut Weinsberg. Doch nur an dieses eine Standröhrchen-Klopfen erinnert er sich noch. Hatte er etwa gerade im Handumdrehen 2.500 Liter Wein zerstört? War der Inhalt des Fasses, in das kurz zuvor koscherer Wein abgefüllt worden war, jetzt treif und nicht mehr koscher? Wäre Simon Bachmann Jude, wäre das Röhrchenberühren kein Problem gewesen. Ist er aber nicht. Hatte er vielleicht gerade koscheren Wein zwar nicht in Wasser, sondern „normalen“ Riesling verwandelt?

Neben Bachmann stand in diesem Moment Rabbiner Yehuda Pushkin von der israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg. Der überwacht die koschere Weinproduktion im Staatsweingut. Pushkin hat auch noch andere Aufgaben und muss dafür jedes Mal extra aus dem 50 Kilometer entfernten Stuttgart anreisen. Vor allem aber muss er dafür sorgen, dass die Regeln der Kaschrut, des jüdischen Speisegesetzes, eingehalten werden. Und vor allem beim Wein sind das eine ganze Menge. „Es gibt 500 Regeln und Ausnahmen“, erklärt Simon Bachmann – auch er mittlerweile Experte. Nach langer Beratung stand übrigens das Urteil des Rabbiners fest: „Wir haben eine Auslegung gefunden, die das zulässt“, sagt Bachmann. Das, das war das Röhrchen-Klopfen. Das Röhrchen wurde geputzt und erneut angebracht. Dieses Mal von einem Juden.

Simon Bachmann steht im Weinkeller des Staatsweinguts Weinsberg

"Aktives Projekt der Verständigung": Simon Bachmann, Referatsleiter Keller am Staatsweingut Weinsberg FOTO: STAATSWEINGUT WEINSBERG

Seit zwei Jahren verantwortet Simon Bachmann das Projekt „koscherer Wein“. Das Landwirtschaftsministerium Baden-Württemberg von Minister Peter Hauk (CDU) kam auf die Staatliche Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Weinsberg, wie sein Arbeitgeber mit vollem Namen heißt, zu und brachte 20.000 Euro Anschubfinanzierung mit. Die Rabbiner aus Baden und Württemberg unterstützten das Projekt. Erst einmal mussten Bachmann und seine Kollegen googeln. Wie macht man koscheren Wein? „Wir haben wahnsinnig viel gelesen – und auch viele Falschmeldungen“, sagt Bachmann. Als sie zum Beispiel lasen, dass Frauen vom Produktionsprozess ausgeschlossen seien, sind sie ins Grübeln gekommen, ob sie das Projekt machen sollen. Das mit dem Verbot der Tätigkeit von Frauen war dann aber doch nicht so. „Mir hat gefallen, dass es ein aktives Projekt der Verständigung war“, sagt Bachmann. Man begann mit dem Kauf frischer Geräte.

Das Staatsweingut Weinsberg ist einer von nur zwei namhaften ualitätsbetrieben in Deutschland, die koscheren Wein herstellen. Zwei weitere Winzer haben vor kurzem wieder aufgegeben. Zu kompliziert das Ganze. Doch die Württemberger fingen 2022 mit einem Riesling an; und füllen mittlerweile auch einen Lemberger ab. Der zweite Betrieb ist das Weingut Wirsching von Andrea Wirsching. Die Franken aus Iphofen keltern einen koscheren Silvaner.

Winzerin Andrea Wirsching hält ein Glas Weißwein in der Hand

"Das passt nicht zu unserem Anspruch": Andrea Wirsching, Chefin des Weinguts Hans Wirsching in Iphofen, Franken FOTO: INA BROSCH

Einen Unterschied gibt es: Während der koschere Wein in Weinsberg mewuschal ist, setzt Wirsching auf die etwas kompliziertere traditionelle Methode. Was ist mewuschal? Sechs Sekunden lang wird der Wein auf 86 Grad erhitzt, dann sofort wieder heruntergekühlt. Mewuschal heißt, dass der Wein rein bleibt, auch wenn er von Nicht-Juden ausgeschenkt wird. Andrea Wirsching macht das nicht. Auf der ProWein in Düsseldorf erzählt sie, dass das Erhitzen „nicht zu unserem Anspruch als Premiumweingut passt.“ Die Weinsberger sehen das anders. Sie haben bei sensorischen Vergleichen mit nicht pasteurisierten Weinen entsprechender Gutswein-Qualität festgestellt: „Du schmeckst da keinen Unterschied“, sagt Bachmann.

Es gibt am Weinmarkt so viele Nischen. Orange-Wein. Amphoren-Wein. Alkoholfreien Wein. Die Produktion koscheren Weins ist wahrscheinlich die kleinste Nische. Der Großteil koscheren Weins wird in Israel produziert. Aber in jedem Weinland Europas gibt es Betriebe, die auch koscheren Wein herstellen; die meisten aber nicht nur, sondern eben nur als Nische. Auf der ProWein in Düsseldorf im März stellten einige Weingüter auch ihre koscheren Tropfen vor. Dabei sind alle Segmente vertreten, vom einfachen 8-Euro-Wein bis hin zum koscheren Luxus-Bordeaux für 150 Euro. In Frankreich gibt es die größte jüdische Gemeinschaft Europas, auch wenn die wenigsten davon nur koscheren Wein trinken. Doch viele größere Champagner-Häuser haben ein koscheres Angebot. Vranken-Pommery zum Beispiel produziert 20.000 Flaschen koscheren Schaumweins, genauer gesagt, ein jüdisches Team aus Paris macht das. Bei 20 Millionen Flaschen im Jahr liegt das im Promille-Bereich des Umsatzes. Das meiste werde nach Übersee exportiert, erzählte Marketingchefin Nathalie Vrancken auf der ProWein. „Aber unser Pommery ist sehr begehrt in der jüdischen Gemeinschaft.“

Alain Sacy ist Chef von Louis de Sacy in Verzy bei Reims. Er vermutet, dass er der einzige Jude im Champagner-Business ist, der auch koscheren Schampus macht. Sacy arbeitet im Gegensatz zu Vrancken mit Rabbinern aus Reims zusammen. Das Projekt „koscherer Champagner“ begann er mit Haïm Korsia, einst Rabbiner in Reims und Frankreichs Oberrabbiner. Auf der ProWein erzählt uns Sacy: „Ich bin auf ihn zugegangen und habe gefragt, ob er Lust dazu hätte. Er hat sofort geantwortet: ‚Warum nicht?‘“ Sacy produziert 10.000 koscheren, mewuschalen Champagner. Viel davon exportiert er in die USA.

"In den Weinen steckt 100 Prozent Weinsberg drin": Weinberge rund um die Burgruine Weibertreu in Weinsberg FOTO: THILO KNOTT

3.000 Flaschen koscheren Rieslings und 4.000 Flaschen Lemberger stellt das Staatsweingut Weinsberg jedes Jahr her.  Auch das ist nur ein Bruchteil der Gesamtproduktion. Nur zum Vergleich: Aus ihren 50 Hektar keltern die Württemberger rund 200.000 Flaschen pro Jahr. Die koschere Produktion nehmen vorläufig die jüdischen Religionsgemeinschaften in Württemberg und Baden ab. Sie schenken die koscheren Tropfen bei ihren Festen aus.

Rund 85 Prozent gingen an Juden, 15 Prozent an Nicht-Juden, schätzt Simon Bachmann. Letztere sind wohl einfach neugierig. Dass die koscheren Weine automatisch vegan sind? Vielleicht. Nur produzieren die Weinsberger alle Weine vegan. Bachmann sagt aber auch: „Das ist für uns kein rein kommerzielles Projekt.“ In Weinsberg setzen es auch bei der Ausbildung des Nachwuchses ein. „Es geht darum, den Horizont zu erweitern.“ Und sich damit zu identifizieren. Für Simon Bachmann ist klar: „In den Weinen steckt 100 Prozent Weinsberg drin! Weil wir die gesamte Produktion verantworten – auch, wenn wir nicht alles ausführen oder anfassen dürfen.“ Und auch nicht klopfen dürfen.

Michael Thaidigsmann, 50, ist Journalist und lebt seit 25 Jahren in Brüssel. Er schreibt für die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine und leitet die NGO EU Watch, die sich mit der Europäischen Union und insbesondere der EU-Außenpolitik befasst (Opens in a new window). Michael ist gebürtiger Hohenloher und damit Landsmann von WeinLetter-Herausgeber Thilo Knott. Sie besuchten sogar dasselbe Gymnasium (Gerabronn).

Infos zu drei koscheren Weinen aus Deutschland

Staatsweingut Weinsberg: Riesling "Le Chaim", trocken, VDP.Gutswein, 2022, 13,0 % vol., 12,90 Euro ab Hof.

Staatsweingut Weinsberg: Riesling "Le Chaim", trocken, VDP.Gutswein, 2022, 13,5 % vol., 13,90 Euro ab Hof.

Weingut Hans Wirsching: Iphöfer Silvaner , trocken, VDP.Gutswein, 2021, koscher, 12,0 % vol., 20 Euro ab Hof.

Riesling, Lemberger, Silvaner: Die Auswahl an koscheren Weinen aus Deutschland - zweimal vom Staatsweingut Weinsberg, einmal vom Weingut Wirsching FOTO: THILO KNOTT 

Die sieben wichtigsten Fragen zu koscherem Wein

von Philipp Bohn

Es gibt unzählige Regeln und Ausnahmen von den Regeln. Oft sind sie Auslegungssache. Weitgehende Einigkeit gibt es bei diesen wesentlichen Fragen der koscheren Weinproduktion. Auf jeden Fall geben Sie einen Eindruck von der Komplexität im Weinberg, im Keller und der Abfüllung.

1. Welche Rolle spielt (koscherer) Wein im Judentum?

Wein ist eines der ältesten Kulturgüter der Menschheitsgeschichte. Auch im Judentum, der ältesten der großen Weltreligionen, spielt er eine wichtige Rolle. Schaut man in Tora und Talmud, wird man schnell fündig: Noah pflanzt nach dem Ende der Sintflut Weinreben als Symbol für den Neubeginn. König David besingt in den Psalmen Wein als Gottesgeschenk, das die Herzen der Menschen erfreue. Wein hat eine wichtige rituelle Bedeutung bei hohen jüdischen Feiertagen wie dem Pessachfest, beim Kiddusch-Segen zu Beginn des Schabbats am Freitagabend und auch der Havdalah-Zeremonie am Ende des Ruhetages.

Juden berauschen sich jedoch üblicherweise nicht am Wein, außer am Purimfest, an dem der Rausch fast schon verpflichtend ist.

2. Was ist überhaupt koscherer Wein?

Entspricht die Herstellung von Lebensmitteln den jüdischen Speisevorschriften, der Kaschrut, erhalten sie von einem Rabbiner einen Hechscher, einen Koscherstempel. Beim Wein ist der meist auf dem Rücketikett sichtbar. Wein unterliegt dabei besonders strengen Regeln, weil er für sakrale Riten von zentraler Bedeutung ist.

Zusätzlich zur Kaschrut müssen auch noch andere Aspekte der Halacha, der jüdischen Religionsgesetze, bedacht werden. Es gibt also unzählige Regeln und Vorschriften zu respektieren.

3. Was muss für koscheren Wein im Weinberg passieren? 

Ein Weinberg muss mindestens vier Jahre alt sein. Zudem ist jedes siebte Jahr ein Schabbatjahr, an dem auch dem Weinberg eine Ruhepause gegönnt wird. Dann dürfen die Trauben nicht geerntet werden. Das gilt für die Weinproduktion in Israel – nicht außerhalb, also auch nicht für das Staatsweingut Weinsberg oder das Weingut Wirsching. In Weinsberg ist es so, dass alle Arbeiten im Weinberg auch von den Mitarbeiter:innen des Staatsweinguts erledigt werden dürfen. Und zwar so lange, bis die Trauben noch geschlossen sind. Von der Pressung an gilt für die Nicht-Juden: Finger weg!

4. Was passiert im Weinkeller mit dem koscheren Wein?

Am gesamten Produktionsprozess dürfen nur orthodoxe Juden beteiligt sein, die gemäß der Halacha leben. Nur sie berühren und reinigen Maschinen und Gegenstände für Ernte und Herstellung von Pressung bis zur Abfüllung. Alle Arbeitsvorgänge müssen unter Aufsicht eines Rabbiners oder einer speziell geschulten Person erfolgen, die sich mit den Regeln der Kaschrut auskennen.

5. Warum wird koscherer Wein erhitzt?  

Der wesentliche Unterschied zu regulär hergestelltem Wein ist das mewuschal, also das Erhitzen des Weins vor der Abfüllung auf 80 bis 90 Grad, eine Art Blitz-Pasteurisierung, die nur wenige Sekunden dauert – danach wird der Wein wieder heruntergekühlt. Ist der koschere Wein mewuschal, dürfen ihn auch Nicht-Juden öffnen und ausschenken. Mewuschal ist aber nicht verpflichtend, und die meisten koscheren Weine werden nach der klassischen Methode hergestellt – ohne Wärmebehandlung.

6. Was wird bei der Abfüllung des koscheren Weins beachtet?

Eine weitere Vorschrift: Bevor der Wein nach der Ernte in den Keller zum Reifen gelangt, müssen Lagertanks, Fässer, Rohre und Schläuche dreimal mit Wasser befüllt und gereinigt werden. Ist der Wein bereit zum Abfüllen, prüft der Rabbiner, ob alle Vorschriften eingehalten worden sind. Erst dann stellt er den Hechscher, also das Koscher-Zertifikat, aus.

7. Wie schmeckt koscherer Wein?

Auch wenn es überraschend klingt: Nicht viel anders als das nichtkoschere Pendant. Auch die Erhitzung des Wein für wenige Sekunden hat nach sensorischen Tests des Staatsweinguts Weinsberg keine Auswirkungen auf den Geschmack. Bei vielen Vorgaben der Kaschrut handelt es sich eigentlich um Hygiene- und Prozessvorschriften sowie um die Frage, wer entlang des Produktionsprozesses mit dem Wein in Berührung kommt. Und das schmeckt man natürlich nicht.

Philipp Bohn ist Chief Marketing Officer beim globalen Digitalisierungsspezialisten Atos in Deutschland und schreibt regelmäßig für den WeinLetter. Zum Beispiel über die Weingeschäfte von Lieferdiensten wie Flink (Opens in a new window), das Weingut von Karsten Peter (Opens in a new window), die Nachhaltigkeitsstrategie des VDP (Opens in a new window) sowie über das historische Weingut Eltz (Opens in a new window). FOTO: MONIKA JIANG

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